Als Meister Hein noch den Schlamm von der Bahnhofstraße kratzen ließ

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Am 5. April 1937 veröffentlichte die Herner Zeitung ein Artikel zur Geschichte von Herne-Mitte. Der Autor "an" wird Karl Brandt gewesen sein. [1]

Als Meister Hein noch den Schlamm von der Bahnhofstraße kratzen ließ
Ein Spaziergang über die Bahnhofstraße in den neunziger Jahren [1890er]
Aus der guten alten Zeit

an. Herne, 1. April.

Wenn man heute so gegen Abend einen Bum­mel über die Bahnhofstraße macht, fällt es einem schwer, sich in eine Zeit zurückzuversetzen, wo diese Straße als chaussierte Landstraße mit Stra­ßengräben das kleinstädtische Herne durchzog, wo jedes Einzelne Haus noch frei stand und meist noch einen kleinen Garten besaß und wo es sogar stattliche Bauernhöfe mit Scheunen und Ställen und mit einem richtigen großen Mist­haufen auf dem Hofe gab. Ja, Herne ist groß­städtisch geworden — zum mindesten an der Bahn­hofstraße! Und dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass hier die Pferde=Omnibusse über die Bochum=Halterner Chaussee, zu der die Bahnhof­straße gehörte, ratterten. Blicken wir einmal zurück auf das kleinstädtische oder vielmehr industrie=großdörfliche Herne zu Anfang der neun­ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts! Viele alte Herner können sich noch gut daran erinnern, und mit einem von ihnen haben wir nun einen Spaziergang gemacht und haben uns in jene ge­ruhsame Zeit zurückversetzt, in der der "dicke Busch=Willem“ mit seinem Wagen über die Bahn­hofstraße rollte, an der die "Rote Marie“ und die „Appel=Marie“ ihren Grünkram feilhielten und dabei ihre neuesten „Vertellkes“ an den Mann oder meistens an die Frau brachten. Wie hat sich das Straßenbild seit jener Zeit verändert! Nicht allein dass die großen Baulücken, die Wiesen, Fel­der und Gärten verschwunden sind, ist das aus­schlaggebende, sondern durch die vielfachen Neu­bauten, Umbauten und Aufstockungen hat sich der Charakter der Straße grundlegend verändert. Wie gesagt: Herne ist Großstadt geworden, zum mindesten an der Bahnhofstraße, und auch hier und da mit kleinen Schönheitsfehlern, über die wir aber gar nicht weiter grollen. Wenigstens heute nicht.

So hat einmal die Bahnhofstraße ausgesehen

Wenn der Wanderer auf der Bochum=Halterner Chaussee durch das "Bruch“ (dem jetzigen Reck­linghausen=Süd) nach Herne wanderte und an die Emscher kam, diesem Flüsschen, dem von alters her als Grenze eine besondere Bedeutung zukam, so war das Bild, das sich damals seinen Augen bot, mit dem heutigen überhaupt nicht zu ver­gleichen. Ganz abgesehen davon, daß der statt­liche Kanal noch nicht vorhanden war, floss auch die Emscher nicht in einem so schön ausgebauten geraden Bett, sondern schlängelte sich eigenwillig in unzähligen Windungen durch die Niederung. Aber die hohen Fördertürme der Zechen erinnert den Wanderer daran, dass er sich im Lande der Kohle und des Eisens befand. Von rechts herüber grüßte die Zeche „Clerget“ (heute Reckling­hausen I, im Volksmund allgemein „Klärchen“ genannt), die sich damals ebenso wie die Schwe­sterzechen „Barillon" (später Julia) und „Pro­vidence“ (später Von=der=Heydt) in belgischem Be­sitz befand. Links von der mit hohen Pappeln bestandenen Chaussee standen damals nur etwa zehn bis fünfzehn kleine Häuser in der Niede­rung. An dem alten Judenfriedhof vorbei, der auch heute noch zu sehen ist, kommt der Wande­rer in die Nähe der alten Gerberei Rembert, die damals der einzige Betrieb dieser Art in Herne war. In der Nähe stand auch die alte Tragmanns=Mühle, die zum früheren Trag­manns Hof in Baukau gehörte und auch einen kleinen Steinbruch besaß. Diese wurden im Jahre 1893 an den Müller Breloer aus Wiemelhausen bei Bochum verpachtet. Sie lagen kurz vor der Mündung des Westbachs in die Emscher, also westlich der Strünkeder Straße, und zwar hinter der früheren Bäckerei Flück, jetzt Lenneps. Neben der Chaussee floss damals munter der vereinigte Ost= und Westbach als klares, offenes Bächlein der Emscher zu. Bald kommen wir an den ersten Häusern vorbei. Sie sind nur niedrig und haben fast alle das gleiche Aussehen. Zu der Haustür, die sich etwas über die Straßenhöhe erhebt, führt eine Steintreppe mit mehreren Stufen empor. Auch der „Ab­kratzer" fehlte auf keiner Treppe, er war in der damaligen Zeit, wo eine gepflasterte Straße im­merhin noch etwas besonderes war, auch sehr nötig. Auch heute findet man in diesem Teil der Bahnhofstraße vielfach noch Steintreppen vor den Häusern, aber während sie damals von drei Sei­ten frei zur Haustür hinaufführten, sind sie heute aus Platzgründen vielfach seitlich verlegt.

Doch wir wollen jetzt weiter wandern auf der alten Bochum=Halterner Chaussee der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Da sehen wir von ferne den Pferde=Omnibus herankommen, der den Verkehr nach Recklinghausen aufrecht er­hält. Er erinnert uns noch stark an die gute alte Zeit der Postkutsche. Wir gehen jetzt an der Hülsmann'schen Ziegelei vorüber und kommen bald in das Strünkeder Revier. In einem kleinen Haus neben der jetzigen Hafen­straße befand sich damals die alte Wirtschaft Stein. Ihr gegenüber im Zuge der jetzigen Forellstraße zweigte der Weg zum damaligen Amte Baukau ab, an dem aber nur wenige Häuschen standen. Unser Blick fällt zunächst auf die Strünkeder Mühle, die damals noch voll in Betrieb war und deren Pächter Schollbrock eine bekannte Persönlichkeit war. Auch das Schloß selbst war noch bewohnt, in ihm wohnte noch die Freifrau von Forell. Die ganze Um­gebung des Schlosses hatte jedoch ein völlig ande­res Gesicht. Die Schloßgräfte, die heute in ihrer alten Form noch erhalten ist, war nur durch einen schmalen Damm von einem großen Grund­wassersee getrennt, der sich entlang der Chaussee bis nahe an die Zeche „Von=der=Heydt“ aus­dehnte. Dieser große See war zwar nicht tief, im Winter aber natürlich für die Jugend ein idealer Tummelplatz zum Eislauf, von der na­türlich eifrig Gebrauch gemacht wurde.

Gegenüber von Schloß Strünkede, auf der an­deren Seite der Chaussee, war der alte „Och­senkamp“, dessen Häuser zum Teil heute noch stehen, wenn auch an ihnen manche Veränderun­gen festzustellen sind. Hier wohnte der „dicke Busch=Willem", von dem wir eingangs schon sprachen. Er war eine stadtbekannte Persönlich­keit und verdankte dies seiner ungewöhnlichen Körperfülle, denn er hatte das stattliche Gewicht von über drei Zentnern und wenn er seinen Wagen bestieg, um „nach Herne“ zu fahren, füllte er ihn auch aus, so dass er unterwegs niemanden mehr mitnehmen konnte. Aber er war sonst, wie man erzählt, ein „prächtiger Kerl“ und nebenbei ein alter Mitkämpfer von 1870/71.

Unser Weg führt nun weiter zum Hafen am Stichkanal. Dort überquerte die alte westfälische Eisenbahn, die natürlich auch damals schon längst nicht mehr in Betrieb war, die Landstraße. Auf der Baukauer Seite ist der Bahndamm auch heute noch zu erkennen. Damals führte eine kleine Brücke über den offenen Bach neben der Landstraße und auf der anderen Seite bildete der Bahndamm, auf dem natürlich keine Schie­nen mehr lagen, einen idealen Spazierweg in die Bladenhorster und Pöppinghauser Wälder. Die Straße auf der anderen Seite der Bahn war da­mals ein einfacher Aschenweg, der zur Zeche „Friedrich der Große“ führte. An diesem Wege stand auch das vielen alten Kumpels noch be­kannte Kasino, dessen Kantinenwirt Pascher vielen von den damals angelegten Bergleuten der erste Herbergsvater in Herne war.

Dort, wo heute die Bismarckstraße abzweigt, stockte vor 40 Jahren des Wanderers Fuß nicht. Hier war auf dieser Seite nur die große Wasser­fläche, von der wir schon am Schloß Strünkede sprachen. Nirgends war etwa ein Weg zu sehen, der ein Vorgänger der heutigen Bismarckstraße hätte sein können. Auf der gegenüberliegenden Seite jedoch bei der jetzigen Wirtschaft Grünen­dahl befand sich auch damals ein beliebtes Aus­flugslokal, die Wirtschaft Timpte. in deren Glasveranda die alten Herner am Sonntag nach­mittag gern ihren Kaffee tranken. Nur wenige Schritte weiter stand auch damals schon die Ma­schinenfabrik Halstrick, die als Lieferant für Förderwagen auch damals schon weit bekannt war. An der heutigen Ritterschänke hatte zu jener Zeit der Hufschmied Schwarz einen klei­nen Ausschank. Nebenher beschlug er jedoch eifrig die Pferde, die ja damals im Verkehrsleben noch mit die wichtigste Rolle spielten. Der alte Ostbach floss die alte Friedrichstraße (jetzige Dornstraße) von Schlenkhoffs Mühle herunter und ver­einigte sich jenseits der Straße mit dem West­bach. Aus der anderen Straßenseite standen erst einige hundert Meter weiter neben einigen Bret­terbuden das alte Funkenberg'sche Haus. Ihm gegenüber stand das Haus der Familie Dux Schlenkhoff. der neben seinem land­wirtschaftlichen Betrieb auch einen umfangreichen Fuhrbetrieb hatte und z. B. am Bau der Bochum­-Halterner Chaussee damit wesentlich mitgeholfen hat.

Am Hotel Schmitz vorbei, das damals eben­falls schon bestand, sind wir nun in die Nähe des Bahnhofs gekommen. Neben der Metzgerei Döhmann ist heute noch ein schmales Gässchen zu erkennen, das war damals die „zweite Beckstraße", die sich später mit der heutigen Beck­straße vereinigte. Hier beginnt nun auch schon das Geschäftsviertel des alten Herne. Neben dem Hotel Schmitz stand damals ein Kolonialwarengeschäft Ueberfeldt, weiter noch die Schreinerei und spätere Wirtschaft Hülshoff, die bekannte Bäckerei Brune und das Geschäft von W. E. Neuhaus, weiter die Konditorei Ferdinand Hoß und der „Deutsche Hof“ (Inh. Goihl). Vorher stand auch das alte Post­gebäude, das dunkle, einstöckige Haus, neben dem Hotel Meinhardt. Der Eingang befand sich an der rechten Seite und ist auch heute noch zu erkennen. An dieser Stelle wurden auch die Pferde=Omnibusse nach Recklinghausen abgefer­tigt. Auf dem jetzigen Bahnhofsvorplatz endeten damals drei Entladegleise der Eisenbahn für den Güterverkehr. Die Bahnhofstraße verlief natür­lich etwas höher als heute, denn eine Unterfüh­rung bestand ja nicht, vielmehr liefen die Bahn­geleise direkt über die Straße, die bei dem ver­hältnismäßig lebhaften Verkehr nur zu oft recht lange geschlossen blieb. Später, als der Verkehr noch weiter anwuchs, stand jedes mal eine lange Schlange von Fahrzeugen hinter der Schranke, und die „ganz Eiligen“ — die es auch zu jener Zeit schon gegeben hat, sollen es an mancherlei „Bestechungsversuchen“, bei den braven Schran­kenwärtern nicht haben fehlen lassen...

Das zweite Herner Postgebände wurde anstelle des alten Seherschen Hauses direkt an der jetzigen Unterführung errichtet. In ihm war die Post bis zur Inbetriebnahme des jetzigen Gebäudes untergebracht. Die Fabrikstraße führte zur Ma­schinenfabrik Baum, die damals noch in ihren Anfängen stand. Auf der rechten Seite der Bahn­hofstraße stand dicht neben dem Bahngeleise die Weichenfabrik Bennekämper, damals ein be­kanntes Unternehmen. Zwischen der Bahnschranke und der Grabenstraße hatten alle Häuser übrigens hübsche Vorgärten. Auch die Gelbgießerei Sas­senhoff befand sich hier. Ihr gegenüber steht heute eine Holzbude mit einer Obst= und Ge­müsehandlung. Damals stand hier die „Pech­hütte“, eine Gaststätte, die ebenfalls nur in einem einfachen Holzbau untergebracht war und aus der sich im Laufe der Jahrzehnte das Hotel Sassenhoff entwickelte. Diese „Pechhütte“ war die Endhaltestelle der ersten Bochum=Herner Straßenbahn.

In diesem Teile der Bahnhofstraße wohnte auch eine bekannte Herner Persönlichkeit, der Sanitätsrat Cremer. Ihm gegenüber auf der linken Straßenseite hatte der Bäckermeister Frackmann sein Geschäft. Während sich auf der rechten Seite neben einigen kleineren Häu­sern hauptsächlich Gärten an der Straße entlang zogen, standen auf der linken Seite mehrere Häu­ser. Im Zuge der Vinckestraße floss übrigens ein schönes, klares Bächlein in einem Durchlass unter der Straßenoberfläche auf die linke Straßenseite. Nur wenige Schritte weiter auf der rechten Seite stand das Friedrich Köster'sche Haus. Schräg gegenüber in der jetzigen Stadtschänke befand sich die Bäckerei und Schankwirtschaft Metzkes, die später von dem pensionierten Gendarmen Bruch übernommen wurde und danach in die Hände Jean Vogels überging. An der Stelle der jetzigen Firma Fischer stand die Weusthoff­sche Besitzung die durch ihr Säulen=Portal einen imposanten Eindruck machte und daneben das Sprick'sche Haus. Bis zum Hotel Schlenkhoff zogen sich dann wieder Gärten an der Straße entlang. Doch eins darf nicht vergessen werden: die „Zentral=Halle“, in der Gerhard Nußbaum als „der einzige ge­lernte Wirt“ in Herne sein Bier ausschenkte.

Ein nettes ländliches Idyll konnte man noch gegen Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Herne an der Ecke Bahnhof­straße und Von=der=Heydtstraße erleben. Den Platz der jetzigen Firma Leitner nahm eine statt­liche Wiese ein, auf der friedlich einige Kühe wei­deten. Hier war auch das Revier der „Roten Marie“ und der „Appel=Marie“, die hier beide ihre Gemüsestände hatten und weit und breit be­kannt waren.

Die alte Breloersche Mühle

Auf der Bahnhofstraße herrschte natürlich auch damals schon ein recht reger Durchgangsverkehr. Die Straße wurde Provinzialstraße auch im­mer gut in Ordnung gehalten. Wenn z. B. nach Regenfällen sich auf der Straße Schlamm ange­sammelt hatte, so trat sofort ein Arbeitskom­mando unter dem Straßenmeister Hein[2] in Tä­tigkeit, das die Straße mit großen Schabern wie­der sauber kratzte. Der Schlamm wurde dann am Straßenrande zu kleinen Haufen aufgeschich­tet. Diese Schlammhaufen waren bei den Nachtschwärmern — auch damals waren nicht alle Her­ner ganz solide Leute — wenig beliebt. Es soll nämlich vorgekommen sein, daß in mitternächtlicher Stunde jemand darüber stolperte und drin liegen blieb.

Bei unserem Spaziergang über die Bahnhof­straße überqueren wir zunächst die Kaiser=Wil­helm=Straße, die früher den Namen Bollen­straße führte. Die gegenüberliegende Kamp­straße war damals eine Sackgasse. Die Hein­richstraße bestand überhaupt noch nicht, diese Stelle nahm ein großer Schuttabladeplatz ein. Auch die Neustraße, die heutige Franz=Seldte­-Straße war noch nicht ausgebaut, an ihr lag auch damals schon die katholische Schule, die in ihrer alten Form heute noch erhalten ist. Neben, dem Hause des Direktor Lauten (an der Stelle des jetzigen Hauses der Württembergischen Me­tallwarenfabrik) erstreckte sich auf der Bahnhof­straße bis zur Ecke Schaeferstraße der wundervolle Garten des Köllermann'schen Hauses, der diesen Abschnitt der Bahnhofstraße zu dem schön­sten Teil der Straße überhaupt machte. Köller­mann war der Besitzer der ersten Herner Schnapsbrennerei, die später von der Firma Jul. Meimberg übernommen wurde. Die Schaefer­straße, früher Oststraße genannt, war wiederum eine Sackgasse. Im Hause des Kaffee Funke be­fand sich damals die Buchbinderei Lichterfeld. Neben der katholischen Kirche bestand an der Stelle der jetzigen „Westfalenschänke“ die Wirt­schaft „Zur Krone“ (Inh. Rolofs). Auf der ge­genüberliegenden Seite stand das Albring'sche Haus. Vor der heutigen Behrensstraße, die damals noch nicht vorhanden war, standen“ kleinere Häuser, Mäder und Kaiser, die später, als die Straße an­gelegt wurde, niedergerissen wurden. Die Wirt­schaft Stemberg „Zu den Vierjahreszeiten“ befand sich damals schon in dem gleichen Hause neben der katholischen Kirche. Ihr gegenüber wohnten die Gebrüder Bromen, Franz war Buchbindermeister, hatte einen stattlichen schwar­zen Bart und trug stets eine grüne Leinenschürze, Fritz hatte einen roten Bart und trug immer eine blaue Leinenschürze. Gegen abend standen beide an ihren Türen und schmauchten gemütlich ihre langen Pfeifen.

Die Marienstraße stand damals, was die Stra­ßenverhältnisse anbetraf, in einem schlechten Ruf, denn bei Regenwetter verwandelte sie sich in einen schier grundlosen Morast, den jeder, wenn er nur irgend konnte, mied. Die Marienstraße führte übrigens am katholischen Fried­hof vorbei zu dem stattlichen Hof Schlenk­hoff. An der Ecke Bahnhofstraße und Marien­straße hatte die Metzgerei Voß ihren Platz. Keh­ren wir wieder auf die rechte Seite der Bahn­hofstraße zurück, so stoßen wir neben dem Ber­gelmann'schen Haus auf die „Kaiserhalle" (Siekmeyer) in dem Hause der heutigen „Lichtburg". Daneben standen übrigens die ge­räumigen Holzschuppen, in denen die Wagen für den Pferde=Omnibusverkehr untergestellt wur­den. In dem heutigen Café Feldkämper war die Konditorei Bornemann, später Funke. Im Nebenhause legte die Firma Caspar Braun ihren Grundstock. Im Hause Nr. 20 wohnte der Kolonialwaren=Großhändler Pitsch, der stets im Büro=Zimmer über seiner Toreinfahrt am Fenster saß und gelassen auf den Straßenverkehr herunterschaute. Gegenüber lagen die Anwesen der Gebrüder Boos, von denen der eine das Sattler= und der andere das Schmiedehandwerk ausübte. Im Nebenhause wurde die Firma Joh. Krein als Spezialnähmaschinengeschäft gegrün­det, später war hier das erste Geschäft der Firma Walter Fehlenberg (sen.). Das Haus an der Ecke Kirchhofstraße war die Wünnenberg'sche Be­sitzung, wo später „Central=Hotel“ erbaut wurde. Auf der gegenüberliegenden Seite hatte der Uhrmachermeister Fahnenstich sein Haus. An weiteren Häusern standen in diesem Teil der Straße die Gaststätte von Andreas Brann und die Konditorei Eichholz.

Oberhalb der Mont=Cenis=Straße, die damals in [Ge]schäftslokalen dehnt, befand sich in jenen Tagen der stattliche Hof von Cremer, der dem Blech auch heute noch den Namen gegeben hat. Sein Besitzer, Friedrich Cremer, war Gemeindevor­steher von Herne und bekleidete auch sonst zahl­reiche Ehrenämter.

Oberhalb der Mont=Cenis=Straße, die damals großen Zügen denselben Verlauf nahm, befanden sich noch die Wirtschaft „Zum alten Fritz“, derer Wirt Biermann gleichzeitig Schuhmacher­meister war, weiter die Buchbinderei Franz Hal­bach und das Haus des Schneidermeisters Düppe, der später die Herberge „Zur Heimat“ (die jetzige Wirtschaft Eberleh) übernahm. An der Ecke Steinweg und Bahnhofstraße stand die Grümersche Besitzung mit einem Eisenwarengeschäft.

Die evangelische Kirche bildete einen Mittel­punkt des alten Herne. Am Steinweg, dessen Straßenführung allerdings noch weit komplizier­ter war als heute, stand das alte Amtshaus, es ist auch heute noch dort zu sehen. Wenn man einen Blick durch das Tor wirft, sieht man heute noch das alte Polizeigebäude, in dem F. W. Brock­meier die Herrschaft führte.

Neben dem heutigen alten Amtsgericht, [...], stand damals die Wirt­schaft Heinrich Funke, in deren Saal viele große Feste gefeiert wurden. Auf dem Platz neben dem Saal entwickelte sich bei solchen Gelegenheiten ein reger Kirmesbetrieb Neben der evangelischen Kirche stand die älteste Herner Bäckerei, die im Besitz von Friedrich Schulte=Kortnack war. Bis zur Shamrockstraße hin hatten noch mehrere Häuser mit Geschäftsbetrieben ihren Platz, wie z. B. von Otto Altfeld und später Wilhelm Funke. In dem jetzigen „Deutschen Haus“ be­fand sich auch damals eine Wirtschaft, deren Be­sitzer Gustav Veuhoff war. Hier tagten im alten Herne die Gemeinde= und Amtsvorsteher von Herne und den umliegenden Aemtern. Wenn man über die steile hohe Treppe in die Schank­räume trat, schlug einem schier undurchdring­liche Qualmwolken entgegen, wenn diese Herren sich zu ihren Beratungen versammelt hatten, denn ohne die traditionelle „la Rosita“, (so hieß ihre Spezialzigarre) ging es dabei nicht.

In der Shamrockstraße war in dem ersten Hause rechts, das auch heute noch in schöner Form erhalten ist, die erste Wirtschaft von Georg Hir­des. Am Altmarkt stand schließlich die alte Wirtschaft Lanfermann, die bei Marktbetrieb immer eifrig besucht war und ihr gegenüber stand wieder ein richtiger alter Bauernhof, näm­lich der von Dietrich Nocke. Zur Erntezeit konnte man dort immer den fröhlichen Dreitakt der Dreschflegel hören. In einer Scheune dieses Bauernhofes mußte die Wirtschaft Lanfermann einmal Zuflucht suchen, als ihr eigenes Haus einem Brande zum Opfer fiel.

Zum Abschluß unseres Spazierganges über die Bahnhofstraße wollen wir noch einen Blick auf den Altmarkt werfen. Man konnte zu ihm auf zwei Wegen gelangen, einmal von der Bahn­hofstraße her an der Wirtschaft Lanfermann vor­bei, und weiter über den alten Steinweg von der jetzigen Rosenstraße her und zwar durch einen einfachen Torbogen im Hause der Wirtschaft Döhmann.

Wenn wir uns heute das Bild der Bahnhof­straße, wie es vor etwa fünfzig Jahren ausge­sehen hat, vergegenwärtigen, dann sehen wir recht eindringlich, welche gewaltige Wandlung die Stadt Herne durchgemacht hat. Es wird nicht mehr viel Herner geben, denen das dörfliche Aussehen Hernes noch lebendig vor Augen steht. Ihnen sollen diese Zeilen eine liebe Erinnerung sein, den anderen aber wollen wir mit dieser Schilderung ein Stück Heimatgeschichte vor Augen führen, das für die Entwicklung unserer Stadt von großer Bedeutung ist.


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Quellen

  1. Vgl. Online Quelle auf Zeitpunkt.NRW
  2. Johannes Hein - * 31. März 1834 in Obermarsberg gestorben am 4. August 1913 in Herne