Was die hundertjährigen Karten von Herne uns erzählen Teil 1 (1928)
Im von Dr. Leo Reiners redaktionell betreute Zeitung - Herner Anzeiger - widmete ein Autor mit den Kürzel A. S. am 14. November 1928 eine Artikelserie über die historischen Katasterkarten der Stadt Herne. Auch und hundert Jahre später sind die fünf Teile dieser Serie von lokalhistorischen Wert. Einige Angaben wurden redaktionell Bearbeitet und mit Abbildungen versehen.
Was die hundertjährigen Karten von Herne uns erzählen.
I.[1]
Von Herne und Umgebung sind im Jahre 1824 Flurkarten angefertigt worden, die, in einem großen Atlas vereinigt, beim Katasteramt in Herne aufbewahrt werden. Die Karten sind auf starkem Zeichenpapier gezeichnet und sind, was sich sehr wohl denken lässt, stark abgenutzt, vergilbt und sehen sehr ehrwürdig aus. Die Karten umfassen das alte Stadtgebiet Herne, Horsthausen, Baukau, einschließlich eines großen Teiles von Pöppinghausen, auch eines Teils, der außerhalb unserer Stadtgrenzen liegt und zu Castrop=Rauxel gehört. Die alten Karten des Amtes Sodingen liegen noch beim Katasteramt in Castrop=Rauxel.
Im Jahre 1824 waren wieder geordnete Verhältnisse eingekehrt, nachdem der „kleine Korporal“, der Eroberer Napoleon l. mit seinen Feldzügen Europa um= und umgekrempelt hatte. Es ist uns allen aus der Geschichte Deutschlands nur noch zu wohl bekannt, wie auch unsere Heimat unter den damaligen Verhältnissen gelitten hatte. Es galt nach den Befreiungskriegen die Grafschaft Mark, zu der Herne gehörte, und die im jülich=klevischen Erbstreit 1609 vorläufig, 1606 endgültig an Brandenburg gekommen war, 1808/13 zum Großherzogtum Berg und seitdem zum Regierungsbezirk Arnsberg gehörte, wieder unter geregelte Verhältnisse zu bringen. Hierzu gehörte auch das Grundbuchwesen.
Nachdem Friedrich der Große die Leibeigenschaft aufgehoben hatte, hatte sich das sesshafte Bauerntum gestärkt. Karten waren aber von deren Besitz meist nicht vorhanden. Es galt also, das ganze preußische Reich neu zu vermessen, denn zur geregelten Grundbuchführung gehörten in erster Linie Karten. Es hat nämlich auch vordem Karten gegeben. Diese befanden sich aber meist im Besitze der adeligen Herren. Der große Zauber, der von diesen alten Karten ausgeht, beruht darin, dass mit peinlicher Genauigkeit zum Teil Jahrtausende alte Flurbezeichnungen darin eingezeichnet sind. Diese alten Flurnamen sind eine unerschöpfliche Quelle unseres Volkstums
Die alten Bezeichnungen waren einst in niederdeutscher Sprache gang und gäbe. Sie wurden nach u. nach verhochdeutscht. Aber die alten Zeichner, die die hundertjährigen Karten zeichneten, standen mit der Rechtschreibung oft auf dem Kriegsfuße. Plattdeutsch wurde vielfach falsch ausgelegt. Die Originalität, der reine Sinn der niederdeutschen Bezeichnung wurde dadurch verwischt und unklar. Vielfach haben die alten Namen einen ganz anderen Sinn erhalten und es ist heute oft schwer, den richtigen Sinn der alten Namen wiederzuerkennen. Häufige Schreibfehler wurden indessen öfter von den Vorgesetzten erkannt und korrigiert, wie wir das an den studierten ersten Karten feststellen konnten.
Es handelt sich bei den jetzt 104 Jahre alten Karten im Herner Katasteramt um Kopien; die Originalkarten sind wohl nur ein oder zwei Jahre älter oder auch erst im Jahre 1824 angefertigt. Sie werden jedenfalls in feuersicheren Schränken in Arnsberg aufbewahrt, denn das preußische Katasteramt in Herne hat solche Schränke nicht. Wenn erst das Katasteramt, in dem neu zu errichtenden Sparkassengebäude Unterkunft bezogen hat, dann werden sich für wertvolle Karten auch dort feuersichere Schränke aufstellen lassen.
Die alten Karten tragen alle eine einheitliche Bezeichnung. Wir sehen auf Blatt 1 des Atlas: Gemeinde Baukau, Kopie des Parzellar=Plans der Flur I. genannt Hülsmann, angefertigt im April 1824 durch den Kat.=Geometer Krause im Maßstab 1:2500. Darunter steht folgende Eintragung_
Die Einschätzung bewirkt am 2ten Mai 1863. Die Einschätzungsdeputierten: Schulte am Esch, Overhof. Kleinsorgen, vereid. Geometer.
Sodann folgt diese Eintragung:
Die in diesem Atlas enthaltenen Karten sind infolge Uebernahme der Neumessung zum Kataster mit dem 1ten April 1884 ungültig geworden. Bochum, den 19ten November 1890. Der Steuerinspektor: Maßmann.
Der Maßstab, in dem die alten Karten gezeichnet find, betrifft bereits das metrische System. So umfasst der Atlas die Karten von Baukau, „Flur I, genannt Hülsmann", „Flur II. genannt Strünkede“, „Flur III. genannt Baukau". Sodann die Karten der Gemeinde Pöppinghausen,„Flur I, genannt Sontag", „Flur II, genannt. Budde", „Flur III, genannt Dönninger Heide". Die „Bürgermeisterey“ Herne umfasst vier Flure, „Flur I, genannt Herne“, „Flur II. genannt Sodingen“. „Flur III, genannt Wiescherfeld", „Flur IV, genannt Alten Höfen“. Für die Flure I, II und IV sind je zwei Karten gezeichnet. Die „Bürgermeisteren“ Horsthausen umfasst „Flur 1, genannt Höttenbusch" und „Flur II. genannt Esche". Von Herne ist außerdem ein Uebersichtsplan im Maßstab 1:10000 vorhanden, desgleichen von Horsthausen.
Der Stadtkern, oder
der städtische Mittelpunkt von Herne,
die Bahnhofstraße existierte damals zwar schon, aber vor hundert Jahren stand zwischen Marienstraße und Bahnhofsvorplatz nicht ein einziges Haus. Der Ortskern Herne war freilich auch nicht eigentlicher Mittelpunkt. Es liefen allerdings die „Landstraße von Eickel nach Herne“, die Shamrockstraße, dann die Overwegstraße als Feldweg. die erst wenige Jahre vorher von Napoleon I. angelegte große Heerstraße Witten-Münster, Bochumer=, Bahnhof=, Strünkeder-, sodann die Altenhöfener Straße, die Wiescherstraße, „Landstraße von Herne nach Bochum“, und dann eine „Landstraße von Horst nach Herne“ auf den Mittelpunkt, den Ortskern von Herne mit der alten evangelischen Kirche zu.
In Wahrheit ist jedoch Schloß Strünkede der Mittelpunkt, denn die Hauptstraßen waren alle dahin gerichtet: von Castrop, von Recklinghausen von Holsterhausen. Damals dachte noch niemand an Eisenbahn, Bergbau und Industrie in Herne und dem, was dazu gehört. Die Emscher bildete, bis auf einen kleinen Teil nach Herten hin, die Grenze nach Recklinghausen, dem Regierungsbezirk Münster. Andere Grenzen, die nach den Nachbargemeinden bestanden, sind, zumal nach Nord und West, heute anders gezogen. Nach Süden hin mit Riemke, Bergen und Bochum hat sich die Grenze fast gar nicht geändert, auch nicht die Grenzen von Sodingen, wie sie früher waren und heute sind: desgleichen die Grenzen, die durch Pöppinghausen gehen. Alle diese sind in ihrer Führung durch die Karten zu den Eingemeindungen der letzten Jahre der Bevölkerung noch frisch in Erinnerung. Die Nordgrenze sieht wesentlich anders aus als früher. Sie folgt dem regulierten Lauf der Emscher, wie früher dem natürlichen. Nur Hafen und Badeanstalt von Recklinghausen liegen südlich der Emscher. Die Grenze bildet das Nordufer des Rhein=Herne=Kanals auf eine kurze Strecke. Straßen im heutigen Sinne waren kaum vorhanden. Es waren schlecht befestigte Landstraßen, Sandwege oder Lehmwege, bei Regen oder Tauwetter oft „unergründlich". So war auch bis zum Ausbruch der napoleonischen Kriege die Landstraße, die in Nordsüdrichtung Herne durchzieht, in dieser Führung bereits vorhanden. Die Straße war eben völlig neu angelegt. Vom Mittelpunkt des Ortskerns an auf Bochum zu. In nördlicher Richtung machte die alte Landstraße eine mehrfach in Kurven gezogene Linie. Etwa an der Heinrichstraße bog diese „Landstraße von Herne nach Strünkede" nach Westen ab bis zur Beckstraße, nördlich des Empfangsgebäudes vom Bahnhof Herne, machte dann einen scharfen Bogen ostwärts, an „Funkenbergs Oelmühle" vorbei, verlief dann östlich der Bahnhofstraße bis Conrad Funkenberg, (Hafenstraße) und der demnächst hier durchzuführenden Verbandsstraße OW. 2. Dann folgte sie der Strünkeder Straße bis zur Forellstraße, folgte dieser und führte dann östlich an der katholischen Schule vorbei, in gerader Richtung auf die Emscher zu, wo „Haarmann“ einen Hof und Wirtschaft hatte. Das war der nördlichste Hof von Baukau. Das Straßenstück zwischen Forellstraße und Kanalbrücke besteht heute nicht mehr. Einst war es ein Teil der Hauptstraße von Strünkede nach Recklinghausen.
Andere Straßen und Wege, insbesondere Feldwege, die zur Ackerbestellung gebraucht wurden, wie wir sie heute noch im ganzen Stadtbezirk vorfinden, gab es damals längst. Sie mögen schon vor mehr als 1000 Jahren zum Teil vorhanden gewesen sein. Sie sind alle natürlich gewachsen, wie sie die Oberflächengestaltung mit sich gebracht hat. Diese Wege waren von der Natur dadurch vorbereitet, dass starke Regengüsse die ersten Furchen gezogen haben. Des Menschen Fuß und der Tritt der von ihm gehaltenen Tiere, Pferde, Kühe usw., die Räder der Fahrzeuge, der einfachen Karren und Leiterwagen haben sich dann diese Wege zunutze gemacht. So wurden bald Feldwege daraus, wie wir sie heute noch finden. Zum Teil sind es Fußwege wie die Lessingstraße (der frühere Sodinger Weg), die sich den Sodinger Bach entlang hinzieht. Der Weg hieß damals: „Fußpfad von Herne nach Giesenberg“. Von diesem teilte sich ab der „Verbindungsweg von (Schulte=) Sodingen nach Bochum" und „Weg nach Dortmund“. Dieser Weg hat heute noch eine in Natur gewachsene Führung.
Höfe waren in ansehnlicher Zahl vorhanden und es begegnen uns Hofnamen, wie sie heute noch in Herne allgemein bekannt sind. Es muss aber dabei gesagt wenden, dass etwa nur noch der dritte Teil dieser Namen in Wirklichkeit vorhanden ist. Weiter unten wird das genauer dargelegt.
Wie es der Emscher ergangen hat, so ist es nach und nach auch den anderen natürlichen Wasserläufen ergangen, dem Westbach, dem Ostbach, dem Sodinger Bach und dem Lanverbach. Der Sodinger Bach hatte früher diese Bezeichnung jedoch nicht. Er hieß der „Giesenberger Mühlenbach“, der „Wiescher Mühlenbach", „der Herner Mühlenbach“ und der „Strünkeder Mühlenbach“. Es handelt sich dabei immer um ein und denselben Bachlauf. Dieser Bach trieb mehrere Mühlen, „Funkenbergs Oelmühle“, die Oelmühle von Schulte=Sodingen, die Mühle von Hesse, von Schloß Strünkede, die Papiermühle von Funkenberg. Letztere stand am Kreuzpunkt der Landstraße nach Recklinghausen mit der Landstraße von Strünkede nach Castrop, der jetzigen Hafenstraße und Strünkeder Straße. Auch Westbach und Ostbach hatten etliche Mühlen zu treiben.
Aus den Hofnamen spricht schon westfälisch=münsterländische Wesensart. Die hunderte Flurnamen, die uns beim Studium der Karte begegnet sind, deuten noch viel mehr darauf hin. Sie sind eine wahre Fundgrube für die Heimatfreunde.
Wir beginnen mit
„Flur I. genannt Herne“,
und zwar dessen zweitem Blatte, das Herne=Mitte darstellt. Diese Flur, Blatt 1, ist die kleinste von allen Fluren. Sie wird begrenzt etwa von der Bahnhofstraße aus in der Richtung Breddestraße, Lönsstraße (ohne die Schule), Straßburger=, Altenhöfener Straße und zieht sich dann von der Huestraße ab westlich, indem nur ein Teil der Adalbertstraße eingeschlossen wird, verläuft dann nördlich zur Shamrockstraße, einschließlich Overkamps Hof, und schließt zur Bahnhofstraße noch das Grundstück der Polizeiinspektion ein. Das sind im ganzen etwa 15 Hektar Fläche. Flurnamen waren in diesem Teil von Herne überhaupt nicht angegeben.
Es waren nach den heute gültigen Namen vorhanden an Straßen: die Straßburger Straße mit Häusern an beiden Seiten, desgleichen die Rosenstraße, der Steinweg, der Kirchplatz, die Bahnhof- und die Shamrockstraße mit einer Parallelstraße dazu südlich davon. Es strahlten von ihr aus: Wiescher=, Altenhöfener=, Bochumer=, Bahnhof= und Goethestraße. Die meisten Grundstücke waren bebaut. Es waren kleine Häuser um die alte, abgebrochene Kirche gruppiert. Die Kirche stand mitten auf dem Alten Markt. Als größerer Hof gehörte der von Overkamp, der jetzt noch als Jugendheim der evangelischen Kirchengemeinde sich in ausgezeichnetem Zustande befindet, zu Herne=Mitte. Zwischen Altenhöfener= und Straßburger Straße, desgleichen nahe dem alten Steinweg lagen mehrere Teiche, die das Eldorado der Jugend, der Enten und Gänse und wohl auch Viehtränke waren, und in denen die Frauen ihre Wäsche spülten. Es waren meist Quellteiche, denn ein Zufluß war nicht festzustellen. Sie sind jetzt sämtlich zugeschüttet. Als einzige Straßenbezeichnung war „der Steinweg“ vorhanden. Das deutet darauf hin, dass allein dieses Straßenstück mit Steinen befestigt gewesen ist, also eine Art Pflaster hatte. Es ist dann nur noch die „Chaussee von Herne nach Bochum“ und über Strünkede nach Recklinghausen chaussiert gewesen. Man wird auch wohl noch die eine oder andere der Straßen, Landstraße nach Castrop, von Strünkede nach Bladenhorst, nach Crange, aber nicht systematisch, befestigt haben. Es waren jedenfalls Feldwege, nicht Landstraßen im heutigen Sinne.
Einzelne Gehöfte, die selbst im Münsterland, überhaupt in Westdeutschland üblich sind, findet man in Alt=Herne weniger. Sie standen meist in „Drubbeln" zusammen, die heutigen Höfe von Trösken, Koppenberg und Arndt, die alten Höfe in Holsterhausen, die heutigen Höfe von Eckmann, Vetthake, Wische, Tappe, und in anderen „Drubbeln": Lug, Hack, Stormberg, Bockmann und Haarmann in Horsthausen, in der Gegend von Schulte am Esch mit mehreren alten Höfen, die der Bahn zum Opfer gefallen sind In Pöppinghausen lagen die Höfe verstreuter. Am Sodinger Bach haben wir auch heute noch einen Drubbel von Höfen beieinander. Ein anderer Drubbel von Höfen, die heute nicht mehr namentlich bezeichnet, aber zum Teil noch vorhanden sind, lag an der Forellstraße und an der Rottstraße. Baukau war verhältnismäßig dicht besiedelt. (Fortsetzung folgt.)