Herner Musikantenleben in alter Zeit (1937)
Am 9. Januar 1937 wurde im "Herner Anzeiger" folgender Artikel über das Musikantenleben in der alter Zeit veröffentlicht, welchen wir hier gerne wiedergeben.[1]
Herner Musikantenleben in alter Zeit
„Bei Rosenkranz ist Reihentanz“.— Herner Privat-Musikkapellen weit und breit beliebt und gesucht.
Von Jakob Strauß bis Paul Zimmer.
[Alt Herner][2] Musikkapellen
[Als unsere Stadt noch] kleinstädtischen Charakter trug,
[…] gab es hier noch nicht viele Mu-
[sikkapellen. Da de]r Bedarf an Musikern nicht gering
[war, um] so gesuchter waren die Leute, die
[das Musizie]ren verstanden. Sie verdienten gut.
[Von den er]sten Kapellen, die Herne aufzuweisen
[hatte, war die] von Jakob Strauß um 1898 noch
[in vielen] alten Herners Erinnerung. Er bildete,
[da großer] Mangel an Musikern war, Musikschüler
[aus denen] er ein festes Stammorchester zusammen
[stellte.] Dieses brachte manchen tüchtigen Musiker her
[vor. Ei]nige brachten es sogar zu Regimentskapellmeistern. Die Straußsche Kapelle war etwa 30 Mann stark. Neben Lehrlingen und Gehilfen, wie damals die Vorstufen der Vollwertigkeit hießen, gab es manchen musiktüchtigen Bergknappen darunter. Beherrscht werden alle Blas= und Streichinstrumente. Die Kapelle Strauß pflegte immer in der Uniform eines bayrischen Regimentes aufzutreten. Neben ihr existierte die Kapelle Klug, etwa 20 Mann stark, in der die Berufsmusiker schon stärker vertreten waren. Sie pflegte in einer Artillerie= oder Bergmannsuniform oder in Bauerntracht aufzutreten.
Von dieser Kapelle kennen die Herner heute alle ein Mitglied: Paul Zimmer der im nächsten Jahre sein 30jähriges Dirigentenjubiläum feiern kann. Dann gab es um jene Zeit noch die kleine Kapelle Stegmann, die aus Bergleuten bestand. Von den genannten Kapellmeistern lebt heute keiner mehr. Auch nicht mehr Kapellmeister Brüggemann, der aus der Magdeburger Gegend kam und der um 1901 die Kapelle Strauß übernahm. Seine Nachfolger waren die Kapellmeister Becker und Ruhrmann.
- Paul Zimmer.
Um das Jahr 1910 herum ergriff dann Paul Zimmer den Dirigentenstab der alten Kapelle Strauß. Wir kennen ihn ja alle, aber es ist doch interessant, einiges über Paulchens Werdegang zu erfahren. Er war, ein gebürtiger Schlesier, Musikschüler des Schweidnitzer Kapellmeisters Adler, wirkte als blutjunger Mensch in der Striegauer Stadtkapelle und schließlich in der dortigen städtischen Kapelle mit, um dann nach Westfalen „herüberzumachen“. Sechs Jahre war er Mitglied der Kapelle Klug, um schließlich den Musikverein Holthausen=Gerthe (er wohnte in Sodingen) zu übernehmen, bis er die Leitung der ehemaligen Straußschen Kapelle erhielt. Ähnlich wird auch der Werdegang der anderen Herner Kapellmeister gewesen sein, die ebenfalls harte Lehrjahre durchmachen mussten, ehe sie sich an die Spitze eines Klangkörpers stellen durften. Die Straußsche Kapelle war eine Stadtkapelle gewesen, die vom Magistrat eine jährliche Subvention von 500 Mark erhielt. Der Titel Stadtkapelle blieb auch unter Paul Zimmer, nur blieb die Subvention wegen der Verkleinerung der Kapelle aus. Es liegt auf der Hand, dass mit der zunehmenden Industrialisierung und dem Zuzug von Menschen aus allen deutschen Gauen nach Herne auch der Kreis der Musiker sich vergrößerte. Es bildeten sich kleine Kapellen, die aber für die Erwähnung unerheblich sind, da sie für die Fundamentierung des Musikerberufes in unserer Heimatstadt bedeutungslos waren.
- Wo wurde gespielt?
Wenn man im alten Herne das Tanzbein schwingen wollte, dann hatte man neben kleinen Gaststätten die Auswahl zwischen den Gaststätten Rosenkranz (heute Theodor Stemberg), Funke (heute Brox) und Berke bzw. Kampmeier (heute Strickmann). Von Rosenkranz ging im Volksmunde der Vers um: Bei Rosenkranz ist Reihentanz! Hier konnte man sich nach Herzenslust im Kreise drehen, wenn man für jeden Tanz 10 Pf. bezahlte. Vom alten Wirt Funke erinnert sich noch mancher alte Herner, der damals noch jung und schön war, wie Papa Funke mit der Gießkanne auf dem Tanzboden umherging und dem Staube zu Leibe rückte. Bei Kampmeier war mal um 1900 ein großes Fest, da mussten die Musiker mitsamt den Gästen durch die Fenster die Flucht ergreifen, weil ein als rauflustig bekanntes Brüderpaar mit Hackenstielen „aufzuräumen“ begann. Schließlich kam noch das Schloss Strünkede als Konzertlokal hinzu. bin Es hatte aber im Volksmunde keinen guten Ruf und zwar deshalb, weil es immer regnete, wenn auf Strünkede Konzerte veranstaltet wurden. So wurden diese Konzerte oft als Wetterpropheten betrachtet. Besser war es mit Strünkedes Eiskonzerten. Die heutige Lichtburg genoss zur alten Zeit ebenfalls einen ausgezeichneten Ruf als Festlokal, als Herr Steffen sen. noch aktiv im Gaststättengewerbe stand. Auch die Schauburg war früher eine gern besuchte Gaststätte mit großem Saal, ehe der Film hier einzog.
- Herner Musikkapellen weit und breit begehrt.
Aber nicht nur in Herne gab es für unsere alten ortsansässigen Kapellen gut zu tun, sie waren auch weit und breit in der Umgegend bekannt und gesucht. Es ist verständlich, dass die Herner Gaststätten sich dafür gelegentlich auch auswärtige Musiker heranholten. Von diesen nennen wir nur eine bekannte Größe, die die Gaststätte Kampmeier einmal verpflichtete, es war ein Neffe des Walzerkönigs Strauß aus Wien, der damals in Westdeutschland gastierte. Die Herner Musikkapellen spielten außer für die Wirte natürlich oft für die eingesessenen Vereine bei Beerdigungen und Festlichkeiten, so für die aufkommenden Landsmannschaften, für die Kriegervereine, Sportvereine, Bauernvereine, oft traten sie auswärts bei Schützenfesten und Jubiläen in Erscheinung. Die alte Kapelle Klug konzertierte sogar oft in Holland, so in Rotterdam und Amsterdam. Das Ausflugslokal Marzina in Wanne hat über 20 Jahre die Herner Musiker bevorzugt, Paul Zimmer ist dort eine altbekannte Erscheinung. Bei der Einweihung des „Parseval“ auf dem Flugplatz Wanne=Herne waren Herner Musikkapellen dominierend. Selbst am Rhein forderte man Herner Musikkapellen an, auch aus dem Sauerland. Balve, Neubeckum kennen Herner Musik, und als unser alter Herner Organist Theodor Wiese in seiner Heimatstadt Ennigerloh sein Dirigentenjubiläum feierte, waren wieder Herner Musiker neben Herner Sängern dabei.
Man könnte ein langes Kapitel über die auswärtige Tätigkeit der alten Herner Musikkapellen schreiben, die in Hagener Hotels wie in der „Union", im Parkhaus Hohenstein, im „Schloß Berge", im „Zillertal“, in Witten, Annen, Dortmund, kurz in ganz Westdeutschland und darüber hinaus musizieren mussten. Als der Film seine Herrschaft antrat, sattelten viele Musikkapellen um und wurden Kinokapellen. Nicht nur in Herne, auch in der Umgegend versorgten sie die Kinos mit Musik, u. a. sogar in Essen.
- Und der Verdienst?
Bei Begräbnissen gab es für jeden Musiker 3 Mark, zuweilen auch vier. Als Tanzmusik oder Konzertmusik verdiente eine Kapelle pro Mann im Sonntagsgeschäft 7—8 Mark bei 10 Stunden Arbeit. Dass eine gute Verpflegung dazu gehörte, war selbstverständliche Voraussetzung. Hatte man auswärts zu musizieren, dann war auch das Logis frei, so bei den Schützenfesten am Rhein oder im Sauerland, wo man mindestens 3—4 Tage spielen musste. Man hielt auf ein gutes, harmonisches Verhältnis zwischen Wirt, Kapellmeister und Musikern und bekam dafür auch jedes Entgegenkommen. So manche hübsche Episode könnte von diesem familiären Verhältnis zwischen den drei „Pfeilern“ einer gemütlichen Festlichkeit erzählt werden. Oft genug gab es Spitzwegromantik, wenn die Kapelle, Posaunist und dicke Trommel an der Spitze, auf dem Heimweg von den Festteilnehmern begleitet wurde und unterwegs noch eine kleine musikalische Einlage geben musste.
- Was wurde gespielt?
Die alten unverjazzten Tänze natürlich. Der Walzer war Trumpf. Daneben gab es Rheinländer, den Schottischen, die Polka und Mazurka. „Siehste woll, da kömmt er, lange Schritte nimmt er, siehste woll, da kummt er schon, der versoffne Schwiegersohn[3]", oder „Ist denn kein Stuhl da, Stuhl da, für meine Hul=da, Hul=da, Hul=da“[4] und wie die herzhaft derben Sachen alle heißen mochten.
- Und unsere alten Musiker heute?
Wer damals schon sparsam gewesen ist, hat es vielleicht heute zu einem eigenen Häuschen gebracht, umso schneller, wenn er die Musik im Nebenberuf ausübte .„Aber, so sind ja die Kinstler allemol", meinte eine alte Musikermutter, „die könne das Geld nit zusammeholte, die lassens gleich durch die Kehle sause". Ja, ja, Musik machen macht Durst, und wenn die alten Musiker auch kein Vermögen zusammengerafft haben, eines ist ihnen verblieben: die schöne Erinnerung.
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Quellen
- ↑ https://zeitpunkt.nrw
- ↑ Leider ist bei der Vorlage auf Zeitpunkt.nrw dieser Teil umgeklappt. Der Redakteur hat versucht den Text lesbar zu gestalten. Aber, bevor irgendjemand das als unhistorisch Bewertet: "Ist doch nur ein Versuch!
- ↑ Vgl.: https://www.dancilla.com/wiki/index.php/Siehste_wohl,_da_kimmt_er
- ↑ Vgl.: https://www.youtube.com/watch?v=vCfaPiA5uoA