Aus der Geschichte von Herne - Mitte / Die Nebenstraßen der Bahnhofstraße I

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Von Leo Reiners[1]

Aus der Geschichte von Herne – Mitte

Die Nebenstraßen der Bahnhofstraße

I.

Nachdem wir die Geschichte der Bahnhofstraße behandelt haben, muß auch noch auf die Nebenstraßen eingegangen werden, denn einzelne von ihnen haben in der Entwicklung des alten Herne zur Industriestadt eine besondere Bedeutung. Es sind vornehmlich die Kamp-, Von-der-Heydt-, Graben-, Damm- und Kaiser–Wilhelm-Straße. Doch beginnen wir zunächst wieder beim Dorfe Herne. Die erste Nebenstraße ist die

Kirchhofstraße

Ursprünglich wurde sie Friedhofstraße genannt. Sie hat ihre Bezeichnung nach dem ersten Herner Friedhof, der angelegt wurde, als der um die alte Dionysiuskirche gelagerte Friedhof (heute Alter Markt) überbelegt war. Dies geschah um 1840. Durch Vertrag vom 30. August 1839 kaufte die evangelische Gemeinde von Schulte genannt Bergelmann aus der Flur "Dennenkamp" 2 Morgen 105 Ruten „östweg angrenzend“,zum Preise von 600 Talern. Das Grundstück wurde mit einer lebenden Hecke umzogen, ringsum mit Pappeln bepflanzt und mit einem an steinernen Pfeilern befestigten eisernen Gittertore versehen. Am 22. Januar 1841 erfolgte die Einweihung des Totenackers. Der erste Tote, der hier seine Ruhestätte fand, war ein Kind, das siebenjährige Söhnchen des Papiermachergesellen Diedrich Heinrich Lanfermann. Indes war der Friedhof schon 1874 soweit belegt, daß man (in Richtung zur Behrensstraße) von Schulte gt. Bergelmann noch 1 Morgen, 16 Ruten, 42 Fuß hinzukaufen mußte. Für diesen gegenüber dem für 600 Taler erworbenen Hauptteil noch nicht halb so großen neuen Teil mußten 1178 Taler bezahlt werden. Um soviel waren die Grundstückspreise inzwischen gestiegen.

Die Kirchhofstraße ist indes, wie auch die Erwähnung des "Treibweges" als Begrenzung des Friedhofs beweist, älter als der Friedhof. Sie führte von der Bahnhofstraße aus an Bergelmanns Hof vorbei in der gleichen Weise wie heute zur "Helle", an dem Westbach bog sie nördlich ab zum Hof Rensinghof (heute Klärbecken von Shamrock), während geradeaus ein Fußweg durch den Wald (heute Kokslager von Shamrock) über das jetzige Zechengelände führte und kurz vor dem Grenzweg auf die Shamrockstraße mündete.

An der Kirchhofstraße entstand als erstes Haus 1874 das heute dem Klempner Ellichsen gehörende Haus Kirchhofstraße 1/3. Im gleichen Jahre erwarb der Anstreicher Friedrich Adolphen ein Gartengrundstück auf dem er das 1894 auf den Schmiedemeister Schröder aus Groppenbruch bei Mengede übergegangene Haus Nr. 9 erbaute. Das von Adolphen zuletzt bewohnte Haus Nr. 5 (heute Schneider) entstand 1881.

Die nächste Nebenstraße der Bahnhofstraße ist die

Neustraße (Franz-Seldte-Straße)

Schon ihr früherer Name "Neustraße" besagt, daß sie der jüngeren Entwicklungszeit der Innenstadt angehört. Entstanden ist sie hauptsächlich auf Bergelmanns Ländereien. Der erste Bau, der hier entstand, war die auch heute noch benutzte Katholische Schule (der östliche Teil). Als die an der Bahnhofstraße (heute Wahlbrück) 1866 gebaute Schule nicht mehr ausreichte, wurde 1877 von dem Landwirt Johann Diedrich Schulte gt. Bergelmann ein Grundstück gekauft, auf dem zunächst eine Schule mit zwei Klassen entstand. Aber bereits 1880 musste die westliche Nachbarparzelle in Größe von 4 Ar 69 qm für 1587 M. hinzuerworben werden. Wie es damals um die "Neustraße" bestellt war, geht aus dem Kaufvertrag hervor, in dem es heißt:

"Der Verkäufer verpflichtet sich, der Ankäuferin (kath. Schulgemeinde) von dem jetzt stehenden Schulhause aus bis zur Grenze der verkauften Fläche, also in der Verlängerung des bereits vorhandenen Weges, einen jederzeit offenen und mindestens 12 Fuß breiten Weg hegen zu lassen".

Danach war die "Neustraße" - der Name erscheint 1884 in einem Kaufvertrag - damals nur ein Weg von der Bahnhofstraße bis zur Schule, der in dem Maße verlängert wurde, in dem die Schule verlängert wurde. An diese ist nämlich, trotzdem sie heute den Eindruck eines Ganzen macht, ein Stück nach dem anderen nach Westen angebaut worden.

1882 und 1884 wurden deshalb weitere Grundstücke hinzuerworben. Als das Bedürfnis entstand, hier weitere Häuser zu erbauen, wurde die Straße bis zum Hoheneick durch gelegt.

Das älteste Haus außer der Schule ist auf der Franz-Seldte-Straße das kleine Häuschen Nr. 4 östlich neben der Schule. Es ist um 1878 von Bergelmann erbaut und 1882 von der ersten katholischen Lehrerin Hernes, Frl. Bertha Meimberg, erworben worden. Diese verkaufte es 1888 an den Kaufmannn Waldemar Rochol, der es 1897 an den Metzger Isaak Rothschild veräußerte. Dieser ließ Schlachthaus, Wurstküche und Stall anbauen. Noch heute gehört es ihm, doch wird eine Metzgerei nicht mehr darin betrieben. Im Jahre 1905 wurde es in seine jetzige Gestalt gebracht.

Auf die Franz-Seldte-Straße folgt als nächste Nebenstraße der Bahnhofstraße die

Kampstraße

die ihren Namen von der Flur, in der sie liegt, haben dürfte, dem "Koppelheider Kamp". Zuerst, als sie 1868 bebaut wurde, war sie nur halb so lang und eine Sackgasse. Sie reichte bis zum heutigen Hause Nr. 15. Als altes Haus an ihr haben wir bereits das Haus Nr. 7 behandelt (heute Doll), das 1868 von dem Bergarbeiter Heinrich Sindermeier gebaut wurde, 1876 an den Bäcker Alois Rochol und 1896 an den Bergmann Karl Haas kam. Das vor der Ecke der Bahnhofstraße gelegene Fachwerkhaus, das zur Neuen Apotheke gehört, ist 1870 von Deilmann als Teil seiner Wirtschaft erbaut worden. Interessant ist die Geschichte des gegenüberliegenden Grundstückes. Es hatte zu dem hier belegenen Besitz der evangelischen Kirchengemeinde gehört, den der Bauer Diedrich Overkamp 1867 erworben hatte. Er baute auf der Eckparzelle 1868 ein heute nicht mehr vorhandenes Haus an der Kampstraße (neben Gans). Dieses Haus mit dem Eckgrundstück erwarb 1869 als Hofraum mit Wohnung und Werkstatt der Stellmacher Wilhelm Dietzel, musste es aber 1878 in der Zwangsversteigerung an den Bankier Hermann Schüler in Bochum abtreten. Dieser verkaufte es 1883 an den Expedienten Karl Schumacher.

Nachher ist das Haus verschwunden. Das Grundstück wurde geteilt. 1889 und 1895 kamen Stücke an Waldemar Rochol (Von-der-Heydt-Straße 1) 1895 die Ecke an den Kaufmann Moritz Gans und 1897 der an die Bahnhofstraße stoßende Rest an den Uhrmacher Friedrich Tillmann (heute Schmitz). Gans und Tillmann erbauten auf den erworbenen Grundstücken ihre jetzt noch stehenden Wohn- und Geschäftshäuser.

An der nördlichen Seite der Kampstraße gab es sonst 1877 bei der zweiten Katasteraufnahme nur noch ein Haus, das jetzige Haus Nr. 16, das am Ende der Sackgasse lag und noch etwas in die heutige Straßenflucht vordringt. Zu ihm gehörte ein langgestreckter Garten, der gleich bei Dietzel begann. Das Grundstück hatte Diedrich Overkamp, der es 1867 von der evangelischen Kirchengemeinde erworben hatte, im Jahre 1868 an den Kaufmann Waldemar Rocholl für 1409 Taler und 15 Sgr. verkauft. Rocholl erbaute darauf ein Wohnhaus und Stallanbau. Von seinen Erben ging es 1925 auf Bernhard Cynamon über.

Auf der südlichen Seite entstand als Nachbar des Hauses 7 (Doll) das Haus Nr. 9. Das Grundstück hatte, wie alle Grundstücke der Kampstraße, seinen Weg von der evgl. Kirchengemeinde zu Diedrich Overkamp genommen, der diese Parzelle 1868 für 300 Taler an den Schreinermeister Karl Köster verkaufte. Dieser baute darauf ein Haus. Im Jahre 1873 wurde der Bergarbeiter August Steinhoff Eigentümer, 1889 der Kaufmann Joseph Stein, der auch das Haus Bahnhofstraße 53 besaß.

Das früher nach einer Lücke folgende Haus Nr. 13 gehörte dem schon genannten Stellmacher Wilhelm Dietzel. Das Grundstück kaufte dieser 1876 als Ackerland von Diedrich Overkamp und erbaute darauf ein Haus. Dieses fiel 1878 bei der Zwangsversteigerung an die Amtssparkasse Herne, die es als 1892 an den Berginvaliden Caspar Vöpel verkaufte. Im Jahre 1913 wurde der Schwiegersohn, der Bergmann Matthias Jendrowiak, Eigentümer. Das Grundstück reichte ziemlich weit, bis zu den fünf gleichförmigen Häuschen der südlichen Straßenseite, die bis an die Poststraße (diese ist allerdings erst später entstanden) reichen. Diese fünf Häuschen hatte Diedrich Overkamp erbaut, später gingen sie durch mehrere Hände.

Nun kommen wir zur

Von-der-Heydt-Straße,

die in früherer Zeit den Namen Juckweg führte. Diese Bezeichnung ist ein Gattungsname und gleichbedeutend mit "Drisweg", einem Weg, auf dem das Vieh getrieben wurde. (Juck von Joch?). Sie führte nämlich zu den sich am Westbach entlang ziehenden Weiden der Koppelheide, die bis [[1781]9 Gemeinheitsbesitz war. Dennoch war die Straße mehr als nur Viehweg. Sie heißt ausdrücklich in alten Karten "Landstraße von Crange nach Herne". Welche Rolle sie schon in römischer Zeit gespielt zu haben scheint, haben wir bei der Behandlung der ältesten Geschichte der Bahnhofstraße gezeigt. Sie muss die Verbindung von der Lippe (Dorsten) über Buer und Crange zum Hellweg vermittelt haben.

Da in ihrer Nähe 1868 die Zeche von der Heydt (Providence) in Betrieb genommen wurde und sie die Verbindung von der Bahnhofstraße nach dort herstellte, ist es nicht verwunderlich, dass an ihr schon früh zahlreiche Häuser entstanden. Die ältesten waren die Häuser Nr. 3 -7 in der Nähe der Bahnhofstraße (mit der kath. Notkirche im Hintergelände), die schon 1857/58 von dem Maurer Moritz Wagner errichtet wurden. Diese haben wir bereits eingehend behandelt. Das auf die erst nach 1877 von der Herner Zeitung bebaute Nachbarparzelle folgende ältere Haus war das Haus Nr. 15 von Gatzmann. Das Grundstück hatte zu dem die Ecke der Bahnhof- und Von-der-Heydt-Straße ausmachenden Ackerland gehört, das die evangelische Kirchengemeinde bei der Teilung der Gemeinheit Koppelheide, auf die wir später noch zurückkommen, 1781 erhalten hatte. Der Schmied Wilhelm Sassenhoff erwarb im Jahre 1857 von der evangelischen Kirchengemeinde eine Parzelle daraus, die er im gleichen Jahre an den Schreiner Diedrich Gatzmann weiterverkaufte. Dieser erbaute darauf ein Wohnhaus, das 1889 an die Eheleute Kokereiarbeiter Karl Schäckermann und Emma, geb. Gatzmann, 1923 auf die Witwe und ihre Kinder, 1925 auf die Ehefrau Adolf Röhrich, Hedwig geb. Schäckermann, überging. Im Jahre 1927 wurde es durch einen Aufbau in die jetzige Gestalt gebracht.

Das Nachbarhaus Nr. 17 ist dagegen noch in seiner ursprünglichen Gestalt vorhanden. Das Grundstück hatte zu dem an das Pastoratsgrundstück anstoßenden, sich an die Südseite der Straße anlegenden Ackerland, gehört, das der Bauer Koppenberg bei der Teilung der Koppelheide 1781 erhalten hatte. Das Baugrundstück erwarb 1864 der Tagelöhner (später Fuhrhalter) Heinrich Ruhe von dem Landwirt Georg Wilhelm Koppenberg für 350 Taler und erbaute darauf das im unverputzten Backstein errichtete Haus, das noch heute im Besitz der Familie Ruhe ist.

Daneben folgte das Haus Coßmann (Nr.21). Auch dieses Grundstück gehörte zu Koppenbergs Anteil an der Koppelheide und wurde 1875 an den Klempner Jonas Isaak Coßmann verkauft. Coßmann baute darauf ein Wohnhaus, das 1879 an seine Witwe, 1895 an seinen Sohn, den Klempnermeister Jonas Coßmann aufgelassen wurde. Im Jahre 1906 kam es zur Versteigerung, bei der es der Bauunternehmer Friedrich Kemper erwarb; dessen beiden Töchter sind noch heute Eigentümerinnen. Das Coßmannsche Haus ist 1905 abgebrochen und durch das jetzige ersetzt worden.

Das Nachbarhaus Nr. 23 ist auf Koppenbergs Grund schon 1874 von Koppenberg erbaut und im gleichen Jahre an den Schuhmacher Joseph Brinkmeier verkauft worden. Die Witwe heiratete um 1890 in 2. Ehe den Schuhmacher Bernhard Heinrich Brinkmöller. 1898 wurde das Haus abgerissen und durch den jetzigen Bau ersetzt. Im Jahre 1924 erbten es die Schwestern Ehefrau Wilhelm Vogt, geb. Maria Brinkmöller, Lehrerin Anna Brinkmöller und Haustochter Katharina Brinkmöller.

Auch das folgende Grundstück Nr. 25 (heute Drogerie Husemann an der Ecke Poststraße) ist um 1874 von Koppenberg bebaut worden. Hier wohnte der Handelsmann Joseph Milch, an den es 1884 aufgelassen wurde. Im Jahre 1902 erbte es Frl. Else Milch, die es 1911 an Kaufmann Emil Husemann verkaufte. 1897 war das Haus abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt worden. Dieser wurde 1912 durch Um- und Anbau in seine jetzige Gestalt gebracht. [2]

Dr. L.Reiners

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