Das alte Dorf Herne (Herner Anzeiger 1934) II

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Am 24. November 1934 wurde im Herner Anzeiger ein Artikel von Leo Reiners über das alte Dorf Herne im ersten Teil veröffentlicht. Es ist eines der wichtigsten Werkreihen Reiners zur Dorfgeschichte. Da es sehr umfangreich ist, teilen wir es in mehrere Teile. [1]

Das alte Dorf Herne

Nach Katasterkarten von 1823-1886
Dargestellt von dr. L. Reiners

[Teil II]

Herner-Anzeiger-(24.11.1934)Dorf Herne-1823-1886.jpg

Der Alte Markt

Betrachten wir nunmehr die Grundstücke im Einzelnen, so ist am besten bei dem Dorfmittelpunkt, der 1876 abgebrochenen Dionysiuskirche, zu beginnen. Wie ein Kranz legten sich zahlreiche Gebäude um sie herum. Da war zunächst das heute noch vorhandene Pastoratshaus. Es ist im Jahre 1766 in Fachwerk erbaut und später an der West- und Südwand mit Schiefer verkleidet worden. Zu ihm gehörte das ganze von Steinweg und Bahnhofstraße begrenzte Gelände, auf dem heute die 1875 eingeweihte Hauptkirche steht. Dransfeld schreibt über dieses Grundstück: „An der Westseite (des Pastorats) war früher ein kleiner Garten, der das Wohnhaus von der alten Scheune (wohl das schraffierte kleine Gebäude) trennte. Nordwarts war ein Baumhof mit einem Teiche und ein Gemüsegarten. In dem ersteren stand vormals ein 1822 errichtetes Backhaus (wohl das große schraffierte Gebäude an der Ecke Steinweg und Rosenstraße), in welchem seit 1837 ein Raum als Katechesierstube eingerichtet war, zu welchem Zweck vorher die gleich links am Eingange befindliche Stube des Pfarrhauses benutzt wurde. Scheune sowohl wie Backhaus sind 1867 abgebrochen und dafür die jetzige neue Scheune mit Katechesierstube (das gestrichelt gezeichnete Gebäude, das 1909 durch Umbau zu dem jetzigen Gemeindesaal am Alten Markt erweitert wurde, erbaut. Der Garten und Baumhof wurde bei dieser Gelegenheit zu einem prächtigen Parke mit Gartenanlagen umgeschaffen und mit einer steinernen Mauer umzogen. Leider sind dieselben durch den Kirchbau wieder zerstört, die vielen darauf verwandten Kosten weggeworfen und das Pastoratshaus seiner schönsten Zierde beraubt.“

Neben dem Gemeindesaal steht noch heute das Haus Schulte=Kortnack. 1823 gehörte es allerdings Blanke, während Kortnacks Haus, das ein Kirchenkotten war (es gehörte also ursprünglich der Kirche, war aber nachher in lebenslänglichen Leibgewinn gegen eine jährliche Abgabe, die bei Kortnacken= Kotten 27 Stüber oder 10 Sgr. 5 Pf. und Pfd. Wachs betrug, gegeben, sich daneben an der Bahnhofstraße befand. Schulte=Kortnack werden wohl das Nachbarbaus Blanke, wie es so oft zu beobachten ist, durch Heirat erworben haben. 1877 gehörte es ihnen jedenfalls. Ferner sind an der Bahnhofstraße noch Bauerweiterungen sowie eine bauliche Verbindung zwischen Haus Kortnack und Haus Blanke geschaffen worden. Im Erdgeschoß des noch erhaltenen Hauses am Alten Markt ist noch heute eine Backstube vorhanden, die jetzt mit Cafe Berke in Verbindung steht. Die Schulte=Kortnacks, die als Kirchenkottenpächter schon im Feuerstättenbuch von 1664, das der Erhebung einer Kaminsteuer m der Mark diente, als Kortnacke erwähnt sind, waren wahrscheinlich die ersten Bäcker in Herne. Dr. Hoischen hat bereits im H. A. vom 1. 4. 1922 eine Steuerurkunde der Familie Schulte=Kortnack vom 26. März 1698 veröffentlicht, in der bestätigt wird, daß Johan Jörgen Bent (= Bernt) und Gertrud Kortnacks die Erlaubnis haben, im Dorf Herne ungehindert Weißbrot zu backen. (Roggenbrot backte sich jeder selbst. Später war Schulte=Kortnacks Schwarzbrot (Pumpernickel) sehr geschätzt.) Dabei war (nach Dr. Hoischen) der Johan Jörgen Bent bereits der zweite Inhaber des Kortnackschen Besitztums, der sich aus den alten Kirchenbüchern nachweisen lässt. Noch 1895 gehörte das Haus dem Bäcker Friedrich Georg Wilh. Schulte gt. Kortnack, 1912 dem Kaufmann Friedrich und dem Konditor Otto Schulte=Kortnack. Jahrhundertelang ist also offenbar das Bäckerhandwerk in der Familie Tradition geblieben. Nach einer Kirchenrechnung von 1793 war Kortnacke auch Wirtschaft. Während das Haus am Alten Markt, in dem auch der wohl erste Herner Arzt Dr. Goerke wohnte — in einem Raum des Schulte=Kortnackschen Gebäudes wurde 1850 auch eine Schulklasse unter Lehrer Westerhoff untergebracht —, noch steht, sind die Schülte-Kortnackschen Gebände an der Bahnhofstraße, in denen ein Papierwarengeschäft, ein Weisswarengeschaft und Leder=Padberg sich befunden haben, 1901 abgebrochen und durch die großen Geschaftsneubauten ersetzt worden, die sich jetzt dort befinden.

An der Ecke der Bahnhofstraße und der zum Alten Markt führenden Gasse lag 1823 das Haus Bonenkamp. Auch dieses ist ein Kirchenkotten (jährliche Abgabe 6 Sgr. 11 Pfg. an Geld und 1½ Pfd. Wachs) gewesen und unter dem Namen Bohnenkamp schon 1664 im Feuerstättenbuche erwähnt. 1877 erscheint der Kaufmann Karl Gerson Weinberg, der „olle Kers“, der als Metzger auf dem Steinweg angefangen hatte, als Besitzer, 1899 Schulte-Kortnack. Auch dieses Haus ist um 1901 abgebrochen und durch einen großen Neubau ersetzt worden, der seit 1921 im Besitz von Schildgen ist.

An der anderen Seite der Gasse lag Rembert. Diese Familie war verwandt mit der Gerberei Rembert in der Nähe von Strünkede. Im Anfange des vorigen Jahrhunderts war ein Friedrich Rembert (neben dem 1814 verstorbenen Johann Caspar Alstade) Küster an der alten Dionysiuskirche. Aber auch schon 1664, als ein Kötter Heinrich Rembertz im Feuerstättenbuch als an Strünkede abgabenpflichtig aufgeführt wurde, fungierte dieser als Küster. Das 1823 aus drei Gebäuden bestehende Besitztum hat später einem großen aus Wohn= und Wirtshaus bestehenden Gebäude Platz gemacht, das dem Wirt Karl Lanfermann gehörte, nachdem 1877 der Kaufmann Karl Gerson Weinberg in den Karten als Eigentümer erschienen war. 1892 ist Lanfermanns Wirtschaft abgebrannt und der jetzt dem Konsumverein Wohlfahrt gehörende massive Neubau errichtet worden, wobei zugleich Sorge getragen wurde, daß die Zufahrtsgasse zum Alten Markt erbreitert wurde. An dieser Gasse war früher auch der Eingang zum Kirchhof, der durch einen hölzernen Torbogen bezeichnet wurde.

Das nun folgende, weit von der Bahnhofstraße zurückspringende und sich an den Alten Markt anschmiegende Fachwerkhaus gehörte Asbeck. Auch dieses Grundstück befand sich 1877 im Besitz des Kaufmanns Karl Gerson Weinberg. In den neunziger Jahren steht es auf den Namen Max Weinberg gt. Moses, Metzgermeister. Der Metzger Weinberg (der „olle Kers“ und später sein Sohn; von ihnen stammt Betten=Weinberg in der Bahnhofstraße) gehörte zu den ersten, die in Herne einen Fleischerladen hatten. Vom Alten Markt aus konnte man dem Betrieb in seinem Schlachthaus zusehen, was die Betrieb in seinem Schlachthaus (Scheune) zusehen, was die Schulkinder eifrig besorgten. Das alte Fachwerkhaus ist 1901 abgebrochen worden, während der zugehörige Stall bis 1923 erhalten geblieben ist. Heute steht außer einer Obstbude an der Straßenflucht überhaupt nichts mehr auf dem Grundstück.

Folgen wir dem Alten Markt weiter, so kommen wir zu einem heute noch vorhandenen, mit der Längsseite parallel zur Bahnhofstraße laufenden Gebäude mit Walmdach, das einst das reformierte Pastorat war. (Auf das vorher, aber etwas weiter zurück gelegene Fachwerkhaus kommen wir später noch zu sprechen.) Dass das reformierte Pastorat hier lag, ist einigermaßen erstaunlich, da die reformierte Gemeinde im Schloss und in der Kapelle von Strünkede ihren Mittelpunkt hatte. Das reformierte Pastorathaus, das nach Dransfeld ca. 1750 erbaut und demnach älter als das gegenüberliegende evangelische Pastorat ist, hat eine traurige Berühmtheit dadurch erlangt, dass sich dort am 31. Oktober 1805 der Prediger Ferdinand Linder von Wald bei Solingen, woher auch der reformierte Lehrer Johann Henrich Balt stammte, erhängte. Nach einem Schreiben des Freiherrn v. Pallandt an den Superintendenten soll hauptsächlich wirtschaftliche Verzweiflung der Grund zu der unseligen Tat, die im Kirchspiel Herne und weit darüber hinaus größtes Aufsehen und tiefe Erschütterung hervorrief, gewesen ein. (Der reformierte Pastor hatte nämlich wegen der Kleinheit und Armut der reformierten Gemeinde nur 150—160 Taler jährliches Gehalt, alle sechs Jahre eine Trauung, höchstens zwei Kindtaufen und vier bis fünf Katechumenen im Jahr.) Der so tragisch Verstorbene wurde in dem bei dem Pastorat gelegenen Gärtchen beerdigt. Gleich nach Linders Tod wurde die refor mierte Pastoratstelle mit der in Castrop verbunden.

Das reformierte Pfarrhaus, so wurde beschlossen, sollte zum Schulhaus umgewandelt werden. Solange das nicht geschah, sollte es vermietet und mit dem Mietzins instandgesetzt werden. Im Jahre 1823 ist es offenbar Schulhaus gewesen, denn als solches wird es im Urhandriss von 1823 bezeichnet. Schon im Jahre 1826 kam aber ein Schulvereinigungsvertrag zwischen der lutherischen und reformierten Gemeinde zustande, wonach u. a. der reformierte Lehrer das 1806 durch die Zusammenlegung der reformierten Pfarrstelle zu Herne mit der in Castrop freigewordene Pfarrhaus bewohnen sollte. Seitdem war das Haus am Alten Markt Lehrerwohnung. Der damalige reformierte Lehrer, der darin zu wohnen kam, war Florenz Nohl, der 1848 starb. Sein Nachfolger wurde sein Sohn Constanz Nohl, der den alten Hernern noch gut bekannt ist. Später ging das Haus in den Besitz des Anstreichermeisters Wilh. Veuhoff über, dessen Witwe heute noch Eigentümerin ist.

Zwischen dem alten reformierten Pastorat und der Rosenstraße lag das Armenhaus. Es war nach Dransfeld im Jahre 1559 (!!), nach von Steinen 1565 aus Fachwerk erbaut und hatte zwei Etagen. Im Jahre 1826 war es aber in einem so schlechten Zustand, dass niemand mehr darin wohnen konnte. An dieses Armenhaus war die (gleichfalls aus Fachwerk errichtete) lutherische Schule angebaut (das Armenhaus war 21 Fuß, die Schule 33 Fuß lang, beide 21 Fuß breit; das schraffiert gezeichnete Gebäude stellt also beide, Schule und Armenhaus, dar). 1853, also nach 300jährigem Bestehen, wurde das Armenhaus für 245 Taler an die Schulgemeinde abgetreten, die es mitsamt dem schulanbau, der alt, zerfallen und zu klein geworden war, abreißen und auf demselben Platze eine vierklassige Schule aus Backstein erbauen ließ. Dieser in der Karte gestrichelt gezeichnete, zweistöckige Bau, in dem die alten Herner zur Schule gegangen sind, ist 1912 abgebrochen worden.

Hinter dieser Schule lag ein kleins Gebäude, das wohl eine zum reformierten Pastorat gehörige Scheune war. An ihre Stelle ist nach 1823 ein anderes Gebäude und nach 1853 eine langgestreckte Abortanlage für die Schule getreten.

Des Zusammenhangs wegen sei gleich noch auf das südlich davon gelegene große, punktiert gezeichnete Gebäude hingewiesen, das heute noch steht u. der Witwe des Anstreichermeisters Wilh. Veuhoff gehört. Es besteht aus Backstein und ist heute zweistöckig. Ursprünglich aber war es einstöckig (man sieht die Aufstockung noch sehr deutlich auf der Rückseite des Hauses). Es wurde 1866—67 als weiteres Schulgebäude errichtet und enthielt zuerst nur zwei Klassenzimmer.

Schräg zur Rosenstraße steht (heute als Abschluss des Alten Marktes) das alte Fachwerkhaus, an dem neulich eine Balkeninschrift aus dem Jahr: 1714 (Eheleute Joh. Sigismund Fry u. Margarete Alstede) freigelegt wurde. Es stammt zwar nicht mehr aus 1714 (schon damals wurde das Haus anstelle eines älteren erbaut), ist aber, wie aus unserer Karte hervorgeht, über 110 Jahre alt. 1823 gehörte es Althoff, später dem Böttcher Friedrich Hülsmann. Dieser verkaufte es 1919 an Schreiner Herman Iffland, der es 1931 auf seinen Schwiegersohn Herm. Brandt übertrug. (Auf der Photographie im Titel der: Artikels ist es das Haus rechts.)

Von der Hülsmann vorgelagerten Schule ging in schräger Richtung eine Mauer ab, die den Marktplatz hier abschloss. (Sie ist auf dem Bild daran zu erkennen das einige Personen darauf stehen.) Diese Mauer ist aber erst 1862 errichtet worden, als der seit 1841 nicht mehr benutzte, sich um die alte Kirche lagernde Friedhof durch Anhöhung und Planierung zum Marktplatz umgestaltet wurde.

Die "Reuster" am alten Markt.

Den östlichen Abschloss des Platzes bildete das Haus von „Eckers Karl“ oder „die Reuster“ (s. Bild). Dieses Haus war zunächst dadurch bemerkenswert, dass es einen viereckigen Durchgang besaß, der die Verbindung zwischen Kirchhof und Rosenstraße herstellte. Im Jahre 1823 gehörte es Conrad Crämer jr., später Karl Cremer, den man aber stets „Eckers Karl“ nannte, woraus zu schließen ist, dass das Haus vor den Cremers lange einer Familie Ecker gehört hat. In der Tat steht im Feuerstättenbuch von 1664 ein Ecker mit einer Feuerstätte verzeichnet. Eine Tochter „Eckers Karl“ heiratete einen Karl Döhmann. Dieser verkaufte es an einen Friseur Gierpcz, der später die Wirtschaft auf der Altenhöfener Straße, Ecke Düngelstraße, baute. Das Friseurgeschäft hatte sich in dem Hausteil neben dem Durchgang am Pastorat befunden, wo „Eckers Karl“ vorher seine Bäckerei hatte. In der anderen Seite des Durchgangs war ein „Winkelswaren“ Geschäft, im übrigen Teil des Hauses befand sich eine Wirtschaft. Außerdem war hier längere Zeit die Poststelle. Im Jahre 1835 soll die erste regelmäßige Postverbindung durch einen einmaligen Botengang von Bochum nach Herne geschaffen worden sein, 1836 folgte eine Personenpost von Bochum nach Recklinghausen über Herne. Die Annahmestelle für Briefe und Pakete war bei Conrad, später Karl Cremer. 1845 wurde die Postannahmestelle in eine Postexpedition verwandelt. Nach Eröffnung der Köln=Mindener=Bahn 1847 kam die Postexpedition zum Bahnhof. Die „ Reuster“ ist, nachdem die Stadtverwaltung das Haus von Gierpcz erworben hatte, um 1905 abgebrochen worden.

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Dr. Leo Reiners.


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Quellen

  1. [ https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/21234724 Vgl. Online Quelle auf Zeitpunkt.NRW]