Das alte Dorf Herne (Herner Anzeiger 1934) I.

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Am 24. November 1934 wurde im Herner Anzeiger ein Artikel von Leo Reiners über das alte Dorf Herne im ersten Teil veröffentlicht. Es ist eines der wichtigsten Werkreihen Reiners zur Dorfgeschichte. Da es sehr umfangreich ist, teilen wir es in mehrere Teile. [1]

Das alte Dorf Herne

Nach Katasterkarten von 1823-1886
Dargestellt von dr. L. Reiners

Rosenstraße (Bild: Hermann Niemczyk)

Heute ist Herne eine große Stadt von fast 100000 Einwohnern. Nur noch weniges erinnert an die unberührte ländlich=dörfliche Einfachheit und Idylle, die hier noch bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts herrschte. Je größer aber der Gegensatz von jetzt und einst ist, ein Gegensatz, der in baulicher, verkehrlicher und menschlicher Beziehung nicht stark genug gedacht werden kann, umso lieber sind uns die noch erhaltenen träumenden Fachwerkhäuser, die stolzen, erdnahen Bauernhöfe, die braunen Äcker und grünen Waldstücke, die von dem früheren Herne erzählen, umso lieber lauschen wir den Alten, die aus Jugenderinnerungen plaudern. Großes Verdienst hat sich Rektor Decker erworben, indem er in seinem Heimatbuche dem alten Dorf, das neben den verstreuten Einzelhöfen und den kleinen Siedlungsgruppen Altenhöfen, Baukau, Börnig, Holthausen und dem Schloß Strünkede den Kern des heutigen Herne bildete, in seinem baulichen Aussehen, dem Leben und Treiben, der Denkart, den Gebräuchen und Sitten seiner Bewohner wieder nachgespürt und sie in trefflichen Einzelschilderungen festgehalten hat. Zu seinen kulturhistorischen Skizzen möchten wir heute eine Ergänzung liefern, die aus dem Bestreben geboren ist, für all das, was vom alten Herne erzählt und von den Alten nach ihrer Erinnerung berichtet wird, die konkrete und klare Unterlage zu schaffen, denn allzu oft gewahrt man doch, dass das Gedächtnis getrübt ist und in Örtlichkeit und zeitlicher Datierung Verwechslungen und Irrtümer unterlaufen. Hinzu kommt, dass den Jüngeren und den erst in den letzten 20 Jahren Zugezogenen überhaupt die Möglichkeit fehlt, sich die rechte Vorstellung von dem Früheren zu machen. Noch wichtiger aber war es uns, in das Herne zurückzukehren, das selbst die ältesten Einheimischen nicht kennen, in das Herne vor über 100 Jahren, das zugleich jenes Herne ist, das uns in Gestalt= und Besitzverhältnissen dem Herne der noch weiter zurückliegenden Jahrhunderte am nächsten führt. Wenn auch die Sturmkatastrophen vom 8. Dezember 1703, 4. Dezember 1724 und 12. Dezember 1747 fast die ganze Fachwerkherrlichkeit des alten Dorfes dahingefegt haben sollen, wenn auch die alte Bauart der Häuser nicht dauerhaft genug war, um ihnen ein Bestehen durch Jahrhunderte zu sichern— fast alle Fachwerkhäuser, die wir haben, stammen aus der 2. Hälfte des 18. und der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts—, so werden doch die Eigentumsverhältnisse der Grundstücke und damit das „Adreßbuch“ sich nicht so stark gewandelt haben. Für das vom Alter zernagte, von Sturm oder Brand vernichtete wird derselbe Besitzer meist ein neues Haus an derselben Stelle erbaut haben, so dass wir wirklich annehmen dürfen, dass das Dorfbild vom Anfang des 19. Jahrhunderts uns auch das Dorf des 18. und vielleicht noch weiter zurückliegender Jahrhunderte im Wesentlichen vermittelt.

Unsere Quellen.

Die einzige sichere Quelle für die gestaltliche Wiederherstellung des alten Dorfes sind die alten Katasterkarten. In sie haben wir uns (unterstützt durch die freundliche Genehmigung des Herrn Katasteramtsdirektors Profit und die interessierte Mitwirkung des Herrn Katastersekretärs Amen, denen hiermit herzlicher Dank gesagt sei), vertieft und nach ihnen das Bild des alten Dorfes nicht nur, wie es in den ältesten Karten, die aus dem Jahre 1823 stammen, sich darstellt, sondern auch, wie es sich bis zum Jahre 1886 weiterentwickelt hat, aufgezeichnet. Hierbei standen uns zur Verfügung: die Urhandrisse von 1823 (damals erfolgte die erste katastermäßige Aufmessung), die Katasterurkarten von 1823 (die Handrisse tragen die Eigentums=, Nutzungsart= und Vermessungszahlenvermerke, sind aber nicht maßstäblich, die Karten dagegen sind nach ihnen maßstäblich angefertigt), die bis 1886 berichtigten Reinkarten, die Stückvermessungsrisse von 1877 (wo eine neue Aufmessung erfolgte), die Feldbücher aus den Gemarkungsakten von 1823—1884, die heute noch gültigen Reinkarten, die Gebäudesteuerrolle aus der Veranlagungsperiode 1895 und die Gebäudesteuerrolle aus der Veranlagungsperiode 1907.

Die Zahl der Häuser und Einwohner.

Nach diesen Quellen ist die Kartenzeichnung entstanden. Sie führt uns zunächst das Dorf Herne, wie es im Jahre 1823 war, vor Augen. Auf den ersten Blick erkennt man, dass es gar nicht viel Häuser besaß. Man kann die Zahl der eigentlichen Wohnhäuser auf etwa 70 beziffern. (Weil in den alten Karten von 1823 die Nutzungsart der Gebäude nicht kenntlich gemacht ist, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, welches Gebäude Wohnhaus ist und welches nicht. An der Größe ist die Nutzungsart nicht zu erkennen, da manches Nebengebäude wie Scheune, Backhaus u. dergl. im Grundriss nicht größer ist als ein kleines Wohnhaus. Auch die Grundstücksgrenzen sind nicht entscheidend, da öfter auf dem gleichen Grundstück mehrere Wohngebäude liegen.) Die Zahl 70 stimmt wohl überein mit der Angabe von Steinens, der 1757 schrieb, Herne bestehe aus 116 Häusern und sei ein fleckenähnliches Kirchdorf. Die ca. 40 überschießenden Häuser dürften im übrigen Dorfgebiet als kleine Gruppen (z. B. Altenhöfen) oder als Bauern= und Kötterhäuser verstreut gelegen haben.

An diesem Zustand hat sich in 50 Jahren nichts geändert, denn 1809 wurden in Herne (nach Dransfeld) sogar nur 114 Häuser mit 122 Familien oder 575 Einwohnern gezählt. Vier Jahrzehnte später, 1847, dem Jahre der Eröffnung der Köln-Mindener Eisenbahn mit dem Bahnhof Herne=Bochum, waren nur 27 Wohnhäuser mehr vorhanden, nämlich 141, die Zahl der Familien war dagegen um 39 auf 161 und die der Einwohner sogar um 424 auf 999 gestiegen. Von 1757 bis 1874, also in genau 90 Jahren, war Herne im ganzen Dorfgebiet nur um 25 Wohnhäuser (= 21% des Bestandes) gewachsen, die Einwohnerzahl hatte sich dagegen um rd. 40% erhöht. 1861, 5 Jahre nach der Anlegung der Zeche Shamrock auf Sengenhofs Feld, zählte man schon 409 Familien oder 2210 Einwohner, denen jedoch nur 196 Wohnhäuser zur Verfügung standen. Das machte 11,2 Einwohner im Durchschnitt auf 1 Wohnhaus, während es 1847 nur 7 und 1809 sogar nur 5 gewesen waren. Daraus geht hervor, dass mit dem Einziehen der Industrie sogleich das Wohnungselend begann. Es musste viel gebaut werden, um die Zuziehenden unterzubringen. Das Dorf selbst ist aber davon nicht stark betroffen worden. Das bezeugt wiederum unsere Karte, auf der auch die Gebäude (gestrichelt) eingezeichnet sind, die in der Zeit von 1823—1886 entstanden. Abgesehen von den Häusern, die anstelle älterer gebaut wurden, sind nur rd. 40 Häuser bis 1886 neu hinzugekommen. Diese Neuansiedlung geschah vornehmlich an der Goethe=, Wiescher=, Shamrock= und Altenhöfener Straße. Das Dorf wuchs und „modernisierte“ sich also zwar etwas, behielt aber im Wesentlichen seinen alten Charakter bei. Die Umformung zu dem jetzigen Zustand ist erst in den letzten 40 Jahren vor sich gegangen.

Die „Straßen“

Die Gruppierung der Häuser des alten Dorfes Herne geschah, wie die Karte zeigt, zum Teil rings um die in der Mitte gelegene alte Dionysiuskirche herum (deren Grundriß ist übrigens in der alten Karte rein schematisch aufgezeichnet, in Wirklichkeit sah er, wie die Ausgrabung bewiesen hat, wesentlich anders aus), zum Teil an den Verkehrswegen entlang. Diese waren der Steinweg, die Bahnhof= bzw. Altenhöfener Straße, die Rosenstraße, die Gartenstraße und die Shamrockstraße. Wir bedienen uns hier allerdings Bezeichnungen, die es früher noch gar nicht gab. Erst 1882 ist in Herne die Straßenbenennung eingeführt worden. Bis dahin hatten sich für einige Wege bestimmte, Namen im Volksmund eingebürgert. Der älteste Name dürfte wohl der für den „Steinweg“ sein, denn er kommt schon früh in den Karten vor. Er war auch der erste Weg, der durch Steinpflaster befestigt wurde, woraus sich sein Name erklärt. Die jetzige Straßburger Straße hatte schon vor der Straßenbenennung von 1882 den Namen Gartenstraße, die Rosenstraße hieß in den Karten damals Dorfstraße (im Volksmund wegen gewisser Pferdespuren "Küöttelstroate"), die Goethestraße wurde Kalkstraße, die Shamrockstraße wurde (nach Decker, eine Bestätigung konnten wir noch nicht erhalten) im Volksmund Strengerweg genannt. Die Bahnhofstraße hieß nach den alten Karten Chaussee von Strünkede nach Herne oder Chaussee nach Bochum bzw. Recklinghausen, die Altenhöfener Straße Landstraße nach Altenhöfen oder nach Riemke, später Höfestraße, die Wiescherstraße Landstraße nach Bochum. Diese Bezeichnung ist sehr bedeutsam, denn sie erinnert daran, dass die jetzige Bochumer Straße erst 1839—41 gebaut wurde und davor der Verkehr zwischen Herne und Bochum seinen Meg über die Wiescherstraße durch den Hohlweg in der Herner Mark an Hiltrop vorbei nahm. Das erklärt auch, dass der Steinweg, als Dorfstück dieser Landstraße, zuerst Steinpflaster erhielt. Die Wegeverhältnisse

waren damals nicht nur in Herne, sondern auch in der ganzen Mark denkbar schlecht. Besonders bei Regen muss es furchtbar gewesen sein. Niemeyer schreibt am Ende des 18. Jahrhunderts: „Die Wege in der Grafschaft Mark gehören zu den berüchtigtsten: an einigen Stellen muß man sich darauf gefaßt halten, buchstäblich in einem Schlammsee zu versinken.“ Und Dransfeld, der den urtümlichen Verhältnissen ja viel näher stand als wir, berichtet von der „Landstraße nach Bochum“, der heutigen Wiescherstraße, bei schlechtem Wetter sei sie so grundlos gewesen, dass der große Wagen der (1836 eingerichteten) Personenpost zwischen Bochum und Recklinghausen „nicht allein unzählige Mal umstürzte, sondern auch vollständig im Schlamm stecken blieb, aus welchem er erst durch Vorspann von Herne befreit werden konnte". Weiter erzählt er, selbst unsere Landleute hätten sich im Winter nicht eines Fuhrwerkes bedient, wenn sie nach auswärts wollten, sondern eines Reitpferdes, „mit welchem allein durchzukommen war, auf dessen Rücken der Mann, vor ihm ein Kind und hinter ihm die Frau saß".

Wie armselig die Wege selbst im Dorf Herne waren, geht aus ihrer gewundenen und sich öfter verengenden Form hervor. Man vergleiche nur einmal die Breite der durch punktierte Linien angezeigten, 1839—41 entstandenen Bochumer Straße oder die damalige Erbreiterung der „Bahnhofstraße" (punktierte Linie) mit dem ursprünglichen Zustand. An der schmalsten Stelle ist die Bahnhofstraße (zwischen Klas und Trösken) nur 3 Meter breit gewesen, so dass hier nicht einmal zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikonnten. Hieraus erklärt sich auch, warum die Bahnhofstraße noch heute in ihrem oberen Teil am schmalsten ist, trotzdem dort schon um 1840 eine erhebliche Erbreiterung erfolgte und mittlerweile alle Bauten aus der Zeit vor 100 Jahren verschwunden sind. Was wir also heute als Straße bezeichnen, waren früher schmale, unbefestigte Fahrwege, die schmutzig, staubig und von Wagenspuren zerfahren waren.

Das Aussehen des alten Dorfes.

Wenden wir uns jetzt dem Dorfe selbst zu und suchen wir uns ein Bild davon zu machen, wie es ausgesehen hat, so brauchen wir nur einen Blick auf die heute noch verbliebenen Fachwerkbauten zu werfen. [Anm.d.red.: Alle Fachwerkbauten wurden Anfang der 1970er Jahre abgerissen. Dieser Text zeigt den hoch bedauerlichen Verlust besonders] So wie Alt=Herne bei Plenkers Schmiede anmutet, wenn man von der Kronprinzenstraße aus durch die Shamrockstraße kommt, so wie die hier wiedergegebenen alten Bilder es schildern, so müssen wir uns das ganze Dorf vorstellen. Besonders im Sommer muss es idyllisch gewesen sein. Wenn man sich durch die wogenden Kornfelder, die grünsaftigen Wiesen dem von der Emscher aus gesehen auf einer Anhöhe gelegenen Dorfe näherte oder wenn man von der Wiescherstraße oder Sodingen aus zu ihm hinabstieg, dann leuchtete das Graugelb der Strohdächer und das in Weiß=Schwarz, Weiß=Braun oder Rot-Grau gehaltene Fachwerk aus dem Grün der Obstbäume, die das Dorf malerisch einhüllten, hervor. Dann waren die Wege trocken und staubig, Hühner und Gänse belebten die Höfe, Hunde bellten, Schweine schnüffelten im Dünger, der irgendwo neben dem Hause lag.

Wenn auch die Häuser alle Fachwerkhäuser waren, so boten sie doch reiche Mannigfaltigkeit. Die einen waren stolze Bauern=, andere ärmliche einstöckige Einliegerhäuser, wieder andere zweistöckige Geschäfts- und Wirtschaftsbauten. Die einen waren durch zweifarbig gestrichene Holzverschalung im Giebeldreieck belebt, die anderen an der Schlag- oder Straßenseite ganz mit hellgrauen Zinkblech= oder schwarzgrauen Schieferplatten bedeckt. Das Dach bestand aus Stroh, erst später trat an dessen Stelle das Ziegeldach. Die Wände der alten Häuser waren vielfach aus Flechtwerk und mit Stroh und Tierhaaren vermengtem Lehmbewurf gebildet. Erst später baute man das Fachwerk aus Ziegelsteinen. Der Boden bestand aus festgestampftem Lehm oder war, wenn man es sich leisten konnte, mit Steinplatten belegt. Es gibt heute noch alte Fachwerkhäuser in Herne, die so gut aufgebessert wurden, dass man ihnen den einfachen Lehmfachwerk und Strohdachzustand, den sie vor 100 Jahren hatten, gar nicht mehr ansieht (z. B. Haus Spiekermann an der Shamrockstraße). Zu den Wohnhäusern gehörten stets noch An= und Nebenbauten. Einen Stall mit Kuh, Ziege oder Pferd hatten alle, viele auch Scheune und sonstige Wirtschaftsgebäude wie Backhäuser zum Backen des Brotes oder Rösten von Obst. Zu den Bauernhöfen gehörten oft auch noch kleinere Wohngebäude für verheiratete Dienstpflichtige. Es kam auch vor, dass solche Wohnhäuser von den Bauern in Erbpacht gegeben wurden (z. B. Propst auf dem Steinweg von Schlenkhoff gt. Dux).

Die berufliche Tätigkeit der Dörfler.

Bevor wir auf die Grundstücke im Einzelnen eingehen, sei noch etwas über die berufliche Tätigkeit der alten Dörfler gesagt. Wir stützen uns dabei am besten auf Dransfeld, der den ursprünglichen Verhältnisse am nächsten stand. Er schreibt: „Alle Einwohner waren (vor 100 und mehr Jahren) größere oder kleinere Grundbesitzer, die mit ihren Tagelöhnern, Knechten und Mägden das Land bebauten und von dem Ertrage der Landwirtschaft einfach und mäßig lebten. Handwerker gab es nur ganz wenige, da der westfälische Bauer damals die laufenden Reparaturen an seinem Gebäude und Ackergeräten in Holz und Eisen selbst machte. Nur wenn ein neues Haus aufgerichtet wurde, bedurfte es eines Zimmermanns oder Schmiedes.“ Der Zimmermann verewigte sich oft in den Balkeninschriften. So kennen wir vom Anbau des Bergelmannschen Hofes aus dem Jahre 1789 und vom Hofe Schmauk an der Rottstraße in Baukau aus dem Jahre 1794 einen Zimmermann M. Hangohr; vom Hause Wiescherstraße 73 (Jöhe Lind=Sehrbruch) aus dem Jahre 1804 und Ludwigstraße 82 (Overkamp) aus dem Jahre 1807 einen„ Alt=Meister“ Georg Externest bzw. M. G. Exsternest, vom Hause Sehrbruch in den Höfen aus dem Jahre 1827 und von Bergelmanns Hof aus dem Jahre 1821 einen Zimmermann H. D. Knap und von dem Hof Schulte=Nölle (heuet evgl. kirchl. Jugend= und Wohlfahrtsamt) aus dem Jahre 1837 einen Zimmermann Garmhaus. Auf dem Hofe Düngelmann (städt. Fuhrpark) hat sich 1880 noch ein Zimmermann H. W. Funkenberg verewigt. Schon daraus erkennt man die große Bedeutung des Zimmermanns als Baumeisters für das alte Fachwerkhaus, wodurch sich auch der in der „Künstlertracht" zum Ausdruck kommende Zunftstolz der Zimmerleute erklärt. Was die übrigen Handwerke anbelangt, so berichtet Dransfeld, dass Schuster und Schneider von Haus zu Haus zogen und für Kost und einen Tagelohn von 2—3 Silbergroschen die defekten Kleidungsstücke der Familie wieder instand setzten. „Diese Verhältnisse", fügt er hinzu, „haben noch bis in die neuere Zeit fortgedauert.“

Sehr interessant ist Dransfelds Aufstellung über die Zahl der Handwerker. Er schreibt: „Nach der Volkszählung im Jahre 1843 hatte Herne mit seinen damals 150 Familien nur 1 Zimmermeister mit 1 Gehülfen, 5 Schuhmacher, 5 Schneider, 4 Schmiedemeister, 1 Maurer, 2 Tischler, 1 Sattler, 1 Stellmacher und 4 Bäcker.“ Welche Familien das im Einzelnen waren, wissen wir nicht. Bei der Besprechung der einzelnen Grundstücksbesitzer werden die alten Handwerker aber zum größten Teil auftauchen. Erwähnt sei noch, dass von den kleineren Köttern im Winter fast allgemein das Weberhandwerk betrieben wurde. Das gewebte Leinen wurde dann vom Blaufärber für Kittel, Hosen und Schürzen blau gefärbt. Jedenfalls war das entscheidende Merkmal des alten Dorfes der bäuerliche Lebensstil. Selbst die Pastöre (wenigstens die lutherischen) waren halbe Bauern. Ihr Fonds bestand ja zu einem erheblichen Teile aus Ländereien. Noch 1875 besaß der Herner Pfarrfonds nach Abzug einiger schon vorher verkaufter Grundstucke über 70 und der Vikarienfonds über 41 Morgen (an diese erinnert die Flurbezeichnung „Vikarienkamp“. Eine Vikarienkuhle („Vikrikuhle") befand sich in der Gegend des jetzigen evgl. Krankenhauses, dort wurde am Aschermittwoch „Bacchus" begraben.) Wie sehr die alten Pastöre, wollten sie aus ihren Ländereien möglichst hohen Ertrag erlösen, etwas von der Landwirtschaft verstehen oder selber Landwirtschaft betreiben mussten, beweist, dass man sich nach Dransfeld von dem 1824 (also zur Zeit unserer Karte) verstorbenen Vikar Messing erzählt, dass er nicht allein mit zwei Pferden seinen Acker fleißig bewirtschaftet habe, sondern obendrein noch Rentmeister des Hauses Giesenberg gewesen sei.

Brandteiche und Spritzenhäuschen.

Wenden wir uns nun wieder unserer Karte zu. Wer diese aufmerksam durchsieht, wird finden, dass im alten Dorf sehr viele Teiche vorhanden waren. Der größte lag zwischen der heutigen Kronprinzen- und der Shamrockstraße. Gleich dabei, zwischen den beiden Höfen von Overkamp, lag ein zweiter und gegenüber Drevermann (heute Spiekermann) ein dritter. An der Altenhöfener Straße sind noch einmal zwei Teiche (bei Schlingermann) eingezeichnet. Ferner befindet sich ein Teich am Knie der Rosenstraße (Mumme) und ein weiterer hinter den Häusern des Steinweges. Das sind die Teiche, die in der Karte von 1823 verzeichnet sind. Die Überlieferung berichtet aber noch von einem Teich im Pastoratsgarten, wo jetzt die evangelische Hauptkirche steht. Er hieß „Pastors Diek". (Auch Dransfeld schreibt, dass sich vor seiner Zeit nördlich vom Pastorat ein Baumhof mit einem Teich befunden habe.) Außerdem lag nach Berichten alter Herner ein Teich zwischen Grüter, Kropfermann und Hentrey an Steinweg und Rosenstraße. Diese Teiche dienten als Wasserreservoir für Brandfälle, daneben aber als Tummelplatz für Gänse und Enten und als Freudenquelle für die Dorfjugend, die im Winter darauf schlinderte. Tief dürften sie nicht gewesen sein. Das beweist schon, dass selbst von dem großen Teich bei Overkamp heute im Gelände nichts mehr zu sehen ist. (Dieser Teich darf übrigens nicht verwechselt werden mit dem Overkampschen Mühlenteich an der anderen Seite der Höfe, [...].)

Da wir gerade bei der Brandbekämpfung sind, sei gleich auch der Spritzenhäuschen gedacht. Es wird viele wundern, zu erfahren, dass da Spritzenhaus im Jahre 1823 gegenüber der Einmündung des Steinweges in die Bahnhofstraße gestanden hat. Es ist in der Zeichnung bis mitten im Straßenzug deutlich zu sehen. Ein zweites Spritzenhaus entstand später, ebenfalls auf der Karte verzeichnet, an der Shamrockstraße gegenüber Spiekermann, wo ursprünglich ein Brandteich lag. Es ist vor wenigen Jahren abgebrochen worden. Wann es gebaut und in Benutzung genommen wurde, ist unbekannt, nach dem Verschwinden des Spritzenhauses auf der Bahnhofstraße, das wohl dem Bau der Chaussee Bochum—Herne—Recklinghausen um 1840 zum Opfer fiel, ist die einzige vorhandene Spritze auf dem Platze Ecke Garten= und Altenhöfener Straße (Stellmacher Tigges) untergebracht gewesen. Eine um das Jahr 1860 angeschaffte zweite Spritze hatte ihren Stand auf dem Grundstück der Erden Rensinghoff gt. Schlenkhoff an der Goethestraße. Außer diesen beiden Spritzen befanden sich im Turme der alten Dionysiuskirche noch zwei große Feuerhaken und etwa dreißig lederne Feuereimer. Die Freiw. Feuerwehr wurde erst 1877 gegründet.

Fortsetzung folgt..

Dr. Leo Reiners.


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Quellen

  1. [ https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/21234724 Vgl. Online Quelle auf Zeitpunkt.NRW]