Große Bäckerei- und Konditorenausstellung 1909

'Herne – Zentrum des westfälischen Bäcker- und Konditorenhandwerks (um 1900)'
Dieser Artikel beleuchtet die historische Bedeutung Hernes als Zentrum des westfälischen Bäcker- und Konditorenhandwerks zu Beginn des 20. Jahrhunderts, initiiert durch den damaligen Obermeister Gustav Trute. Er unterscheidet sich bewusst von Darstellungen über Wanne-Eickel als „Stadt des Brotes“.
Frühe Bäckerinnung und Expansion
Im Jahr 1900 zählte die Zwangsinnung der Bäcker in Herne 61 Mitglieder. Bis 1906 stieg die Mitgliederzahl auf 72 an, aufgeteilt in 54 Betriebe in Herne, 14 in Baukau und 6 in Horsthausen. Herne war damit nicht nur eine "Stadt des Brotes", sondern auch ein Ort feiner Konditoreiwaren. Zahlreiche Konditoreien und Cafés verwöhnten die Gaumen der Bürger, sofern sie es sich leisten konnten. Ein prominentes Beispiel war der Betrieb von Heinrich Uedemann (1860–1905) an der Ecke Bahnhofstraße/Poststraße, dessen imposantes Gebäude, heute die Zeemann-Filiale in der Bahnhofstraße 81a, noch immer existiert.
Gustav Trute: Der Initiator

Johann Gustav Andreas Heinrich Trute, geboren 1867 in Trautenstein am Harz, war eine treibende Kraft hinter der Entwicklung des Bäckerhandwerks in Herne. Seit 1894 war er mit Christiane Urland verheiratet und ließ sich 1894 nachweislich als Bäcker in Börnig-Gysenberg nieder. Über verschiedene Stationen in Herne, darunter die Mont-Cenis-Straße 58 und Neustraße 62, übernahm er schließlich 1905 das Geschäft des Bäckers Karl Bartling in der Neustraße 64. Trute war entscheidend daran beteiligt, Herne als bedeutenden Standort des Bäckerhandwerks zu etablieren.
Die 29. Generalversammlung des Zweigverbandes Westfalen 1909
Die Bäckerinnungen im Deutschen Reich hatten sich bereits 1874 zum Central-Verband Deutscher Bäcker-Innungen "Germania" mit Sitz in Berlin zusammengeschlossen. Jährliche Verbandstage mit Ausstellungen von Maschinen, Erzeugnissen und Bedarfsartikeln prägten das Verbandsleben.
Es war Obermeister Gustav Trute, der die Ausrichtung der 29. Generalversammlung des Zweigverbandes Westfalen für das Jahr 1909 nach Herne holte. Die Veranstaltung fand vom 5. bis 15. Juni 1909 statt und sollte einen Höhepunkt für das lokale Handwerk darstellen.
Am 18. Oktober 1907 wurde in Münster der Oberpräsident der Provinz Westfalen, Freiherr von der Recke zu Horst, als Protegé gewonnen, um der Veranstaltung eine wichtige Persönlichkeit vorweisen zu können.[1] Die Stadt Herne unterstützte das Vorhaben maßgeblich.
Ausstellungsbau und Programm

Ein zentral gelegenes Ausstellungsareal wurde auf einem neu erworbenen städtischen Grundstück von ursprünglich 20 Morgen (später auf 300 Quadratruten, ca. 4255 m²) vorbereitet. Eine große temporäre Ausstellungshalle, die mehrere tausend Quadratmeter umfasste, wurde nach Plänen des Architekten Johann Schulte (1871–1920) errichtet und als "Kunstwerk" bezeichnet. Der genaue Standort auf dem sogenannten "Bergelmannschen Grund und Boden" ist heute nicht mehr eindeutig zu klären ist aber ungefähr im Bereich Rathaus/Hauptpost anzusetzen.
Ein umfangreiches Fest- und Tagungsprogramm wurde in den preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen beworben. Neben der Behandlung einer neuen Bäckereiverordnung fand eine umfassende Fachausstellung für Bäckerei- und Konditoreibedarf statt. Zahlreiche Pavillons ergänzten die riesige Ausstellungshalle und ein großes Restaurationsgebäude.
Die Stadtverordneten bewilligten am 28. April 1909 300 Mark für Ehrenpreise und beschlossen, die Einnahmen aus Lustbarkeits- und ähnlichen Steuern komplett der Ausstellungsleitung zu überweisen. Trotz Werbemaßnahmen des Obermeisters Trute, die auf eine nicht sehr große Bereitschaft zur Präsentation hindeuten könnten, meldeten sich zahlreiche "erste" Firmen an.
Ein 104-seitiger Ausstellungskatalog, herausgegeben von der Herner Zeitung und dem Herner Anzeiger und gedruckt bei Kartenberg, informierte über die Festordnung und das Programm der 29. Generalversammlung am 6. und 7. Juni 1909. [2]
Eröffnung und Festlichkeiten
Die feierliche Eröffnung am 5. Juni 1909 um 11 Uhr sollte ursprünglich durch den Oberpräsidenten von der Recke, den ersten Bürgermeister Dr. Büren, den Vorsitzenden des westfälischen Bäckerverbandes Heinrich Löbbert und Gustav Trute stattfinden. Aufgrund eines Kuraufenthalts auf Norderney sagte der Oberpräsident kurzfristig ab und traf erst fünf Tage später ein. Auch die geplante Uhrzeit konnte nicht eingehalten werden, da der Ausstellungsbau nicht rechtzeitig fertiggestellt wurde. Um 12:30 Uhr vollzog Dr. Büren die Eröffnung am westlichen Eingang.
Nach einem obligatorischen Rundgang durch die Ausstellung folgte ein "Gabelfrühstück" im Hotel Schlenkhoff. Der Sonntag war geprägt von weiteren Festivitäten in verschiedenen Gaststätten. Im Hotel Jägerhof an der Vinckestraße fand ein Empfang mit Frühkonzert statt, und die Bürgerhalle von Funke am Kirchplatz war Schauplatz eines großen Saalfestes. Am Montag, den 7. Juni 1909, fand im Ausstellungsbau ein Festessen statt. Ein Besuch der bedeutenden Industriebetriebe Hernes und eine Dampferfahrt auf dem Dortmund-Ems-Kanal rundeten das Programm ab.
Ausschüsse und Aussteller
Die Mitglieder der verschiedenen Ausschüsse wurden besonders erwähnt. An der Spitze stand der Ehren-Ausschuss unter Leitung des ersten Bürgermeisters, gekennzeichnet durch ein weißes Schleifchen mit Goldfransen. Die Ausstellungsleitung unter Gustav Trute trug grün-weiß-rote Schleifchen, die Preisrichter schwarz-weiß-rote. Weitere Ausschüsse waren der Festausschuss (Blau-Weiß), die Empfangs-Kommission (Rot-Weiß), die Ausschmückungs-Kommission (Schwarz-Weiß-Rot), der Presse-Ausschuss (Weiße Rosette) und der Platz- und Bau-Ausschuss.
Insgesamt gab es 241 Ausstellungsnummern, wobei die ersten 50 von Mitgliedern der Bäckerinnung Herne stammten. Der Castroper Anzeiger berichtete am 7. Juni über die Ausstellung, hob den "Backwaren-Tempel" der Innungsmeister und die "Kornburg" der Gesellen hervor. Bäcker Althoff schuf eine Nachahmung des Kriegerdenkmals vor der Kreuzkirche aus Brot, und Otto Schulte-Kortnack wurde für seine Bonbon-Arrangements gelobt. Zu den weiteren Ausstellern zählten ein Trockenmilchfabrikant aus Dorsten, die Kornbrennerei Tasche aus Steinfurt und der Backofenbau Martiny aus Gießen, sowie weitere Herner Firmen. Das Heft wurde durch einen Überblick über die Geschichte Hernes und zahlreiche Inserate ergänzt.
Besuch des Oberpräsidenten und Preisverleihung
Am 10. Juni traf der Oberpräsident von der Recke aus Norderney in Herne ein und wurde festlich empfangen. "Umgeben von 40 blühenden Bäckerstöchtern begrüßte Else Trute, die Tochter des Obermeisters den hohen Gast." Er besuchte die Ausstellung, das Gymnasium (heute Haranni-Gymnasium) und den Stadtgarten.
Die Ausstellungs-Ehrenpreise wurden am 11. Juni verliehen. Der Ehrenpreis der Stadt Herne ging an Obermeister Trute. Goldene Medaillen erhielten unter anderem Bäckermeister Stüwe, Bäckermeister Herzog, die Kollektivausstellung der Innung, der Gesellenverein und Bäckermeister Althoff. Auch die Bäckereien Düppe, Schulte-Kortnack, Köster, Schneider, Stricke und Kurth wurden ausgezeichnet.
Am Montag fand auch der eigentliche Verbandstag statt, an dem 44 von 49 Innungen sowie der Vorsitzende des Gesamtverbandes in Berlin, Obermeister Melville, teilnahmen.
Unterhaltung und Abschluss
Die Ausstellung bot zahlreiche Unterhaltungsmöglichkeiten, darunter eine moderne Kegelbahn und einen Vergnügungspark. Besonders beliebt waren das Ausstellungskaffee und die Probiermöglichkeiten, wie das "Mauerblümchen" von Julius Meimberg, das auch den Oberpräsidenten erfreute.
Trotz des Wunsches nach einer Verlängerung endete die Ausstellung am 15. Juni. Bei der Abschiedsfeier im Hotel Schlenkhoff erhielt Trute ein Ehrengeschenk der Aussteller in Form einer goldenen Uhr mit Kette und einem Besteck. Die erste und letzte große "Messe" in Herne endete damit. Das Ausstellungsgebäude wurde abgerissen, und das Gelände in den folgenden Jahren mit den heutigen Bauten und Plätzen überbaut.
Und was wurde aus Gustav Trute?
Nur ein Jahr nach der erfolgreichen Ausstellung in Herne, im Jahr 1910, inserierte Gustav Trute im General-Anzeiger für Dortmund ein Verkaufsangebot: „Verkaufe sofort wegen Wegzug meine Bäckerei- und Konditorei-Einrichtung bestehend aus vollst. Modern. Ladeneinrichtung, Backstubeneinrichtung, Pferd u. Wagen, modernes Regal f. Kolonialwaren, 3.5 Mtr. Lang, 3,5 Mtr. Hoch. Herne, Gustav Trute, Neustraße 64.“
Trute zog nach Dortmund ins damalig angesagte Nordviertel, nahe dem heutigen Blücherpark, in das heute nicht mehr existierende Haus Kesselstraße 35. Dort feierte er 1919 sein 25-jähriges Geschäftsjubiläum. Eines seiner Produkte war das "Calzium-Brot", das wohl noch heute begehrt wäre.
Er blieb jedoch nicht dauerhaft in Dortmund. Im Jahr 1930 lebte er als Invalide im Haus Schwanenwall 44, 1934 als Bäckermeister in der Hakenstraße 6. Nach 1935 übernahm er eine Pension in Bad Pyrmont, wo er am 14. April 1939 verstarb.
Der Herner Anzeiger würdigte ihn am 18. April 1939[3] mit einem kurzen Nachruf: „Vielen Herner Volksgenossen wird er von der im Jahre 1909 stattgefundenen Bäcker- und Konditoren Ausstellung, die er geleitet und die Herne in weiten Kreisen unseres Vaterlandes bekannt gemacht hat, in Erinnerung sein.“
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Einzelnachweise
- ↑ Neue Westfälische Volks-Zeitung vom 30. Oktober 1908. Online auf Zeitpunkt.nrw
- ↑ Der Verfasser dankt Frau Mira van Leewen, Leiterin des Deutschen Kochbuchmuseums in Dortmund, für die Nutzung ihres Exemplars (KoM 1987/0036).
- ↑ Herner Anzeiger vom 18. April 1939 https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/21219588
- ↑ Vgl.: Der Bote 2025-28
