Noch eine Herner Schreckenschronik von 1795 (Reiners 1935)

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Am 13. April 1935 veröffentlichte Leo Reiners im Herner Anzeiger einen weiteren Artikel seiner Forschungen, hier dann „Noch eine Herner Schreckenschronik von 1795“. [1]

Noch eine Herner Schreckenschronik von 1795

Feldbrief an einen Herner Soldaten

Zu der im H. A. v. 6. April veröffentlichten Masthoffschen „Schreckenschronik“ aus dem Jahre 1795 können wir heute noch ein Gegenstück bringen, das sich in einem schon 1645 begonnenen und bis 1868, also durch mehr als 200 Jahre, geführten großen Notizbuch vom Diedrichshofe zu Bergen befindet.

„Im Jahr 1792 entstund in franckreich zwischen König von frankzreich und die pateriotten ein zweren blutigen Krieg auf der König von Preußen suchte deswegen des Krieg wider beyzulegen und zog mit eine Arme von etliche Tausend man hin und unser König und der Römische Keiser und Heßen und Engelland Holland und Spannigen und Sieben Curfürsten fühten einen Drei Jährigen Krieg gegen die Paterjotten in franckreich. Im Jahr 1793 den 15. January ließen die Paterjotten ihren König von franckreich in Paris auf einen Saffoth den Kopf aufschlagen in Dri Jahrigen Krieg entstund sich eine große theurung hier in unser gegeng das man fast Kein lebensmittel vor kein geld mehr haben kan weilen der feind uns so sehr nahe sich unsern grentzen nähret aber im Jahr 1795 den 5. Apprill schickte uns der liebe gott den lieben frieden zwischen dem König von Preußen und die Natiallversammellung in franckreich, die Krieg darüber führen aber mit die andern setzte franckreich bis hiehin den Krieg noch immer fort.

etliche tausenden von Menschen sind von noth aus franckreich gefluchtet hier in dem Preusischen lande um ihr leben zu erretten weilen sie alle Menschen ihr leben nehmen die nicht mit ihnen stritten allwo die franzosen kamen richteten sie einen freysheitsbaum auf und stritten für ihre freiheit und gleichheit.

Im Jahr 1794 hat so mehr das gantze Jahr das Malter rogen gekostet 12 rhtl Weizen ein Malter14 rhtl gerste ein Malter 7 rthl und da es doch zu Meydag den rogen überall in vollen ähren stund den 4ten Mey fingen wir an Klawer (= Klee) vor die pferde zu füttern in demselbigen Jahr 1794 den 15 Julius hatt uns der liebe gott mit einem Hagelschlag geheimsuchet und hatt seinem von die Herner Marck ihren anfang genommen und sich über Hiltrop und gerte gezogen. gott sey gedanket dafür das uns der liebe gott noch bisher bewahret als eben am bredenfeldsholze In demselben Jahr 1794 zur zeit der einerndte Kostet das Malter rogen 12 rthlr gerste das Malter 9 rthlr haber das Malter 6 rthlr. Weitzen ein Malter 14 rthlr.
Im Neue Jahr 1795 Kostet das Malter rogen 16 rthlr Weitzen ein Malter 20 rthlr das Malter gerste 12 rihlr 1 Malter haber 8 rihlr. Den Monaths Mey Kostet Ein Malter weitzen 30 rthlr Ein Malter rogen 28 rthlr das Malter gerste 20 rthlr. Ein Malter haber 14 rthlr. Im julius Kostet das Malter weitzen 31 rihlr rogen ein Malter 30 rihlr gerste ein Malter 20 rihlr haber ein Malter 17 rthlr.
Den 26 Julius 1795
Rotger zu Bergen“

Der Verfasser dieses Berichtes, Rötger (gt. Diedrichs) zu Bergen, ist der Vater des Johann Diedrich, der die an anderer Stelle mitgeteilten „Merkwürdigen Naturereignisse" aufgezeichnet hat. Er berichtet auffallender Weise mit keinem Wort etwas von dem Wüten der Ruhrseuche im Jahre 1794, dafür ist interessant seine Begründung für den Krieg Preußens gegen das revolutionäre Frankreich (der König von Preußen wollte den „Krieg“ zwischen dem König von Frankreich und den „Patrioten“ beilegen), die Begründung für die Teuerung („weilen der feind uns so sehr nahe sich unsern Grentzen nähret") und die Nachricht von dem Aufpflanzen des Freiheitsbaumes. Wer sich für weitere Einzelheiten aus dem Krieg gegen Frankreich interessiert, sei auf Goethes Reisebericht „Kampagne in Frankreich 1792“ verwiesen.
Von dem Nachbarhof Schulte zu Bergen war in diesen wirren Zeiten auch ein Sohn unter den Waffen. Das bezeugt die uns zur Verfügung gestellte Abschrift eines Briefes vom Januar 1799. Der Wortlaut ist folgender:

Mein lieber Sohn!

Mit gerührten Herzen, habe ich Deinen mir so sehr angenehmen Brief und den schönen Neujahrswunsch gelesen, es hat gewiß sehr zu meinen Trost und Beruhigung beigetragen, daß Du mich als mein lieber jüngster Sohn mit so herrlichen Trostgründen aufzurichten suchtest denn Du kannst leicht denken, wie sehr mein Herz betrübt war über den Verlust deßjenigen, den wir alle so zärtlich liebten und schätzten, doch ich denke inzt, Er ist uns vor gegangen, wir werden Ihn dereinst folgen und Ihn wiederfinden da, wo wir alle weit glücklicher und rollkommen seyn werden, als wir hier nicht werden konnten, wenn wir wie Er gut und from gelebt, und unsere Pflichten treu und redlich erfüllt haben. Ich wünsche Dir auch lieber Sohn, ein glückliches und gesegnetes Neujahr, der allgütige Vater im Himmel schenke Dir dauerhafte Gesundheit. Er gebe Dir alles was Dich an Leib und Seel nützlich und heilsam ist: Ja! mein größter Wunsch ist mit der daß der Regierer der Schicksale, uns in diesem neu angefangenen Jahr, den längst gewünschten allgemeinen Frieden geben möge, damit ich die Freude habe, Dich wieder bei mich zu haben, und Du mit den übrigen Kindern, meine Stütze in meinen alten Tagen seyn mögest, Ja! Er wird alles machen wie es seinem großen Namen rühmlich und uns allen nützlich und seelich ist, Ihn wollen wir also vertrauen und unsere Hoffnung auf Ihn setzen. Wir haben Gottlob, dies neue Jahr in Gesundheit hier angefangen und werden es allein unter seynem Beystand fortsetzen und vollenden. Ich wünsche in Deinem nächsten Schreiben zu erfahren wie es Euch dort geht und ob was dort für eine Lebensart sey? melde mich auch ob Dir auch etwas fehlt, und was? so will ich gerne wissen, was Ihr für einen Feldwebel wieder bekommen habt? Da wir vernommen, daß der Herr Plettenberg eine andere Bedienung erhalten hat.

Deine Brüder und Schwestern, Schwager und Schwiegerin, wie auch der Prediger Westhoff und alle grüßen und sehen mit mir, mit Verlangen, der vergnügten Stunde entgegen. Dich gesund und wohl wieder zu sehen. Ich überschicke Dir auch einen Französischen Kronenthaler. Ich verbleibe Deine zärtlich liebende Mutter.

Berge d. 8ten Jannuarius

1799 Witwe Schulte zu Berge.

Dieser in einer edlen Sprache abgefasste Brief tut uns kund, dass der Schulte in Abwesenheit seines jüngsten Sohnes kurz vorher gestorben ist, dass dieser Sohn irgendwo, wo man einen französischen Kronentaler gebrauchen kann, beim Militär steht, und dass Krieg ist. Sein Hauptmann scheint ein Herr von zu sein, der seine „Bedienung", seinen gewechselt hat. Der in dem Briefe genannte Prediger Westhoff ist der jüngere Westhoff. der nach dem 1791 erfolgten Tode seines Vaters Pastor des Kirchspiels Herne geworden war. Der kurz vor der Abfassung des Brieses gestorbene Schulte zu Bergen war Georg Henrich, der am 17. Nov. 1798 das Zeitliche segnete (also erst gerade einige Wochen tot war), seine Frau, die Briefschreiberin, ist eine Anna Maria geb. Schulte zu Alstede, die 1828 starb. Den jüngsten Sohn, an den der Brief gerichtet ist, haben wir als den am 16. 3. 1780 geborenen (damals also noch nicht 19jährigen) Johann Diedrich Schulte zu Bergen festgestellt, der nach der Rückkehr aus dem Kriege im Jahre 1811 die Witwe Bergelmann (auch eine geborene Schulte=Alstede) geheiratet hat. Noch heute zeugt davon die Inschrift am Bergelmannschen Hof

DSCHI MCSCHU
LTEZB LTEZA

Diese heißt: Johann Diedrich Schulte zu Bergen Maria Catarina Schulte zu Alstede.

Was es indes mit dem „Kriege“ auf sich hatte, in dem der junge Schulte war und wo sein Regiment stand, ist schwer erfindlich. Denn damals (9. 1. 1799) bestand in Europa gar kein eigentlicher Krieg. Bonaparte hielt sich 1798 in Ägypten und Syrien auf (Schlacht bei den Pyramiden, Nelsons Seeschlacht bei Abukir), erst 1799 brachte der englische Minister Pitt die neue Koalition europäischer Staaten gegen Frankreich zustande, die zum zweiten Koalitionskriege führte. Dieser wurde aber hauptsächlich von Österreich und Russland in Italien und Süddeutschland geführt und schloss, nachdem Bonaparte schleunigst aus Ägypten zurückgekehrt war und sich zum Ersten Konsul hatte machen lassen, 1801 mit dem Frieden von Lüneville.

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Quellen

  1. https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/pagetext/21295244 Vgl. Online Quelle auf Zeitpunkt.NRW