Merkwürdige Naturereignisse vom Jahr 1857-58 (Reiners 1935)

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Am 13. April 1935 veröffentlichte Leo Reiners im Herner Anzeiger einen weiteren Artikel seiner Forschungen, hier über „Merkwürdige Naturereignisse vom Jahr 1857-58“. [1]

Merkwürdige Naturereignisse vom Jahr 1857-58

Im vorigen Jahrhundert hat Johann Diedrich Rötger gt. Diedrichs zu Bergen (geb. 1796, gest. 1862; seine Tochter heiratete 1858 den Georg Diedr. Henrich Schulte zu Bergen, wodurch der Diedrichshof in den Besitz der Schultenfamilie kam) eine noch erhaltene 1834 begonnene Kladde geführt, in die er allerlei Ausgaben und Notizen eintrug. Unter der obigen Überschrift hat er darin auch über anormale Witterungsverhältnisse berichtet, die zeigen, wie sehr jeder Bauer in all seinem Sinnen und Tun von Gunst und Ungunst des Wetters bestimmt wird. Er schreibt:

„Daß Jahr 1857 war der Winter sehr gelinde, der Raabsamen (= Rübsamen) und die Wintergerste hatten nichts gelitten. Der Raabsamen wuchs im Frühjahr mit seinen ganzen Wintermundur in die Höhe, bis das er sollte anfangen zu Blüthen, aber da trat plötzlich eine Kalter Ostwind ein bis er beinahe ausgewachsen war er Blüthete nicht länger als von einen Sammstag bis zum Anderen. Der Monath May war sehr fruchtbaar der Roggen besserte sich ungemein im May (wohl gegen Ende D. B.) fiel eine starke Dürre ein daß die Sommergerste die im May gesäet war beinahe gänzlich verdorrete, im Julius gab es wieder Regen, den Starken Roggen fiel alle zur Erde, der Weitzen gab wenig Stroh, aber die Körnerzahl sehr viel, weil es in Juni so Trocken gewesen war d. 14ten Julius fingen wir an Roggen zu Mäen, wenn es einen Tag Regnete so waren wieder drei vier Tage gutes Wetter daß wir in fünf halbe Tage 58 Fuder Roggen eingefahren und den 30ten Julius den letzten Weitzen erndte ebefalls gutes Wetter, aber doch mitunter schwere Gewitter im August die Haver und Sommergerste blieb Kurz und sehr wenig Stroh und am 22ten August haben wir unsere letzte Haber eingefahren, aber mit den 24ten August trat eine Grose Dürre ein der Klaver (d. i. Klee, wahrscheinlich ist der wilde im Gegensatz zum zahmen gemeint, die später vom Verfasser unterschieden werden. D. B.), und Klee verdorrete ganz und was in Roggen und Gerste gesäet war, wuchs gar nichts. Der September war so trocken das daß Laub an den Rüben allenthalben bei guten und schlechten ganz Roth und verdürret war, mann hofte mit jedem Tag Regen aber vergeblich, bis mann die Wintergerste Säete, da Regnete es etwas das die Gerste gut konnte aufgehen, mit dem Roggen sah es aber wieder schlechter aus, denn der in den Grosen Kluten (= Erdbrocken) gefallen war ging gar nicht auf, die Dürre hielt noch immer länger an der Ganze Octobre Monath hindurch, der Saatroggen Kostete im September 2 Reithl. (= Reichsthaler) 20 Sbg (= Silbergroschen) Brodroggen 10 Sbg weniger, im November wurde der Roggen noch wohlfeiler und die Dürre hielt noch immer länger an, die Kühe mußten sehr früh eingestallt werden nicht wegen schlechte Witterung, sondern wegen Mangel an Grünfütter alles war verdorret nur das das was gesäet war eben am wachsen blieb im December war es so schönes wetter als wenn es noch immer Sommer gewesen ware Weihnachten und Neujahr lauter Sommertage Der Roggen wurde immer Wohlfeiler
1858 der Januari noch immer sehr gelinde bis in der Mitte traten zwei Strenge Kalte Tage ein am dritten wurde es wieder ganz gelinde und die Mükken fingen an zu Tanzen, aber jetzt trat ein großer Waßermangel ein Alle Quellen und Bäche waren vertrocknet die Emscher und Ruhr hatten beinahe garkein Wasser mehr Mit dem Februari 1858 trat ein schneidender Ostwind ein einen Starken Trokkenen Ostwind bis in der Mitte Märtz da war die Wintergerste und der Raabsaamen schon verloren nun fing es Mitte Märtz etwas an zu schneien auf ebner Bahn wohl drei vier Zoll Tief dieser lag beinahe Acht Tage und ging mit einem kleinen bisgen Regen wieder ab, aber die Ruhr wurde doch Acht Tage schiffbaar durch diesen abgehenden Schnee, und das war das erste Wasser was wir seit vorigen jahr mitte August erhalten hatten, womit unser Herrgott jetz den Erdboden Tränkte, jetzt dachte mann der liebe Gott würde es jetzt wohl wieder Regnen laßen Aber mann hatte sich geirrt es gab noch einige schreckliche Märtz stürme mit Schnee aber er war gleich wieder verschwund mit dem Anfang Apprill trat die Dürre wieder ein die Erste Haver die mann Säete ging nur halb auf es blieb immer Trocken und Kalt bis in der May, die Alte Menschen sagten wenn May tag noch nichts wäre der liebe Gott ließ dann was wachsen, aber weit gefehlt die Ganze May war Trokken und Kalt bis den 30ten May war der erste Warme Taa, die Tage im Juni wurden immer Wärmer sodaß wir 14 Tage bis 3 Wochen jeden Tag 26 bis 28 Grad Hitze hatten im Schatten noch etwas vergessen in der Mitte Märtz kam des Morgens von Sieben bis 10 Uhr ein Starker Wind aus Südwesten und warf mehre Häuser um mit ein bisgen schnee gestöber Ende Apprill gab es um fünf Uhr ein Schweres Gewitter ebefalls aus Südwesten, dessen anblick im Kommen jeden Menschen in Schrecken setzte, und es bewährte sich ein entsetzlicher Sturmwind der die Häuser theihls Abdeckte uno umwarf die ganze Luft war mit Staub angefüllt und dauerte wohl halbe Stunde.

Ende Juni legte sich die Hitze, und im Julius gab es bisweilen ein sehr Kalter Trockener tag, am 12tenJulius fingen wir an Roggen zu Mäen, und am 23ten Julius fuhren wir unsern Letzten Roggen in vier halbe Tage 50 Fuder ein jedoch blieben uns noch drei Fuder liegen, am Sammstag den 24ten Julius gab es des Morgens son Starker Reggen und des mittags wieder ein Starkes schauer, dieser starke Regen der Ueberall auch in Bochum gekommen war, das beide gassenrennen sich in der mitte auf der Straße vereinigt hatten diese Grose Fluth war in den geborstenen Graben der Wiesen wegen der langen Dürre alle stekken geblieben, und noch nicht mahl an der Bulksmuhle (in Riemke) gekommen, wegen der Langen Dürre war ein Viertel Roggen stroh weniger als das vorige Jahr, jedoch die Körnerzahl ser Viel, am 25ten Julius war Jacobi, des Morgens um Acht Uhr that sich der Wind auf und wurde während den Gottesdienst immer stärker, so daß mann bange in der Kirche wurde, aber dennoch dachte mann an keine gefahr bis des Mittags um ein bis fünf Uhr war der Wind so Stark deckte die Dächer ab zerriß die Bäume in den Büschen zerbrach die Obstbäume, und schüttelte allen Obst von den Bäumen herunter, bis nichts mehr drauf war,diejenigen Pflaumen die noch auf den Bäumen geblieben, waren wurden roth, und selbst das Laub vertrocknete alle auf den Obstbäumen, und das war noch das wenigste, der Beste Weitzen der in voller reife stand, und noch nicht gemaet war, wurde weit über die hälfte ausgeschlagen, ich für meine Person konnte Mutmaßen von sieben Scheffel landes per scheffelse fünf scheffel aus geschlagen, also 35 scheffel auf dem Lande liegen geblieben per scheffel drei Reithlr der Julius war Trocken, und bisweilen Kalt gewesen, nun freuete mann sich auf den August, die erste sechs Tage waren Dunkel mann meinte was der May Juni und Julius alle verdorben hätten daß würde die August wieder ersetzen, aber mann hatte sich weit geirrt, den Ersten Schnitt Klaver schnitt mann im May und Juni ganz ab mit der Hoffnung der zweite schnitt würde besser werden, aber weit gefehlt, wurde noch schlechter, die Juni Hitze hatte alles verdorben, die Kühe musten in den ställen mit Stroh und mehl gefüttert werden es war einen Hunger unter dem Vieh desgleichen in Hundert Jahr wohl nicht mochte gewesen sein schreiber dieses schreibt dieß nieder in seinem 63ten Lebensjahr am 16ten 17—18ten August stand der Terrometer, wieder auf 27 Grad hitze im Schatten, am 19—20—21ten August fing es an zu Regnen und dauerte drei Tage mit einem Starken Nebel einen solchen Regen hatten wir in ein ganzes Jahr nicht gehabt die haver war noch wenig eingeerndtet, und die schon gemaet in den Stoppeln lag, fing alle an zu Keimen und daß Nasse wetter hielt noch immer länger an der Erdboden wurde völlig wieder getränkt, aber die Quellen und Bäche blieben noch immer Trocken im Septem. kam ein sehr Furchtbares Wetter die Wasserrüben die nicht abgefressen waren wuchsen sehr gut und wurden auch ganz dit, die Runkelruben die das Schroffe Frühjahr nicht verdorben hatte, wurden sehr gut, aber Kappus gab es fast gar nicht, hier in der Gegend war kein einziger Bauermann der etwas hatte, aus der gegend von Büderich (am Niederrhein) kamen so kleine Köpfe wie Gänsen Ei der Kostete per Hundert vier bis fünf Reithl. aus dem Holländischen kam ganzen Grosen Dikken Kaps heraus kostete per Hundert 8 bis 12 Reithl, übrigens war der September Monath sehr Fruchtbar, der Grummet in den Wiesen war weit besser, als das Sommerheu, aber die meisten Bauern musten Ihre Wiesen weiden lassen, wegen mangel an Zahmen, und Wilden Klee, das Hundert Pfd Heu kostete in den Wiesen auf den Auxionen zwei bis drei Thahler, im October freuete mann sich weil der September so Fruchtbar gewesen war, jetzt wollte mann das Vieh recht Füttern auch der October war sehr fruchtbaar, aber mann hatte sich geirrt mit den 31ten october trat plötzlich der Winter ein alles war am 31ten october des Morgens zugefroren, mann meinte Anfangs, es würde wohl vorüber gehen, aber mann hatte sich geirrt der Winter blieb stehen bis den 25ten November da gab es erst wieder etwas Regen, das laub von den Rüben, und was oberhalb der Erde stand war alles verfroren, mann meinte Anfangs, es würde ein paar tage anhalten, deshalb war mann auch mit dem auspflücken nicht so Eilig, nun war es abwechselnd Frost und wieder Thauwetter, bis Weihnachten da gab es wieder Regen, und die Ruhr wurde wieder Schiffbar Der Scheffel Roggen kostete nur zwei Reithl, und doch muste der Roggen alles ersetzen Wesselbohnen Haver Winter und Sommergerste alles war schlecht, Erbsen gar nicht auch der Roggen, muste den Weizen ersetzen der ausgeschlagen war, Nun das Jahr 1859 der Januari immer sehr gelinde milde Luft bis 27—28—29 da Regnete es aber zum Erstenmal das die Bäche wieder flossen Im anfange Februari war es sehr gelinde mit 11ten Februari fing schon die Lerge an zu singen, und es war ein ganz schönes Wetter.“

So weit die Aufzeichnungen des alten Diedrichs.

Er hat eine wirklich sorgfältige Wetterchronik aufgestellt, die trotz der fehlenden Satzzeichen und Unregelmäßigkeit der Rechtschreibung recht anschaulich zu lesen ist. Wir finden indes noch Stellen, wo er sie erweitert. So hat er mitten zwischen der Chronik versehentlich ein Blatt überschlagen, wodurch 2 Seiten leer blieben. Auf die eine hat er geschrieben:

„Weil hier ein Blatt, unbemerkt überschlagen ist so habe ich folgendes noch bemerkt im Jahre 1858 habe ich Einhundert und fünfunsähzig scheffel Roggen vom Balken verkauft und ohnedem noch von gesäet und gebakken, dabei mußte der Roggen den Mangel an Weitzen, Gerste, Haver, Bohnen alles ersetzen.“

Diese Stelle ergänzt den Schlußteil der Wetterchronik, wo Aehnliches gesagt war, und beweist, daß die Roggenernte im Jahr 1858 überaus reichhaltig gewesen ist und den Ausfall der anderen Boden- und Halmfrüchte wettmachte.

Auf der zweiten leeren Seite hat der alte Diedrichs über das Jahr 1860 berichtet. Dort steht:

„1860 d. 27—28ten May gerade auf Pfingsten, stellte sich ein so Stürmisches wetter ein mit Regen, am ersten Pfingtage dachte mann doch nicht anders als an einem Pfingstwind, aber am zweiten Pfings tage, da stellte sich ein Orcan ein, von Mittags und die ganze Nacht hindurch, die Bäume wurden aus der Erde gerißen, die Häuser abgedekt, und der Roggen stand in der Blüthe, viele Ahren hatten sich kurz geschlagen und es wurde nicht wieder gutes Weter bis den 31ten May da kam der Roggen wieder am Blüthen.“

Im selben Jahre 1860. d. 19. Januar, war übrigens auch „unsere Mutter“ (offenbar des alten Diedrichs Mutter, denn er selbst hat die Eintragung den sie ebenfalls in dem oben genannten großen von gemacht) an Altersschwäche verstorben. Sie war 90 Jahre und 7 Monate alt geworden. Zwei Jahre später ist auch der alte Diedrichs im Alter von 66 Jahren gestorben. Die Kladdee, die 1834, also vor gut 100 Jahren angefangen ist, wurde aber von seiner Witwe noch weiter benutzt. Die Eintragungen gehen bis 1866. Wir kommen auf sie bei späterer Gelegenheit zurück. Dr. L. R.


Verwandte Artikel

Quellen

  1. https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/pagetext/21295244 Vgl. Online Quelle auf Zeitpunkt.NRW