Masurenaufruf

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
Version vom 3. Januar 2018, 18:15 Uhr von Thorsten Schmidt (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Button-Migration.png
Zurück zur Themenübersicht

Mit der Industrialisierung und dem rasanten Wachstum von Bergbau und eisenverarbeitender Industrie wurden Arbeitskräfte benötigt, die man mit teilweise übertriebenen Versprechungen von außerhalb anwarb. Ein Beispiel hierfür ist der sogenannte Masurenaufruf. In vielen Wirtschaften dieses Gebietes wurde ein entsprechendes Werbeplakat für masurische Arbeitskräfte ausgehängt.

Werbe-Aufruf an die Masuren

"Masuren!
In rein ländlicher Gegend, umgeben von Feldern, Wiesen und Wäldern, den Vorbedingungen guter Luft, liegt ganz wie ein masurisches Dorf, abseits vom großen Getriebe, eine reizende, ganz neuerbaute Kolonie des westfälischen Industriegebietes. Diese Kolonie besteht vorläufig aus über 40 Häusern und wird später auf etwa 65 Häuser erweitert werden. In jedem Haus sind nur 4 Wohnungen, 2 unten, 2 oben. In jede Wohnung gehören etwa 3 bis 4 Zimmer. Die Decken sind 3 m hoch, die Länge bzw. die Breite des Fußbodens beträgt über 3 m. Jedes Zimmer, sowohl oben als auch unten, ist also schön groß, hoch und luftig, wie man sie in den Städten des Industriebezirks kaum findet.

Zu jeder Wohnung gehört ein sehr guter und trockener Keller, so daß sich die eingelagerten Früchte, Kartoffeln usw. dort sehr gut halten werden.

Ferner gehört dazu ein geräumiger Stall, wo sich jeder sein Schwein, seine Ziege oder seine Hühner halten kann. So braucht der Arbeiter nicht das Pfund Fleisch oder seinen Liter Milch zu kaufen. Endlich gehört zu jeder Wohnung auch ein Garten von etwa 23 bis 24 Quadratruten. So kann sich jeder sein Gemüse, sein Kumpst und seine Kartoffeln, die er für den Sommer braucht, selbst ziehen. Wer noch mehr Land braucht, kann es in der Nähe von Bauern billig pachten. Außerdem liefert die Zeche für den Winter Kartoffeln zu niedrigen Preisen. Dabei beträgt die Miete für ein Zimmer (mit Stall und Garten) nur 4 Mark monatlich, für die westfälischen Verhältnisse ein sehr niedriger Preis. Außerdem vergütet die Zeche für jeden Kostgänger monatlich eine Mark. Da in einem Zimmer 4 Kostgänger gehalten werden können, wird die Miete also in jedem Monat um 4 Mark billiger, ganz abgesehen davon, was die Familie an den Kostgängern selbst verdient. Die ganze Kolonie ist von schönen, breiten Straßen durchzogen, Wasserleitung und Kanalisation sind vorhanden. Abends werden die Straßen elektrisch beleuchtet. Vor jedem zweiten Haus liegt auch ein Vorgärtchen, in dem man Blumen und auch Gemüse ziehen kann. Wer es am schönsten hat, bekommt eine Prämie.

In der Kolonie wird sich in nächster Zeit auch ein Konsum befinden, wo allerlei Kaufmannsware, wie Salz, Kaffee, Heringe usw. zu einem sehr niedrigen Preise von der Zeche geliefert wird; auch wird dort ein Fleischkonsum errichtet werden. Für größere Einkäufe liegen Castrop, Herne, Dortmund ganz in der Nähe. Ledige Leute, die nicht in Privatkost gehen wollen, können in einer Menage zu sehr niedrigen Preisen wohnen und essen. Den Ankommenden wird in der ersten Zeit ein Barvorschuß, je nach Bedarf bis zu 50 Mark, gegeben.

Für Kinder sind dort Schulen gebaut worden, so daß sie nicht zu weit laufen brauchen, auch die Arbeiter haben bis zur Arbeitsstätte höchstens 10 Minuten zu gehen. Bis zur nächsten Bahnstation bracht man etwa 1/2 Stunde.

Wer sparsam ist, kann noch Geld auf die Sparkasse bringen. Es haben in Westfalen viele Ostpreußen mehrere tausend Mark gespart. Masuren, es kommt der Zeche vor allem darauf an, ordentliche Familien in diese ganz neue Kolonie hineinzubekommen. Ja, wenn es möglich ist, soll diese Kolonie nur mit masurischen Familien besetzt werden. So bleiben die Masuren unter sich und haben mit Polen, Westpreußen usw. nichts zu tun.

Jeder kann denken, daß er in seiner östlichen Heimat wäre. Es gibt Masuren, die bei der Zeche schon lange tätig sind und sich bei der anständigen Behandlung wohl fühlen. Als Beweis wird in Masuren bald ein solcher Arbeiter als Zeuge erscheinen.

Jede Familie erhält vollständig freien Umzug, ebenso jeder Ledige freie Fahrt. Sobald eine genügende Zahl vorhanden ist, wird ein Beamter der Zeche sie abholen. Die Zeche verlangt für den freien Umzug keine Bindung, eine bestimmte Zeit dort zu bleiben, wie andere Zechen. Wem es nicht gefällt, kann von dort aus weiterziehen. Die Verwaltung der Zeche hofft aber, daß es den masurischen Familien so gut gefallen wird, daß sie ans Weiterziehen gar nicht denken werden, wenn erst die Briefe der Zugekommenen angekommen sind. Überlege sich also ein jeder die ernste Sache reiflich! Die Zeche will keinen aus der Heimat weglocken, auch keinen seinen jetztigen Verhältnissen entreißen, sie will nur solche ordentliche Menschen, die in der Heimat keine Arbeit oder nur ganz geringen Verdienst haben, helfen, mehr zu verdienen und noch extra zu sparen, damit sie im Alter nicht zu hungern brauchen. Vorgetäuscht wird durch dieses Plakat nichts; es beruht alles auf der Wahrheit.

Wer sich die Angelegenheit reiflich überlegt hat, sage dies seinem Wirt, bei dem das Plakat aushängt. Dieser schreibt dann an Herrn Wilhelm Royek in Harpen bei Bochum. Es werden dann in kurzer Zeit zwei Herren erscheinen, die das Nähere bekanntgeben werden. Jeder besorge sich gleich seine Papiere, Arbeitsbuch und Geburtsschein (Militärbuch genügt nicht). Diese Papiere werden von den beiden Herren gleich mitgenommen. Später kommt dann ein Beamter der Zeche, um die sich Meldenden abzuholen, da die Wohnungen erst Ende September bezogen werden können."

Verwandte Artikel

Quellen

Zitiert nach Josef Reding, Karl-Heinz Kirchhoff, Heinrich Husmann, Links der Lippe, Rechts der Ruhr, Gelsenkirchen 1969, S. 142 ff.