Wohnsituation von Migranten
In der Hochphase der Industrialisierung errichteten die Bergwerksgesellschaften zahlreiche Häuser und Siedlungen, um den Wohnungsmangel für die stetig wachsende Bevölkerung zu lindern.
Susanne Peters-Schildgen
Noch heute prägen Bergarbeiterkolonien das Siedlungsbild der meisten Ruhrgebietsstädte. Die Anwerbepolitik der Unternehmer, die ihre Arbeitskräfte möglichst aus begrenzten Ausgangsräumen rekrutierten, förderte die gruppenweise Ansiedlung von Zuwanderern. So entstanden um die Jahrhundertwende im Raum Herne nahezu ausschließlich von Polen, Masuren, Österreichern und anderen Migrantengruppen bewohnte Kolonien, wie die ehemalige Ludwigstraße („ulica Ludwika") in Herne-Horsthausen, die Wilhelm- und Karlstraße in Wanne oder die Westfalenstraße in Röhlinghausen. Der westliche Teil der heutigen Plutostraße in Röhlinghausen wurde wegen des hohen Anteils der polnischen Wohnbevölkerung "polnischer Querschlag" genannt. Die auf der Zeche "Königsgrube" beschäftigten österreichischen Bergleute wohnten in der ehemaligen Danielstraße (heute Hasenhorst), die im Volksmund "Österreicher-Kolonie" hieß.
Herausgerissen aus der ländlich-dörflichen Gemeinschaft und in völlig neue Lebenszusammenhänge gestellt, wichen Euphorie und Aufbruchstimmung der Zuwanderer vielfach der Enttäuschung und dem Gefühl der Entwurzelung. Die von den Zechenagenten beschriebenen Wohn- und Arbeitsverhältnisse, wie etwa in dem Masurenaufruf, entsprachen nicht immer der Realität. Vielmehr bot sich den Erwerbsauswanderern das Bild überstürzt industrialisierter Gemeinden ohne ausreichende Infrastruktur und kulturelle Einrichtungen. Dennoch waren die Zechenwohnungen wegen der im Vergleich zum privaten Arbeiterwohnungsbau niedrigeren Mieten und der größeren Wohnfläche bei den Bergarbeiterfamilien begehrt. Die landwirtschaftliche Nutzung des kleinen Hausgartens, die Möglichkeit der Tierhaltung in dem zu jeder Wohnung gehörenden Stall und die Aufnahme eines Kostgängers trugen erheblich zur Entlastung der monatlichen Ausgaben bei.
Zu Beginn der Gastarbeiterbeschäftigung überwog als Wohnform die Gemeinschaftsunterkunft in Wohnheimen. Das "Gastarbeiterlager" der Zeche "Unser Fritz" befand sich an der Dorstener Straße in Crange. Die bei der Firma Heitkamp beschäftigten ausländischen Arbeitskräfte waren zuerst in einem Barackenlager an der ehemaligen Landwehrstraße (jetzt Altcrange) untergebracht. Jeweils sechs Personen lebten dort in einem nur 15 qm großen Raum. Pro Person verlangte der Arbeitgeber 30,00 DM Miete im Monat. Ab 1968 stand den ausländischen Heitkamp-Mitarbeitern das Barbara-Heim an der Ackerstraße als Unterkunft zur Verfügung. Das Barbara-Heim wurde 2016 als zentrale Flüchtlingsunterkunft umgewidmet[1].
Mit dem Anfang der 1970er Jahre einsetzenden Familiennachzug verlor die "Gastarbeiterunterbringung" in Gemeinschaftswohnheimen an Bedeutung. Bei der Wohnungssuche auf dem freien Wohnungsmarkt gegenüber deutschen Bewerbern erheblich benachteiligt, griffen ausländische Familien bevorzugt auf die preiswerten, aber zumeist veralteten und beengten Zechenwohnungen in den traditionellen Bergarbeitervierteln zurück. Kleingärten und Hinterhöfe boten den vornehmlich aus ländlichen Gebieten stammenden Zuwanderern die Möglichkeit zum Obst- und Gemüseanbau. Aufgrund von Berührungsängsten und Vorurteilen gegenüber den ausländischen Nachbarn und wegen der gestiegenen Ansprüche als Zeichen des Wohlstandes zogen deutsche Bewohner aus diesen Siedlungen fort. So entstanden Stadtviertel mit einem besonders hohen Ausländeranteil, die auch heute das Straßenbild in Herne-Horsthausen, Sodingen, Crange und im Stadtteil "Unser Fritz" prägen.
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