Die Stadt der 1000 Züge: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 15. April 2019, 17:30 Uhr
Nach Wanne-Eickel kam die Eisenbahn eher durch einen Zufall. Oder genauer: weil die Betreiber der Cöln-Mindener-Eisenbahngesellschaft knauserig waren.
Das Ende der Salzstrecke
Ein Paradebeispiel für die Politik der Bahn war die Stilllegung der „Salzstrecke“ über Röhlinghausen nach Bochum. Einst eine wichtige Nord-Süd-Verbindung, wurde ihr Verkehr nach dem Zweiten Weltkrieg mutwillig ausgedünnt und auf die Strecke über Riemke nach Herne und Recklinghausen verlagert. Wer nach Wanne-Eickel wollte, musste eben umsteigen.
Angeblich konnte ein Personenzugverkehr über Röhlinghausen wegen des schlechten Schwellenmaterials nicht mehr zugelassen werden. Die Strecke besäße keine teer-, sondern salzgetränkte Schwellen, die das Ende ihrer Lebensdauer erreicht hätten. Kurioserweise bestand die Herner Strecke teilweise ebenfalls aus Salzschwellen.
Da das Fahrgastaufkommen durch die Ausdünnung des Fahrplans drastisch gesunken war, beantragte die Bahn 1954 die Stilllegung wegen Unwirtschaftlichkeit. Als sie diese Genehmigung nicht bekam, setzte sie ab 1956 pro forma täglich nur noch einen einzigen Zug ein. 1959 erreichte sie ihr Ziel: Die Salzstrecke war Geschichte.
Die längsten Bahnsteige – der größte Güterbahnhof
Als sie ihre Pionierstrecke planten, überhörten sie das Buhlen von Städten wie Essen oder Bochum, die gerne einen schönen Bahnhof gehabt hätten. Stattdessen wählten die Eisenbahner die billigere Streckenführung durch das dünn besiedelte Emschertal. Und so ratterte 1847 zwischen Bickern, Röhlinghausen und Eickel eine Eisenbahn durchs Bauernland.
Für ein wenig Interesse und Aufregung hatte sie nur kurz zuvor gesorgt, als beim Bau der Strecke Arbeitskräfte vor Ort benötigt wurden. Manch Tagelöhner verdiente sich dabei einige wenige Taler – und konnte nach Fertigstellung zusehen, wie das Wunderwerk der Technik ohne anzuhalten an ihm vorbeifuhr. Für einen eigenen Bahnhof war das Land nun wirklich zu dünn besiedelt.
Als ein paar Jahre später die ersten Zechen kamen, brauchten die zum Abtransport der Kohle einen kleinen Bahnanschluss. 1856 entstand an der heutigen Ulmenstraße der Güterbahnhof Pluto-Thies. Acht Jahre später durften an diesem Haltepunkt dann auch Personen ein- und aussteigen.
Zur ernst zu nehmenden Eisenbahnstation wurde das Ganze aber erst 1872, nachdem eine Strecke von Wanne über Gelsenkirchen nach Wattenscheid und eine weitere von Wanne nach Münster gebaut waren. Der Bahnhof in der Wanne war plötzlich ein Knotenpunkt und wurde zum Namensgeber der zügig wachsenden Gemeinde – aber das hatten wir ja schon in einem anderen Kapitel.
Kaum stand der Bahnhof, kam die Emschertalbahn hinzu, die nach Oberhausen im Westen und über Herne und Castrop bis nach Dortmund im Osten führte. Selbstverständlich über Wanne. Wer vom Rheinland oder aus dem Ruhrgebiet nach Berlin wollte, musste über Wanne reisen, und im Jahr 1884 bekam Wanne einen internationalen Anschluss. Zwar nur nach Winterswijk – aber immerhin. Und um den Nahverkehr nicht zu vergessen: Nach Süden ging es über Röhlinghausen und Hordel ebenso flott wie auf der Strecke über Riemke nach Bochum.
Wanne war plötzlich ein Big Player im Eisenbahngeschäft, die Wirtschaft florierte und 2.000 Arbeitsplätze zur Jahrhundertwende waren ein schönes Pfund. Die noch nicht einmal 15 Jahre zuvor feierlich eröffnete Personen- und Güterstation platzte aus allen Nähten, vergrößern, an- oder ausbauen ging nicht mehr. Etwas Neues, viel Größeres musste her. Vor allem musste der Personen- vom Güterverkehr getrennt werden. Schon 1885 war mit dem Bau des Verschiebebahnhofes begonnen worden, dem eigentlichen Knoten Wanne.
Etliche Eisenbahnstränge mit reichlich Dampfverkehr durchschnitten das Stadtgebiet, die Bahnübergänge erlaubten kaum noch ein Durchkommen von Wanne nach Eickel. Unterführungen und Brücken mussten her – und als die fertig waren und der neue Güterbahnhof stand, machte man sich 1909 an den Bau eines neuen Personenbahnhofes weitab der alten Station. 1913 wurde das Paradestück in Betrieb genommen. Und da es bereits drei weitere Bahnhöfe gab, nämlich Unser Fritz, Röhlinghausen und Hordel-Eickel, wurde der neue bald zum Hauptbahnhof befördert.
Eitel Freude Sonnenschein – hätte es nicht Bochum oder Essen gegeben, durch deren Innenstädte die wesentlich unbedeutendere bergisch-märkische Eisenbahnlinie führte. Was den Essener Stahlbaron Friedrich Krupp, immerhin einer der einflussreichsten Männer Deutschlands, am meisten wurmte, war die Tatsache, dass die Köln-Mindener Linie ihren Bahnhof in Altenessen hatte. Welch Skandal: ausgerechnet in Altenessen, dem hässlichen Proloviertel, und nicht bei Friedrich vor der Haustür.
Wie groß der Einfluss von Krupp und Konsorten war, bekam der Hauptbahnhof Wanne-Eickel deutlich zu spüren. Zunächst wurde in Essen eine Eisenbahndirektion eingerichtet, die dann auch immer mehr Züge von der Köln-Mindener abzog und auf die Bergisch-Märkische setzte. Die Wanne-Eickeler schrieben sich die Finger wund, protestierten, wurden vorstellig und wurden ein ums andere Mal auf Magerkost gesetzt. Die Paradezüge fuhren über Essen und Bochum – und Wanne-Eickel bekam das Kleinvieh. Das macht aber bekanntlich auch Mist und Wanne-Eickel machte das Beste daraus. Während der Kriege waren beide Strecken sowieso gleichmäßig ausgelastet – und in den besten Friedensjahren schafften es die Wanne-Eickeler, mehr als 400 Personenzüge pro Tag abzufertigen.
Als der Bahnhof nach dem Zweiten Weltkrieg seinen vollen Betrieb wieder aufgenommen hatte, strotzte er vor Superlativen. Er vereinigte als einziger im Bundesgebiet alle Hauptbetriebsarten: Personenbahnhof, Verschiebebahnhof, Güterumschlagplatz Schiene-Straße und Heimatbahnhof für über 100 Lokomotiven und mehr als 200 Waggons. Auf der größten Stückgut-Umladestelle Deutschlands konnten 352 Güterwagen gleichzeitig zum Be- und Entladen an den 2.100 Meter langen Ladekanten angestellt werden. Die gesamte Anlage war vier Kilometer lang und bestand aus 120 Kilometern Gleisen, an der breitesten Stelle führten 70 Spuren neben einander her. Und in einer offiziellen Broschüre aus den 1960er Jahren be- zeichnete sich Wanne-Eickel stolz als die Stadt mit den längsten Bahnsteigen Deutschlands.
Doch die Anliegerstädte der bergisch-märkischen Linie waren einfach stärker. Immer mehr Zugverkehr wurde auf die südliche Strecke verlagert. 1950 begann dort die Elektrifizierung – und erst als in Essen und Bochum bereits alle wichtigen Züge elektrisch fuhren, wurde in den 1960er Jahren auch Wanne-Eickel langsam umgerüstet. Nord-Süd-Verbindungen wurden wegen angeblicher Unwirtschaftlichkeit eingestellt (siehe die Salzstrecke) oder über Herne geführt, obwohl im dortigen Bahnhof vor einer Weiterfahrt immer die Lok umgekoppelt werden musste. Die Zechen- und viele Industrieanbindungen wurden stillgelegt.
Der einzige Trumpf, den man Wanne-Eickel nicht nehmen konnte, waren die umfangreichen Anlagen für einen Rangier- und Lokomotivwechseldienst. Nirgendwo im näheren Umkreis gab und gibt es etwas Vergleichbares. Und das alles noch auf der Basis des Bahnhofsumbaus von vor 100 Jahren. Vielleicht hat die damalige Weitsicht den Hauptbahnhof Wanne-Eickel ja davor bewahrt, in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen.
Der Text wurde für das Wiki redaktionell bearbeitet. Er stammt aus dem Jahr 2002
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Quellen
Die Stadt der 1000 Züge