Das Bauernhaus und sein Hausrat (Hartmann 1921) Einrichtung
Einrichtungsgegenstände
Uns heutigen gegenüber waren die Menschen der Zeit, von der hier die Rede ist, etwa des 18. Jahrhunderts, garnicht so anspruchslos. Ihr häusliches Leben, ihre Einrichtungsgegenstände und ihre Geräte können daher auch uns noch zur Anregung und Vorbild dienen, namentlich ihr Hausrat, der in seiner Formensprache Zeugnis ablegt von der gestaltenden Kraft einer alten, eigenartigen, in ihren Ursprung bald auf städtische, bald auf ländliche Einflüsse hinweisenden Volks- und Heimatkunstbettätigung.
Eine besonders starke Einwirkung auf die Schmuckgestaltung des bäuerlichen Hausrates unserer Gegend ging von den Klöstern und Schlössern aus. Man findet die verschiedensten Stilformen vertreten, die der ländliche Handwerker in mehr oder minder naiver, derber Weise übertragen hat. Den Stilwandlungen folgte man keineswegs pedantisch. Hatte man die eine oder andere Ausdrucksform erst einmal erprobt, so behielt man diese nicht selten längere Zeit bei und mischte sie ohne Bedenken mit neuen Motiven oder verquickte sie mit irgendwelchen anderen Stilformen.
Wie die Abbildungen BL. LIX–XCII zeigen, waren die Zierformen mancher heimischen Erzeugnisse auch in Gegenden anzutreffen, die weit ausserhalb unseres Bezirkes liegen. Diese Formenübertragung verdanken wir dem Wandertrieb der Handwerker jener Zeit. Wie der Steinhauer, so zogen auch Schreiner und Schmied, wenn sie ihre Lehrzeit beendet hatten, auf die "Walze". Dieses Wandern war bis zum Eintritt der Gewerbefreiheit Handwerkerpflicht. So kam einheitliches Verfahren, örtliche Ueberlieferungen und werkliche Zusammenhänge zustande. Ohne zu übertreiben, kann man sagen, dass die Handwerker der Zeit unserer Altvordern bis zu einem gewissen Grade schöpferische Künstler waren, die ihren Beruf ausübten in naiver Ehrfurcht vor den Meisterwerken, die sie in langen Wanderjahren kennen gelernt hatten.
Rühmend von der vollendeten Handfertigkeit der damaligen Zeit zeugen die in den Bl. LXX, LXXIII, LXXM, LXXV dargestellten Schränke. Solche, mit verglastem Sprossenwerk verzierte Prunkschränke waren einst fast in jedem unserer Bauernhäuser anzutreffen. In ihnen wurden die Kostbarkeiten des Hauses, Zinn- und Porzellansachen, zur Schau ausgestellt. Manch' schöne Zierformen, besonders Intarsien, wurden durch häufiges Ueberstreichen verdorben, so bei dem in Abb. LXXXII dargestellten Möbelstück. Die äussere Formgebung ließ vermuten, daß hier eingelegter Zierrat unter dem Deckanstrich schlummerte.
Mit Erlaubnis des freundlichen Hausbesitzers ließ ich die Sichtflächen des Schrankes abbeizen, und dabei schälten sich reiche Intarsien von streng geometrischen Mustern aus der Deckschicht heraus. Feine Arbeit zeigen auch die in Abb. LXXXVII, LXXXIX/1, LXXXVIII dargestellten Uhren und weiterhin die in den Abb. Bl. LIX/1, LXXXVI/1, LXXXIX/2 u. XCI wiedergegebenen Truhen.
Noch einiges zu dem für uns hier in Betracht kommenden Hausrat.
Zunächst die Prunkstücke! da gibt es:
I. Kleider- und Wäscheschränke, sowie II. Küchen- und Glasschränke.
Die Schränke unter I sind 2- oder 3-türig und mit ornamentierten Rahmhölzern und reich profilierten, verzierten, geschnitzten Füllungen ausgestattet. Das Ornament besteht teils aus schuppen-bandartigen Verzierungen, wie Blatt LIX Abb. 2 das zeigt, teils aus naturalistischen oder auch im Stil der Renaissance, des Barock oder des Empire erfassten Motiven. Nicht selten decken sich auch zwei, zudem von lokalen Stilwandlungen beeinflusste Stilrichtungen.
Die Füllungen zeigen die verschiedensten geometrischen Figuren, bis zu den bewegten Formen des späten Barock an dem Prunkschrank auf Blatt LXIV. Das obere breite Abschlussgesims kommt horizontal und in geschwungener Linienführung vor, bei meist kräftiger Ausladung. Das untere Abschlussprofil ist schwächer gehalten. Es ruht auf hohen gedrehten Füßen oder auf untergeschobenen Holmen mit profilierten[1], oder geschnitztem Kopf[2]
Eigenartig ist das Motiv – ein geschnitzter Schuh – bei dem in eingelegter Arbeit ausgeführten, aus dem Jahre 1807 stammenden Schrank Blatt LXXX. In den Winkeln zwischen unterem Abschlussprofil und den Schrankstützen finden sich zuweilen züngelnde Drachen, die den Schutz des Hausfriedens symbolisieren. Sie sind in primitiver Weise mit ausgestochenen Schuppen nach Art der Kerbschnitzerei geschmückt: Das zeigen Blatt LIX Abb. 2 und die Truhe auf Blatt LXXXIII Abb. 1.
Der Schrank auf Blatt LXI Abb. 1 zeigt alles das noch deutlicher. Hier gibt es unverkennbare Anklänge an Formenelemente des Barock oder auch des Rococo, die sich unter der Hand des Schnitzers entsprechend seiner Auffassung und seinem Können wandelten. Das Ornament ist meist flach geschnitzt. Auf starke Schattenwirkung hinarbeitende Unterschneidungen sind vermieden. Der Schrank ist in Rahmen und Füllungen aufgelöst und an bevorzugten Punkten mit breiten, lappigen Ornamenten versehen.
Die Schränke Blatt LXIII, LXV, LXV usw. zeigen die Brechung der Ecken um 45°, die bei den Küchen- und Glasschränken fast die Regel bildet. Der Schrank auf Blatt LXV zeigt im Geschmack der Renaissance erfasste Pilaster mit kelchförmigen Kapitellen, bewegte Türfüllungen von barockem Einschlag und vom Rococo beeinflusste Ornamente. Der Schrank auf Blatt LXV verrät deutliche Spuren des Rococo durch die aufgelösten und unterbrochenen Füllungsprofile, die Form der Gesimse und die muschelförmigen sowie blumenreichen Motive des Ornaments.
Die Schränke auf Blatt LXVI und LXVII zeigen strengeren Aufbau. In ihnen sind Formen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts vorherrschend. Die Schränke sind mit unteren Schubladen versehen. Blatt LXVIII zeigt einen hübschen Küchenschrank mit aufgesetztem Regal und angenehmen Linien.
Die Schränke unter II, die Küchen- und Glasschränke, bestehen fast ausnahmslos aus dem unteren Geschränk auf gedrehten Füßen oder verzierten Holmen und einem Aufsatz mit Glasfüllungen in Sprossenteilungen. Das Bindeglied zwischen Unter- und Aufbau bilden meist 2 Schubladen. Auch hier ist ein großer Formenreichtum zu bemerken. Akanthus in den mannigfachsten Stilvariationen wechselt mit geometrischen Motiven ab. Vielfach weisen die Profile Perlstäbe auf. Die Füllungen sind wie bei den Prunkstücken auf Blatt LXXIII u. LXXV mit reichem Ornament oder Kerbschnitzerei versehen. Auf dem massigen Unterbau erhebt sich der leichte Aufsatz. Die Sprossen sind geradlinig oder im barocken Sinne geschweift und mit Blattenden verziert, die Bekrönungen meist stark geschweift, verkräpft, reich ornamentiert und mit Schlussstücken nach Art der Schlußsteine versehen.
Die Schränke auf Blatt LXXVII, LXXVIII & LXXXI weisen die für die Mitte des 18. Jahrhunderts charakteristische, vielfache Verwendung des Lorbeers und der Bandgehänge auf. Blatt LXXX und LXXXII zeigen die Belebung der Flächen durch eingelegte farbige Holzsorten.
Die Truhe, als Hausratstück erheblich älter als der Schrank, ist in ihren Anschlussflächen diesem ähnlich gestaltet. Sie ist in Rahmen und Füllungen gearbeitet und mit gewölbtem oder mit glattem Deckel als Sitztrühe ausgebildet. Vielfach schmücken die Truhen Monogramme wie die auf Blatt LXXXV, oder Jahresbezeichnungen und Inschriften. Reicher Beschlag, wie Eckbänder, Griffe, Schlüsselbleche und Langbänder vervollständigen die Ausstattung. Die Truhe aus dem Besitz Krahnenberg - Sodingen BL. LXXXIII - zeigt 2 geschnitzte Vögel auf einem Ölzweig sitzend, was wie die sich krümmenden Drachen symbolische Bedeutung hat. Die Truhe aus dem Besitz des Landwirts Hoffmann-Börnig[3] hat sarkophagähnlichen Aufbau, der in seiner schmucklosen starren Symmetrie doch von guter Wirkung ist.
Da hätten wir ferner Kastenuhren mit Wendungen im Geschmack des Barock bis zum Empire. Ihr Aufbau ist fast stets derselbe. Auf niedrigem Sockel erhebt sich Der längliche Pendelkasten mit einflügeliger Tür. Die Bekrönung bildet das Uhrgehäuse, welches vielfach von Säulchen oder Pilastern flankiert wird.[4]
Blatt XC zeigt eine Sitzbank mit Rückwand und Umbau. Die einzelnen Teile sind zusammengesetzt. Sie gehören verschiedenen Stilepochen an, z.B. kennzeichnen die Bank, die Säulen und die Füllungen mit den Wappenschildern den Geist deutscher Renaissance, während das Mittelstück der Rückwand barock anmutet und die seitlichen Füllungen schlechte Zutaten sind. Blatt XCI/2 zeigt eine ins Barock einschlagende Sitzbank mit Rückwand.
Manche Möbelstücke sind in neuerer Zeit umgemodelt worden, wobei sie an ursprünglichem Reiz einbüßten. Solche Umformungen sind heute ja an der Tagesordnung, wie ich häufig feststellen konnte. Dieser Sitte verdankt auch die auf Blatt XC niedergegebene Sitztrube ihr Entstehen. Unschwer erkennt man hier die neuzeitlichen Zutaten.
Die Möbel sind allesamt aus Eichenholz gefertigt. Die Profilierungen und Verzierungen sind durchweg aus dem vollen Stück gearbeitet. Als Befestigungsmittel dienten vielfach Eichenholznägel, die bekanntlich eine längere Lebensdauer als Eisennägel besitzen.
Älkovenartige Bettnischen, wie sie in anderen Gegenden Vestfalens anzutreffen sind, fehlen bei uns. Statt ihrer hatte man in früheren Zeiten vielfach freistehende Betten, geschmückt mit einem von 4 Pfosten getragenen Aufbau, dem sogenannten "Himmel", dessen Hauptzweck darin bestand, den durch den undichten Bohlenbelag der über ihm befindlichen Balkendecke herabrieselnden Staub abzufangen. Doch nur wenige dieser Bettstätten sind noch im Gebrauch; die meisten verfielen dem Trödler. Unter den vor mir ausfindig gemachten ist das auf Blatt XCII wiedergegebene das besterhaltene. Es ist ein Himmelbett im Stil der deutschen Renaissance.
Zusammensetzbare Tische, wie sie Blatt LVIII/1 wiedergibt, und altertümliche Stühle kommen nur noch vereinzelt vor. Das Gleiche gilt von den Erzeugnissen der Kleinkunst, wie dem in Abb. 2 Blatt LVI dargestellten "Haolhaken", der in feiner Schmiedearbeit eingeritzte Blumenornamente zeigt, und weiterhin dem durch Blatt LV/3 niedergegebenen eisengeschmiedeten Feuerbock. Den "Trankrüsel" fand ich nur noch in wenigen Häusern. Er hatte seinen Platz stets in der Scherwand über der Verbindungstür[5] und beleuchtete so gleichzeitig Küche und Decke.
Die Polychromie[6] war bei uns nicht heimisch. Nur einmal fand ich sie wirkungsvoll angewandt, nämlich bei der in Abb. 2 LXXXIX dargestellten Truhe, deren Metallbeschlag mit rotem Tuch ausgelegt war, das sich wie englisches Leder anfühlte. In die Wand eingebaute Möbel begegneten mir nur in wenigen Fällen.[7]
Das bäuerliche Kunstgewerbe geriet bei uns in einen mehr und mehr auf Nützlichkeit eingestellten Alltag und Verfall. Spekulantentum und berechnender Kaufmannsgeist machen ihm vollends den Garaus. Zahllose Nippes, die Erzeugnisse der "Neurenaissance" und des "Jugendstils" verdrängten die urwüchsige bäuerliche Kunst. Vielleicht führt die Not unserer Tage, soweit sie uns eine sinnlose Verschwendung von Werten und Kräften unmöglich macht und damit auch zu künstlerischer Einfachheit und Formenstrenge erzieht, zu ihr zurück.
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