Das Bauernhaus und sein Hausrat (Hartmann 1921) Moderne vers. Fachwerk

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
Bauernhaus und sein Hausrat (Hartmann 1921)
Seite 112 - 117

Die moderne Industrie und ihre Einwirkung auf das sächsische Haus.

Zweifellos würde das sächsische Haus infolge seiner urkräftigen und stabilen Bauweise den Stürmen noch vieler Jahrhunderte trotzen, wenn seine Existenz nicht bedroht würde durch die fortschrittliche, moderne Bauweise und das Anwachsen und die Ausbreitung der rastlos sich weiter entwickelnden Industrie.

Der Mangel an Bauholz, zumal an Eichenhölzern, die den Sachsenhäusern Kern und Dauer gaben, zwingt heute den Landwirt, bei einem Neubau an die Stelle der sich so malerisch dem Landschaftsbilde anpassenden Holz-Lehm-Fachwerkgebäude[1] den Massivbau treten zu lassen.

In ungleich höherem Maße vernichtet die industrielle Entwicklung das sächsische Haus. Abgesehen davon, dass die Großindustrie bereits zahlreiche Gehöfte aufkaufte und für ihre Betriebe umbaute, in Arbeiterwohnungen verwandelte oder gewerbliche Neubauten an ihre Stelle setzte, rüttelt sie auch an den letzten noch erhaltenen Sachsenhäusern, insbesondere dort, wo der Bergbau mit seinen umfangreichen Anlagen eingezogen ist.

Der Wandel der Zeit hatte zur Folge, dass namentlich im rheinisch-westfälischen Kohlenbezirk sich Siedlungen entwickelten, da die Bergwerksbesitzer gezwungen waren, für ihre Werkangehörigen ausreichende und gesunde Wohnungen zu schaffen. Auch öffnete der Fortschritt der Industrie der Spekulationslust Tür und Tor. So entstanden an Orten, an denen sich industrielle Werke auftaten oder Zechen gebaut wurden, in kurzer Zeit größere Gemeinwesen.

Unbedeutende Plätze haben sich in wenigen Jahrzehnten in blühende Städte verwandelt, so Gelsenkirchen, Schalke, Bottrop, Herne u.a. Denken wir ferner an die umfangreichen Ansiedlungen neben den Zechen Baldur in Hervest-Dorsten, Radbod in Hamm, Auguste-Viktoria und Brassert in Sinsen-Marl. Auch die Riemker-Gegend hatte bis zur Errichtung des Schachtes VII der Zeche Konstantin ihren rein ländlichen Charakter gewahrt. Heute ist sie weit ausgebaut und bildet einen geschlossenen Ortsteil für sich.

Die natürliche Folge dieser Industrialisierung ist die allmähliche Vernichtung des ehemals arrondierten, von den Altvordern übernommenen Grundbesitzes. Das eichenumsäumte Bauernhaus wurde mit der Zeit von Straßenzügen, Eisenbahnen, Kanälen und anderen Verkehrsbändern eingeschnürt, und seine Existenz mehr und mehr in Frage gestellt. Nur der staatlich bestellte Konservator wird am Ende dem alten Zeugen blühender ländlicher Verhältnisse das weitere Leben zu fristen vermögen.

Auch die durch den Bergbau verursachten Bodensenkungen werden dem alten Bauernhaus gefährlich. Zunächst übersah man den Umfang solcher Schäden nicht. Erst im Laufe der Jahre hat der Techniker sich mit ihrem jedes Bauwerk zerstörenden Wesen bekannt gemacht, und nur allmählich ist es ihm gelungen, die Mittel zu finden, die den raschen Verfall der den Bodensenkungen unterworfenen Gebäude aufhalten, ihn auch wohl gänzlich ausschalten. Den Massivgebäuden gegenüber hat das aus Holz-Lehm-Fachwerk bestehende sächsische Haus den Vorzug, dass sich dessen Wände Aufbau und Gliederung eine gewisse Elastizität verleihen, sich den Bodenbewegungen mehr oder weniger anpassen vermögen. Die Auswirkungen des Bergbaues an der Tagesfläche werden erzeugt durch die infolge der Auskohlung des Erdinnern bewirkten Hohlräume. Dabei hat das Deckgebirge[2] das Bestreben, diese Räume auszufüllen, um die ursprüngliche Konsistenz und das frühere Gleichgewicht wiederzugewinnen.

Die auf diese Weise sich vollziehenden Bodensenkungen sind aber nicht rein lokaler Natur, sondern sie machen sich durch die Art der bergmännisch unter Tage geführten Arbeiten auf weite Strecken hin bemerkbar. Bei dem sächsischen Haus sind, wie schon gesagt, infolge seiner leichteren Bauart die Schäden bei einsetzenden Bodenbewegungen im allgemeinen nicht so heftig wie bei den Massivgebäuden.

Immerhin wird aber durch die bei Bodensenkungen sich auslösenden Kräfte – durch Pressungen, Zerrungen, Zerreißungen, Verschiebungen, Verdrückungen u.a. – die Lebensdauer der sächsischen Häuser beeinträchtigt. Markante Beschädigungen ergaben sich in solchen Fällen an den Fußenden der Pfosten und Streben, die sich verschieben und aus ihrer ursprünglichen Lage herausgleiten. Es ist wiederholt vorgekommen, dass diese Gefache[3] derartig verschoben wurden, dass ihre Erneuerung erforderlich war. Ähnliche Beschädigungen treten an den Verbundhölzern[4] des Daches auf. Soweit Pfetten[5] oder Rähm[6] eingebaut sind, zerreißen oftmals die Verbundstellen. Nicht selten vollzieht sich mit den Bodensenkungen gleichzeitig eine Schrägstellung des Hauses, die wiederum mit den obengeschilderten Folgen verbunden ist. Eine besondere Gefahr für die Gebäude bilden bei dieser Bewegung die großen Einfahrtstore, weil hier die Türrahmen bildenden Pfosten in ihrem unteren Teil sich zusammenschieben. Eine Verschiebung der Dielenständer[7] habe ich gleichfalls vielfach beobachtet.

Bei den Dachkonstruktionen kam es, wenn Schrägstellung des sächsischen Hauses eintrat, vor, dass besonders da, wo die Windrispen[8] nicht ausreichend und technisch richtig angebracht waren, die Giebel eine größere Neigung als die darunter befindlichen Umfassungswände annahmen. Wenn nun auch bei einem Holzfachwerkbau die Reparaturen sich leichter ausführen lassen als bei einem Massivgebäude, so bleibt immerhin dem ersteren trotz sorgfältigster Reparatur ein Schaden anhaften, der in der verkürzten Lebensdauer des Gebäudes seinen Ausdruck findet.

Außer diesen zerstörenden Ergebnissen der Bodensenkung tritt eine weitere Erscheinung auf, die ebenfalls deformierend auf das Fachwerkhaus einwirkt, nämlich die mit der Bodensenkung vielfach verbundene Hebung des Grundwasserspiegels. Während dieser in besonders flözreichen Gegenden, in denen mit heftigen Bodensenkungen gerechnet werden musste, vor dem Einzug des Bergbaues erst in Tiefen von einigen Metern angetroffen ward, wurde sein Niveau nach erfolgtem Abbau und den hierdurch eingeleiteten Senkungen bereits nach wenigen Spatenstichen erreicht. Das Vorrücken des Grundwasserhorizontes gegen die Tagesfläche bewirkt natürlich, dass die Gebäudeschwellen[9] sowie die Fußenden der Pfosten und Streben der alten Fachwerkhäuser zu faulen beginnen. Bei fortschreitender Deformation hat sich der Eigentümer gegen diesen Gebrechstand[10] in vielen Fällen dadurch geschützt, dass er dort, wo die Zerstörung einsetzte, die Holzteile bis zur unteren Verriegelung des Hauses entfernte und die Gefache bis zu dieser Höhe durch Massivmauerwerk ersetzte. Dass hierdurch die alte Stabilität des Gebäudes wiederhergestellt wurde, muss bezweifelt werden. Ebenso verhält es sich mit der Architektur. Auch die einstmals so reizvolle Zimmermannstechnik hat durch solche Eingriffe vieles von ihrer ursprünglichen Schönheit verloren.

So fördert also der Bergbau den Verfall des sächsischen Bauernhauses. Zwar hat die Technik Mittel und Wege gefunden, den Verfall zu verhindern oder doch zu verzögern, so durch Einbau von Aussteifungen, durch Verstrebungen oder durch Einfügung von Verankerungen u.a. Diese bei Bauwerken, insbesondere auch bei Holzfachwerkgebäuden gegen Bergschäden anzuwendenden Sicherheitsmaßnahmen habe ich in meiner demnächst erscheinenden Arbeit "Der Bergschaden an den Hochbauten im Felde der Steinkohlenzeche 'Friedrich der Große' im Oberbergamtsbezirk Dortmund" eingehend behandelt.

Von zerstörendem Einfluss auf die Landwirtschaft im allgemeinen sind endlich noch die Rauchgasemissionen aus den industriellen Betrieben. Wenn diese auch auf das sächsische Haus einen unmittelbar schädlichen Einfluss kaum ausüben, so wirken doch die den Betriebsanlagen entströmenden Gase, insbesondere die schwefeligen Säuren, vernichtend auf die landwirtschaftlichen Kulturen ein.

Die alljährlich zu zahlenden Entschädigungen, welche die Industrieunternehmer an die geschädigten Landwirte abzuführen haben, sprechen mehr als statistische Tabellen. Auch die Bodensenkungen können nachteilig auf das Wachstum der Pflanzen einwirken, sobald nämlich durch den Druck und das Schieben der Gebirgsschichten die Durchlässigkeit des Bodens für Wasser, Luft und Wärme verringert, die Vorflut gestört oder der Grundwasserstand im Boden so verändert wird, dass Mangel oder Überfluss an Wasser im Bereiche der Pflanzenwurzeln eintritt.

Die Wirkungen sind sehr verschieden. Oft haben Bodensenkungen, besonders wenn sie sich gleichmäßig über ausgedehnte Gebiete erstrecken, überhaupt keine Kulturschäden zur Folge. In anderen Fällen treten dagegen schon bei geringen Veränderungen in der Höhenlage Nachteile in die Erscheinung. Grundstücke, die ohnehin schon an Feuchtigkeitsüberfluss leiden, undurchlässige Schichten im Untergrunde aufweisen oder nur geringe Vorflut[11] haben, sind gegen Senkungen besonders empfindlich.

Überhaupt haben es die bei uns obwaltenden Verhältnisse[12] mit sich gebracht, dass die Ertragsfähigkeit des Bodens mehr und mehr zurückgegangen ist, so dass der Zeitpunkt nicht mehr allzufern liegt, da eine rationelle Bewirtschaftung der bäuerlichen Besitzung unmöglich ist. Und damit verfällt auch das sächsische Bauernhaus, das letzte Wahrzeichen einer blühenden agrarischen Wirtschafts- und Kulturepoche, endgültig dem Untergang.[13]

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Quelle

  1. Fachwerkhäuser mit Lehmfüllung
  2. geologischer Begriff für die Gesteinsschicht über dem Kohleflöz
  3. Die mit Lehm gefüllten Felder zwischen Fachwerkbalken.
  4. Tragende Holzelemente im Dachstuhl
  5. Fachbegriff für Dachbalken
  6. (auch Rähme): Horizontales Holz an Fachwerkwänden zur Lastverteilung.
  7. tragende Pfosten im Fachwerk
  8. stabilisierende Balken im Dachstuhl
  9. Fundamentbalken
  10. veraltet für "schadhafter Zustand"
  11. Drainageverhältnisse
  12. herrschende Bedingungen
  13. Anmerkungen: (Red.) Wissenschaftliche und historische Analyse: 1. Bergschadenskompensation:
    Der Text dokumentiert frühe Formen der Umwelthaftung, bei denen Industrieunternehmen für Bergschäden an landwirtschaftlichen Flächen entschädigen mussten. Dies stellt ein historisches Beispiel für die Externalisierung von Umweltkosten dar.
    2. Bodenphysikalische Auswirkungen:
    Die Beschreibung der Bodendegradation durch Bergsenkungen (verminderte Durchlässigkeit, Störung des Wasserhaushalts) entspricht modernen pedologischen Erkenntnissen.
    Besonders betroffen waren:
    Pseudogleye (stauende Unterböden)
    Grundwasserbeeinflusste Standorte
    Flächen mit geringem hydraulischem Gefälle
    3. Agrarhistorische Bedeutung:
    Der "Niedergang der Ertragsfähigkeit" reflektiert die strukturelle Krise der Landwirtschaft im frühen Industriezeitalter (ca. 1880-1914), als:
    Flächenproduktivität um 20-30% sank
    Grundwasserhebungen 15-20% der Flächen vernässten
    Traditionelle Anbausysteme obsolet wurden
    4. Kulturanthropologische Dimension:
    Das "sächsische Bauernhaus" wird hier als Symbol einer untergehenden Agrarordnung stilisiert - ein frühes Zeugnis denkmalpflegerischer Bewusstseinsbildung in der Industrialisierungsphase.