... und nun?!

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Gibt es noch eine Chance für Wanne-Eickel?

Wolfgang Berke

Machen wir doch mal eine Bestandsaufnahme im Jahr 27 nach der so genannten Städte-Ehe mit Herne. Befürworter der Großherner Planungen wurden seinerzeit nicht müde uns zu versichern, dass diese beiden Städte sehr schnell zusammenwachsen werden. Wie also sieht es heute aus?

In mehr als einem Vierteljahrhundert hat die Telekom (vormals Deutsche Post) es nicht geschafft, ein einheitliches Telefonortsnetz zu schaffen. Im Gegenteil, die praktische Kurzwahl nach Herne (die „8“) ist sogar abgeschafft worden. Heute kann man schneller nach Berlin eine Verbindung aufbauen als nach Herne.

Das Gebiet der alten Städte Wanne-Eickel und Herne wird in Nord-Süd-Richtung von der Autobahn A43 durchschnitten. Es gibt drei Straßenverbindungen zwischen Wanne-Eickel und Herne: die Cranger Straße, die Rottbruchstraße und die Holsterhauser Straße (Kenner von Schleichwegen können auch noch die Südstraße benutzen). Zum Vergleich: Von Wanne-Eickel nach Bochum führen fünf Straßen (plus drei Schleichwege), nach Gelsenkirchen sind es ebenfalls fünf, nur nach Herten gibt es lediglich zwei Straßenverbindungen. Beim öffentlichen Nahverkehr sieht es etwas günstiger aus: Nach Herne führen genauso viele Bus- und Bahnlinien wie von Wanne-Eickel nach Bochum.

Bei der Bürgergrundversorgung hat sich das Schwergewicht leicht nach Herne verlagert. Zum Arbeitsamt oder zu den Stadtwerken muss man in die Nachbarstadt, städtische Dienststellen, die der Bürger unmittelbar braucht, sind auf Wanne-Eickeler Stadtgebiet zumindest in den Bürgerbüros vertreten. Städtische Kultur-, Jugend- und Freizeiteinrichtungen sind dagegen in Herne mit messbarem Übergewicht vertreten. Dass Wanne-Eickel noch ein Hallenbad hat, bringt relativ wenig Punkte, da es nur noch einem begrenzten Personenkreis zugänglich ist. Dieses Manko wurde 2017 mir der Eröffnung des Wananas ausgeglichen.

Im Zuge der Neubauten, Umbauten und Innovationen ist Wanne-Eickel klar abgeschlagen. Die städtebauliche Chance, welche die großen Brachen der stillgelegten Zechen und Industriebetriebe bieten, werden auf Wanne-Eickeler Gebiet zumindest ansatzweise für eine Wohnbebauung genutzt. Dass dabei zumeist Reiheneigenheime mit kleinen Grundstücken entstehen, zeugt zwar nicht von urbanen Visionen und Mut zur Großzügigkeit – gibt aber immerhin Familien mit kleinen und mittleren Einkommen die Chance, sich ihren Traum vom eigenen Heim zu erfüllen.

Die Renommierprojekte sind aber fast ausschließlich in Herne angesiedelt: Ob Flottmannhallen oder die Akademie des Innenministeriums auf Mont-Cenis, ob Kunstwald und Siedlung Teutoburgia oder das Gewerbegebiet Friedrich der Große, ob die U-Bahn oder das Schloss Strünkede – die im Osten haben die Nase komischerweise immer vorn. Für Wanne-Eickel ist eine höchst umstrittene forensische Klinik auf Pluto-Wilhelm geplant.

Noch mehr Ideen? Die Königsgrube ist begrünt, Gewerbeansiedlung geplant für Hibernia und den zugeschütteten Westhafen.

Auch in den Innenstädten ist deutlich spürbar, wie und wohin Politiker und Planer ihre Sympathien verteilen. Während in Wanne-Eickel kein Vollkaufhaus mehr zu finden ist, mehrere Branchen in den Kernzentren nicht mehr vertreten sind und Dutzende von Ladenlokalen leer stehen, wird in Herne weiterhin unverdrossen das ehrgeizige Projekt „Boulevard Bahnhof- straße“ durchgezogen. 3.5 Mio. Euro von Land und Stadt werden dort verbuddelt und verbaut – und weil es nicht reicht, wird noch kräftig bei Bürgern und Firmen geschnorrt. Ein jeder soll sich seinen ganz persönlichen Quadratmeter Bahnhofstraße „kaufen“. Derweil verödet Wannes Fußgängerzone zusehends.

Die Stadt Herne wiederholt mit ihrer Entscheidung für eine einseitige Hochrüstung der Bahnhofstraße zu Lasten der anderen Stadtteile einen schon mehrfach gemachten Fehler. Insgeheim hofft sie, im Konzert der Großen mitspielen zu können, Bochum, Gelsenkirchen oder Essen Paroli bieten und ihre Bürger vom Kauf in den Nachbarstädten abhalten zu können. Es wird aber nicht gelingen. Herne wird, wie schon bei allen anderen Versuchen und auf allen anderen Gebieten vorher, den Kürzeren ziehen.

Was kann man als Wanne-Eickeler und Wanne-Eickelerin machen? Wenn Sie inzwischen überzeugte Herner geworden sind, gibt es kaum Handlungsbedarf, es läuft ja alles bestens. Wenn nicht: in Ruhe abwarten. Die Geschichte unserer Stadt, wie auf den vorhergehenden Seiten skizziert, ist geprägt von kommunalen Neuordnungen, die offenbar im 50-Jahre-Rhythmus stattfinden. Wir erinnern uns: 1875 wurde festgelegt, dass die Gemeindebezirke Bickern, Crange, Eickel, Röhlinghausen und Holsterhausen ein gemeinsames Amt bilden sollen. 1926 beugten sich die Ämter Wanne und Eickel dem Diktat der Stunde und fusionierten zu Wanne-Eickel. 1975 schließlich glaubte man, nur in der so genannten Städte-Ehe eine Chance im Zuge der kommunalen Neuordnung zu haben.

Etwa im Jahr 2025 wäre dann die nächste kommunale Umstrukturierung im Ruhrgebiet an der Reihe. Mehr als die Hälfte des 50-Jahre-Zeitraums haben wir doch schon hinter uns – also was soll's? Erfahrungsgemäß müssten die Diskussionen um die notwendigen Neuordnungen so etwa in den Jahren 2017 und 2018 beginnen. Warten wir also ab und mischen uns rechtzeitig ein. Vielleicht setzt sich ja beim nächsten Mal die Erkenntnis durch, dass es Größe alleine nicht bringt. Dass man in kleineren kommunalen Einheiten wesentlich direkter am Bürger ist, dezentraler planen und flexibler reagieren kann. Dass überschaubare Städte mit einem lebendigen, wohnortnahen Mix aus Leben, Arbeiten und Einkaufen ihre Bewohner nicht nur halten können, sondern auch für neue Bürger attraktiv werden.

Schauen wir also mit vorsichtigem Optimismus in die Zukunft und besinnen uns auf das, was den Charme und das besondere Flair von Wanne-Eickel ausgemacht hat und es immer noch ausmacht. Es gibt genug aus und über Wanne-Eickel zu erzählen. Auf den folgenden 116 Seiten finden Sie einiges davon.


Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors [1]
Der Text wurde für das Wiki redaktionell bearbeitet. Er stammt aus dem Jahr 2002


Lesen Sie auch

Quellen

... und nun?!