Das alte Dorf Herne (Herner Anzeiger 1934) VII

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Am 8. Dezember 1934 wurde im Herner Anzeiger ein Artikel von Leo Reiners über das alte Dorf Herne im dritten Teil veröffentlicht. Es ist eines der wichtigsten Werkreihen Reiners zur Dorfgeschichte. Da es sehr umfangreich ist, teilen wir es in mehrere Teile. [1]

Das alte Dorf Herne

Nach Katasterkarten von 1823-1886
Dargestellt von dr. L. Reiners

[Teil 3/VII] Schluss.

Herner-Anzeiger-(24.11.1934)Dorf Herne-1823-1886.jpg

Die Shamrockstraße

Als letzte Straße bleibt nun noch die Shamrockstraße zu behandeln. Sie war bis weit in die 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts hinein nur ein einspuriger Feldweg, allerdings etwas breiter als das parallel zu ihm laufende Gässchen, das wir oben bereits behandelt haben. Fangen wir an der Südseite der Shamrockstraße an. Die Eckgrundstücke an der Bahnhofstraße von Lichtenberg und Jakob haben wir schon berücksichtigt.
Das kleine Gebäude, das an der Shamrockstraße auf dem Jakobschen Grundstück folgte, hat eine besondere Bedeutung gehabt. Es war nämlich 1823 die reformierte Schule. Die lutherische war damals, wie wir bei der Behandlung des Alten Marktes gezeigt haben, an das Armenhaus angebaut. Auch nach 1826, als beide Schulgemeinden sich vereinigten, sind die alten Schulgebäude weiterbenutzt worden und zwar konnten zunächst die Eltern frei entscheiden, ob sie ihr Kind zur Shamrockstraße oder zum Alten Markt schicken wollten, je nachdem, ob ihnen der eine oder der andere Lehrer mehr zusagte. Dieser unmöglichen Bestimmung machte die Regierung aber schon 1882 ein Ende. Vielmehr verband man beide Schulen, die jede nur eine Klasse und einen Lehrer hatten, zu einem aufsteigenden zweiklassigen Schulsystem mit zunächst einjährigem und seit 1833 vierjährigem Wechsel der Lehrer. Später wurde jedem Lehrer eine bestimmte Klasse zugeteilt. Nachdem die Kinderzahl in beiden Klassen zusammen auf 380 gestiegen war, wurde im Oktober 1850 eine dritte Schulklasse errichtet, zu deren Unterbringung man vorläufig einen Raum in dem Hause von Schulte gt. Kortnack mietete. 1853 wurde dann am Alten Markt anstelle des Armen= und Schulhauses der zweistöckige Schulbau errichtet, der bis 1912 dort gestanden hat. Da hatte auch die alte reformierte Schule an der Shamrockstraße ausgedient. Dass es sich bei dem in der Karte verzeichneten Häuschen um diese Schule handeln muss, geht aus Dransfeld hervor, der 1875 schreibt: „ Die reformierte Schule befand sich in dem der jetzigen Gesellenherberge gegenüberliegenden, zuletzt dem Schmiede Fischer gehörigen Hause und diente zugleich als Lehrerwohnung.“ Die Gesellenherberge war aber zu Dransfelds Zeit die Wirtschaft Düppe (jetzt Eberleh) an der Shamrockstraße und gegenüber wohnte tatsächlich der Schmied Fischer, dessen Sohn noch heute auf der Rosenstraße (10) eine Schlosserei hat.
Die reformierte Schule dürfte hier auch schon lange vor 1823 bestanden haben. Die Einführung der reformierten Lehre erfolgte bekanntlich 1681 durch die verwitwete Freifrau von Strünkede, Gertrud von der Reck zur Horst. Als ersten reformierten Lehrer hat Dransfeld einen Peter Engelbronner festgestellt, der 1721 abzog und in Peter Niklas Diderhof einen Nachfolger erhielt. Unter den späteren ragten besonders Johan Henrich Baltz, der 1756 kam und 1808 starb, und Florens Nohl (1818-1848) hervor. Sie alle müssen, wenn das reformierte Schulhaus zugleich Lehrerwohnung war, hier in dem Häuschen an der Shamrockstraße mit ihrer Familie, die z. B. bei Baltz recht groß war (5 Kinder), gewohnt haben. Das ist jedoch kaum möglich, denn dafür war das Gebäude viel zu klein. Wir müssen dann schon ganz ungeheuerliche Wohnverhältnisse für den armen Lehrer annehmen, denn die Gebäudeteile neben der Schule an der Shamrockstraße sind, wie die Strichelung anzeigt, erst nach 1823 entstanden. 1826 aber wurde im Schulvereinigungsvertrage dem reformierten Lehrer das frühere reformierte Pastorathaus am Alten Markt und dem lutherischen Lehrer das unbenutzte Vitarienhaus als Wohnung zugewiesen.
Wie schon Dransfeld schreibt, erhob sich zu seiner Zeit anstelle der alten Schule ein Haus, das bis kurz vor 1875 dem Schmiede Fischer gehörte. 1877 stand es auf den Namen Schneider Georg Spiekermann. 1900 gehörte es dem Bergarbeiter Wilh. Spiekermann. 1897 wurde es abgerissen und dafür der Wohnungsneubau errichtet, der heute der Ebefrau Pauline Spiekermann gehört. Das nächste alte Fachwerkhaus war 1823 Eigentum des Heinrich Hülsmann. 1877 war es im Besitz seines Sohnes, des Rentners Wilh. Hülsmann.
1900 besaß es der Bierhändler Joseph Niggenhüser, der später die Wirtschaft auf der anderen Seite der Straße (heute Dettmann) erwarb. 1913 wurde es abgebrochen. Bis heute ist der Platz unbebaut geblieben. Das Grundstück gehört seit 1921 dem Lokomotivführer August Lösicke und seiner Ehefrau Elfriede geb. Niggenhüser.
Das schmale (gestrichelte) Gebäude an der westlichen Grundstücksgrenze von Hülsmann sieht in der heutigen Wirklichkeit ganz anders aus. Es sind zwei hintereinander und mit der Breitseite zur Shamrockstraße gestellte alte Fachwerkhäuser, die schon 1877, wie noch heute, der Familie des Bergmanns Joh. Busse gehörten. Wann das schmale Gebäude in der Karte durch die jetzigen Bauten ersetzt wurde, lässt sich nicht feststellen. Die heutigen Bauten sind in alten Karten überhaupt nicht enthalten.
Das nunmehr folgende Haus, das zum Gässchen orientiert war, gehörte 1823 Heinrich Prein. Es ist später durch ein an der Shamrockstraße stehendes Haus ersetzt worden. Nach 1886 ist dann dafür der jetzige, in das Bild der Fachwerkbauten in dieser Gegend gar nicht passende Backsteinbau entstanden. Im Jahre 1877 stand das Grundstück auf den Namen des Handelsmannes Wilhelm Prein, 1900 ging es in den Besitz des Schmiedes Heinrich Engelhardt gt. Plenker über.
Neben Prein war 1823 ein Brandteich, später das Spritzenhaus. Hinter Prein, an der anderen Seite des Gässchens, lag Schmied Plänker. Das Wohnhaus, das heute noch besteht, ist schon vor 1823 erbaut, während die Schmiede anstelle einer kleineren 1834, also vor 100 Jahren, errichtet wurde. Das geht aus der Balkeninschrift über der Schmiedetür hervor, die lautet: „Johan Henrich Engelhardt genant Plenker und Anna Maria Beckebom, den 12 Juli 1834.“ Stand 1823 noch die Schmiede auf den Namen Heinrich Plänker, so war also 1834 Engelhardt gt. Plenker Besitzer. Der „Schmidt“ Heinrich Engelhardt gt. Plenker hat 1845 als Repräsentant der reformierten Gemeinde auch den Vereinigungsvertrag der reformierten und der lutherischen Kirchengemeinde mit unterzeichnet. Seit 1927 gehört das Grundstück der Witwe Wilhelmine Engelhardt gt. Plenker.
Hinter Plenkers Schmiede liegt noch ein Fachwerkhaus, zu dem man durch das einzige noch vorhandene Reststück des Weges gelangt, der früher neben dem Brandteich bzw. Spritzenhaus von der Shamrockstraße abzweigte. Das Fachwerkhaus, das heute dort steht, ist nach 1823 anstelle eines kleineren erbaut worden. Es gehörte zum Overkampschen Hof und zwar zum nördlichen (später Schulte=Nölle). 1899 stand es auf den Namen Bergmann Diedrich Scharpenberg, heute gehört es seinem Sohne, dem Heizer Dietrich Scharpenberg.
Kehren wir nunmehr zur Shamrockstraße zurück. Auf der nördlichen Seite haben wir die Eckgrundstücke an der Bahnhofstraße schon behandelt. Auf ihnen entstand, wie wir sahen, der große Eckbau von Langerfeld, heute Lechtape (Bäckerei Neu). Zu ihm gehört auch das vorspringende und mit ihm einen Winkel bildende Nebengebäude auf der Shamrockstraße, in dem jetzt der Friseur Dawin sein Geschäft hat.
Dann folgt die Wirtschaft Dettmann, bei deren Umbau im vorigen Jahr man sehen konnte, dass es sich um ein altes Fachwerkhaus handelte. Dieses auf der Karte verzeichnete mehrteilige Gebäude gehörte 1877 dem Gastwirt Eduard Fricke. Auch der alte Hirdes (später Wirtschaft Ostentor) hat hier sein Fuhrgeschäft begonnen. Nachdem das Haus Gustav Fricke, dann (1897) dem Lokomotivführer Hermann Fricke gehört hatte, kam es 1903 in den Besitz des Bierhändlers und Wirtes Joseph Niggenhüser (der vorher gegenüber gewohnt hatte). Dessen Witwe Elisabeth geb. Brecht heiratete den jetzigen Besitzer Friedrich Dettmann, der 1933 einen im Stil altdeutscher Bierstuben gehaltenen Umbau vornehmen ließ.
Neben Dettmann liegt die Wirtschaft Eberleh. Dieses Haus ist ebenfalls, wenn es auch inzwischen verändert worden ist, vor 1877 schon vorhanden gewesen. Damals gehörte es dem Schneidermeister Georg Düppe und war Gesellenherberge. 1903 war der Eigentümer Gastwirt Georg Düppe, 1911 seine Witwe Luise geb. Benkenstein, die den jetzigen Inhaber Eberleh heiratete.
Das nächste Haus mit der großen, fast die ganze Bürgersteigbreite einnehmenden hohen Steintreppe war früher eine Bäckerei. Das Backhaus ist erst 1899 umgebaut worden. Diese Bäckerei gehörte dem Bäckermeister Heinrich Grünendahl, 1877 seiner Witwe. Dann erwarb der Barbier Heinrich Wittkämper das Haus. 1902 wurde auf dem Grundstück eine Mineralwasserfabrik gebaut. Nach 1908 gehörte das Haus dem Kaufmann Heinrich Wittkamper, heute sind Besitzer Paul und Wilh. Wittkämper.
Da, wo die Wittkämpersche Villa heute steht, befand sich 1823 ein Fachwerkhaus, an dessen Stelle nach 1823 ein anderes trat. Es handelte sich hier um ein Einliegerhaus, das zum Overkampschen Hof und zwar dem südlichen gehörte. 1877 war Besitzer der „Oekonom“ Diedrich Overkamp, 1903 der Fabrikbesitzer Friedrich Lenz und Hermann Schulte-Hiltrop, die beide eine Overkamp geheiratet hatten. 1907 erwarb Heinrich Wittkämper das Grundstück, ließ das Fachwerkhaus abbrechen und 1911 an der gleichen Stelle seinen Villenneubau errichten, der heute Paul und Wilhelm Wittkämper gehört.
Das letzte Haus in dieser Reihe ist das alte Fachwerkhaus von Schuhmacher Georg Spiekermann. Es stand schon 1823. Als sein Besitzer wurde damals Friedrich Drevermann im Urhandriss angegeben. Der Urgroßvater des jetzigen Besitzers hat es gekauft. Das muss also bald nach 1823 gewesen sein. Allerdings besagt die Tradition der Familie Spiekermann, dass es von Overkamp (Schulte=Nölle) erworben wurde, von Drevermann ist bei ihr nichts bekannt.


Die Overkampschen Höfe.

Overkamp-Hof-1865.jpg

Was nun von den Gebäuden und Grundstücken der Karte noch zu besprechen bleibt, sind die beiden Höfe von Overkamp. Zunächst zeigt das Kartenbild, dass ein südlich gelegener Hof von Diedrich Overkamp und nördlich davon (durch einen Brandteich getrennt) ein Hof von Wilhelm Overkamp vorhanden war. Von beiden besteht nichts mehr. Selbst das Wohnhaus, das vor zwei Jahren beim Abbruch des südlichen Overkampschen Hofes an der Kronprinzenstraße stehenblieb, ist keine rechte Erinnerung mehr an die Vergangenheit, denn es war der jüngste Gebäudeteil, der erst 1901 entstanden war. Der nördliche Overkamp=Hof ist schon 1837 durch den heute noch stehenden (westlich der Ortslagengrenze gestrichelt gezeichneten) stolzen Hof (heute evgl.=kirchl. Jugend= und Wohlfahrtsamt) abgelöst worden, der genau dieselbe Grundrißform und =größe hat wie der alte Nachbarhof. Er trägt neben anderen Inschriften auch die folgende: „Heinrich Overkamp, Kt. Gerdrut von Bickern, Elt., den 24. Juli 1838.“ Er ist also als Overkampscher Hof gebaut worden. Die Erbin Wilhelmine Overkamp heiratete den Landwirt Karl Schulte-Noelle, dessen Witwe 1900 wieder als Eigentümerin erscheint. Sie heiratete 1908 Ludwig Rensinghoff gt. Schlenkhoff. Von diesem ging der Hof in den Besitz der evgl. Kirchengemeinde über.
Der südliche Overkamp=Hof, der auch „der große Overkamp“ hieß, während der nördliche „der kleine Overkamp“ genannt wurde, stand 1900 noch auf den Namen des Landwirts Johann Diedrich Overkamp jr., 1903 auf den Namen der Eheleute Fabrikbesitzer Friedrich Lenz und Amalie geb. Overkamp zu Lünen und der Eheleute Gutsbesitzer Hermann Schulte=Hiltrop und Berta geb. Overkamp. Der Name der einen Overkampstochter ist in „Amalienstraße“ festgehalten, Frau Schulte=Hiltrop dagegen ist allen als Schützenkönigin noch in bester Erinnerung.
Die beiden Zwillingshöfe von Overkamp sind schon im Schatzbuch von 1486 aufgeführt und zwar unter den Namen Thabe Averkamp und Bruneß Averkamp. (Außerdem gab es noch einen Hof Henrik Averkamp. Wahrscheinlich ist das der in Horsthausen.) Im Feuerstättenbuch von 1664 steht der südliche Overkamp als Erbhof verzeichnet, dessen Grundherr „Seine Churfürstl. Durchlaucht zu Brandenburg" war. Dieser Hof war also nicht, wie andere Herner Höfe und Kotten von den Strünkedern oder sonstigen untergeordneten Grundherren abhängig. Auch Dransfeld erwähnt, dass neben Koppenberg nur der Hof von Diedrich Overkamp freies Eigentum gewesen sei. 1664 saß auf ihm Jorgen to Overkamp. Dieser war auch selbst Grundherr. Ihm gehörten der Kotten von Kuttenkamp( Kuenkamp?), von Jorgen Wytelman, von Köhlhoff und Trösken (Bahnhofstraße). Der Besitzer dieses Hofes (Diedrich Overkamp) war vor 1872 als Vorgänger von Fritz Cremer auch Gemeindevorsteher. Der nördliche Overkamp war nach dem Feuerstättenbuch 1664 Eigentum der Strünkeder, er war aber so wohlhabend, dass der Pächter Henrich Overkamp mit die höchste Feuerstättenabgabe entrichten musste. Welch hohes Ansehen die beiden Overkamps genossen, geht auch daraus hervor, dass ihre Namen eng mit dem Gemeindeleben verbunden sind. Der Besitzer des südlichen Overkampschen Hofes war stets einer der „Holtschernen“ (Holzaufseher) in der Herner Mark; auf der in Recklinghausen wiedergefundenen Altarwand der alten Dionysiuskirche steht mit der Jahreszahl 1700 „J. Overkamp, H. Overkamp, Kirchmeister“, auf der auf dem Lager von Friedrich der Große stehenden Glocke aus dem Jahre 1750 befindet sich u. a. der „Vorsteher Joh. Diedr. Overkamp"; Röttger Overkamp wurde mit Heinrich Weusthoff im Jahre 1815 dazu ausersehen, für den Amtsbezirk Herne in Münster dem König von Preußen den Huldigungseid abzulegen, 1845 unterzeichnete der Landwirt Diedrich Overkamp als Repräsentant der luth. Gemeinde den Vereinigungsvertrag mit der reformierten Gemeinde.
So haben also die Overkamps, besonders die Herren des südlichen, des „großen“ Overkamp, durch Jahrhunderte hindurch eine große Bedeutung in der Gemeinde Herne gehabt. Schade, dass ihr Ruhm und Glanz heute vorbei ist und nur in der greisen Schützenkönigin Berta Overkamp für die Gegenwart noch fortlebt.

Mit den Höfen von Overkamp haben wir die Betrachtung des alten Dorfes beendet. Wir hoffen, dass die nicht geringe Arbeit, die wir darauf verwendet haben, vielen alten und jungen Hernern Freude gemacht hat. Wir haben zum Schluss nur die eine Bitte, dass man uns, so weit als möglich, aus dem Schatze der Erinnerung, Familienüberlieferungen und Familienbesitzstücke noch ergänzende Mitteilungen macht, die das Bild zu beleben und weiter auszufüllen geeignet sind.

Dr. Leo Reiners

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Quellen