Eine Hochwasserkatastrophe in Herne – 1. August 1917

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Eine Hochwasser-Katastrophe in Herne – 1. August 1917

Der Herner Anzeiger berichtete Ende Juli 1937 von einem Jahrestag besonderer schwere: Eine Schrecksnacht vor 20 Jahren - Hochwasser-Katastrophe in Herne in der ersten Augustnacht 1917.
Mit großen Worten beschrieb der Autor, es ist zu vermuten, dass es Leo Reiners war, die Abfolge des Geschehens. Starkregen ist bis heute ein Problem, dem die Stadtgesellschaft entgegentritt. Auf der Starkregenkarte der Stadt Herne sind noch heute die im Artikel genannten Gebiete als besonders gefährdet eingezeichnet.

Nachfolgend finden Sie einen Zeitungsartikel aus dem Jahre 1937. Beachten sie bitte, diesen Artikel im Kontext und mit dem Hintergrund seiner Zeit zu betrachten. Die Rechtschreibung ist, mit einigen Veränderungen, Original.

"Es war in der Nacht zum 1. August 1917, also zu Beginn des vierten Kriegsjahres, als über Herne ein Gewitter mit einem furchtbaren Wolkenbruch niederging, dem die Kanalisation nicht überall gewachsen war. Besonders der Ost= und Westbach schwollen derart an, dass sie in ihrem Bett nicht mehr gehalten werden konnten. Überaus verhängnisvoll war, dass das sperrende Reinigungsgitter im Ostbach an der Mont-Cenis-Straße durch Holz, Grün- und Erdmassen schnell völlig verstopft war und dem Wasser den Abfluss versperrte. Es staute sich und brach sich dann freie Bahn. Zunächst prallte die Wassermassen gegen das Haus von Del Mistro und das nebenstehende Eckhaus. Die Fundamente wurden von den brodelnden und quirlenden Fluten völlig bloßgelegt, die Kellerräume überspült und alle darin enthaltene Warenvorräte, besonders Zement und Gips, zerstört. Weiter bahnten sich die Wassermassen ihren Weg zur Goethe- und Hermann-Löns-Straße. Im Nu waren die tief gelegenen Häuser auf der Insel von dem brodelnden Wasser umspült, Ställe wurden überschwemmt, Zäune, schuppen und anbauten zerstört, zahlreiches Kleinvieh ertrank. Das Wasser drang in die Erdgeschosse, Haus- und Küchengeräte schwammen darin herum, Vorräte wurden mitgerissen oder verdarben. Mittlerweile strömten immer neue Wassermassen nach. Weiterhin tönte schauerlich das Brausen und Rauschen durch die dunkle Nacht. Bald war das ganze Dreieck zwischen Hermann-Löns-, Schaefer- und Goethestraße ein großer See.
Unterspülte Gartenmauern stürzten ein, alles, was in den Gärten stand, wurde weggerissen, die Kellerräume der Häuser bis zur Heinrichstraße und dem Neumarkt liefen voll Wasser, Türen wurden von den Fluten eingedrückt, die aus dem Schlaf erschreckten Menschen – kurz vor 12 Uhr setzte die Katastrophe ein – riefen um Hilfe durch die dunkle Nacht, Mütter, deren Männer im Felde standen, wateten, ihre Kinder auf dem Arm, bis zu den Knien durch das gurgelnde Wasser, um die Kleinen und sich in Sicherheit zu bringen.
Besonders furchtbar war das Schicksal der im Kellergeschoß der Synagoge wohnenden Familie Metzger, deren Vater im Felde stand. Als sich die Wassermassen in die Wohnung ergossen, konnte die Frau noch zwei kleinere Kinder ins Freie bringen, bei der Rückkehr versperrten ihr aber schon die Wassermassen den Zugang zu ihrer Wohnung, in der noch zwei Töchter waren und in der das Wasser, das bereits die Straßen an der Synagoge fast 1 Meter hoch bedeckte, ständig höher und höher stieg. Die Mädchen kletterten auf die Heizkörper und riefen von da aus todesangsterfüllt um Hilfe. Aber es war unmöglich, zu ihnen vorzudringen. In höchster Not erschien der Sohn des damaligen Oberrealschuldirektors Leutnant Eduard Wirtz, der gerade in Urlaub weilte. Nur mit der Hose bekleidet, warf er sich in die Fluten und drang, eine brennende Taschenlampe zwischen den Zähnen, schwimmend in die dunkle Kellerwohnung vor, und es gelang ihm auch, unter heroischen Einsatz seines Lebens die eingeschlossenen zu erreichen und sie nacheinander nach draußen zu bringen. Hierbei wurde er wacker unterstützt von den Soldaten Schulz, Michalski und Stachowski, die ebenfalls daheim auf Urlaub weilten und zur Hilfestellung herbeigeeilt waren. Gegen 4 Uhr begann das Wasser zu fallen, und am Morgen, als die übrigen Herner aufwachten, zeigten ihnen außer großen Überschwemmungsgebieten zahlreiche Verheerungen in den Straßen und Gärten, was sich in der Nacht zugetragen hatte.

Auch an anderen Stellen der Stadt hatte das Hochwasser große Schäden angerichtete. Die kleinen Hauser zwischen Düngel- und Bochumer Straße waren derart von den Wassermassen des Westbaches bedroht worden, dass man sie hatte räumen müssen, an der Bergstraße hatte im Gehöft von Masthof das Wasser ½ Meter hoch gestanden, wobei eine Ziege ertrank, im evangelischen Krankenhaus hatte das Wasser die großen Kellervorräte vernichtet, in Horsthausen war der Straßendurchlass des Baches an der Castroper Straße eingestürzt, wodurch die Straße und Umgebung schwer beschädigt wurden, in Baukau hatte der Kanal in der Verlängerung der Moltkestraße einen solchen Wasserdruck auszuhalten, dass das Gewölbe platzte und die Wassermassen sich in das umliegende Gelände ergossen, in Sodingen hatte sich das Wasser von der Gerther Straße aus zum Amtshaus ergossen, Straßenpflaster aufgerissen, Gärten mit der Ernte (Kriegszeit!) verwüstet und die Keller des Amtshauses und der Bürgermeisterwohnung angefüllt. Hier erreichte das Wasser mit 3 Metern seinen höchsten Stand.

In dem Kanal an der Nordstraße war durch Rückstau der Druck so stark geworden, dass plötzlich die Deckel der Senkschächte emporgeschleudert wurden und eine Wassersäule 10 Meter hoch emporspritzte. Polizei, Feuerwehr und Bewohner waren in den heimgesuchten Gebieten mit Fackeln (auch das Licht versagte fast überall), Leitern, Äxten, Spaten usw. die ganze Nacht tätig, um zu retten und dem Wasser Abfluss zu verschaffen. In den nächsten Tagen war viel Arbeit erforderlich, um nur die Keller Leer zu pumpen. […] Das war die Schreckensnacht vor 20 Jahren. Seitdem ist den Ausbau der Kanalisation in Herne überaus viel geschehen, do dass nachmenschlichem ermessen eine derartige Katastrophe sich nicht wiederholen dürfte.

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Einzelnachweise