Börniger Dorfschule

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Die ehemalige Börniger Dorfschule stand an der Dorfstraße.

ehem. Börniger Dorfschule
Börniger Dorfschule Sammlung Gerd Schug.png
Bildinfo: Foto der Dorfschule [1]
Erbaut: 1828
Stadtbezirk: Herne
Ortsteil: Börnig
Letze Änderung: 29.12.2022
Geändert von: Thorsten Schmidt
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Mit diesem historischen Bericht möchte ich die Geschichte der »Börniger Dorfschule« für künftige Generationen festhalten.

Der Bericht umfaßt den Zeitrahmen von 1787 (= erster Unterricht für Börniger Kinder) bis 1878 (= Ende der echten »Dorfschule«). Der heutigen Generation soll dabei auch vermittelt werden, dass »Schule« nicht immer selbstverständlich war und die heutigen Möglichkeiten der Schulbildung gegenüber denen vor 200 Jahren geradezu »paradiesisch« sind. Bildung zu erlangen, war noch nie so leicht wie heute!

Die Geschichte der Börniger Dorfschule beginnt im Jahr 1787. Zu dieser Zeit war Börnig eine in sich geschlossene Bauerschaft und gehörte zum Amt Castrop, welches wiederum Bestandteil des Landkreises Dortmund war.

»Herne« war zu dieser Zeit noch »weit weg« von Börnig, das wirtschaftlich, kirchlich und verwaltungsmäßig, vollkommen nach Castrop ausgerichtet war.

Die 1717 von Friedrich Wilhelm I, König von Preußen, eingeführte allgemeine Schulpflicht, setzte sich erst sehr langsam durch. Es fehlten Umsetzungswillen, Geld und Lehrer. Daher sah die »Königliche Verfügung« vor, dass auf den Dörfern ansässige Handwerker die Aufgabe nebenberuflich übernehmen sollten.

Aber erst der Preußenkönig Friedrich der Große brachte 1763 mit seinem »Generalschulreglement« die Schulbildung voran.

1787 war es dann auch in Börnig soweit. Der im Dorf ansässige Schneider Lück erklärte sich bereit, die Kinder zu unterrichten. Der Unterricht fand in seiner Schneiderwerkstatt statt und zwar an drei Tagen in der Woche — aber nur im Winter! Der Grund dafür war, dass die Kinder im Sommer auf den Bauernhöfen, beim Viehhüten und bei der Feldarbeit dringend gebraucht wurden.

Der Hof musste ja nicht nur Mensch und Vieh ernähren, sondern es waren auch noch Abgaben und Fronarbeiten an die Großgrundbesitzer (Schloss Bladenhorst und Schadeburg) zu leisten.

Die Unterrichtszeit auf den Winter zu beschränken, war aber auch dem Schneider Lück recht, denn er war ein sogenannter »Wanderschneider«.

Im Sommer ging er, mit seinen Schneiderutensilien aus- gerüstet, »über Land«, um auf den verstreut liegenden Bauernhäusern Schneiderarbeiten auszuführen. Es musste ja alles von Hand genäht werden. Eine Nähmaschine gab es noch nicht.

Zu dieser Zeit führte man in Börnig ein relativ ausgeprägtes Eigenleben. Alles was zum dörflichen Leben und Miteinander notwendig war, war vorhanden: Mühle, Schmiede, Schneider, Bäcker, Schuhmacher, Schreiner.

Man war sozusagen dörflich autark und der Zusammenhalt in so einer Gemeinschaft war groß. Nicht alles lief über den Zahlungsweg, der Tauschhandel war noch durchaus üblich.

Der Besitz von Geld war bei allen minimal. Trotzdem waren alle Dorfbewohner bereit, für den Schulbesuch ihrer Kinder zu bezahlen. Die Vergütung an den Schneider Lück betrug pro Kind und Woche 1 Stüber (nach heutigem Wert ca. 2 Cent).

Wie historische Aufzeichnungen aus dem Jahr 1806 belegen, lebten zu dieser Zeit in Börnig (inkl. Vellwich und Voßnacken) 64 schulpflichtige Kinder, sodass Schneider Lück auf einen Wochenlohn von 64 Stüber = 1 Taler und 28 Stüber kam (= nach heutigem Wert rund 2 Euro) — aber wohlgemerkt nur im Winter!

Unterrichtet wurde in folgenden Fächern: ✦ Beten
✦ Schreiben
✦ Lesen
✦ Rechnen

Es sprach sich herum, dass Schneider Lück in »fürtrefflicher Weise sein Amt wahrnimmt«, sodass selbst Kinder aus Horsthausen, Gysenberg-Sodingen und Börsinghausen, Hiltrop (heute zu Bochum gehörend) zum Unterricht nach Börnig kamen.

Als Schneider Lück hochbetagt sein Amt niederlegte, übernahm 1792 sein Schwiegersohn, Schreinermeister Johann Bußmann, die Aufgabe des Dorflehrers.

Lehrer Bußmann sorgte dann dafür, dass Börnig ein eigenes Schulhaus bekam.

Das Haus, in dem Lehrer Bußmann wohnte, wird in alten Aufzeichnungen wie folgt beschrieben: »Es lag in der Nähe des Hofes Herntrey und enthielt neben einer beschränkten Wohnung einen kleinen Raum, in dem der Schreiner Bußmann nebenamtlich die jüngeren Jahrgänge der Börniger Kinder in Schreiben und Lesen unterrichtete. Als die »baufällige Hütte«, wie sie in einem Schreiben Bußmans genannt wird, vom Einsturz bedroht war, beschlossen 1813 die Schulinteressenten von Börnig und Sodingen, notgedrungen den Bau einer neuen Schule«! (Laut historischen Aufzeichnungen des Lehrer Becker). Als der Bürgermeister des Amtes Castrop den Bau untersagte, begann ein 15 Jahre langer Kampf der »hartnäckigen Börniger«. Letztendlich wurde durch die Regierung in Arnsberg zugunsten der Börniger entschieden.

Den Durchbruch zum Schul bau erzielt Schreinermeister Bußmann mit einem persönlichen Brief an den Landrat Hiltrop in Dortmund.

Inhalt und Form des Schreibens bringt deutlich den Untertanengeist zum Ausdruck, der damals im Verkehr mit vorgesetzten Behörden gefordert wurde. Die Anschrift lautet:

»Hochwohlgeborener Herr Landrat! Gnädiger Herr!«
Die Betreffzeile lautete:
»Untertänige Vorstellung und Bitte des Dorfschullehrers Johann Bußmann aus Börnig, 
um Erbauung eines neuen Schul- und Wohnhauses daselbst.«
Das Schreiben schließt dann wie folgt:
»In der zuversichtlichen Hoffnung, dass Hochderselben in Ihrer Weisheit und Macht Mittel finden werden,
meine Bedürfnisse mit dem Interesse des Staates und der Jugend in Harmonie zu bringen, 
habe ich die Ehre, mit aller Hochachtung mich zu nennen
Eh. Hochwohlgeb. Gnaden untertäniger Diener Johann Bußmann, Schullehrer.«

Wenn wir uns heute auch über die Ausdrucksweise wundern, so bleibt festzuhalten: Der Schreinermeister Bußmann hatte Erfolg!

Nun kam das nächste Problem: Woher das Geld nehmen?

Für den Schulneubau hatte man die Baukosten auf 632 Taler (nach heutigem Wert 948 Euro) veranschlagt. Diese Summe konnte noch reduziert werden, da einige Börniger sich bereit erklärten, Bauholz und Sand zu stiften. Außerdem brachte der Verkauf der Bußmann-Schule 30 Taler.

Um die restlichen Baukosten aufzubringen, erstellte man am 25. Juli 1822 eine Liste »Beteiligung der Dorfgemeinschaft zum Bau der Dorfschule Börnig«.

Um eine gerechte Belastung aller Dorfbewohner zu erzielen, wurden acht Belastungsklassen gebildet. Diese Aufstellung ist ein wahres Zeitdokument und wird nachstehend wiedergegeben.

Klasse I: 40 Taler
Tönnis,
 Schulte-Uhlenbruch,
 Haus Schadeburg,
 Haus Giesenberg 
Klasse II: 30 Taler
Sehrbruch,
 Herntrey,
 Sonntag,
 Westerbusch,
 Kleinalstede 
Klasse III; 20 Taler 
Hoffmann,
Wever,
Baak,
Kipp,
 Wittenberg,
 Heiermann 
Klasse IV: 15 Taler 150 Stüber 
Tinnemann,
 Koop, Vortmann 
Klasse V 10 Taler 
Klute, Werth, Bornemann, Büchte, Dücker, Beckmann, Stegmann, Arendt 
Klasse VI: 5Taler, 75Stüber
Köller, Schmidt, Cordes, Noethe
Klasse VII: 225 Stüber 
Steffens, Drögendiek, Kranenberg, Ketlinskemper 
Klasse VIII 150 Stüber 
Schreiber, Hugendiek, Gremme, Stromberg, Vollenberg, Walböhmer, Tappe, J, Drögendiek, Straeter, Reinert, C. Hermann, Knapp, Westerbusch, Tollkamp, Drevermann, Kipp, Wwe. Heiermann

(Umrechnung: 1 Taler = heute ca.1,50 Euro 1 Stüber = heute ca. 2 Cent)

Diese Aufstellung gibt uns noch heute einen Eindruck von der Struktur des Dorfes:

Reich — Mittelstand — Arm.

Die vereinbarten Anteile waren mit Sicherheit noch für viele schwer zu erbringen. Aber man war absolut gewillt, eine eigene Schule zu bauen.

Die Beharrlichkeit zahlte sich aus, denn 1828 war in Börnig die Schule fertiggestellt.

Die endgültige Abrechnung über den Bau der Dorfschule zeigt, man hatte gut geplant, gemeinschaftlich gewerkelt und war sparsam mit den vorhandenen Mitteln umgegangen. Man war somit rund 10 % unter den veranschlagten Baukosten geblieben.

1. Bau der Schule (187 Taler für Handwerker, 224 Taler für Materialien) 473 Taler
2. Utensilien (Bänke, Ofen,Tafel) 42 Taler
3. Pachtgelder, Ablösungen, Sonderausgaben 80 Taler
Gesamtkosten 595 Taler

Als der Schreinermeister Bußmann »infolge Altersschwäche« den nebenamtlich erteilten Unterricht aufgeben mußte, wurde als erster vorgebildeter Lehrer Heinrich Lampmann aus Frohlinde angestellt. Lampmann hatte beim Lehrerseminar in Büren seine pädagogische Ausbildung erhalten.

Bei seinem Amtsantritt setzte sich die Schülerzahl wie folgt zusammen:

Aus Börnig 32 Kinder
Aus Gisenberg-Sodingen 38 Kinder
Aus Horsthausen 16 Kinder
Aus Börsinghausen, Hiltroper Landwehr, Pöppinghausen 16 Kinder
Gesamtschülerzahl 102 Kinder
in einer einräumigen, einklassigen Schule!

Bemerkenswert ist auch der Schulweg der Kinder: Von Pöppinghausen und Hiltroper Landwehr betrug der Schulweg eine Stunde. (»Schulbus« oder »Mama Taxi« waren noch nicht erfunden!)

Für seine Tätigkeit erhielt der Lehrer Lampmann folgende Vergütung:

Schulgeld (von den Eltern zu erbringen) 88 Taler
Gemeindezuschuß 20 Taler
Wohnung u. Garten zur Nutzung 12 Taler
Gesamtvergütung 120 Taler

Nach heutigem Wert betrug somit das Jahreseinkommen rund 180 Euro.

Zusätzlich erhielt Lehrer Lampmann noch diverse Naturalien wie z.B.:

  • 18 Körbe Steinkohlen
  • 4 Stiegen Roggen (anteilig von den Höfen)
  • und bei den winterlichen Schlachtfesten »eine ordentliche Wurst« und ein Stück Speck.

Der Vertrag mit Lehrer Lampmann enthielt auch die in dieser Zeit in Preußen übliche Pensionszahlung: Mit 70 Jahren = 1⁄3 der bisherigen Vergütung. Das heißt im Falle von Lehrer Lampmann wären das 40 Taler (= 60 Euro) jährlich gewesen.

Der Haken an dieser Regelung war jedoch, dass diese Pensionsleistung von der Vergütung des nachfolgenden Junglehrers abgezogen wurde. Ergebnis war, dass Junglehrer unter dieser Bedingung kaum zu finden waren. Andererseits ging ein Lehrer so gut wie nie in Pension — man starb in der Regel am Lehrerpult.

Auch der erste echte Lehrer im Dorf Börnig, Heinrich Lampmann, profitierte nicht von dieser Pensionsregelung. Er Starb im Alter von 67 Jahren.

Eine weitere Ungerechtigkeit war, dass eine »Witwenzahlung« nicht vorgesehen war. In einem solchen Fall war die Witwe eines Lehrers mit ihren Kindern völlig mittellos. Erst ab 1899 wurden auch die Hinterbliebenen in die Versorgungsregelung einbezogen.

Wir sehen, so gut — wie oft gesagt — war die sogenannte »gute alte Zeit« nicht.

Doch nun zurück zu Lehrer Lampmann und seinem Einkommen.

Dieses Einkommen war, zu der damaligen Zeit so gut, dass Lehrer Lampmann davon später in Börnig noch ein eigenes Haus bauen konnte.

Der von der Gemeinde eingekaufte Garten gab dem Lehrer Gelegenheit, für seinen eigenen Bedarf, Gemüse anzubauen. Einen anderen Teil des Gartens nutzte Lehrer Lampmann als Obst-Baumschule für den Unterricht.

Bei einer Visitation durch die Königliche Regierung zu Arnsberg im Jahre 1836 wurde amtlich vermerkt:

»Die Baumschule ist in guter regelmäßiger und kunstgerechter Haltung, 
zählt Bestände aller Größe und unverbesserlicher Qualität«.
Totenzettel von Lehrer Lampmann [1]

Lehrer Lampmann erhielt dafür von der Königlichen Regierung eine Prämie von 5 Talern.

Lehrer Lampmann wirkte bis kurz vor seinem Tod, am 9. Mai 1868.

Ein im Original vorliegender Totenzettel gibt einen kurzen Abriss seines 40jährigen Wirkens als Lehrer in Börnig wieder. Dieser Totenzettel und ein ihm zugedachtes Gedicht von dem Castroper Heimatdichter Fritz Klein (teils in Mundart) wird unten wiedergegeben.

Fast zeitgleich mit dem Ableben von Lehrer Lampmann endet auch die Geschichte der einräumigen/einklassigen Börniger Dorfschule.

Bedingt durch den schnellen Anstieg der Bevölkerungszahlen, welche der Bergbau mit sich brachte, schied Sodingen aus dem Schulverband aus. Zunächst wurde in Sodingen, in einer Gaststätte unterrichtet, bis der Bau der Marienschule an der Händelstraße fertig war. In Börnig entstand die aus zwei Klassenräumen und zwei Lehrerwohnungen bestehende Josephschule an der Kirchstraße (wo heute der Kindergarten ist).

Das Gebäude der alten Börniger Dorfschule wurde in der Folgezeit als Wohnhaus genutzt. Ich selbst kenne es noch aus den 1950er/1960er Jahren. Heute steht dort das Haus Dorfstraße 27.

Ein Artikel von Gerd E. Schug

»Dör de Linne.«
De Lährer Lampmann was in Lähren
En ollen, gudden, leiwen Hären,
He mok de Blagen, dat es wohr,
Fast alles dör Exempels klor.
Fröher, dat wät ik wull verstohn,
Geng Kauhhein noch vör’t Schaulegohn;
Un trots de Schaulverstriekerie
Brach hä de Blagen doch wat bi.
Ens sag he: »Kinder, wißt Ihr was?
Ich mach Euch heute mal nen Spaß.
Und will Euch zeigen kurz und gut,
Wie man einen Hasen schießen tut.
Ihr wißt, ich habe wohlerwogen
Mir selbst ein Häslein großgezogen.
Und da er jetzt ist fett geworden,
Will ich ihn selber auch ermorden,
Mit meiner Flinte regelrecht.
Denn merkt Euch das, ich schieße nicht schlecht.
Karl Strunk, geh Du mal hin zu Schmidt,
Und bring die lange Pfluglein mit.
Sag ihm nen schönen Gruß, bis morgen
Wollt ich sie wohl zurückbesorgen.
Und Ihr zwei Schlingel geht sodann
Und holt die Hasenkiste ran!«
Nu seck et Ink — de Düwel hal! —
De Blagen mögen Mordsskandal.
He stallt se bi dat olle Heck,
An enen Trupp, so in de Eck.
Dat äm de Has nich soll affhüppen,
Däh he de Lien an’t Been anknüppen,
Un dann bunn he noch an en Ast,
Vam Appelbaum de Liene fast.
»Nun, Kinder,« sagg he, »gebt hübsch acht,
Ich zeig Euch jetzt die Hasenjagd!« 
Lag dann de Flinte anne Kopp,
De Blagen schrein: »Has opp, Has opp!« 
Nu geng et ümmer hen un her
De Has, dat was en Donnerweer,
Büs dat he schließlik met dat Gatt
Sick op de Achterbeene satt.
»Nu es et Tied! Nu scheit män gau!« 
So reipen em de Blagen tau.
Un — bums! — do gaw’t’n wahnen Knall.
»Vörbi!« so schrein de Blagen all.
»Ne hett,« rein Ströters Hinnerk fuotten,
»de Liene ratzig dörgeschuotten!« 
Un ächter, öwer Stoppelfeld, —
Do gaw de Hase Fersengeld. —
Sien Nober Schulte, den griesen Ollen,
De mog vor Lachen den Buk sick hallen,
Ganz schelmisch sagg he: »So’n klauk Dier,
Den Lot men laupen, de kömmt wier,
De es blaus weg, dat Geld te halen,
Dat he sien Kostgeld kann betalen.« —
Jo, wenn de Schaden eemol do,
Dann kömmt de Spott van selwer noh.
»Ihr Kinder, geht jetzt schön nach Haus,
Für heute ist die Schule aus!«

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Quellen

  1. 1,0 1,1 Foto: Sammlung Gerd E. Schug †