Der Garten in der Westtangente

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
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Eigentlich ging es nur um läppische 240 Quadratmeter. In der Sache ging es aber um mehr. Denn diese 240 Quadratmeter gehörten zu einem Gartengrundstück von Amanda und Helga Schütte, das einem der ehrgeizigsten Projekte der Verkehrsplaner im Weg stand: der Westtangente.

Wolfgang Berke

Aber der Reihe nach.

In den 1960er Jahren befanden die Planer, dass sich Wanne-Eickel endlich die einer Großstadt angemessenen Straßen leisten müsse. An ehrgeizigen Straßenplanungen hatte sich Wanne-Eickel schon immer gerne beteiligt. Um dann letztendlich auf einem Teilstück sitzen zu bleiben, wie etwa der OW III. Hinter dem merkwürdigen Kürzel verbarg sich die „Ost-West-Verbindung 3“, die zwischen der Autobahn Hannover–Oberhausen (OW I) und dem Ruhrschnellweg (OW II) nach dem Wunsch der Nazi-Planer die flotte Durchquerung des Emscherraumes ermöglichen sollte. Und sei es nur für Truppenbewegungen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Projekt von den einzelnen Städten sehr unterschiedlich weiterverfolgt. Gelsenkirchen führte die Florastraße vierspurig durchs Stadtgebiet, Herne tat nichts und wartete auf die Autobahn. In Wanne-Eickel wurde die OW III von der Heidstraße bis zur Dorstener Straße auf Vierspurigkeit angelegt und blieb über Jahre ein Torso, bis man sie schließlich mit zwei extrabreiten Fahrstreifen beließ und dieses misslungene Stück innerstädtische Schnellstraße in Berliner Straße umbenannte. Der Untergang des Abendlandes trat durch den Verzicht auf vier Spuren übrigens nicht ein, der spärliche Verkehr geriet auch zweispurig nicht ins Stocken – na ja, wer will auch schon von Wanne-Eickel nach Herne-Baukau fahren ...

Was aber die ruhrgebietsweite OW III letztendlich völlig überflüssig machte, war die A42, der von Dortmund bis Duisburg führende Emscherschnellweg, dessen Wanne-Eickeler Teilstücke in den frühen 1970er Jahren eingeweiht wurden.

Natürlich existierten neben den OW-Vorkriegsplänen auch noch die NS-Planungen, also die Nord- Süd-Verbindungen. Wanne-Eickel sah sich im Großstadtwahn der 1950er und 1960er Jahre als Drehkreuz nicht nur der Eisenbahn-, sondern auch der Straßenverbindungen. Vierspurige Anbindung an die A2 und den Ruhrschnellweg war Pflicht – ein tolles Kreuz mit der OW III sowieso. So ungefähr, wie es auf der Skizze aus dem Jahr 1959 aussieht.

1968 machte Wanne-Eickel dann Ernst, der Bau der „Außentangente West“ wurde beschlossen. Drei Jahre später wurde die A43 (damals noch A77: Wuppertal–Recklinghausen) dem Verkehr übergeben, die den Nord-Süd-Durchgangsverkehr aufnahm. Wer also sollte auf den Gedanken kommen, ausgerechnet durch Wanne-Eickel fahren zu wollen? Zechen machten dicht, Arbeitsplätze gingen verloren und Wanne-Eickel verlor immer mehr Einwohner. All das focht aber die Planer im Rathaus nicht im Geringsten an. Die Westtangente samt all ihrer gestalterischen Scheußlichkeiten wurde gebaut, zunächst bis zur Röhlinghauser Straße.

1985, zehn Jahre nach der Eingemeindung, nahmen die Planer (jetzt in Herne) die irrwitzige Idee wieder auf, den vierspurigen Ausbau bis zur Edmund-Weber-Straße zu verlängern. Die Stadt hatte alles zusammengekauft, was an Grund und Boden benötigt wurde - bis auf eben jene 240 Quadratmeter, die den Geschwistern Schütte gehörten. Die beiden Damen widersetzten sich allen Kaufangeboten und auch den späteren Enteignungsdrohungen. Schließlich war der Ausbau ihres Gartens kurz zuvor mit Landesmitteln im Zuge der Wohnumfeldverbesserung sogar noch gefördert worden.

Vor Gericht wiesen die von den resistenten Schwestern beauftragten Anwälte der Stadt Fehler in der Planung und im Genehmigungsverfahren nach. Aber trotz Pleiten, Pech und Pannen wurde gebaut, und solange man den Garten der Schüttes nicht kriegen konnte, eben drum herum. Die Westtangente wurde eingeweiht und dem Verkehr übergeben, der sich vor dem Nadelöhr mehr als drei Jahre lang einspurig einfädeln musste. Zeit genug also für die Autofahrer, sich an der Gartenpracht mitten auf einer vierspurigen Stadtstraße zu erfreuen.

Einigen Zeitgenossen schienen diese Sekunden der Muße nicht zu gefallen, die Schwestern wurden mit anonymen Briefen bedroht, in ihrem Namen wurden Versandhausbestellungen aufgegeben, Zeitungen abonniert und üble Kleinanzeigen verfasst. Als das Enteignungsverfahren kaum noch abzuwenden war, gaben Helga und Amanda Schütte auf und der Stadt die heiß umkämpften 240 Quadratmeter. Zum Ausgleich erhielten sie ein anderes, angrenzendes Grundstück – und gemeinsam mit ihren Nachbarn eine Lärmschutzmauer.

Seit 1990 rollt der Verkehr endlich vierspurig. Zumindest zwischen den beiden Nadelöhren Schlachthofstraße und Edmund-Weber-Straße. Die sind nach wie vor zweispurig und werden es wohl in alle Ewigkeit bleiben. Und der Anschluss nach Süden? Bochum denkt nicht mal im Traum daran, eine Verlängerung bis zur Wakefieldstraße hochzuführen. Eine vierspurige schon gar nicht.


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Quellen

Der Garten in der Westtangente