Traurige und schöne Momente: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Datei:Leo Schnur.jpg|550px|thumb|left|"Ich erinnere mich noch gut, wie wir an der [[Markgrafenstraße]] Rollschuh gelaufen sind." - An die Schauplätze seiner Kindheit brachte Leo Schnur seine Familie: Sohn Ignacio, Ehefrau Sonia und Schwiegertochter Sarah.]]
[[Datei:Leo Schnur.jpg|550px|thumb|left|"Ich erinnere mich noch gut, wie wir an der [[Markgrafenstraße]] Rollschuh gelaufen sind." - An die Schauplätze seiner Kindheit brachte Leo Schnur seine Familie: Sohn Ignacio, Ehefrau Sonia und Schwiegertochter Sarah.]]
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Version vom 26. März 2017, 14:09 Uhr

"Ich erinnere mich noch gut, wie wir an der Markgrafenstraße Rollschuh gelaufen sind." - An die Schauplätze seiner Kindheit brachte Leo Schnur seine Familie: Sohn Ignacio, Ehefrau Sonia und Schwiegertochter Sarah.
Der Originaltext/Artikel dieser Seite stammt von Pressebüro der Stadt Herne und wurde für das Wiki redaktionell bearbeitet.
Autor Pressebüro der Stadt Herne
Erscheinungsdatum 2010, in: Erinnerungsorte - Shoah-Denkmal, S. 40 u. 41








Ein Gespräch mit Leo Schnur

Leo Schnur wurde 1925 in Herne geboren. Seine Eltern lsac und Basia Schnur unterhielten ein Bekleidungsgeschäft in der Von-der-Heydt-Straße. „Einmal sonntags wollten wir mit unseren Eltern in ein Kaffeehaus gehen. Da stand an der Tür ein Schild: ,Eintritt für Juden, Hunde, Zigeuner und Neger verboten‘. Da hörte ich meine Mutter zu meinem Vater sagen: ,Isac, wir müssen weg von hier, sonst wird es zu spät sein‘“, erinnert er sich an ein Erlebnis in der Bahnhofstraße. Die Familie emigrierte 1936 nach Uruguay. Kurz vor Montevideo kollidierte das Schiff mit einem Frachter und ging unter, aber alle Familienmitglieder wurden gerettet. Leo Schnur lebt seit dem in Montevideo. Im Jahr 2005 weilte er auf Einladung der Stadt Herne in seiner Geburtsstadt.

Leo Schnur, welche Eindrücke haben Sie von Ihrer Geburtsstadt?

Gerade gestern habe ich in einer Zeitung hier im Hotel ein altes Bild noch aus der Zeit der Hitler-Diktatur von Herne gesehen. Der Rathausplatz war voll mit Hakenkreuzfahnen. Ich musste wieder an unsere Flucht aus dieser Stadt denken, an die Angst, die wir damals durchlitten. Ich erinnere mich daran, wie die Hitler-Jugend in ihren Uniformen aufmarschierte. Es war so eine dunkle Zeit. Es gab damals Schuldige und Unschuldige. Die Schuldigen waren die, die die NSDAP unterstützt und gewählt haben. Dadurch kam der Krieg. Auch Deutschland hat viele Menschen verloren, aber für das Judentum in ganz Europa kam die Katastrophe der Shoah. Und als ich dieses alte Foto sah, hat mich das alles in dem Moment berührt. Das ist nun viele Jahre her und mein Leben ist mit fast achtzig Jahren schon „Ende des Winters", wie man bei uns in Uruguay sagt, aber diese Erfahrungen sind mir immer noch nah. Heute aber kam ich in eine Stadt, die ganz anders ist. Ich traf Menschen, die ganz anders sind, junge Menschen, die damals noch gar nicht geboren waren. Diese Begegnungen bedeuten mir viel. Es ist mein Wunsch, dass sich dieses Land weiter demokratisch und frei entwickeln kann, und bei meiner heutigen Abreise aus Herne nehme ich den Glauben und das Vertrauen mit, dass es keine dunkle Zeit mehr in Deutschland geben wird.

In Deutschland gibt es seit Jahren eine Diskussion darüber, ob man nicht endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen sollte. Wie sehen Sie das?

Wir müssen nicht jeden Tag leben mit diesen Sachen, denn wir sollten vor allem in die Zukunft schauen. Aber wir tragen die Verantwortung, daran zu erinnern, was geschehen ist. Überhaupt der jungen Generation das mitzuteilen, damit es nicht verloren geht. In 100 Jahren würde es sonst keiner mehr wissen, und das wäre so, als ob es nie geschehen wäre. Meine Angst ist: Wenn man vergisst, könnte es wieder passieren. Deswegen heißt die Lehre der Erinnerung für mich, etwas für die Gegenwart zu begreifen. Diese Gedenktafeln, die Jetzt in der ganzen Stadt stehen, halte ich für eine wichtige Sache. Sie werden von Schülern gemacht, die schon bei der Erarbeitung etwas von der Geschichte der Verfolgung und Deportation lernen können. Und in der Straße bleiben die Menschen davor stehen und wer will, kann lesen, was geschrieben steht. Außerdem ist es „für uns" wichtig, dass unsere Geschichte nicht vergessen ist. Oder für meinen Sohn, der aus Israel kommt und sieht, dass man sich hier in dieser Stadt der Geschichte stellt.

Für ihre Frau, ihren Sohn und ihre Schwiegertochter war der Besuch in Deutschland etwas Neues?

Ich selbst habe mit meinen Kindern nicht viel über meine Kindheit in Deutschland, über die Nazis und die Emigration gesprochen. Wenn, dann nur mit meinem älteren Bruder Heinz, der auch noch in Uruguay lebt. Wir leben viel in den Erinnerungen. Für mich war es sehr wichtig, dass meine Familie mich hier begleiten konnte, und ich glaube, meine Familie hat jetzt noch viel mehr von meiner Geschichte begriffen. Es ist ein Unterschied, ob man Sachen erzählt bekommt, die einer erlebt hat, oder ob man die Dinge, die Angst, selbst gefühlt hat. Es hat damals lange gedauert, bis man in Uruguay die Angst von uns genommen hatte. Und diese Erfahrung selbst in der eigenen Familie weiterzugeben, ist sehr schwer. Aber hier bei diesem Besuch ist mir das etwas besser gelungen. Und sie haben natürlich auch verstanden, wie sich diese Stadt verändert hat, denn zu Beginn der Reise waren sie schon etwas skeptisch über den Besuch in Herne. Mein Sohn und meine Schwiegertochter - beide leben in Israel - haben gesehen, dass hier verantwortlich mit der Geschichte umgegangen wird. Meine Frau hat vor der Reise sehr gezweifelt, aber gestern Abend hat sie zu mir gesagt: „Ich hatte nicht viel Lust, nach Herne zu kommen. Aber jetzt fahre ich weg mit einem sehr angenehmen Gefühl. Was wir hier erlebt haben, die Menschen, mit denen wir in Kontakt waren, dass war sehr wichtig." Man sieht und hört, dass ist ein anderes Deutschland.

Gleichzeitig existieren auch die traurigen Momente. Als wir durch die Stadt gegangen sind, haben Sie sich viel an die alten Geschäfte und Wohnhäuser jüdischer Familien erinnert, also an Menschen, die es alle nicht mehr gibt.

Von den über 600 Juden, die es in Herne gab, als wir wegfuhren, ist keiner mehr da. Auch keine Kinder von ihnen. Als ich jung war, gab es hier eine Synagoge und eine lebendige jüdische Gemeinde. Das alles ist unwiderruflich verloren. Das deutsche Judentum ist mit der Shoah untergegangen. Die wenigen, die überlebten, kamen nicht mehr zurück. Auch mir kam es nach dem Krieg nie in den Sinn, wieder in Deutschland leben zu wollen.


Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Stadt Herne

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Quellen

Erinnerungsorte - Shoah-Denkmal - Zum Gedenken an die Opfer der Shoah aus Herne und Wanne-Eickel - Eine Dokumentation von Ralf Piorr im Auftrag der Stadt Herne, Herausgeber: Stadt Herne, 2010