Jüdisches Vereinswesen

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Gesellschaftliche Bedeutung der Vereine

"Wenn mehr als sieben Deutsche zusammenkommen, dann gründen sie einen Verein. Wenn die Stereotype über unser Land richtig ist, dann gehören unter diesem Aspekt die Bürger jüdischen Glaubens zu den besonders deutschen Deutschen. Die Leistungen der Vereine aller Art, gerade in der Geschichte dieser schnellwachsenden Stadt, sind von großer Bedeutung. Die beginnende Industrialisierung bedeutete Wachstum und Bevölkerungszunahme für die Städte, aber auch Eingewöhnungsprobleme, Entwurzelung und Suche nach einer neuen Identität. Im Aufbau neuer Bindungen, in der Änderung von Mentalitäten und in der Integration verschiedener ethnischer, religiöser und landsmannschaftlicher Gruppen liegen die Verdienste der großen und kleinen Vereine. In den Synagogengemeinden von Herne und Wanne-Eickel kamen Gläubige aus Westfalen, vom Mittelrhein, aus Süddeutschland und später aus Polen und Russland zusammen. Erziehung und sozialer Hintergrund waren ebenso verschieden wie Sprache und religiöse Vorstellungen oder politische Einstellungen. Der Artikel stellt die jüdischen Vereine und Ortsgruppen vor, die sich in ihrer Aufgabenstellung auf das Stadtgebiet beschränkt hatten.

Israelitische Männervereine in Wanne und Eickel

Der israelitische Männerverein Wanne war der älteste jüdische Verein in dieser Stadt und wurde schon 1897 vor der Konstituierung der Synagogengemeinde gegründet. Wie in vielen anderen Orten war auch in Wanne dieser "Heilige Verband" (aramäisch: Chewra Kaddischa) die Urzelle der jüdischen Gemeinde. Die Hauptaufgabe dieses in jeder Synagogengemeinde bestehenden Vereins war es, ehrenamtlich Kranke zu versorgen und Bestattungen verstorbener Gemeindemitglieder durchzuführen, weshalb der Verein oft als Beerdigungsbrüderschaft bezeichnet wurde. Mit der wachsenden jüdischen Bevölkerung in Eickel kam es auch dort zur Gründung einer Chewra. Das Einladungsschreiben zur Gründungssitzung ist in zweifacher Hinsicht interessant. Zum einen zeigt es, dass schon um 1897 Gottesdienste hier gehalten wurden, zum anderen dokumentiert es die Anzahl der jüdischen Familien und ihre Verteilung auf die Orte Eickel, Wanne, Röhlinghausen und Bickern. In den folgenden Jahren engagierte der Verein jeweils zu den hohen Feiertagen einen Kantor, damit die Gläubigen nicht nach Bochum zur Synagoge fahren mussten. Im organisatorischen Rahmen der Chewra Kaddischa wurden unter Leitung des Versicherungskaufmanns Joseph Hirsch die Vorbereitungen der Gemeindegründung getroffen. Die jüdische Bevölkerung von Wanne und Eickel gehörte zur Synagogengemeinde Bochum. Mit der Gründung einer selbständigen Synagogengemeinde Wanne-Eickel übernahm 1907 der neugewählte Synagogenvorstand die meisten Aufgaben der beiden Vereine. Damit verloren einige Gemeindemitglieder das Interesse an einem größeren Engagement. Trotzdem blieben die Vereine als "Männer-Wohltätigkeitsvereine" bestehen, allerdings wurden sie in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Relikt, für das kaum noch Notwendigkeit bestand. Über die letzten Jahre der beiden jüdischen Männervereine ist wenig bekannt. Vermutlich haben sie sich in der Zeit der Weimarer Republik [1] zu einem Verein zusammengeschlossen.

Israelitischer Frauenverein Wanne-Eickel

Am 23. November 1909 wurde der “Israelitische Frauenverein" der Synagogengemeinde Wanne-Eickel gegründet. Er konstituierte sich ohne Mithilfe von Männern und war allgemein unter der Bezeichnung "Israelitischer Wohltätigkeitsverein" bekannt. Wie aus dem Protokollbuch der Synagogengemeinde hervorgeht, nahmen weder der Vorstand noch die Repräsentanten die Gründung des Vereins zur Kenntnnis. Gemäß jüdischer Tradition bestand die Aufgabe des Vereins in sozialer Arbeit an Armen, Kranken und Kindern. Alle jüdischen Frauenvereine waren im 1904 gegründeten jüdischen Frauenbund zusammengeschlossen. Dieser besaß Erholungsheime in Neu-Isenburg und Wyk auf Föhr, in die bedürftige und kranke Kinder aus der Gemeinde gesandt wurden. Weitere Aufgaben des Vereins waren die Mithilfe bei Bestattungen und die Betreuung der Hinterbliebenen. In den Jahren des Ersten Weltkrieges kam die Soldatenbetreuung dazu, wobei mit dem überkonfessionellen "Vaterländischen Frauenverein" zusammengearbeitet wurde. Die Finanzierung der Vereinsarbeit erfolgte durch Beiträge und Erlöse von "Blumentagen". Die Mitgliederzahl wuchs mit der Größe der Gemeinde auch in der Zeit zwischen den Weltkriegen, während sich die Männer synagogenpolitisch polarisierten oder ganz das Interesse an der jüdischen Religion verloren. Zusammen mit dem Jugendverein wurde der Frauenverein am wenigsten von den Zerfallserscheinungen berührt, die im Verlauf der Weimarer Republik zu beobachten waren. Dabei ist zu beachten, dass Frauen in den hiesigen Synagogengemeinden kein Wahlrecht hatten, da weder Herne noch Wanne-Eickel zu den sogenannten "Reformgemeinden" gehörten. Im Rahmen der Demokratisierungsbestrebungen der Weimarer Zeit wurde der Synagogenvorstand 1931 aufgefordert, das aktive und passive Wahlrecht für Frauen einzuführen. Zu einer Reform der Statuten ist es aber in keiner der beiden Städte gekommen. So blieb der israelitische Frauenverein das einzige offizielle religiöse Betätigungsfeld jüdischer Frauen in Wanne-Eickel.

Mitgliederzahlen des Israelitischen Frauenvereins Wanne-Eickel

  • 1911 = 40 Mitglieder
  • 1912 = 50
  • 1925 = 65
  • 1928 = 65
  • 1930 = 50

Vorsitzende des Vereins

  • 1911 Frau Kronheim
  • 1912 Frau Leeser
  • 1913 Frau Kronheim
  • 1925 Frau Kronheim
  • 1928 Frau Kronheim
  • 1930 Frau Leeser

Israelitischer Männerverein Herne

Der jüdische Männerverein mit dem hebräischen Namen "Chewra Gemilus Chesed" wurde im Jahre 1900 gegründet. Seine Zielsetzung war die "Unterstützung Kranker und Hilfsbedürftiger sowie Bestattungen". Über seine Arbeit ist nicht viel bekannt, doch dürfte sein Gewicht in der Gemeinde nicht so groß gewesen sein, wie das des Wanner Männervereins, weil der Herner Verein erst nach der Konstituierung der Synagogengemeinde Herne gegründet wurde. Die Mitgliederzahl schwankte zwischen 60 und 80. In den 1920er Jahren existierte für einige Jahre außerdem ein "Beerdigungsverein", der vom Lehrer Jacob Emanuel geleitet wurde.

Vorsitzende des Vereins

  • 1907 Josef Stein
  • 1910 Jacob Emanuel
  • 1911 Josef Stein
  • 1912 Sally Samson
  • 1913 Sally Samson
  • 1914 Sally Samson
  • 1924 Sally Samson
  • 1926 Sally Samson
  • 1929 Sally Samson
  • 1930 Sally Samson
  • 1934 Jacob Emanuel

Israelitischer Frauenverein Herne

Im gleichen Jahr wie die Männer gründeten die jüdischen Frauen von Herne ihren eigenen Verein. Seine Mitgliederzahl lag in den 1920er Jahren zwischen 75 und 82 Frauen, die sich die "Wöchnerinnenfürsorge sowie die Unterstützung Hilfsbedürftiger und Kranker" zur Aufgabe gemacht hatten.

Vorsitzende des Vereins

  • 1907 Sophie Samson, geb. Windmüller
  • 1909 Sophie Samson
  • 1910 Sophie Samson
  • 1911 Sophie Samson
  • 1912 Sophie Samson
  • 1914 Sophie Samson
  • 1924 Sophie Samson
  • 1926 Frau Callmann
  • 1928 Frau Kaufmann
  • 1929 Frau Kaufmann
  • 1934 Frau Schiffmann

Kulturelle Vereine der Synagogengemeinde Herne

Jüdische Mädchengruppe in Herne bei der Aufführung eines Lebenden Bildes, um 1920

Zweimal versuchten Mitglieder der Herner Juden, in ihrer Gemeinde einen Verein aufzubauen, der die Kulturarbeit für die jüdische Bevölkerung organisieren und leiten sollte. Vor dem Ersten Weltkrieg gründete der Mediziner Dr. Wertheim hier eine Ortsgruppe des "Vereins für jüdische Geschichte und Literatur". Dieser Verein hatte Ortsgruppen in ganz Deutschland und beeinflusste das jüdische Geistesleben nachhaltig. In Herne konnte sich die Ortsgruppe allerdings nicht durchsetzen und stellte nach einiger Zeit ihre Arbeit wieder ein. Von kurzer Dauer war auch der zweite Versuch, jüdische Kulturarbeit für Erwachsene in Herne zu etablieren. Willi Mendel leitete in der Mitte der 1920er Jahre einen jüdischen "Literaturverein Herne", der zeitweise 50 Mitglieder zählte. Im Jahre 1928 bestand dieser Verein nicht mehr. Erfolgreicher in seiner Arbeit war dagegen der "Jüdische Jugend- und Literaturverein Herne". Die jüdische Jugendbewegung in Deutschland begann kurz vor der Jahrhundertwende. Einer breiteren jüdischen Öffentlichkeit wurde die Bewegung 1909 bekannt, als sich die verschiedenen Gruppen zum "Verband der jüdischen Jugendvereine Deutschlands" zusammenschlossen. In der Folgezeit wurde auch der jüdische Jugendverein Herne gegründet. Ein genaues Datum lässt sich nicht bestimmen, jedoch firmiert der Verein bereits im Adressbuch von 1914. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges stand "die geistige Förderung und Schulung der Mitglieder unter besonderer Berücksichtigung der jüdischen Geisteswissenschaften" im Vordergrund. Unter der Leitung von Fritz Wollstein änderte sich in den 1920er Jahren das Profil des Vereins. Verstärkt wurden auch Mädchen angesprochen und integriert. Auch das körperliche Element wurde nun gleichberechtigt neben das geistige gestellt. Edith Jelin leitete eine Sportgruppe, bei der Turnen und Wandern im Mittelpunkt standen. Zum Programm gehörte auch eine Laienspielschar, die sich, wie die meisten Gruppen des Vereins, im jüdischen Jugendheim auf der Bahnhofstraße 53 traf. Dieses Heim war für ca. 300 Personen geplant und auch für die Bewirtung dieser Gästezahl eingerichtet. Trotz Hitlers Machtübernahme versuchten Robert Jelin und der letzte Vorsitzende des Vereins, Erich Schiffmann, die Arbeit noch weiterzuführen. Im Anschluss an die Reichspogromnacht[2] wurde das Jugendheim am 10. November 1938 von der Herner Polizei beschlagnahmt. Offiziell wurde das bewegliche Vermögen des Jugendheims auf Befehl des Leiters des städtischen Wirtschaftsamtes der NSV übergeben. Vor der Befreiung ließ diese sämtliche Unterlagen vernichten, damit der Verbleib des Vermögens nicht aufgeklärt werden könne.

Jüdischer Jugendverein Wanne-Eickel

Für den 1914 gegründeten jüdischen Jugendverein Wanne-Eickel gilt in der Ausrichtung und Zielsetzung dasselbe wie für den gleichartigen Verein in Herne. In der kleineren Gemeinde hatte er jedoch einen höheren Stellenwert im synagonalen Leben. "Das geistige und Kulturleben wurde zum größten Teil durch den Jugendverein gefördert und in Bewegung gehalten“, erinnert sich ein Zeitzeuge. Der Verein sollte die 14- bis 18-jährigen jüdischen Jugendlichen ansprechen. Die jüngeren trafen sich im jugendbewegten Deutsch-Jüdischen Wanderbund "Kameraden", der von Fritz Salomon und Rolf Liffmann geführt wurde und dessen letzter Leiter Dr. Kurt Meyerowitz war. Er überlebte die NS-Zeit und besuchte nach 1945 noch mehrfach Wanne-Eickel. Inhaltlich standen in der jüdischen Jugendarbeit literarische Interessen im Vordergrund. "So wurden Vorträge gehalten, so oft es sich ermöglichen ließ, von auswärtigen Rednern; Referate, Diskussionsabende und Buchbesprechungen etc. wurden durchgeführt", weiß ein Zeitzeuge zu berichten. Angeschlossen an den Jugendverein war eine Theatergruppe aus Schülern verschiedener Schulen und jungen Erwachsenen, die an Chanukka und Purim regelmäßig Aufführungen gestalteten. Die Arbeit des Vereins wurde aus Mitgliederbeiträgen und Zuschüssen der Synagogengemeinde finanziert. Auf welch hohem Niveau die Arbeit des jüdischen Jugendvereins Wanne-Eickel stand, geht aus der Biographie von Kurt Meyerowitz hervor. Meyerowitz gehörte vor seinem Eintritt in den jüdischen Verein zum "Wandervogel-Bund". "Mein Bruder Erich, der schon immer etwas abseits stand, schloss sich dem "Deutsch-Jüdischen Wanderbund KAMERADEN" an, während ich bei meiner Gruppe bleiben wollte. Erich wollte mich mit aller Gewalt zwingen, der neuen Gruppe beizutreten. Ich blieb, trotzdem er mir einmal meine Schuhe und Wanderanzug versteckte, bei meiner Gruppe und rannte früh um 6 barfuß und ohne Frühstück weg. Aber im Laufe der Zeit fand auch Walter, dass ich zu Erichs Gruppe gehörte; ich verließ, anfangs nicht sehr willig, den Kreis, den ich gern gehabt hatte, und lebte mich intensiv bei den "Kameraden" ein. Obwohl wir hier auch dieselben Landsknechts- und Volkslieder sangen, dieselben Ausflüge machten, war durch unser Jüdisch-Sein ein anderer Geist vorherrschend. Wir lasen und besprachen gemeinsam Bücher moderner Schriftsteller, diskutierten die Probleme der Zeit, gingen den von Toller, Rathenau, Dostojewski und Dutzenden anderer großer Zeitgenossen aufgeworfenen Fragen und Problemen nach, interessierten uns für Politik und jüdische Geschichte, für Sozialismus, Antisemitismus, Kommunismus, Demokratie, Sexualfragen, Vegetarismus, Pazifismus und Erziehung. Mit Gruppen in anderen Orten und einzelnen Leitern wechselten wir Briefe, in denen nichts unerörtert blieb, bis spät in die Nacht hinein las ich Bücher, schrieb und lebte in einer geistigen Spannung, wie sie die Jugend jener Jahre allgemein intensiv erlebte. Ich ging viel in Theater und Oper, fuhr zu Vorträgen und Vorlesungen oft in andere Städte, reiste nach Süd- und Norddeutschland, Freundschaften, die ein Leben dauern sollten, schlossen sich. Es gab Bücher, die besonderen Eindruck machten und hinterließen, es gab solche, die verschlungen und schnell vergessen wurden. Mahathma Ghandi, Tolstoi, Martin Buber, Rabindranath Tagore, Hermann Hesse, Beer-Hoffmann, Karl Marx - wir wollten alles wissen und suchten gemeinsam im kleinen wie im weiteren Kreis nach Antworten, die aus Verwirrung heraushelfen sollten." Die Gruppe traf sich im Haus Bahnhofstraße 125 am Eingang zur Glaspassage (heute Mozartstraße). "Wir ‚Kameraden‘ hatten ein ‚Heim‘ im Dachgeschoss des Geschäftshauses meines Freundes Erich Mendel bekommen, und dort hatten wir Älteren unsere Heimabende, mit den Jüngeren, den ‚Pimpfen‘ veranstaltete ich dort Nachmittage." Doch nicht alle jüdischen Jugendlichen in Wanne-Eickel blieben bei der Gruppe. "Es gab kein Kind in der jüdischen Gemeinde, das nicht bei den "Kameraden" war, bis die zionistische Bewegung ihren Einzug auch bei uns hielt. Es gab in der Gemeinde eine gewisse leichte, manchmal stärkere Trennung zwischen den alteingesessenen "deutschen Juden" und den erst zum Teil nach dem Krieg durch die Judenverfolgung und Pogrome im Osten eingewanderten "Ost-Juden". Als "Führer" unserer Gruppe habe ich mich bemüht, keinen Unterschied merken zu lassen, und Freundschaften aus jener Zeit bestehen noch heute zwischen den Jungen und Mädchen jener Zeit, die nun über 60 Jahre zurück liegt." (Der Bericht stammt aus dem Jahr 1986, Anmerkung des Verfassers) Diejenigen der jungen Juden, die sich dem Zionismus verschrieben hatten, schlossen sich in der Regel der jüdischen Pfadfinderschaft "Kadimah" in Essen an, die zionistisches Gedankengut vertrat. Durch den Nationalsozialismus wurden immer mehr jüdische Familien zur Auswanderung gezwungen. Um 1936 musste der jüdische Jugendverein Wanne-Eickel seine fruchtbare Arbeit einstellen, da ihm nicht mehr genügend Mitglieder angehörten.

Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Ortsgruppe Wanne-Eickel

1893 wurde der Centralverein (C.V.) "zur Wahrung der staatsbürgerlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung der deutschen Juden sowie zur Pflege deutscher Gesinnung" gegründet. Von Beginn an nahm der Widerstand gegen den Antisemitismus in der Vereinsarbeit einen breiten Raum ein. Unter den verschiedenen Arten des Widerstandes kann der des C.V. als "konservativer Widerstand" bezeichnet werden. Konservativ ist hier nicht als politische Einstellung zu verstehen, sondern auf die Methode des Widerstands zu beziehen. Der C.V. hielt sich stets an den gesetzlichen Rahmen und versuchte, durch Aufklärungsarbeit judenfeindliche Strömungen zu bekämpfen. Die Gründung der Wanne-Eickeler Ortsgruppe erfolgte um 1913, doch trat sie erst 1916 in Erscheinung. Der C.V. hatte den Synagogenvorstand aufgefordert, Maßnahmen zu diskutieren, um den nach dem Kriege von ihm befürchteten antisemitischen Bewegungen entgegenzuwirken. Diese wurden jedoch von den Wanne-Eickeler Juden nicht weiter beachtet, da der Krieg und die Nachkriegszeit andere Aufgaben mit sich brachten. Im Ersten Weltkrieg unterstützte der C.V. die Arbeit der Feldrabbiner, und nach der Kapitulation sammelte die Ortsgruppe in Wanne und Eickel für die jüdischen Kriegsgefangenen. Eine weitere Aufgabe sah der C.V. darin, publizistischen Widerstand gegen die Verleumdung der jüdischen Soldaten durch die Kreise um Ludendorff[3] zu leisten. Im Protokollbuch der Synagogengemeinde Wanne-Eickel findet sich folgender Eintrag: "Der Vorsitzende verliest einen Brief des Vorstandes des Centralvereins, in welchem der Vorstand der Synagogengemeinde gebeten wird, in den hiesigen Zeitungen eine Notiz erscheinen zu lassen über die Teilnahme der Mitglieder unserer Synagogengemeinde am Kriege." Aber auch jetzt wurden die antisemitischen Strömungen in Wanne und Eickel nicht ernst genommen, und so beschloss der Synagogenvorstand, "vorläufig von einer Veröffentlichung abzusehen."

Die Finanzierung der Ortsgruppe bereitete aus dem gleichen Grund größere Schwierigkeiten. Immer wieder wurde von den Repräsentanten Widerspruch gegen Zahlungen an die C.V.-Ortsgruppe eingelegt. Die Unterschätzung der antisemitischen Kräfte in Wanne-Eiekel zieht sich durch die gesamte Zeit der Weimarer Republik. Die zwölf Mitglieder der Wanne-Eickeler Ortsgruppe warnten im Juli 1930 vor "der besonders schweren Zeit , die uns bevorsteht" und den "ungeheuren Gefahren, die uns drohen". Doch die meisten Wanne-Eickeler Juden sahen in den Nationalsozialisten nur einige isolierte Fanatiker. Im Haushaltsjahr 1931/1932 stellte die Synagogengemeinde dem C.V. erstmals 200,- M. "für Abwehrzwecke" zur Verfügung. Nach der Machtübernahme war es besonders der gewerbliche Mittelstand, der den C.V. gegen die Boykottmaßnahmen von SA und NS-Frauenschaft um Hilfe bat. Der Eickeler Textilkaufmann Sally Baum vertrat die wachsende Ortsgruppe konsequent gegen die SA und ging gerichtlich gegen sie vor. Außerdem meldete Baum alle Boykottmaßnahmen der C.V.-Zentrale in Berlin und gab die von dort kommenden Informationen über die zu erwartenden Einschränkungen an die inzwischen dreißigköpfige Ortsgruppe weiter. 1934 begann die zweite Boykottwelle, die die Arbeit der Ortsgruppe weiter erschwerte. Dazu kam eine steigende Zahl von jüdischen Arbeitslosen, weil immer mehr Arbeitgeber ihre "nichtarischen“ Arbeitnehmer entließen. Sally Baum versuchte durch Informationsveranstaltungen des C.V., die Durchhaltekraft der jüdischen Bevölkerung zu stärken, und lud dazu auch die Nachbarvereine aus Herne, Recklinghausen und Castrop-Rauxel ein.

Gegen diese Arbeit des C.V. gründete Julius Streicher[4] ein "Zentralkomitee zur Abwehr der Jüdischen Greuel- und Boykotthetze". Die Gestapo verbot Haussammlungen, um den C.V. finanziell zu schwächen. Der Metzger Hans Kantrowitz schilderte den Boykott von 1934 so: "Am Sonnabend, 3.11., erschien gegen 16.30 Uhr der "Stürmerverkäufer" und ging unter Ausrufen des Stürmers mit dementsprechenden Bemerkungen vor meinem Geschäft auf und ab. Gegen 17.00 Uhr erschienen auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwa 6 - 8 Amtswalter der NSDAP, die schon bekannt sind, mit sich bringend den Oberscharführer O. R. in Zivil, der sich vor meinem Laden aufstellte und dadurch den Verkehr behinderte, weil er besonders bekannt ist. Mittlerweile kamen von der anderen Straßenseite auch die Herren Amtswalter herüber und nahmen vor meinem Geschäft Aufstellung, wobei sich besonders die Amtswalter L. und K. hervortaten und versuchten, die Kunden durch Hinzeigen auf die Waren und die Firma abzuhalten. Polizei war verschiedene Male anwesend, zerstreute aber lediglich das umstehende Publikum, während die Erreger des Aufrufes vollkommen unbehelligt blieben. Mein Geschäft betretende jüdische Kunden wurden von den Amtswaltern persönlich angepöbelt. Diese Vorgänge zogen sich bis 19.00 Uhr hin." Der C.V. wandte sich direkt an den Bochumer Polizeipräsidenten und der Boykott hörte vorläufig auf. Von den 24 Geschäften jüdischer Kaufleute, die den Boykott von 1934 überstanden, waren 18 im C.V.-Wanne-Eickel organisiert. Bestärkt durch seinen bescheidenen Erfolg ging Sally Baum gerichtlich gegen den Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Mitte vor, der sich seine Boykottmaßnahmen von christlichen Geschäftsleuten bezahlen ließ.

Im Sommer 1936 führte die Bewirtung der ausländischen Gäste bei der Olympiade zu einer Fleischverknappung im Ruhrgebiet. Die Wanne-Eickeler Fleischerinnung "löste" das Problem, indem sie den jüdischen Metzgern kein Vieh mehr zuteilte. Noch einmal versuchte sich der C.V. rechtlich dagegen zu wehren, doch Innungen und Handwerkskammern waren zu diesem Zeitpunkt schon auf NS-Linie. Der legale Widerstand der C.V.-Ortsgruppe Wanne-Eickel erwies sich mit fortschreitender Entrechtung der heimischen Juden als immer geringerer Schutz gegen die Nationalsozialisten. "Polenaktion"[5] und "Reichspogromnacht" beendeten faktisch die Arbeit der Wanne-Eickeler C. V.-Ortsgruppe. In Herne gab es ebenfalls eine Ortsgruppe des C.V., deren Unterlagen allerdings verschollen sind.

C.V. Wanne-Eickel

Mitgliederzahlen

  • 1930 = 12
  • 1934 = 33

Vorsitzende

  • 1932 Dr. Kronheim
  • 1931 Dr. Kronheim
  • 1933 Sally Baum

C.V. Herne

Mitgliederzahlen

  • 1924 = 48

Vorsitzende

  • 1924 Moritz Gans
  • 1926 Moritz Gans
  • 1929 Moritz Gans
  • 1934 Sally Neugarten

Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Ortsgruppe Herne

Jüdischer Sportclub Schild Herne

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gründeten jüdische Soldaten in Herne unter Leitung des Weltkriegsoffiziers Dr. Gustav Wertheim eine Ortsgruppe des "Reichsbunds Jüdischer Frontsoldaten" (RjF). Die politisch rechtskonservative Gruppe traf sich während der Weimarer Republik regelmäßig in ihrem Vereinslokal, dem "Franziskaner". Dort diskutierte man die aktuelle Politik oder erzählte sich Fronterlebnisse. Die Machtübernahme Hitlers 1933 änderte die Arbeit der Ortsgruppe völlig. Aus soldatischer Verantwortung versuchte der jetzige Vorsitzende Alfred Goldstein, das Leben der Herner Juden gegen die Auswirkungen der nationalsozialistischen Politik zu schützen. In ihrem Versammlungshaus in der Bahnhofstraße 53 richteten sie eine Gaststätte ein, da in vielen Herner Gasthäusern keine Juden mehr bewirtet wurden. Zusätzlich errichtete die Ortsgruppe einen eigenen Gemüsestand, um die jüdische Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen. Auch für die jüdischen Sportler, die nach 1933 aus allen Herner Vereinen ausgeschlossen wurden, bemühte sich der RjF ein Ersatzprogramm zu schaffen. Es entstand der jüdische Sportverein "Schild Herne". Zunächst hatte der Verein eine Fußballmannschaft, bis die nationalsozialistische Stadtverwaltung ihm keinen Sportplatz mehr zur Verfügung stellte. Danach konnte lediglich Tischtennis im Vereinshaus gespielt werden. In der letzten durchgeführten Saison 1937/1938 wurde "Schild Herne" im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten westdeutscher Meister im Tischtennis von 20 teinehmenden Vereinen. Die "Pogromnacht" bedeutete 1938 das Ende der Arbeit der Herner Ortsgrppe des RjF. [6]

Verwandte Artikel

Quellen

  1. Weimarer Republik: https://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Republik
  2. Reichspogromnacht: https://de.wikipedia.org/wiki/Novemberpogrome_1938
  3. Erich Ludendorff: https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Ludendorff
  4. Julius Streicher: https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Streicher
  5. Polenaktion: https://de.wikipedia.org/wiki/Polenaktion
  6. Sie werden nicht vergessen sein - Geschichte der Juden in Herne und Wanne-Eickel (Ausstellungsdokumentation), Herausgeber: Der Oberstadtdirektor der Stadt Herne, 1987