Heinz Diel
Heinz (Heino) Diel (geboren in Conrade (Hessen), gestorben in Herne) war Tanzlehrer und Besitzer der Tanzschule Diel in Wanne-Eickel.
Eigentlich müsste man die Tanzschule Diel im Kapitel der Rekorde führen: Schließlich ist sie mit über 130 Jahren der älteste heute noch existierende Betrieb in Wanne-Eickel. Aber Heino war ebenso Kult. Wobei „Heino“ weniger den Menschen und Tanzlehrer Heinz Diel meint, sondern eher die Tanzschule an sich – oder besser noch, das Event „Tanzkursus bei Diel“. Jenes unvergessliche Ereignis im Leben vieler junger Wanne-Eickeler, zum ersten Mal beherzt ein Mädel anzufassen, das sich dabei (meistens) überhaupt nicht wehrt. Adoleszenz in Wanne-Eickel war über Jahrzehnte gleichbedeutend mit Pubertät – Pickel – Heino – Schulabschluss. Gut, dazwischen gab es noch Klassenarbeiten und Parties, aber letztere waren eigentlich nur die (experimentellere) Fortsetzung von Heino.
Die Motive für einen Heino-Besuch und dessen Finanzierung konnten unterschiedlicher nicht sein. Die Mädchen wollten tanzen lernen und, na ja, mal gucken. Die Jungs wollten das weibliche Geschlecht erkunden und dafür, wenn’s sein muss, auch tanzen. Und die Eltern gaben das Geld für die Kurse gerne, weil sie hofften, dass endlich jemand dem Nachwuchs Manieren beibringt.
Heinz Diel, der Mann, der dem Nachkriegs-Wanne bis in die achtziger Jahre aufs Parkett half, sieht’s gelassen. Für ihn gehörten alle Aspekte dazu – auch wenn sich im Laufe der Jahre vieles mehr als nur die Rocklänge geändert hatte. Dabei war Heino nicht nur Gralshüter verstaubter Umgangsformen, wie manche glaubten, sondern umschiffte mit dem sicheren Gespür für Trends und Moden manch kommerzielle Untiefe im Business.
Als ihm in den fünfziger Jahren städtische Jugendpfleger im benachbarten Heisterkamp eine Jugend-Tanzveranstaltung für den halben Eintrittspreis vor die Nase setzten, kreierte er die „Blue Jeans Party“. Verzichtete auf Dresscode und streute geschickt in der Jugend-Szene, dass bei ihm auch die jungen Damen rauchen dürften. Natürlich gingen dieselben trotz des höheren Eintritts dann lieber zum Heino als in den Heisterkamp. Und mit ihnen gingen selbstverständlich auch die Jungs. Schlacht gewonnen.
Nur einmal glaubte Heinz Diel, dass seine Schule vor dem Aus stünde. Beat, Rock und Underground ließen sich nicht kontern: Da tanzte jeder allein, erlernbare Schrittfolgen waren nicht zu erkennen – und das Jungvolk fasste sich noch nicht einmal an beim Tanzen! Aber auch diese schwere Phase überstand die Tanzschule Diel, denn Anfang der Siebziger kam der Disco-Fox. Und die Standards fanden ebenfalls wieder Zuspruch. Nie in Frage gestellt waren übrigens die zwischenmenschlichen Aspekte der Institution „Heino“ – als Kummerkasten oder Eheanbahnungsinstitut. Wie viel väterlicher oder mütterlicher Rat der verzweifelten Jugendseele gespendet wurde, und wie viele Bünde fürs Leben auf dem Parkett an der Hauptstraße ihre ersten zarten Bande knüpften, vermag niemand mehr zu zählen.
Über sichere Quellen verfügt der Chronist aber bei anderen elementaren Dingen, der Musik zum Beispiel. Wo heute digital gespeicherte Dance-Tracks über ein virtuelles Mischpult am PC aufbereitet werden, gab es früher nicht mal einen Plattenspieler. Als Conrad Diel 1872 aus einem kleinen hessischen Kaff nach Wanne kam, besaß er nicht viel mehr als eine Geige und das Talent, anderen Menschen rhythmische Bewegungen beizubringen. Getanzt wurde in großen Wohnungen und in den Gesellschaftszimmern von Kneipen.
Nach 30 Jahren in Wanne übergab Conrad Diel den Taktstock an seinen Neffen Heinrich, der 1922 des Umherziehens durch fremde Lokalitäten müde wurde und seine eigenen Unterrichtsräume baute. Der Geige war längst ein Klavier gefolgt und nun sogar ein Grammophon. Damit lernten auch seine Kinder tanzen, die später allesamt Tanzlehrer wurden und eigene Schulen in der näheren Umgebung gründeten. Denn Abtreten wollte Heinrich Diel noch lange nicht. Erst als auch Nachzügler Heinz in die Fußstapfen seines Vaters trat, bahnte sich der Generationswechsel an. Noch während des Zweiten Weltkriegs begann Heino seine Tanzlehrerausbildung an der Folkwangschule Essen, dann musste in mühevoller Kleinarbeit der zerbombte Saal wieder hochgezogen werden. Auch an dem jungen Tänzer selbst war der Krieg nicht spurlos vorübergegangen: Die Folgen eines Beckenschusses, der Heinz Diel als Soldaten erwischte, haben ihm das Tanzen nicht unbedingt erleichtert – wenn auch das ihm oft angedichtete Holzbein definitiv ins Reich der Fabel gehört.
Bis weit in die fünfziger Jahre sah man Senior und Junior gemeinsam mit ihren Schülern auf den Abschlussball-Fotos. 1956 tauchte dann Burga auf den Bildern auf, Pardon, Frau Diel (denn: Heino war Heino, und Frau Diel war Frau Diel, jedenfalls für die meisten). Bevor es so weit war, musste aus der Chefsekretärin, als die sie wenig Akzeptanz in der Familie gehabt hätte, erst eine Tanzlehrerin werden. Über Jahrzehnte saß sie dann an ihrem Empfangstisch oder demonstrierte uns männlichen Eleven so manches Mal, wie hervorragend eine Dame tanzen kann, selbst wenn der „Herr” des Führens absolut unfähig war. Zum Ohren-rot-werden.
1982 war die vierte Generation dann so weit. Tochter Susanne Diel und Ehemann Gerald Zinß traten in die historischen Fußstapfen. Auch heute, fast 20 Jahre nach Heino, ist die Tanzschule Diel immer noch eine Institution in Wanne-Eickel. Tanzen als sympathischer Ausgleichssport und gesellschaftliches Ereignis für die älteren Semester. Die Jungen interessieren sich immer noch für die Mädchen (und umgekehrt) – und wo sonst kann man in Wanne die Video-Choreografie der Stars lernen? Eben – die Diels hatten schon immer ein Monopol. Mittlerweile seit über 130 Jahren.
Der Text wurde für das Wiki redaktionell bearbeitet. Er stammt aus dem Jahr 2002
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Quellen
Heinz Diel