Die 4 Vereinsfahnen des Bürgerschützenvereins Holthausen 1857 e. V.

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Die Entstehung, das Wirken der Vereinsmitglieder und insbesondere der maßgebenden Repräsentanten unseres Vereins von der Gründung unseres Vereins im Jahre 1857 an umfassend darzustellen, ist ein schwieriges Unterfangen. Aus den Gründertagen gibt es nur wenige Unterlagen. Deshalb kann nicht hoch genug geschätzt werden, dass unser Schriftführer der Jahre 1936 - 1950, Friedrich Becker, die in vielen Gesprächen erfahrenen Einzelheiten aufgeschrieben und in unserer Festschrift zum 100. Vereinsgeburtstag veröffentlicht hat. Wenn auch zu der im 20. Jahrhundert zweimal durchgeführten Wiederbelebung bzw. Wiederbegründung manche Unterlage fehlt, sind die Protokollbücher ab dem Jahre 1928 allerdings wahre Fundgruben, auch wenn sie zunächst von der Sütterlinschrift “übersetzt” werden mussten, die uns heute bekanntermaßen nicht mehr so geläufig ist.

So war es mir möglich, vieles zu unseren Vereinsfahnen heraus zu finden. Dieses Werk ist allerdings unvollständig, weshalb ich mich freuen würde, wenn jeder, der mehr zu unseren Fahnen weiß, mir dies zur Kenntnis gibt.

Nach der Erstfassung dieses Werkes im März 2012 erhielt ich von Elsmarie und Heiner Wiesche zahlreiche Unterlagen, Fotos und Zeitungsausschnitte, die bis in das Jahr 1928 zurückreichen, nach deren Studium ich insbesondere den Abschnitt “6. 1958 - eine neue Fahne wurde geweiht” überarbeitet habe. Im Februar 2014 konnte ich ein Foto unserer Fahnenabordnung im Jahre 1983 einfügen. Das gezeigte Foto habe ich aus insgesamt 3 Fotos, die mir Dieter Reinartz zur Verfügung gestellt hat. Die Fahnenabordnung aus 4 Schützenkönigen war anders nicht machbar.

Gern werde ich meine nachstehende Dokumentation erneut ergänzen oder darin enthaltene Interpretationen neu fassen, wenn ich weitere Informationen erhalte.

Herne-Holthausen, Februar 2014, Werner Ruthe

Grundsätzliches zur Bedeutung einer Fahne für die Schützen

Fahnen müssen zunächst einmal als ein Stück Tuch gesehen werden. Sie sind meistens rechteckig gestaltet und werden mit Bildern, Jahreszahlen, Symbolen und Sinnsprüchen versehen. Dieses Stück Tuch ist befestigt an einem Fahnenmast oder Fahnenstock, der zusätzlich eine verzierte Spitze besitzt. Sie stehen stellvertretend für eine Gemeinschaft, z. B. einen Verein, eine Truppe oder einen Truppenteil, eine Kirche oder ein Königshaus.

Eine Fahne ist insoweit ein Einzelstück, das für einen bestimmten Zweck angefertigt wird und demzufolge bei Verlust oder Totalverschleiß nicht austauschbar ist. Fahnen sind bereits seit dem Altertum bekannt und wurden schon von den römischen Heeren im Kampf zur Orientierung der Soldaten eingesetzt. Dieser Funktion als “Orientierungshilfe” kommt auch heute noch große Bedeutung zu, wenn auch in einem anderen Sinn. Denn wenn es beispielsweise einen Festumzug zu gestalten gibt, so ist es der Fahnenträger, der vorneweg geht und hinter dem sich die mitmarschierenden Vereinskameraden einreihen. Den Gästen wird dabei gleichzeitig gezeigt, um welchen Verein es sich handelt und woher er kommt.

Fahnen gelten aber auch als Symbol für Ehre und Treue. Soldaten gelobten so beispielsweise mit ihrem Eid, ihrem Landesherrn unter Einsatz ihres Lebens treu zu dienen. Den Schützengilden, die bereits im Mittelalter als Bürgerwehren zur Verteidigung bestimmter Bereiche der Stadtmauern eingesetzt waren, dienten ihre Fahnen sicherlich auch im zuvor beschriebenen Sinn. In der heutigen Zeit dienen sie jedoch in erster Linie als Symbol für die Verbundenheit und das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Vereinsmitglieder. Sie ist auch Ausdruck für das Bekenntnis, die Ziele des Vereins in kameradschaftlichem Geiste zu verfolgen. Die Fahne ist aber auch Symbol für Treue zur Heimat, Lebensfreude, Geselligkeit und Frohsinn. Und so versammeln sich die Schützenschwestern und -brüder gern hinter ihrer Fahne, um ein festliches Ereignis wie beispielsweise ein Schützenfest zu feiern. Sie ist aber auch Symbol für Ehrfurcht, weshalb sie der Fahnenjunker den Schützen voranträgt und durch Absenken am offenen Grab dem verstorbenen Vereinsmitglied die letzte Ehre erweist.

1857 - Zur Vereinsgründung gehörte auch eine Fahne

Die Vereinsgründung

In den Fastnachtstagen 1857 ging es im 293-Seelen-Dorf Holthausen, zu dem die drei Siedlungskerne - Holthausen, Börsinghausen und Östrich - gehörten, sicher beschaulicher zu, als es heute der Fall ist. Die Winterzeit war bestimmt auch kein Anlass, rauschende Feste zu feiern und dem westfälischen Frohsinn zu frönen. Bevor im Jahre 1902 die Gemeinden Holthausen und Börnig mit der Gemeinde Giesenberg-Sodingen zum Amt Sodingen vereinigt wurden, war das dörflich geprägte Holthausen der Bürgermeisterei Castrop zugehörig. Es darf somit nicht verwundern, dass die Holthauser seinerzeit in allen Lebenslagen sehr stark nach Castrop orientiert waren. Sie dürften auch regelmäßig Gäste der Castroper Schützenfeste gewesen sein, denn die Obercastroper Schützen in ummittelbarer Nachbarschaft führen ihren Ursprung bekanntlich auf das Jahr 1564 zurück. Mit den Erinnerungen an schöne Festtage in Castrop wollten sich die Holthauser Bauernburschen aber nicht mehr zufrieden geben. Ein eigener Schützenverein mit selbst gestaltetem Festprogramm für ein mehrtägiges Schützenfest sollte her.

Das aus dem Jahre 1798 stammende Bauernhaus des Hofes Wiesche war der geeignete Ort, einen Verein zu gründen. Auf der Deele trafen sich in erster Linie die jungen Bauernburschen und beschlossen, trotz großem Kopfschütteln der Alten, die Gründung des Schützenvereins Holthausen. Ein Schützenfest sollte noch im Sommer des Jahres folgen.

Gründungshaus Wiesche auf dem Titelblatt der Festschrift [1]

Die zuvor abgebildete Grafik der für unseren Verein so geschichtsträchtigen Stätte schuf 1957 die junge Herner Künstlerin Josefa Holthaus. Diese Grafik zierte erstmals die Festschrift des Vereins, die anlässlich des 100-jährigen Vereinsbestehens herausgegeben wurde.

Die Deele dieses Bauernhauses wird wahrscheinlich auch in den weiteren Jahrzehnten nach der Vereinsgründung der Versammlungsort der Schützen gewesen sein. Zumindest ab 1899 werden die in der Gemeinde Holthausen ansässigen Gasthäuser wie Schulte, Eckmann, Nöthe und Döhmann Ziel der Schützen gewesen sein, wenn es galt, Erörterungen durchzuführen und Beschlüsse zu fassen. So mancher Beschluss wird sicherlich auch dort von den Verantwortlichen vorbereitet worden sein.

In den Jahren nach der Wiederbegründung des Schützenvereins wurde die Deele dieses Hofes gerne als Herberge genutzt, in der Schützen und ihre Gäste bei Kaffee, Kuchen und anderen Speisen ein wenig Ruhe und Kraft für den weiteren Tagesablauf tanken konnten.

Mit Sicherheit wird hier auch die eine oder andere Beratung stattgefunden haben, die den Abschluss des Königsvogelschießens beeinflusst haben dürfte.

Auf dem nachfolgenden Bild ist der 1997 verstorbene Ehrenvorsitzende Heinrich Wiesche zu sehen. Die Deele des Bauernhauses heute noch zu betreten, ist uns nicht mehr vergönnt, denn der komplette Bauernhof wurde Anfang der 1980er Jahre abgerissen und das gesamte Gelände mit Einfamilienhäusern bebaut.

Hof Wiesche [1]

Eine Fahne musste sein

Die Gründung eines Vereins ohne die Anschaffung einer Fahne, hinter der sich die Mitglieder versammeln und der Öffentlichkeit zeigen können, ist heute kaum vorstellbar und war es 1857 wohl auch.

Und so geschah es dann. Die ersten Beschlüsse betrafen die Vereinsgründung und die Bildung einer Vereinsführung, denn Beschlüsse galt es auch umzusetzen.

Der Vereinsleiter in der Gründungsphase und kurze Zeit später auch erster Schützenkönig des Vereins, Bauer Joseph Schulte-Oestrich, dem auch der Titel “General” zuerkannt wurde, ließ als erstes Vereinsinventar eine Fahne und eine Trommel anschaffen. 137 Taler und 50 Silbergroschen wurden insgesamt für Fahne, Trommel und Uniformen aus der Vereinskasse bezahlt. Diese gewaltige Summe hielt offensichtlich niemanden von den geplanten Feierlichkeiten des Schützenfestes ab. Erst die nüchterne Bilanz mit Soll und Haben nach dem prunkvoll verlaufenen Fest ließ die Sorgenfalten der Schützen tiefer werden, denn es galt ein gewaltiges finanzielles Defizit zu schließen.

Bis zur Durchführung eines zweiten Schützenfestes ließen die Holthauser Schützen immerhin 40 Jahre verstreichen, nachdem sie 1859 alle Schulden des Vereins beglichen hatten, so jedenfalls nachzulesen in der Castroper Zeitung Nr. 29 vom 9. März 1899. Ob die Vereinsfahne nach den Schützenfesttagen bei Besuchen von Schützenfesten benachbarter Vereine getragen wurde, ist bis heute nicht überliefert. Wo und von wem sie verwahrt wurde, konnte ebenfalls nicht nachvollzogen werden.

Im Rahmen der Feierlichkeiten des Schützenfestes 1899, zu dem auch eine neue Fahne angeschafft worden war, ist berichtet worden, dass die Gründungsfahne bei einem Brand auf dem Bruch vernichtet wurde.

Die Gründungsfahne

Unterlagen oder eindeutige Aussagen über die Beschaffenheit und das Aussehen der Gründungsfahne existieren nicht bzw. konnten bis heute nicht ermittelt werden.

Bei den Recherchen für eine Chronik zum 150. Geburtstag unseres Vereins durchstöberte ich einige Ordner mit Unterlagen zu verschiedenen Themen aus völlig unterschiedlichen Zeiträumen, die zudem in einem Schrank standen, dessen eigentlicher Inhalt mit Schriftstücken zur Vereinsführung nichts zu tun hatte.

Die in einem Ordner aufgefundenen Exemplare unserer Festschrift zum “Hundertjährigen” im Jahre 1957 enthielten einige Zettel mit handschriftlichen Notizen bezüglich der Platzierung von Fotos in dieser Festschrift und Namen der abgebildeten Personen. Die nachstehend abgebildete Grafik auf einem kartonähnlichen Papier in der Größe DIN A5 und die Vermerke auf der Rückseite ließen den ganzseitigen Bericht “100 Jahre Bürger-Schützen-Verein Holthausen” auf der Seite “Herner Stadtnachrichten” in der Ausgabe Nr. 154 der “Westdeutsche Allgemeine” vom 6. Juli 1957 noch interessanter für uns Holthauser Schützen werden. Denn es wurde deutlich, dass der Chronist der vorgenannten Festschrift, Hauptlehrer Friedrich Becker, über die Geschichte des Vereins gerade in der Gründungszeit viele Einzelheiten aus Gesprächen mit Gründungsmitgliedern erfahren haben muss.

Grafik der Gründungsfahne [1]

Eine herausragende Quelle waren demzufolge offensichtlich die Erzählungen und Gespräche des Gründungsmitgliedes Heinrich Wiesche sen.

Heinrich Wiesche sen. war nicht nur 1857 bei der Vereinsgründung dabei, sondern diente in späteren Jahren dem Verein als Kassierer bis er schließlich in späteren Jahren zum Ehrenschützen gewählt wurde.

Wir können mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die grafische Darstellung, die in der zuvor genannten Ausgabe der Herner Stadtnachrichten abgebildet worden ist, im Jubiläumsjahr 1957 erstellt wurde. Vermutlich hat sie Friedrich Becker aufgrund seiner profunden Kenntnisse zur Vereinsgeschichte selbst gezeichnet oder im Zuge der Herstellung der Grafik des Gründungshauses Wiesche von Josefa Holthoff gleich mitzeichnen lassen. Leider hat zu diesem Punkt die Befragung von Zeitzeugen der 1950er Jahre keine Klarheit bringen können.

Das Bild zeigt uns, wie 1857 die Vereinsfahne ausgesehen haben wird. Den Erzählungen nach war sie aus grün-weißem Tuch mit dem Bild des heiligen Hubertus und der Inschrift “Schützengilde Holthausen. Anno 1857”. Es zeigt aber auch die Holthauser Schützen mit ihren schmucken Uniformen, die Trommel, mit der zum Marsch der Takt vorgegeben wurde, und wohl auch die Ehrendamen unseres ersten Schützenkönigs, des Bauern Joseph Schulte-Oestrich und seiner Königin, Frau Thürich.

Die Vereinskasse wurde zur Anschaffung all dieser schönen Vereinsutensilien und der Seidenkleider der Ehrendamen gewaltig in Anspruch genommen und ist somit für das Defizit nach dem großen Fest im Juli 1857 mitverantwortlich.

1899 - zur Wiederbelebung des Vereins gab es eine neue Fahne

Traditionsfahne von 1899

Major Döhmann und Gemeindevorsteher Heinrich Wiesche hatten es verstanden, genügend Interesse für den wiederzubelebenden Schützenverein zu wecken. Die Bevölkerungszahl war durch die Zechengründungen “Erin” und “Mont-Cenis” stark gewachsen und die Vorfreude auf das geplante Schützenfest im Sommer groß. Es mangelte jedoch an einer Vereinsfahne, denn die Gründungsfahne war bei einem Brand “Auf dem Bruch” vernichtet worden.

Der Vorstand beschloss deshalb die Anschaffung einer neuen Fahne. 234 Mark sollte sie kosten und die kamen durch Spenden der Mitglieder problemlos zustande. Hier nun Vorder- und Rückseite dieses traditionsreichen Tuches, das natürlich nur in seinem heutigen Zustand gezeigt werden kann:

Die Traditionsfahne besteht aus grünem Tuch. Die hier zu sehende Vorderseite trägt den Namenszug “Schützenverein Holthausen” sowie die Jahreszahl “1899”, die für das Anschaffungsjahr bzw. das Jahr der Weihe steht. Das Tuch ist golden eingerahmt und jeweils in den Ecken und mittig oben und unten wurde ein Eichenlaub eingestickt.

Die Rückseite zeigt jeweils in den Ecken ein Eichenlaub, in das “Einigkeit macht stark” eingestickt ist.

In der Mitte befinden sich eine Zielscheibe und 2 gekreuzte Gewehre, ein Füllhorn sowie ein Pulverhorn mit Kordel. Als Hintergrund ist noch ein Eichenlaub dargestellt. Ein Schützenhut ziert oben die Zielscheibe und unterhalb eines Gewehrlaufes befindet sich noch ein Messergriff.

Der Schriftzug ist nicht mehr vollständig vorhanden. Josef Stepniak, seit den 1960er Jahren über 30 Jahre Schriftführer des Vereins, verriet uns bei einem freitäglichen Übungsabend den kompletten Spruch. “Üb ́Aug und Hand für ́s Vaterland” so lautet er und gibt den seinerzeitigen Zeitgeist wieder.

Fahnenweihe durch den Amtmann Barfels

Die Gemeinde Holthausen mit ihrem Schützenbruder Heinrich Wiesche sen. als Gemeindevorsteher an der Spitze gehörte 1899 noch zum Amt Castrop. Und so verwundert es nicht, dass von dort der Amtmann Barfels gebeten wurde, die Weihe der Fahne vorzunehmen.

Das tat dieser dann in einer Vorfeier zum großen Schützenfest in der Gaststätte Rottmann, später Schulte-Beyer. Diese traditionsreiche Stätte dient heute als Vereinsheim, wo auch die Fahne verwahrt wird.

Gebrauch der Traditionsfahne bis zum Ende des II. Weltkrieges

Nach dem Schützenfest 1899 war die Vereinsfahne mit Sicherheit immer an der Spitze des Bataillons getragen worden, wenn es galt, Schützenfeste der benachbarten Vereine zu besuchen oder die eigenen Schützenfeste 1904, 1907, 1928, 1935 und 1939 zu feiern. Eine besondere Ehre erfuhren natürlich auch alle verstorbenen Schützenbrüder, wenn die Fahne zu einem letzten Gruß über dem offenen Grab gesenkt wurde.

Den jeweiligen Fahnenoffizieren und Fahnenjunkern war es sicher zu jedem Zeitpunkt eine große Ehre, die Fahne zu präsentieren, wenn an Honoratioren der Gemeinde und den Schützenkönigspaaren bei der Königsparade vorbeimarschiert wurde.

Nachstehend einige Bilder unserer Fahne zu jeweils geschichtsträchtigen Daten:

1937 - Die verordnete Fahne des Reichsbundes für Leibesübungen

Bei der Wiederbelebung des Schützenvereins Holthausen im Jahre 1928 war die Forderung laut geworden, dem Verein geordnete Strukturen mit einer Satzung, einem Vorstand und regelmäßiger Beitragszahlung zu geben. Diese Forderung wurde erfüllt und ist nachgewiesen durch die Eintragung “Die Satzung ist am 10. März 1929 errichtet” im Verzeichnis des Vereinsregisters beim Amtsgericht Castrop-Rauxel. Der Verein erhielt im Vereinsregister die Nummer VR 58. Die Vereinsakte wurde am 1. Dezember 1930 infolge Änderung der Gerichtsbezirke an das Amtsgericht Herne abgegeben.

In der am Amtsgericht Herne geführten Akte befindet sich die genannte Satzung. Ein gedrucktes und gebundenes Exemplar, mit handschriftlichen Bemerkungen versehen, befand sich in den Unterlagen von Heinrich Wiesche, die ich im September 2012 erhielt. Die erste und die letzte Seite ist nachstehend abgebildet.

Die erste und die letzte Seite der Satzung von 1929 [1]

Der Vereinszweck ist wie folgt definiert:

“§ 3 Der Verein verfolgt den Zweck, dem Vaterlande in seiner Not zu dienen, durch Festigung der Schießfertigkeit, der Disziplin, des Pflichtbewußtseins, durch Pflege des Bürgersinnes, der Eintracht und Geselligkeit und die Erziehung der jugendlichen Mitglieder zu diesen Tugenden.”

Am 13. April 1935 wurde eine neue Satzung beschlossen. Aus dem Originalprotokoll zu der Versammlung dieses Tages folgender Ausschnitt zu dem Beschluss:

Ausschnitt aus dem Protokoll von 1935 [1]

Aus dem gezeigten Ausschnitt ist die genannte Neuerscheinung dieser Einheitssatzung ersichtlich, die Errichtung eines Ältestenrates. Eine andere Neuerung ist die, dass ein Beirat für die Durchführung der Verwaltungsaufgaben zu bilden war, deren Mitglieder der Vereinsführer ernannte. Neben den üblichen Mitarbeitern wie Schriftwart, Kassenwart usw. war auch ein Dietwart zu ernennen.

Welche Aufgaben dieser Dietwart konkret zugewiesen bekommen hatte, ist aus den seinerzeitigen Protokollen nicht zu entnehmen. Der freien Enzyklopädie aus Wikipedia nach, handelt es bei dem Dietwart um einen Amtsträger, der im Österreichischen Turnerbund für die Festgestaltung, Festreden, Jugendbetreuung und ähnliches zuständig war.

Die Nationalsozialisten führten 1934 den Dietwart verpflichtend ein. Er sollte im Auftrag des Reichssportführers alle Turn- und Sportvereine im nationalsozialistischen Sinne schulen und deren Ideologie und Erziehungsziele wie Rassebewusstsein, Gemein- schaftssinn, völkische Haltung etc. an die Mitglieder herantragen. Er hatte beispielsweise auch dafür zu sorgen, dass national- sozialistische Lieder gesungen wurden.

Wenn wir dies auf uns wirken lassen, wird sicherlich deutlich, dass der Dietwart, auch wenn er offiziell noch gar nicht in sein Amt eingesetzt war, bei der bereits zum Teil vorgedruckten und lediglich in bestimmten Passagen ergänzbaren Satzung, maßgeblich mitgewirkt haben wird. Dieser Einfluss dürfte auch aus der am Ende der Satzung vorgenommenen Prüfung und Bestätigung der Satzung und des Vorstandes durch den Beauftragten des Reichssportführers deutlich werden:

Die Tätigkeit des Dietwartes war neben anderen Themen Gegenstand der Erörterungen in der Vorstandssitzung vom 28. Januar 1937. Die entsprechenden Beschlüsse dazu sollten in der Hauptversammlung wiederkehren. Die drei Tage später durchgeführte Offiziersversammlung hörte dann einen Vortrag über die Geschichte des Schützenwesens und in der Jahreshauptversammlung zeigte der Vereinsdietwart einige Schmalfilme, über deren Inhalt Schriftführer Becker keine Ausführungen machte.

Allerdings werden die Auswirkungen der Gleichschaltung, von denen die Sportvereine ja nicht ausgenommen wurden, deutlich an den Aussagen im Jahresbericht 1936, festgeschrieben im Protokollbuch 1936 - 1945 unseres Vereins . Hier wird ausgeführt, dass ab 1. Januar 1937 alle deutschen Schützen im Deutschen Schützenverband geeint sind. Dieser Verband war in die Einheitsorganisation des Reichsbundes für Leibesübungen (DRL) eingegliedert. Diese Konstellation brachte grundlegende Veränderungen in den Verein, der aus dem Satz “Sodann läßt sich feststellen, daß durch den Anschluß des Schützenverbandes an den Reichsbund für Leibesübungen der Wehrcharakter der Schützenvereine, der bei der Entstehung des Schützenwesens im Mittelalter ausschlaggebend mitwirkte, aber im Laufe der Jahrhunderte stark in den Hintergrund getreten war, erneut als Hauptzweck des Schützenwesens herausgehoben wird”, den der Schriftführer in das zuvor genannte Protokollbuch schrieb, deutlich wird.

Es verwundert nicht, dass die Nationalsozialisten auch nach außen hin sichtbar machen wollten, dass die Sportvereine auf den Reichskanzler und die Ideologie seiner Partei ausgerichtet waren, was der spätere Erlass Hitlers vom 21. Dezember 1938 sehr deutlich werden ließ, der den DRL zu einem von der NSDAP betreuten Verband machte mit dem Namen Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen (NSRL).

Und so erhielt auch der Schützenverein Holthausen im Jahre 1937 die allen Sportvereinen des DRL/NSRL verordnete Fahne. Da schon 1936 in den Vorstandssitzungen und Mitgliederversammlungen der Gedanke aufkam, den achtzigsten Vereinsgeburtstag gebührend zu feiern, sollte im Rahmen dieses Festes diese weitere Fahne geweiht werden. Der in der Jahreshauptversammlung dazu gefasste Beschluss war dann am 29. Mai 1937 noch einmal Gegenstand der Erörterung. Fortan sollte sich der Vorstand um die Angelegenheit kümmern. Dieser wollte der Gestaltung der Fahnenweihe eine Form geben, die von der allgemein üblichen Art wesentlich abweichen sollte. Konkrete Vorschläge hierzu machte Abschnittsdietwart Brinkmann, der den Gaudietwart Ebeling aus Schwerte als Festredner gewinnen wollte. Insoweit dürfte die Genehmigung des örtlich zuständigen Beauftragten des Reichssportführers, die rechtzeitig vor Durchführung des Festes einzuholen war, nicht problematisch gewesen sein.

Im Kasino Teutoburgia beging der Verein am 21. August 1937 in festlicher Weise sein 80jähriges Bestehen. Über dieses Ereignis berichtete der “Herner Anzeiger” in seiner Ausgabe vom 24. August 1937 sehr ausführlich. In diesem Bericht nahm die Festrede - 1 1⁄2 DIN A 4-Seiten, geschrieben mit der Schreibmaschine - des Gaudietwartes Ebeling, Schwerte, über die “Geschicke der Fahne” den Hauptplatz ein. Diese Rede beinhaltete beispielsweise Ausführungen zur Bedeutung der Fahnen in indogermanischen Räumen und endete mit der Darstellung der jetzigen Fahne als Symbol des Wehrwillens und der Heimatliebe.

Aus dem Bericht der Herner Zeitung. Das Foto von der Fahnenweihe zeigt die rot-weißen Reichsbundfahnen, wobei das Emblem des NSRL nicht vollständig zu sehen ist [1]

Nach Enthüllung und Weihe kam die Reichsbundfahne in die Hände der Fahnenabordnung des Vereins. Fortan wurde sie neben der Traditionsfahne von 1899 bei allen gegebenen Anlässen wie Schützenfest, Königsball oder Märschen zu Festen befreundeter Vereine getragen. Bilder dieser Ereignisse, welche die Holthauser Schützen mit dieser Fahne zeigen, sind nicht verfügbar.

Am 4. Juli 1938 berichtete die “Herner Zeitung” in ihrer Ausgabe Nr. 153, Blatt 2, unter der Überschrift “Grün war Trumpf - Hochstimmung im Schützenstaat” - mit einem ganzseitigen Bericht über das Herner Schützenfest, das am Wochenende gefeiert worden und bei dem das Herner Königspaar gekrönt worden war. Der erst zwei Jahre zuvor von Köln nach Herne gekommene Rheinländer Dr. Wilhelm Saß hatte den Königsschuss getan und war mit der Königskette geschmückt worden, und fühlte sich von dieser Stunde an als Herner Bürger. Das Diadem erhielt Frau Hedwig Funke, allen Herner Bürgern seinerzeit bekannt, denn Herne war nicht nur ihr Lebensmittelpunkt sondern auch schon Geburtsort.

Im Zuge dieses Festes gab es natürlich eine Königsparade, bei der alle beteiligten Schützenvereine mit ihren Fahnen an der Spitze des Zuges ihren Königspaaren und den Honoratioren der Stadt ihre Referenz erwiesen und die Vereinsfahne präsentierten.

Bei dieser Gelegenheit erhielten vor den Fahnen des Unterschützenkreises durch Oberbürgermeister Albert Meister die Fahnen des Schützenvereins “Alt-Herne”, der Schützenvereine “Wildschütz” und “Freischütz” und der "Schützengilde Horsthausen” ihre Weihe.

Die Fahne der Holthauser Schützen war hier nicht dabei, sie hatte ihre Weihe schon ein Jahr früher erhalten.

Wer die Holthauser Reichsbundfahne bis zum Ende des 2. Weltkrieges aufbewahrt hatte, war auch nach Befragung älterer Schützen, die damals noch Jugendliche waren und dem Schützenverein noch nicht angehört hatten, nicht in Erfahrung zu bringen. Was mit der Fahne beim Einmarsch der Alliierten geschah, ist ebenfalls bisher nicht zu klären. Wurde sie auch vergraben und mit der Traditionsfahne von 1899 von den Alliierten beschlagnahmt oder hat sie sich in Rauch aufgelöst?


Lesen Sie auch

Anmerkungen

Einzelnachweise

  • Verzeichnis des Vereinsregisters beim Amtsgericht Castrop-Rauxel
  • Verzeichnis und Akte des Vereinsregisters beim Amtsgericht Herne
  1. 1,00 1,01 1,02 1,03 1,04 1,05 1,06 1,07 1,08 1,09 1,10 1,11 1,12 Foto: Sammlung Werner Ruthe