Bergmannszeiten
In der Hochzeit des Bergbaus waren etwa 15.000 Herner auf den heimischen Pütts oder auf Bergwerken in den Nachbarstädten tätig.
Da war es nicht verwunderlich, dass jemand aus der Familie, der Verwandtschaft oder gar ein Nachbar auf einem der Alt-Herner Pütt malochte. Sogar außerhalb der bekannten Bergarbeitersiedlungen und Kolonien rund um Piepenfritz, Mont-Cenis, Constantin, Teutoburgia und Shamrock. Wir wohnten damals in der Innenstadt. Und auch hier wohnten zwei Kumpels mit ihren Familien. Sie waren eigentlich ungewollt an meiner beruflichen Entwicklung beteiligt.
1959 hatte ich erstmals offiziell Grubenluft als Auszubildender geschnuppert. Ich begann eine Handwerkslehre auf Piepenfritz. Auch nach dem Abschluss blieb ich dort, wollte und sollte eigentlich Maschinensteiger – Maschinenbergingenieur werden.
Ab dem 20. August 1962 gehört ich so auf der damaligen Schachtanlage 3/4 einem untertägigen Schlosserteam an, das drei Schichten verfuhr: 6 Uhr, 14 Uhr und 22 Uhr. Der Schichtlohn betrug etwa 18 Mark. Hinzu kam eine Anfahrtsprämie von 1,50 Mark. Ab 1963 wurde ich einer Mannschaft zugeteilt, die in Flöz Sonnenschein die ersten hydraulischen Rahmengespanne montierte. Ich war der Revierschlosser – der Schrauber. Mein Team: Kumpels, die die Firma Heitkamp stellte. Ihr Lohn: 24 Mark pro Schicht. Als ich davon erfuhr, war ich sauer und enttäuscht. Der zuständige Steiger lehnte meinen Lohnwunsch wirsch ab.
Als ich zufällig den beiden bergmännischen Nachbarn Hannes und Gerd davon erzählte, meinte Hannes, der ältere der beiden Kumpels: „Komm doch zu uns. Wir suchen immer gute Leute, und die Bezahlung ist ebenfalls gut. Hauerlohn ist Minimum.“
Tagelang dachte ich danach über den Vorschlag des zweifachen Familienvaters nach. Nach einer wochenlangen Bedenkpause stand mein Entschluss fest: Ich kündigte auf Piepenfritz. Doch an diesem Tage erhielt ich eine Nachricht des zuständigen Maschinensteigers: Bitte in der Grubenschlosserwerkstatt bei Werkstattleiter Fritz Obermeier melden. Doch mein Wechsel stand längst fest. Was ich aber nicht wusste, in der Werkstatt wartete inzwischen eine Spezialabteilung auf meine Einsätze. Dort sollte ich zum Experten von Blasversatzmaschinen ausgebildet werden. Eigentlich eine schöne Aufgabe und auch meine beiden Kollegen Willi Rotkegel und Hannes Samol kannte ich ja bereits aus meiner Zeit als Lehrling in der Werkstatt unterhalb des Schachtes 3.
Doch meine Zusage stand. So fuhr ich dann auf Lothringen 1/2 in Bochum-Gerthe ein. Hier war ich sofort für ein Vortriebsrevier zuständig. Die anfallenden Arbeiten lagen mir: Maschinenwartung und Vorbau von Luft- und Wasserleitungen. Der Nachteil: Auf dem Pütt gab es ausschließlich heiße Betriebe. 28 Grad und mehr bei hoher Luftfeuchtigkeit. Die Arbeitskleidung bestand eigentlich nur aus Helm, Kopflampe, Selbstretterfilter, grauer Unterhose und Gummistiefeln. Statt Kaffeepulle nahm jeder Kumpel hier eine kleine Milchkanne, die fünf Liter Tee fasste, mit an seinen Arbeitsplatz.
Die Firma, für die ich damals tätig war, hatte sich auf den Vortrieb von Strecken spezialisiert. Wir fuhren daher meist Kopf- oder Ladestrecken auf. So lernte ich die verschiedenen Vortriebsverfahren kennen: Ladewagen oder Schrapper. Weil ich meine Arbeitsplätze in Ordnung hielt und bei den oft sehr raubeinigen Kumpels gut ankam, gab es keine Probleme. Im Gegenteil. Ich wurde sogar zeitweise voll in ein Vortriebsteam integriert. An diese Mannschaft erinnere ich mich noch sehr gut. Es waren die Gebrüder Liffers, die einst auf der Wattenscheider Zeche Holland das bergmännische Handwerk gelernt hatten. Hannes war der Boss, der Ortsälteste. Er gab mir auch wichtige Tipps bei den anfallenden Bohrarbeiten.
Um die Strecke voranzutreiben, mussten etwa 40 bis 46 Löcher in die Ortsbrust gebohrt werden. Drei bis vier Bohrhämmer – sie wurden von mir ebenfalls gewartet – kamen zum Einsatz. Ein ohrenbetäubender Lärm erfüllte dann die Strecke. Hinzu kam das Wasser, das den Bohrstaub binden sollte. Wir arbeiteten ohne jeglichen Schutz. Heute eigentlich unvorstellbar. Kaum fertig, wartete bereits der Schießmeister mit den Patronen auf seinen Einsatz. Hannes half mit beim Besetzen der Löcher.
Dann erfolgte der Knall, den wir in gebührendem Abstand hautnah miterlebten. Kaum hatte sich der Staub verzogen, eilten wir in die Ortsbrust und begutachteten gemeinsam unsere Bohrarbeit. Es blieb aber nur wenig Zeit, dann wurden die sogenannten Vorfangschienen, die an den letzten Kappen vor der Ortsbrust an der Firste angebracht waren, vorzogen. Jeweils zwei Kumpels luden sich dann zwei neue Kappen auf ihre nackten Schulter, trugen sich über das Haufwerk und platzierten sie auf die beiden Vorfangschienen. Schnell begann danach das Laden. Hier kamen je nach Betriebspunkt ein schienengebundener Überkopflader oder ein Schrapper zum Einsatz. Für den Einsatz eines Ladewagens benötigte man aber auch eine Wechselplatte. Von hier aus wurden die Leeren oder Vollen auf die jeweiligen Gleise und zurück geschoben. Von Hand. Bei einem Schrapper ging es ähnlich zu. Dieses Ladesystem bestand aus drei luftgetriebenen Haspeln, den Schrapper – es war ein nach zwei Seiten geöffneter Stahlkäfig mit Zähnen, das an einem Stahlseil hing. Vor dem Einsatz mussten aber in der Ortsbrust zwei kurze Löcher gebohrt werden, in denen die Ankerbefestigung für den Schrapperkäfig aufnahmen. Der Umgang mit dem Schrapper, der nur über den Haspeleinsatz dirigiert wurde, erforderte daher viel Geschick. Das Haufwerk landete hier in einem Panzerförderer mit Wagenabfuhr oder ein anderes Bandsystem.
Das Liffers-Team war in jenen Jahren berühmt/berüchtigt. Wenn ihnen etwas nicht passte, verließen sie den Pütt von jetzt auf gleich. Als eines Tages das Gedinge nicht stimmte, schmiss Hannes die Brocken hin. „Du kommst mit,“ meinte Hannes Liffers. Wir fuhren nach Essen, stellten uns bei einer dort ebenfalls ansässigen Bergbaufirma vor und fuhren bereits am anderen Tag auf Carl Funke am Baldeneysee ein. Nun gehörte ich endgültig zur Vortriebsmannschaft. Alles lief gut. Im ersten Monat verdienten wir 43 Mark pro Schicht. Der Hauerlohn lag damals bei 24 Mark. Auf Carl Funke konnten wir damals auf den bekannten Ladewagen zurückgreifen. Der Nachteil hier: Die Nässe und Kälte im Untertagebetrieb dieses Pütts. Aber nach einem Monat war ohnehin alles vorbei, denn das Gedinge stimmt wieder mal nicht. Nun trennten sich unsere Wege. Ich fuhr noch einige Monate für dieses Unternehmen auf der bereits von der Schließung bedrohten Gladbecker Zeche Möllerschächte ein. Eine tolle Zeit, ich war eigentlich die ganze Schicht ohne Aufgabenreich im Untertagebetrieb unterwegs. Weil ich mittlerweile ins benachbarte Oberhausen gezogen war, traf ich eines Tages einen ehemaligen Horsthausener Kumpel wieder, mit dem ich mich auf meinem damalige FdG-Drittel angefreundet hatte: Detlef aus Herne. Er arbeitete damals als Monteur auf den Bayer-Werken in Leverkusen. „Komm mit..“ Ich verließ den Pütt und wurde Monteur. Detlef und ich zogen von Baustelle zu Baustelle quer durch Deutschland. Unser Arbeitsgebiet lag damals zwischen Hamburg und Freiburg. Langsam verlor ich aber den Spaß am dauernden Reisen und kehrte wieder nach Herne zurück, wo ich im Oktober 1966 wieder auf Piepenfritz anlegte. Hier war ich in einem Abbaugebiet, das in der Nähe des neuen Schachtes 6 lag, für eine Einschienenhängebahn in einem Förderrevier zuständig. Längst hatte das große Zechensterben begonnen: Dahlbusch und Bismarck in Gelsenkirchen, Constantin in Herne und auch Shamrock „wackelte“. Ich zog die Reißleine und wechselte wieder in die Montagebranche, die mich diesmal wieder durch Deutschland und die Niederlande führte. 1970 stieg ich dann als Freier Mitarbeiter bei den Ruhr Nachrichten in Herne ein. Alles lief gut, so dass man mir 1973 schließlich eine Festanstellung anbot. Bis 2007 blieb ich beim Dortmunder Verlag Lensing-Wolf. Meine Arbeitsplätze: Gelsenkirchen und Bottrop. Als die letzte deutsche Steinkohlenzeche in Bottrop am 21. Dezember 2018 schloss, war ich natürlich dabei. Ehrensache. Mit meinen ehemaligen Nachbarn Hannes und Gerd, die mir 1964 den Wechsel von FdG nach Lothringen in Bochum-Gerthe empfohlen hatte, habe ich nie zusammengearbeitet, sie waren damals wohl anderen Dritteln zugeteilt oder sie hatten bereits Gerthe in Richtung anderer Pütts verlassen. Und ihre Familien wohnen ja auch nicht mehr dort, wo sie einst lebten: Im Herner Dichtervietel am Rande der Innenstadt. [2]
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Einzelnachweise
- ↑ Dieser Text wurde von Friedhelm Wessel zur Verfügung gestellt. Der Text darf nicht ohne Genehmigung verändert oder weitergegeben werden.
- ↑ Ein Artikel von Friedhelm Wessel