Trinkhallen

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Trinkhallen, Seltersbuden, Kioske und andere Verkaufsstellen sind in Herne vom Aussterben bedroht.

Das Schmuckstück im Heimatmuseum stand bis Ende der 1960er Jahre noch an der Gelsenkircher Straße/Ecke Am Mühlenbach
„Unsere“ Trinkhalle an der Ecke Eickeler Bruch/Martinistraße. Zwischen 1964 und 1972 kauften wir Schüler dort die Basisausrüstung für Pausen und langweilige Schulstunden (Bravo, Säuerlinge, Brausestäbchen, später Musik Express, HB und Lord Extra).
Kiosk Spezial: Dieses ungewöhnliche Exemplar an der Gabelsbergerstraße wurde bis vor wenigen Jahren quasi aus dem Wohnzimmer heraus betrieben. Mittlerweile sind Treppe und Leuchtreklame entfernt, die Verkaufs- halle dient wieder Wohnzwecken.
Zwei typische Wanne-Eickeler Exemplare der „angepappten“ Trinkhalle. Der Kiosk oben steht an der Märkischen Straße/Ecke Dürerstraße, der untere an der Hauptstraße in Eickel.

Wolfgang Berke

Vom Aussterben bedroht

Trinkhallen, Seltersbuden, Kioske und andere Verkaufsstellen

Es ist bald so weit, dann gehören die Wanne-Eickeler Trinkhallen in die Abteilung Traurige Kapitel. Über Jahre haben sie manches Straßenbild geprägt und sie sicherten die Grundversorgung mit Genussmitteln aller Art: Für die Erwachsenen gab's Bier, Zigaretten und Bild-Zeitung, für die Kinder Bonbons, Wundertüten und Comic-Hefte. Immer mehr Traditionsbuden haben den Preiskampf mit den Supermärkten verloren, und die Umgehung der gesetzlichen Ladenschlusszeiten ist schon längst zur Domäne der Tankstellen geworden. Viele Rollläden sind für immer heruntergegangen.

Die schönste aller Wanne-Eickeler Buden steht schon seit über 30 Jahren im Heimatmuseum an der Unser-Fritz-Straße. Sie gehörte zur fast ausgestorbenen Spezies der frei stehenden Kioske. Anfangs waren sie aus Holz – und es gab an ihnen tatsächlich nur Wasser zu kaufen, deshalb auch der Name „Seltersbude“ oder Selterbude, wie es zumindest in Röhlinghausen hieß. Wer sie erfunden hat und wo die erste stand – niemand weiß es. Der Verdacht liegt jedoch nahe, dass es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Nähe irgendeiner Zeche im Ruhrgebiet gewesen sein muss, denn Trinkhallen oder Seltersbuden, wie wir sie kennen, gab es sonst nirgendwo in Deutschland. Und Bergleute, die nach der staubigen Schicht dringend den Durst runterspülen mussten, auch nicht.

War es am Anfang wirklich nur Mineralwasser, das die Kumpel nach Feierabend mal kurz an der Straße zischten, merkten die Kioskbetreiber schnell, dass den Bergleuten vor allem an den Lohntagen der Sinn auch nach anderen Flüssigkeiten stand, die Trinkhalle war geboren, der Ort, wo man schnell ein Bier oder mehrere kippen konnte, ohne groß irgendwo einkehren zu müssen. Schnäpsken und Tabak noch dabei? – Bitteschön!

Neben den Bergleuten und Stahlarbeitern wurden schnell die Kinder zu den besten Kunden der Büdchen, denn natürlich gab es hier auch bald Bonbons und andere süße Dinge. Und weil diese junge Klientel geschützt werden musste, wurde alsbald der Konsum von Alkohol im Umkreis der Buden gesetzlich verboten. Schluss mit den Trinkhallen, der Kiosk war geboren. Unter diesem Begriff (Kiosk ist die Bezeichnung für einen orientalischen Gartenpavillon – und so nannte man in den großen fernen Städten Verkaufsstände für Zeitungen und Souvenirs) wurde das Sortiment um alles erweitert, was man nicht zwingend zum Leben braucht, dieses aber unerhört bereichert.

Den frei stehenden Kiosken gesellten sich die vor allem in Wanne-Eickel ausgesprochen populären, an Häuser und Mauern „angepappten“ Buden hinzu. Einige dieser Schmuckstücke, vor allem ein paar Nachkriegsexemplare, stehen immer noch. Die heute am häufigsten zu findende Budenform ist ein mehr oder weniger geräumiges Ladenlokal. Meist in irgendeinem ehemaligen Tante-Emma-Laden eingerichtet, wurde das Warensortiment im Vergleich zur klassischen Trinkhalle enorm ausgeweitet. Da gibt es Schulbedarf oder Spielwaren, Milchprodukte oder Tiernahrung, frische Backwaren oder Lebensmittelkonserven.

Aber an einem ganz entscheidenden Merkmal kann man ihre Wurzeln immer noch erkennen: Wenn man für 50 Cent Säuerlinge, für einen Euro Lakritzen und für 30 Cent Brausebonbons haben möchte, gibt's zwar nicht mehr so viel wie früher, der bunte Leckerkram wird aber immer noch mit einem kleinen Schippchen fein säuberlich in eine Tüte gezählt. Hütet euch aber vor Buden, wo eine nackte Hand in die Bonbongläser grapscht! Und auch vor solchen, wo die Bedienung sich einen Einweg-Handschuh überstreift, bevor sie die bunten Sachen aus den Gläsern fingert!









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