Friedhelm Jesse
Friedhelm Jesse (* 11. Mai 1936 in Herne) ist ein ehemaliger deutscher Fußballtorwart.
Der Knappe, der oft im „Schatten“ stand: Friedhelm Jesse
Vor ihm liegt die fußballerische Vergangenheit. Sieben Zentimeter dick, abgegriffen. Zwei Alben. Eine Unmenge von Fotos, Zeitungsseiten, Zeitungsartikel und Dokumente aus seiner aktiven Kickerzeit, hat der gelernte Bergmann Friedhelm Jesse in diesen Alben deponiert. Der Herner Sportler stand in den 1950-/60er-Jahren oft im Schatten bekannter Torhüter, so von WM-Legende Hans Tilkowski, mit dem er auch heute noch immer befreundet ist, oder dem Ex-MSVer Manfred „Cassius“ Manglitz, der seit Jahren in Spanien eine Sportschule betreibt. Freunde sind sie in ihrer gemeinsamen Duisburger Zeit aber nie geworden.
Aufgewachsen ist Friedhelm Jesse, der 1936 geboren wurde, in der 1898 erbauten Zechensiedlung Holper Heide gegenüber der ehemaligen Zeche Friedrich der Große 1 / 2. 1951 beginnt Jesse hier seine Ausbildung, ab 1953 fährt er ein, ein Jahr später ist er Knappe und baut Kohle ab. Eine harte, schweißtreibende Arbeit. In dieser Zeit hat er aber seine Liebe zum Fußball entdeckt. Bei der heimischen SV Fortuna hütet der schlaksige Horsthauser inzwischen längst das Tor auf dem Platz an der einstigen Hafenstraße und feiert die ersten Erfolge. 1955, da spielt der benachbarte SV Sodingen um die Deutsche Meisterschaft mit, entschließt sich der Fortune zu einem Wechsel ins Stadion am Schloss Strünkede. Der „Eiserne Fritz“, Fritz Langner hatte hier inzwischen die Regie der Westfalia übernommen und mit Friedhelm Jesse kommt auch zeitgleich ein weiterer, neuer Keeper ins Team: Hans Tilkowski. Ein harter Konkurrenzkampf beginnt.
Friedhelm Jesse, der Bergknappe, sucht eine Unterredung mit Fritz Langner. Es geht um die Arbeitsbedingungen auf dem Pütt. „Drei Tage später“, so erinnert sich der ehemalige Oberliga-Torhüter, „erhielt ich im Untertagebetrieb der Schachtanlage Friedrich der Große eine leichtere Tätigkeit. Aber ich stand damals vor der Entscheidung: Bergmann oder Berufsfußballer. Meine Entscheidung fiel schnell, denn im Bergbau wehten bereits die ersten schwarzen Fahnen. Ich entschied mich also für den Fußball. Eine Entscheidung, die ich nie bereut habe.“
Einmal, als Hans Tilkowski eine Verletzung auskurieren musste, erhielt Friedhelm Jesse seine große Chance. Sieben Spiele hintereinander hütete er den Kasten der Westfalia, erhielt gute Kritiken, dann kehrte „Til“, der spätere WM-Torhüter, zurück und der Herner rückte wieder in die zweite Reihe. Doch nun bekam er 1961 seine Chance, denn der Meidericher SV suchte einen zuverlässigen Keeper. Mit den Zebras schaffte Friedhelm Jesse auch den Sprung in die 1. Bundesliga, die 1963 eingeführt wurde. Ein Stammplatz schien dem Herner Oberliga-Torhüter, der inzwischen nach Duisburg umgezogen war und dort eine Arbeitsstelle auf der Hütte angenommen hatte, bereits sicher.
An seine Teamkollegen aus jenen Tagen kann sich Friedhelm Jesse noch ganz genau erinnern: Erich Staude, Günther Preuß, Manfred Müller, Dieter „Pitter“ Danzberg, Ludwig Nolden, Hans Sabath, Hans Cichy, Werner Lotz und Hartmut Heidemann. „Eine tolle Mannschaft“, resümiert Jesse. Später stieß noch Boss Helmut Rahn hinzu, da kickten die Zebras schon erfolgreich unter Rudi Gutendorf in der Eliteklasse. „Eigentlich war ich als Stammtorhüter in der jungen Bundesligamannschaft vorgesehen. Nach der Sommerpause 1963 präsentierte der MSV-Vorstand plötzlich einen neuen Keeper, der nicht nur durch Paraden, sondern auch durch große Sprüche auf sich aufmerksam machte: Manfred Manglitz, der nun den Spitznamen „Cassius“ nach dem großmäuligen Weltklasseboxer Cassuis Clay (Mohammed Ali) gerufen wurde.
Wieder rückte Friedhelm Jesse in die zweite Reihe. Nur 1965, als der MSV eine USA-Sommerreise antrat, durfte Jesse auf Drängen von Boss Rahn für eine Halbzeit mal während eines Freundschaftsspiels den Zebrakasten hüten. „An Helmut Rahn erinnere ich mich sehr gerne. Als er 1963 nach seiner Rückkehr aus Enschede das erste Training bei uns absolvierte, wollten 5000 Fans den Boss sehen. Unglaublich, wie populär Helmut damals war. Später hat er mir sogar einmal mein Auto repariert,“ erzählt Friedhelm Jesse weiter, der 1966 für vier Jahre nach Luxemburg wechselte.
Hier hütete der Herner, der nun mit seiner Familie in Luxemburg-Stadt lebte, den Kasten des dortigen Erstligisten Spora, der sich 1965 für den Europapokal der Pokalsieger qualifiziert hatte. Die Gegner hießen damals: FC Magdeburg, Leeds United und Shamrock Rovers. „Vor allem das Spiel gegen den FC ist mir haften geblieben. An der damaligen DDR-Grenze mussten die deutschen Spieler, Walter Glinski und ich, zwei Stunden auf eine entsprechende Einreisegenehmigung warten,“ berichtet Jesse. Leider schied Spora schon in der Vorrunde aus und Jesse dachte daran, den Verein zu verlassen. Er knüpfte daher Kontakte zu den Aachener Alemanen und zur neuen amerikanischen Fußball-Liga.
Die Autofahrt zum winterlichen Probetraining im Tivoli endet je in einer Schneewehe in der Eifel. Jesse kehrte um und blieb vorerst im Großherzogtum, dann fährt der Kicker aus der Revierstadt nach Essen, wo im dortigen Hotel Handelshof über die neue US-Soccerliga gesprochen, gefeilscht und verhandelt wird. Torhüter Jesse ist aber dabei, soll für einen Verein in den Südstaaten kicken. Auch sein Teamkollege Walter Glinski will mitgehen, doch dann brechen in der Gegend, in der die beiden Deutschen das US-Team stärken sollen, Unruhen aus. Farbige US-Amerikaner wollen teilweise mit Gewalt ihre Bürgerrechte durchsetzen. Glinski und Jesse machen daher einen Rückzieher. Ade USA, Tschüss Soccerleague.
Friedhelm Jesse ist aber nicht untätigt, er macht einen Trainerschein beim DFB im nahen Saarbrücken. Lehrgangsleiter: Jupp Derwall, der später Bundestrainer. Wieder Rückkehr ins Revier, wieder zurück nach Herne. Hier streift sich Friedhelm Jesse noch einmal das Trikot des Regionalligisten Westfalia Herne über. „Eigentlich sollte ich damals auch Nachfolger von Trainer Werner Stahl werden.“ Doch es kam anders. Friedhelm Jesse wurde wieder übergangen. Nun übernahm er bis in die späten 1980er-Jahre Trainerämter bei der Spielvereinigung Herne-Horsthausen, beim BV Herne-Süd und bei der SV Dorsten-Haardt. Aber seiner Westfalia blieb der ehemalige Torhüter, der von seinen Kollegen in Luxemburg einst „Fred“ gerufen wurde, trotzdem treu. Seine Brötchen verdiente der Ex-Kicker inzwischen längst in der Stahlbranche.
Seit Jahrzehnten gehört der Ex-Bergmann, der nie ein Mann der „großen Worte“ war, dem AH-Team von Westfalia Herne an. Ab und zu trifft er sich mit Kollegen aus der guten alten Oberligazeit, so mit Hans Tilkowski, Gerd Clement, Kurt Heidinger oder Werner Lotz. Eines hat den Torhüter, der oft unberechtigt im Schatten anderer Torhüter stand, jedoch sehr geärgert, als der MSV 2002 das Fest aus Anlass des 100-Jährigen Bestehens mit 1.000 Gästen in der Duisburger Mercatorhalle feierte, hatte man ihn wieder einmal übergangen. Kickerschicksal. [2]Verwandte Artikel
Quellen
- ↑ Dieser Text wurde von Friedhelm Wessel zur Verfügung gestellt. Der Text darf nicht ohne Genehmigung verändert oder weitergegeben werden.
- ↑ Ein Artikel von Friedhelm Wessel