Junge, willst Du mal zum Film?
Ich, der schmächtige Junge aus der Herner Innenstadt, hatte es von meinen Eltern gehört: „Herne wird Filmstadt. Der Wicki und sein Team drehen im Hotel Schlenkhoff und im Schloss“. Der Name des Regisseurs sagte mir zunächst nichts. Doch am frühen Nachmittag, als die freundlichen Nachbarn von nebenan, Herr und Frau Schmidt, auf einen Kaffee bei uns in der guten Stube saßen, war der angekündigte Filmdreh plötzlich das Gesprächsthema Nummer 1.
„Seinen Film die Brücke haben wir gesehen. Hat uns gut gefallen“, meinte Frau Schmidt und stieß den neben ihr sitzenden Mann, der gedankenverloren blaue Zigarettenqualmwolken an die Zimmerdecke schickte, sanft in die Rippen. „Ja, ja, hat uns gefallen“.
Sie erzählten nun die Geschichte der Jungen, die mit Gewehren und Panzerfäusten eine Brücke verteidigten. Ich war ja ein Kind der Nachkriegsgeneration, doch den Krieg und seine Folgen kannte ich nur ansatzweise aus den Erzählungen meiner Eltern. Mein Vater war 1945 mit dem Fahrrad aus der „Tschei“, wie er das Nachbarland Tschechoslowakei nannte, als Soldat geflohen, meine Mutter, reiste als uninformierte Krankenschwester der Front in verschiedenen ausländischen Abschnitten hinterher. Und als sie während ihrer nachmittäglichen Kaffeerunde beim Volkssturm gelandet waren, fiel mir nur Herr Schade ein, das war Gemüsehändler an unserer Ecke, der zusammen mit einigen Jungen, die mit alten Gewehren bewaffnet waren, im April 1945 die Herner Kanalbrücke an der Bahnhofstraße verteidigen sollten. Herr Schade verlor dabei sein rechtes Bein, was ihn aber nicht daran hinderte, täglich auf den Kutschenbock seine pferdegezogenen Gemüsewagens zu klettern.
Den Film „Die Brücke" durfte ich damals aus Altersgründen noch nicht sehen. Aber der Mann, der so einen Stoff auf die große Leinwand brachte, interessierte mich sehr. Daher beschloss ich, mir die genannten Drehorte mal aus der Nähe anzusehen. Mit meinem klapprigen Fahrrad, das ich aus dem Schuppen hinter dem Haus holte, fuhr ich zunächst zum Hotel Schlenkhoff, einem imposanten Eckbau aus der Gründerzeit. Hier sollten laut Zeitungsbericht einige Szenen gedreht werden.
Ich postierte mich an der Ecke Bahnhof-/Viktor-Reuter-Straße und wartete. Doch nichts rührte sich. Nur einmal schaute ein außergewöhnlicher Mann aus dem Haupteingang. „Der ist bestimmt beim Film“, dachte ich, denn Herr Berger, wie der Türsteher hieß, war lang und dürr, trug eine Melone und war im „Stil eines englischen Buttlers“ gekleidet. Als er mich sah, verzog er keine Miene. Rund um das dunkelgraue Gebäude, in dem im Juli 1914 die inoffzielle Eröffnungsfeier des Rhein-Herne-Kanals stattgefunden haben soll, ging alles den normalen Gang. Nichts wies auf ein Filmteam hin.
Daher beschloss ich, den nächsten Drehort, das Schloss Strünkede, aufzusuchen. Mit dem Rad über die Bahnhofstraße bis zur Schloss-Straße waren es nur ein paar Minuten. Auf der Straße neben der Gräfte parkten etliche Fahrzeuge. Ich trat schneller in die Pedalen, stoppte in Höhe der Brücke, die die Straße mit dem historischen Gebäude verband.
Zwei Männer waren gerade dabei, filmtechnisches Gerät abzuladen. Riesige Scheinwerfer und verschiedene Aggregate wuchteten die Filmleute, die blaue Latzhosen und karierte Hemden trugen, aus einem Lastwagen. Einer der Männer, offensichtlich ein Bayer, lachte mich an. Ein Goldzahn blitzte in der Sonne, die sich müde durch den grauen Revierhimmel quälte. „Na, Junge, willst Du auch zum Film?“, fragte er freundlich. Ich bekam rote Ohren und schüttelte den Kopf. Schob aber das Rad näher an den Laster heran. Der Bayer verschwand in Richtung Schlosshof, sein Kollege, der eine Kiste transportierte, giftete mich plötzlich an: „Bursche, du stehtst im Weg“.
Das saß, ich zog mich zurück, bestaunte noch die parkenden Autos des Filmteams und wartete darauf, einen Prominenten zu sehen. Aber es tat sich nichts. Enttäuscht fuhr ich nach Hause zurück, hatte nun andere Sorgen, musste eine Bewerbung schreiben, denn mein Schulzeitende nahte.
Herr Berger, den englischen Buttler, den ich einst in seinem Hotel Schlenkoff, das wenige Jahre nach den dortigen Dreharbeiten abgerissen wurde, habe ich danach noch mehrmals in Herne getroffen. Den „Engländer aus Herne“, der in Bernhard Wickis „Das Wunder des Malachias“ einen Billardspieler mimte, wohnte noch jahrelang in einem Haus, in dem die Lichtburg, das Herner Vorzeigekino untergebracht war. Und in diesem Kino sah später auch als Jugendlicher endlich „Das Wunder des Malachias“ und „Die Brücke“. [3]
Verwandte Artikel
Quellen
- ↑ Dieser Text wurde von Friedhelm Wessel zur Verfügung gestellt. Der Text darf nicht ohne Genehmigung verändert oder weitergegeben werden.
- ↑ Foto von Friedhem Wessel O. J.
- ↑ Ein Artikel von Friedhelm Wessel