Tauben haben Heimweh: Unterschied zwischen den Versionen

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Mit Brieftauben hatte ich eigentlich nichts am Hut.
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Mit Brieftauben hatte ich eigentlich nichts am Hut. Doch eines Tages tauchte ein Bekannter meiner Eltern bei uns zu Hause auf. Ich war damals etwa 12 Jahre alt, besaß zwar kein eigenes Fahrrad, doch der freundliche Herr Schmidt, der mit seiner Familie ebenfalls in unserem Haus lebte, verfügte schon über ein wohl halbwegs neues Rad, mit dem er zur Arbeit fuhr. Der Bekannte meiner Eltern, der auf der Hafenstraße – heute [[Nordstraße]] – wohnte, züchtete Brieftauben. So erzählte er schwämerisch während des Besuches von einer geplanten Blutauffrischung in seinem Schlag. Er hatte daher Kontakt mit einem Züchter in Gelsenkirchen-Bismarck aufgenommen.
Doch eines Tages tauchte ein Bekannter meiner Eltern bei uns zu Hause auf. Ich war damals etwa 12 Jahre alt, besaß zwar kein eigenes Fahrrad, doch der freundliche Herr Schmidt, der mit seiner Familie ebenfalls in unserem Haus lebte, verfügte schon über ein wohl halbwegs neues Rad, mit dem er zur Arbeit fuhr. Der Bekannte meiner Eltern, der auf der Hafenstraße – heute [[Nordstraße]] – wohnte, züchtete Brieftauben. So erzählte er schwämerisch während des Besuches von einer geplanten Blutauffrischung in seinem Schlag. Er hatte daher Kontakt mit einem Züchter in Gelsenkirchen-Bismarck aufgenommen.


„Hast du nicht Lust, mit nach Bismarck zu fahren und die Blaue abzuholen“, fragte mich Horst. Mutter nickte und ich zuckte mit den Schultern, Vater lachte und meinte: „Ich frage den Werner, ob er dir mal für ein paar Stunden sein Dienstfahrrad leiht“. Gesagt, getan. Ein paar Minuten war Vater wieder zurück. Er nickte mit dem Kopf: „Alles klar, ihr könnt die Blaue abholen“.
„Hast du nicht Lust, mit nach Bismarck zu fahren und die Blaue abzuholen“, fragte mich Horst. Mutter nickte und ich zuckte mit den Schultern, Vater lachte und meinte: „Ich frage den Werner, ob er dir mal für ein paar Stunden sein Dienstfahrrad leiht“. Gesagt, getan. Ein paar Minuten war Vater wieder zurück. Er nickte mit dem Kopf: „Alles klar, ihr könnt die Blaue abholen“.

Aktuelle Version vom 17. Februar 2018, 15:00 Uhr

Mit Brieftauben hatte ich eigentlich nichts am Hut.

Friedhelm Wessel [1]

Doch eines Tages tauchte ein Bekannter meiner Eltern bei uns zu Hause auf. Ich war damals etwa 12 Jahre alt, besaß zwar kein eigenes Fahrrad, doch der freundliche Herr Schmidt, der mit seiner Familie ebenfalls in unserem Haus lebte, verfügte schon über ein wohl halbwegs neues Rad, mit dem er zur Arbeit fuhr. Der Bekannte meiner Eltern, der auf der Hafenstraße – heute Nordstraße – wohnte, züchtete Brieftauben. So erzählte er schwämerisch während des Besuches von einer geplanten Blutauffrischung in seinem Schlag. Er hatte daher Kontakt mit einem Züchter in Gelsenkirchen-Bismarck aufgenommen.

„Hast du nicht Lust, mit nach Bismarck zu fahren und die Blaue abzuholen“, fragte mich Horst. Mutter nickte und ich zuckte mit den Schultern, Vater lachte und meinte: „Ich frage den Werner, ob er dir mal für ein paar Stunden sein Dienstfahrrad leiht“. Gesagt, getan. Ein paar Minuten war Vater wieder zurück. Er nickte mit dem Kopf: „Alles klar, ihr könnt die Blaue abholen“.

Am folgenden Samstag war es dann soweit. Horst tauchte mit seinem Rad auf dem Hof an der Goethestraße auf, wo ich bereits mit dem Dienstrad von Herr Schmidt eine paar Trainingsrunden gedreht hatte. „Mutter, wir fahren“, rief ich in Richtung Küchenfenster, das immer offenstand, wenn wir Kinder auf dem Hof spielten.

Horst wusste den Weg nach Bismarck. Über Wanne-Eickel-Mitte ging es vorbei an Pluto über die Wilhelmstraße, die später in die Bickernstraße überging bis nach Bismarck. Hier kannte ich eigentlich nur den Zoo und den in der Nähe befindlichen Bahnhof und die Wege am nahen Rhein-Herne-Kanal.

Die Kulisse der Zeche Consolidation – kurz Consol – genannt, beeindruckte mich sehr. Horst bog links in die Kanalstraße ein. „Wir sind gleich da..“, rief er und zeigte auf einige Koloniehäuser. Vor einem ruhrgebietstypischen Zechenhaus hielt er an, schob sein Fahrrad um die Ecke auf den Hof, stellte es an die Hauswand. Ich folgte seinem Beispiel. Auf dem Gartenweg tauchte ein grauhaariger Mann mittleren Alters, der eine dunkelblaue Arbeitshose und ein kariertes Hemd trug, auf und begrüßte Horst und mich mit einem nicht unsympathischen Lachen. „Gut gefunden...“, fragte er mit einer dröhnenden Bassstimme. Horst lachte und zeigte auf mich. „Wie du siehst, habe ich Verstärkung mitgebracht“.

Kurt, der Taubenzüchter, Gartenfreund und Consolkumpel, grinste und zeigte in Richtung Garten, wo im Hintergrund eine dunkelgrüne Laube mit den typischen Taubenklappen stand. „Die Blaue wartet schon“, lachte Kurt. Wir setzten zunächst uns auf eine Bank. „Ach, der Besuch aus Herne“, ertönte plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund. „Meine Frau“, meinte Kurt und schaute fragend Horst und mich an. „Was zu trinken?“ Ohne unsere Antwort abzuwarten, verschwand Gertrud, die Hausherrin, in der Laube und tauchte wenig später mit zwei Flaschen „Glückauf-Bier“ und einem Glas Limo auf. Ich schaute mich im Garten um, bestaunte die verschiedenen Pflanzen und Sträucher und naschte vom Obst, das an den Bäumen hing. Währenddessen waren Horst und Kurt wohl handelseinig geworden. Nach Kumpelart wurde der Kauf der „Bismarcker Blauen“ mit einem Handschlag und einer Flasche Bier besiegelt. Horst überreichte seinem Gegenüber ein paar Geldscheine. Gertrud brachte einen Karton, der vom Schuhgschäft Willmsen stammte, im Deckel hatte sie zuvor mit einer Schere ein paar Luftlöcher gestochen. Darin wurde die Täubin, die Kurt schon vorsorglich, wie ich später erfuhr, im Schlag seperiert hatte, transportiert.

Als wir uns schließlich von Gertrud und Kurt in Bismarck verabschiedeten, hatten die beiden Bergleute schon etliche Male Glückauf gesagt und den Spruch mit viel Gerstensaft begossen, was natürlich nicht ohne Folgen blieb. Bis Pluto an der Wilhelmstraße lief eigentlich alles ganz normal, dann musste sich Horst in die Büsche schlagen, während ich sorgenvoll nach der äußerst ruhigen „Blauen“ schaute, die, als ich den Deckel des Kartons etwas lüftete, sich schnell in den grauen Revierhimmel erhob.

„Macht nix“, sagte Horst, wir fuhren wortlos zurück, wo uns Kurt, bereits mit der zurückgekehrten Taube in der schwieligen Bergmannshand, auf dem Gartenweg mit einem schallenden Lachen an der Kanalstraße entgegenkam. „Ich wollte...“, stotterte ich. Kurt lachte noch lauter. Er verstaute die Blaue erneut im Karton, nun fiel der Abschied kurz aus. Diesmal fuhr ich voran. Nach 35 Minuten waren wir an der Ecke Bismarckstraße. Hier übergab ich Horst die wertvolle Fracht, dann trennten sich nach einer kurzen Verabschiedung unsere Wege. Horst fuhr die Bahnhofstraße in Richtung Kanal, während ich in Richtung Stadtmitte radelte. Wochen später tauchte Horst wieder bei uns auf. Stolz berichtete er uns vom inzwischen gelungenen Zuchterfolg. Ob aber die „Bismarcker Blaue“ je Preise einflog, davon hat uns der langjährige Züchter von der Hafenstraße aber nie etwas erzählt. [2]


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Einzelnachweise

  1. Dieser Text wurde von Friedhelm Wessel zur Verfügung gestellt. Der Text darf nicht ohne Genehmigung verändert oder weitergegeben werden.
  2. Ein Artikel von Friedhelm Wessel