Die Zigarre des dicken Kanzlers

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Hoher Besuch hatte sich am 2. April 1965 in Herne angekündigt: „Der Dicke“ - gemeint war Bundeskanzler Erhard, der zigarrenrauchende Erfinder des Wirtschaftswunders, der nun im Zeichen der Kohlenkrise eine Reise durchs Revier unternahm, wollte Piepenfritz besichtigen.

Friedhelm Wessel [1]

Vordere Reihe von links: Ministerpräsident (NRW) Franz Meyers, Assessor Bähr, Bundeskanzler Ludwig Erhard, Bergwerksdirektor Helmuth Heintzmann am 2. April 1965 beim Besuch der Zeche Friedrich der Große, Schacht 6, in Herne [2]

Auf dem Herner Pütt wurde gerade der Schacht 6 abgeteuft, den wollte Erhard einen Besuch abstatten. Dieser neue Schacht sollte nämlich den Herner Pütt vor einer möglichen, drohenden Schließung retten. Damals gehörte das Herner Bergwerk noch zum Konzern der Ilseder Hütte in Peine. Nichts deutete an diesem Apriltag auf der Zechenanlage an der Ilseder-/Schachtstraße auf den Besuch des „Dicken“ hin. Unerkannt hatten sich jedoch einige Scharfschützen der damaligen „Sicherungsgruppe Bonn“ auf den umliegenden Gebäudedächern postiert.

Ein offnener, weißer Polizeiporsche führte den Kanzlerkonvoi am 2. April an, fuhr über das Zechengelände zum Abteufgerüst. Zuvor hatte man dem Gast aus Bonn aber entsprechende Kleidung: Helm, Schuhe und Fahrmantel bereit gelegt. Am Schacht wurde Ludwig Erhard unter anderem von Ministerpräsident Meyers, Bergrat a.D. Helmuth Heintzmann und weiteren Prominenten aus den Bereichen Politik und Bergbau empfangen.

Als der zigarrenrauchende Kanzler in den Abteufkübel kletterte, meinte ein Kumpel: „Herr Bundeskanzler, die Zigarre.“ Erhard trennte sich von der geliebten Zigarre, reichte sie dem Mahner, der sie ohne eine Miene zu verziehen, weiterrauchte. Dann ging es in die Tiefe. Nach der Rückkehr bot sich ein weiterer Kumpel an, die Schuhe des Gastes zu putzen. Was Erhard aber zunächst nicht wusste: Schuheputzen kostete hier einen Kasten Bier. Als der Bundeskanzler danach davon erfuhr, bezahlte er gleich drei Kästen Gerstensaft.

Die Polizisten, die den Konvoi begleiteten, wurden im Auftrag der Zechenleitung bewirtet. Eine Reihe nichtalkoholischer Getränke standen daher bereit. Doch zur Verwunderung der Gastgeber verlangten die „Weißen Mäuse“ - die ganz in Weiß gekleideten Beamten - Bier. Auf die Frage, ob es keine Probleme gebe, meinten sie nur: „Wir sind doch die Polizei“.

Ludwig Erhard sprach nach der Fahrt an Schacht 6 noch auf der Rasenhängebank von Schacht 3 zu den Piepenfritz-Kumpels. Seine Aussage „Ich stehe für 140 Millionen Jahrestonnen Kohle“, kam anschließend bei den Revierkumpels gut an.“ Doch die Wrklichkeit sah anders aus. Auf mehreren Großzechen des Reviers kam in den nächsten Jahren der Deckel drauf: „Dahlbusch“ und „Bismarck“ in Gelsenkirchen und „Rosenblumendelle“ in Mülheim. Im Dezember 1966 trat Erhard zurück, er starb im Mai 1977, zehn Monate später, am 31. März 1978, endete auch die Förderung auf dem letzten Herner Bergwerk Friedrich der Große/Mont-Cenis. [3]


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Einzelnachweise

  1. Dieser Text wurde von Friedhelm Wessel zur Verfügung gestellt. Der Text darf nicht ohne Genehmigung verändert oder weitergegeben werden.
  2. Arnoldius (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ludwig_Erhard_1965_FdG_1.jpg), „Ludwig Erhard 1965 FdG 1“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode
  3. Ein Artikel von Friedhelm Wessel