Zechenschließungen

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Schicht am Schacht. Zechenschließungen in Wanne-Eickel

Wolfgang Berke

Ohne die Kohle in unserem Boden hätte es das Ruhrgebiet nicht gegeben, und Wanne-Eickel natürlich auch nicht. Zumindest nicht in dieser Form. Für den Segen, den die Zechen brachten, haben sie aber auch viel Schaden angerichtet. Hier geht es nicht nur um die Bergsenkungen oder die Bodenverseuchungen durch Kokereinebenbetriebe, nein, sie haben auch das Leben und die Gesundheit der Bergleute und der Bevölkerung aufs Spiel gesetzt. Grubenunglücke, Staublungen, Luftbelastungen bis -verpestungen: Der Preis für den bescheidenen Wohlstand war hoch, verdammt hoch.

Ohne die Zechen würde aber auch kaum jemand dieses Buch lesen. Die meisten von uns würden heute da leben, wo sie oder ihre Vorfahren einst herkamen: in Ostpreußen, in Schlesien, im Sauerland, am Niederrhein, in Holland, Österreich, in Süditalien oder Anatolien. Es hätte vermutlich keinen vernünftigen Grund gegeben, nach Wanne-Eickel auszuwandern.

Es war Experten schon seit langem klar, dass die Lebensdauer des Bergbaus in der Ruhr- und Emscherzone eine begrenzte sein musste. Wie viel früher hätte man sich Gedanken über die Zukunft nach dem Bergbau machen müssen. Aber wie so oft, keiner wollte es sehen, hören oder denken, und die Betroffenen am allerwenigsten. Im Laufe seiner 300-jährigen Geschichte wanderte der Bergbau immer weiter nach Norden und die Schachtanlagen wühlten sich immer tiefer unter die Erde. Die kohlehaltigen Flöze liegen nun mal nicht waagerecht im Boden, sondern schräg. An der Ruhr noch ganz dicht unter der Oberfläche, an der Lippe schon mehr als einen Kilometer tief. Irgendwann sind Aufwand und Kosten einfach zu hoch, übersteigen den Erlös, und dann war’s das.

1961 war’s auch in Wanne-Eickel so weit, die Königsgrube, der Pütt, mit dem alles anfing, hörte auf zu fördern. Und war damit das erste Wanne-Eickeler Opfer der Kohlekrise. Gab es Aufregung, Proteste? Hielt sich in Grenzen, Röhlinghausen trauerte, die anderen Stadtteile hatten ja noch ihre Pütts. War jemand beunruhigt, im Rathaus gar? Warum, die anderen Schachtanlagen strahlten Zuversicht und wirtschaftliche Stärke aus.

Die Zeche Pluto Schacht Thies erwischte es 1963. Schacht Wilhelm machte weiter, im Verbund mit der Gelsenkirchener Zeche Consolidation. Die konsolidierte ja schon seit 1923 Unser Fritz, hatte also schon Erfahrung mit Wanne-Eickeler Pütts. Beiden half es nichts, auf Unser Fritz 2/3 traten die Bergleute 1967 zur letzten Seilfahrt an, seit 1976 wird auch auf Pluto Wilhelm nicht mehr gefördert. Der Rest von Unser Fritz hieß dann nur noch „Consol“ und verbreitete ungebrochene Zuversicht. Baute noch 1974 einen neuen Förderturm aus Stahlbeton, der aber nicht lange gebraucht wurde. 1993 war auch an der Unser-Fritz-Straße endgültig Schicht am Schacht.

Hinter diesen dürren Fakten stehen Menschen und deren Schicksale. Die Zechenschließungen in Wanne-Eickel betrafen nicht Hunderte, sie betrafen Zehntausende. Allein von 1957 bis 1967 sank die Zahl der Wanne-Eickeler Bergarbeiter von 14.300 auf 4.600. Gab es Aufregung? Ja, aber Zorn und Wut der Bergleute wichen bald Resignation und Trauer. Und im Rathaus? Doch, beunruhigt war man schon, allein es fehlten Ideen, Konzepte und Antworten.

Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Sie fehlen immer noch. Welche Chancen bieten die riesigen ehemaligen Industrieareale, welche Chancen bieten die vielen Menschen, die arbeiten könnten, wenn es was zu arbeiten gäbe. Alle die Menschen, die noch nicht die Flucht aus Wanne-Eickel ergriffen haben. Und was passiert? Wenig, meist immer dasselbe, und immer in der Hoffnung, dass sich das Gewerbe von selbst hier ansiedelt. Nein, der wirkliche Strukturwandel passiert anderswo, leider.

Doch noch einmal kurz zurück zur Zechengeschichte. Mit einer Kuriosität hatte Wanne-Eickel noch bis zum Ende des Jahres 2001 gelebt. Die ehemalige Schachtanlage Shamrock 3/4 wurde 1965 durch einen fast neun Kilometer langen Querschlag mit der Zeche General Blumenthal in Recklinghausen verbunden. Untertage natürlich. Als auf Shamrock kurz darauf der Kohleabbau eingestellt wurde, fuhren die Bergleute in Wanne-Eickel ein, dann untertage nach Recklinghausen, wo sie arbeiteten. Weil aber die Arbeitszeit eines Bergmanns von der Seilfahrt in die Tiefe bis zu dem Zeitpunkt berechnet wird, an dem er wieder das Tageslicht erblickt, wurde der Zechenleitung die Untertagebeförderung schnell zu teuer. Bald karrten dann Busse die Bergleute von Wanne-Eickel nach Norden. Selbstverständlich übertage.

Der Ertrag ihrer Arbeit, die Kohle, kam aber weiterhin in Wanne-Eickel ans Tageslicht. Schließlich gab es hier alle nötigen Förderanlagen und Gleisanschlüsse. Shamrock 3/4 hieß jetzt Blumenthal Haard Schacht 11, weil mittlerweile die unterirdische Verbindung bis nach Marl reichte. Und auch von dort wurde die Kohle untertage nach Wanne-Eickel transportiert, ab 1969 sogar vollautomatisch. Fast niemand hatte es bemerkt, dass an der Kastanienallee noch mehr als 30 Jahre gefördert wurde. Kohle, die der Blumenthal-Verbund in ganz anderen Städten aus dem Berg gebuddelt hatte.


Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors [1]
Der Text wurde für das Wiki redaktionell bearbeitet. Er stammt aus dem Jahr 2002


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Quellen

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