Ripp (1980) 6

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

QUELLENARBEIT

ehem.
Pädagogische Hochschule Berlin ‚ Historisches Seminar

H E R N E - DIE ENTSTEHUNG EINER RUHRGEBIETSSTADT
Der Einfluss von Bergbau und Industrie auf die Entwicklung der Stadt Herne - anhand einer Festschrift zur Einweihung des Rathauses 1912

von Winfried Ripp


Zurück | Weiter

3.2. Inhaltsangabe

Die dieser Arbeit zugrundeliegende Festschrift "Die Geschichte von Herne, herausgegeben zur Einweihung des neuen Rathauses am 6. Dezember 1912 besteht aus zwei 'Abteilungen': Herne bis zum Jahre 1870 (S.5-12) und. Herne von 1870 bis 1912. Die erste Abteilung umfasst acht Druckseiten, die die Geschichte der zur Stadt Herne zusammengeschlossenen Dörfer kurz skizzieren. Der Autor ist Prof. Dr. Franz Darpe, Gymnasialdirektor in Coesfeld. Er verfasste sie im Auftrage des Kreisausschusses des Landkreises Bochum, dem Herne bis 1906 angehörte. Sie wurden im Verwaltungsbericht dieses Kreises 1906 veröffentlicht.

Ich beschäftige mich hier mit den ersten vier von siebzehn Unterpunkten der "Zweiten Abteilung" (insgesamt 92 Druckseiten) dieser Festschrift. Diese vier Punkte umfassen 30 Druckseiten, die durch einige Fotos - besonders von Zechen und Fabrikanlagen - illustriert sind.

3.2.. Das Herner Stadtgebiet

Der erste Punkt behandelt die Veränderungen des Verwaltungsbezirks. (S.15/16) Das Amt Herne und der Stadtkreis erfuhren die wichtigste mit der Eingemeindung der Orte Baukau und Horsthausen. Sie führte zu einer flächenmäßigen Ausdehnung die das Stadtgebiet mehr als verdoppelte.

3.2.2. Die Bevölkerungsentwicklung [1]

wird im 2. Punkt dargestellt. (S.16/17) Die Bevölkerungszahl verzehnfachte sich von 1871 bis 1911 auf 60.000. Besonders erwähnt werden der Zuzug polnisch sprechender Menschen und ihre zunehmenden 'Absonderungsbestrebungen 1910 hatten in Herne 25 % der Einwohner eine nicht-deutsche-Muttersprache. In der bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts rein evangelischen Gemeinde Herne lebten 34.000 katholische und nur 25.000 evangelische Einwohner. Neben der wachsenden Zahl von Geburten wird besonders die große Fluktuation der Bevölkerung erwähnt. In den Jahren 1906-1908 bei einer Einwohnerzahl von 56.000 zogen jährlich ca. 15.000 Personen zu und verließen ca. 13.000 Personen die Stadt. "Neben Fremdsprachigkeit erschwert auch dieses Normadentum die städtischen Verwaltungen in fast allen ihren Zweigen." [2]

53 % der Bevölkerung sind männlich. Die hohe Zahl der Schulkinder (21 % der Bevölkerung) fällt besonders auf.

3.2.3. Wirtschaftliche Verhältnisse

Dieser dritte Punkt umfasst acht Seiten (S.17-26).

Die Landwirtschaft (S.17/18) kennzeichnet eine stetige Abnahme der Anbaufläche. Interessant ist aber, dass 1911 noch 865 Pferde, meist gewerblich eingesetzt, 4326 Schweine und 500 Ziegen (zwei Ziegenzuchtvereine) vorhanden sind. Diese 'Bergmannskühe' werden wie ein Teil der Schweine zumeist von Arbeitern gehalten.

Dominierend für die Industrieentwicklung (S.18-22) ist der Bergbau. Sein Aufstieg wird anhand der Beschäftigtenzahlen und der wachsenden Produktionsleistung der einzelnen Zechen dargestellt. 1860 waren in Herne 210 Arbeiter im Bergbau beschäftigt. Sie förderten 21.428 t Kohle. 1880 waren es 883.000 t und 1900 295 Mio. t. 1910 beschäftigte der Bergbau 9.965 Arbeiter, die 2,65 Mio. t Kohle förderten und 544.000 t Koks herstellten.

Weiterhin geht der Autor kurz auf die konjunkturellen Entwicklungen ein und weist auf eine Stabilisierung der Kohleförderung durch den Zusammenschluss von 93 % der Ruhrgebietszechen im ´Kohlensyndikat' 1893 hin. Diesem Zusammenschluss steht er positiv gegenüber, da er die Kohleproduktion und die Einkommensverhältnisse der Bergleute stabilisiere.

In Folge des Bergbaus entwickelte sich eine eisenverarbeitende Industrie, die in erster Linie Maschinenbau- und andere meist Bergbauzulieferbetriebe umfasste. Sie beschäftigten 1911 ca. 2.400 Personen. Daneben existierte 1911 noch eine Brauerei und vier Ziegeleien, die zusammen ca. 205 Arbeiter beschäftigten. (S.22-23)

"Die Beziehungen zwischen der Industrie, insbesondere dem Bergbau, und der Kommunalverwaltung in Herne sind stets recht gut gewesen. Die Verwaltung ließ es sich angegeben sein, im Interesse der Allgemeinheit der Industrie zu helfen, wo immer dies angängig erschien." [3] Die Beziehungen zwischen der Gemeindevertretung und dem Bergbau waren anfänglich gespannt, da die Gemeindeverordneten alteingesessene Bauern waren, die den Neuerungen, der Veränderung ihres Lebensraumes und den vielen neuem-gewanderten Arbeitern, aber auch Industriellen und Beamten, sehr skeptisch gegenüberstanden Schaefer hält eine Förderung der Industrie durch die Städte für unumgänglich.

An die Darstellung der Industrie schließt sich die Beschreibung von Handel und Gewerbe (S.25/26) an. Hier wird für die Jahre 1908-1911 nach vorherigem raschem Aufschwung eine Stagnation der Zahl der Betriebe festgestellt.

Neben den Industrie- und. Handelskammermitgliedern werden Handwerkskammer und die Innungen, sowie deren Krankenkassen und die Ortskrankenkasse erwähnt.

3.2.4. Das Verkehrswesen

STELLT DEN VIERTEN Unterpunkt dar. (3.26-45)

Die Eisenbahn (S.26-28) bildete die verkehrstechnische Grundlage für die rasche Entwicklung Hernes. Schon vor Beginn der Bergbauaktivität 1856 wurde 1847 eine Station der Köln-Mindener Eisenbahn eröffnet. Das Eisenbahnnetz wurde mit dem Fortschreiten des Bergbaus in das südöstliche Emschergebiet in Herne und Umgebung immer mehr verdichtet. Der Autor weist aber noch auf fehlende Strecken und eine notwendige Städteschnellbahn hin.

Ein sehr ausführliches Kapitel ist den Straßenbahnen gewidmet. (3.28-35) Ihr Bau fällt ja überwiegend in den Kompetenzbereich der Kommune. Als erstes werden die Schwierigkeiten beim Bau der Strecke nach Bochum in die ehemalige Kreisstadt geschildert. Der Autor ergriff schon 1881 eine Initiative, wurde aber von den Landwirten, Kaufleuten und Handwerkern der Herner Gemeindevertretung (besonders der Ladenbesitzer, sie fürchteten die Bochumer Konkurrenz) überstimmt. Die Bahn wurde dann ohne Herner Beteiligung gebaut und gut genutzt. Beim anschließenden Bau der Strecke nach Recklinghausen, Castrop, Höntrop und. Gerthe stimmte die Gemeindevertretung einer angemessenen Beteiligung zu, die der Stadt maßgeblichen Einfluss auf den Betrieb gab.

Neben rentablen Strecken waren auch für einige Linien geringfügige Verlustübernahmen durch die Stadt Herne nötig. 1912 einigte sich Herne mit einigen Nachbarstädten auf den Zusammenschluss mehrerer Bahnlinien und den zukünftigen Neubau von Linien durch eine neue Gesellschaft. (Westf. Straßenbahngesellschaft m.b.H.)

Eine Autobusgesellschaft, die die Stadt unter finanzieller Beteiligung des Haus- und Grundbesitzer-Vereins, des Wirtevereins und des Vereins zur Wahrung geschäftlicher Interessen 1906 gegründet hatte, um den Anschluss an Herner Vororte und. Zechenkolonien herzustellen und so zahlungskräftige Kundschaft in die Stadt zu bringen, stellte nach einem halben Jahr ihren Betrieb ein. Die gebraucht gekauften Busse waren so reparaturanfällig, dass ein regelmäßiger Verkehr unmöglich war.

Zum Bereich Verkehrswesen rechnet der Autor auch die Post hinzu. Er stellt die Entwicklung des örtlichen Postwesens seit der. 1 ersten regelmäßigen Postverbindung 1835 nach Bochum dar. Mit dem Wachstum der Einwohnerzahl erhöhte sich auch das Postaufkommen. Für die sich ansiedelnden Betriebe müssten u.a. Fernsprechanschlüsse geschaffen werden. Räumliche, technische und personelle Vergrößerungen des Postbetriebes waren erforderlich. Z.B. erhöhte sich die Zahl der angekommenen Briefe von 1880 211.000 auf 3.912.000 im Jahre 1910. Aufschlussreich ist auch die ständige Differenz zwischen eingegangenen und abgegangenen Postanweisungsbeträgen. Die abgegangenen Geldbeträge waren in den Jahren 1890-1910 ca. 3-4mal höher als die eingegangenen. Daraus schließt der Verfasser, dass die Zahl der nicht einheimischen Arbeiter sehr hoch sein musste, da sie den größten Teil des Geldes an ihre Familien überwiesen.

Wichtig für die Entwicklung Hernes war auch der Kanalbau. Er erleichterte den Abtransport insbesondere der Kohle und der Eisenprodukte zur Nordsee und zum Rhein. 1896 wurde das Herner Anfangsstück des Dortmund-Ems-Kanals eröffnet. 1911 wurden 480 000 t meist Kohle- und Eisenprodukte abgesandt und 52.000 t überwiegend land- und forstwirtschaftliche Produkte im Herner Hafen empfangen. 1908 begann man mit dem Bau des Rhein-Herne-Kanals, der nach Angaben des Verfassers im Herbst 1914 eröffnet werden sollte. [4] Beide Projekte wurden überwiegend vom preußischen Staat mit Beteiligung der westfälischen Provinz finanziert. Lediglich an den Grunderwerbskosten musste sich die Stadt Herne beteiligen.

Ebenfalls im Kapitel Verkehrswesen behandelt der Autor die Herner Banken und Kreditanstalten.(S.40-42)

1897 setzten 51 Herner Firmen zusammen mit der Stadtverwaltung die Einrichtung einer Reichsbanknebenstelle durch, die sich wie alle anderen öffentlichen Einrichtungen schnell entwickelte. Herner Geschäftsleute gründeten 1897 die Aktiengesellschaft Herner Bank', die allerdings schon zwei Jahre später wegen eines zu niedrigen Eigenkapitals in die Bochumer 'Märkische Bank' aufging.

1898 errichtete die 'Essener Creditanstalt' eine Filiale in Herne ein. Sie besaß 1912 26 Nebenstellen im gesamten Ruhrgebiet.

Im Abschnitt über die Presse (S.142-43) werden für Herne drei Zeitungen aufgezählt. Die nationalliberale 'Herner Zeitung' wurde 1872 gegründet (mit 400 Exemplaren, 2x wöchentlich). Ihr Herausgeber Kartenberg war gleichzeitig Gemeindevertreter. Die Zeitung war das amtliche Organ des Kreises Herne. 1912 hatte sie eine Auflage von 6.000 Exemplaren bei sechstägigem Erscheinen pro Woche.

Der Centrumspartei stand der 'Herner Anzeiger' nahe. 1905 gegründet (mit 500 Exemplaren, 6x wöchentlich) betrug seine Auflage .1912 schon 4.000 Exemplare.

1909 wurde eine polnische Tageszeitung mit dem Namen 'Narodowiec' gegründet, die über das gesamte rheinisch-westfälische Industriegebiet verbreitet war.

Um die durch die Stadtwerdung Hernes im Jahre 1897 und die danach folgenden Eingemeindungen gewonnene Bedeutung der Stadt zu unterstreichen, erwähnt Schaefer das am 1.7.1899 eingerichtete 'Königliche Katasteramt'. Die Stadt musste nach alter Sitte dem Staat für die Einrichtung einer königlichen Behörde Geldopferleisten. In einer Anmerkung erwähnt der Autor, dass man diese Sitte durch ein gemeinsames Abkommen aller Städte abschaffen könne.

Ferner, wird das 'Königliche Zollamt I' genannt (S. 44). Es erhob Steuern und Zolle für Herne und seine Nachbarstädte. Von 1900 bis 1910 verdoppelten sich seine Einnahmen, insbesondere für die Branntweinsteuer (fast 60 % der gesamten Einnahmen) und die Brausteuer, die sich sogar verdreifachte). Der Autor merkt an, dass dieses Wachstum der Einnahmen nicht nur durch ein Aufblühen des Bezirks, sondern auch durch Steuererhöhungen erfolgt sei.

Herne als Bergbaustadt bekam auch 1893 ein eigenes 'Königliches Bergrevier', dem sich 1894 eine Spruchkammer des Berggewerbegerichtes anschloss (S.44-45). [5]

Zum Schluss des Unterpunktes Verkehrswesen wird noch der 'Verkehrsverein' erwähnt. Er wurde 1910 gegründet, um die "Verbindung von Behörden, Vereinen und. Privaten“ zur Förderung der Herner Verkehrsinteressen herzustellen. Er wirkte nach Meinung Schaefers erfolgreich auf die Verkehrsträger ein.


Fortsetzung ...

Dieser Text wurde von Winfried Ripp für das Wiki der Herner Stadtgeschichte zur Verfügung gestellt und unterliegt dem Urheberrecht. Bei einer Verwendung dieses Textes - auch als Zitat - außerhalb des Wikis der Herner Stadtgeschichte ist die Genehmigung des Autors einzuholen.
  1. Vgl. Ripp (1980) 3
  2. Schaefer,H. ‚ a.a.O. ‚ s. 17
  3. Schaefer,H. ‚ a.a.0. ‚ S. 23
  4. Die Angaben über die Kanaleröffnung sind in den beiden Bänden von Knöll widersprüchlich. In der Auflage von 1922 (a.a.O.) wird von 1915 gesprochen (S.24) und in der Auflage von 1828 (a.a.O.) von August 1914 (S. 32)
  5. Das königl. Bergrevier stellte die staatliche Aufsichtsbehörde über alle Bergbauangelegenheiten (u.a. Sicherheitsvorkehrungen etc.) dar. Ihm war eine eigene Berggerichtsbarkeit angeschlossen.