Pobluejam und die Folgen

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Eine Momentaufnahme der Wanne-Eickeler Musikszene

Ulrike Haage
Leider gab es nur ganz wenige Frauen in der Wanne-Eickeler Musikszene. Ulrike Haage formierte nach einigen Soloauftritten Anfang der 1970er Jahre mit fünf Musikern die Gruppe Epsiloon und stellte unter Beweis, dass man sie in Wanne-Eickel durchaus als Ausnahmeerscheinung bezeichnen konnte. So gelang es ihr, als erste Frau eigene musikalische Ideen sowohl alleine als auch im Rahmen einer Band umzusetzen – selbst wenn sie diese Band in späteren Interviews als „Garagenband“ bezeichnete. Außerdem legte Ulrike Haage Mitte der 1970er den Grundstock für eine jahrzehntelange Karriere, die sie zunächst nach Hamburg, später nach Berlin führte. Sie arbeitete mit FM Einheit von den Einstürzenden Neubauten, war langjähriges Mitglied der Rainbirds, ist nach wie vor musikalisch aktiv und im Bereich der avantgardistischen Musik eine bundesweit bekannte Komponistin, Interpretin und Arrangeurin. (Wolfgang Berke, 2002)


Wolfgang Berke

Absolutely Free, die erste Wanne-Eickeler Kult-Band: Gisbert Holtkamp (Bass), Norbert Müller (Gitarre), Klaus Fiedler als Double für Uli Engels (Drums), der zum Fototermin verhindert war, Peter Grzan (Gesang).

Mitte der 1960er Jahre ließ sich in Wanne-Eickel der Beat nicht mehr verhindern. Also gab es auch hier Beat-Wettbewerbe und Jugend-Tanzabende mit Live-Musik. Aufgeschlossene Heimleiter, Sozialarbeiter(!) und Pfarrer (!!) waren es, die den Wanne-Eickeler Bands einige Auftrittsmöglichkeiten und Proberäume verschafften.

Nach dem Weltrekord der Nightbirds im Dauerbeat schrieben die Zeitungen Beat zwar nicht mehr in Anführungszeichen, gleichwohl taten sich die Verantwortlichen der Stadt schwer, den jungen Musikern Räume zu überlassen. Derweil tummelten sich in Wanne-Eickel etliche Beat-Bands, in denen später bekannte Musiker ihre ersten Gehversuche unternahmen: Namen wie Crazy Combo, Maintains, Le Kilts, Byonders, Roadrunners oder Yellow Rats gerieten bald wieder in Vergessenheit, Mitglieder dieser Gruppen tauchten später aber in Bands auf, die eine deutlich längere Halbwertzeit besaßen.

1968 machte Our Obsession von sich reden, der Kern der Band bestand zunächst aus Oskar Neubauer (Gitarre), Gisbert Holdkamp (Bass), Klaus Niehaus, der später vom Schlagzeug zum Bass wechselte und Willy Hellmann (Gitarre, Gesang). Auch Anfang der 1970er tauchte Our Obsession immer wieder mal auf, boten ordentliche, aber nicht unbedingt spektakuläre Auftritte, integrierten Gastmusiker und verschwanden irgendwann sang- und klanglos.

Die Wege von Bands wie Ricky and the Countains oder Destination sind recht einfach nachzuzeichnen. Charakteristisch war beiden Gruppen, dass ihre Besetzungen relativ konstant blieben, sowie die Art ihrer Musik, die man am ehesten als Soft-Rock bezeichnen könnte. Im Vordergrund stand bei ihnen der meist mehrstimmige und anspruchsvolle Gesang - eingebettet in glatte, gefällige Arrangements. Die Zeit von Ricky and the Countains begann etwa 1967, vier Jahre später verlor sich ihre Spur. 1969 schickten sich die Destination an, ihre Nachfolge anzutreten. Die Insider-Szene hörte aber lieber „Progressiv“ und „Undergound“ und hielt die Wanne-Eickeler Bee Gees außen vor.

Ganz anders waren da Absolutely Free, die ab etwa 1969 ihr Unwesen trieben. Wenn es jemals so etwas wie eine „Kult-Band“ in Wanne gegeben hatte, dann war sie es. Und eine „Super-Group“ für damalige Verhältnisse (und für Wanne-Eickel!) waren sie allemal: Uli Engels und Gisbert Holdkamp waren als Musiker ja schon hinreichend bekannt, Peter Grzan (man kannte ihn später als Piet Kröte) begann, sich als Happening- und Aktionskünstler einen Namen zu machen. Noch ohne Referenzen war bis dato lediglich der 16-jährige Gitarrist Norbert Müller.

Der Bandname, ein Songtitel von Frank Zappa, war auch Motto der Gruppe: Gewohnte Strukturen aufbrechen, mit dem Medium Musik freier umgehen – nicht zuletzt ein Verdienst Grzans, der die Auftritte der Band stellenweise zu Happenings ausgestaltete. Absolutely Free griff geschickt das auf, was „Sache war“: die Wut, den Spott, den Spaß, die Freude der Jugendbewegung und Jugendproteste. Absolutely Free war mitten drin, beteiligte sich an Feten und Aktionen, provozierte, verspottete und riss mit, gehörte zur Szene und zu allen wichtigen Veranstaltungen.

Die Band erlebte die 1970er Jahre leider nur noch ansatzweise, aber wichtige Impulse waren gesetzt. Mehr und mehr Rockmusiker begannen, sich von ihren angloamerikanischen Vorbildern zu lösen. Eigene Kompositionen nahmen immer größeren Raum ein, und auch in Wanne-Eickel wurden die solistischen Fähigkeiten exzessiv zelebriert. Noch war die musikalische Basis der zum Rock weiterentwickelte Beat – sowie der Blues, der gerade wieder mal eines seiner Revivals hatte. Vermehrt konnte man aber auch Underground- und Jazzeinflüsse hören. Mit den Haaren der Musiker wurden auch die Stücke länger, neue Sounds wurden ausprobiert und die ersten Gruppen wagten sich an die Synthese von Rock und Jazz.

Das traditionelle Instrumentarium aus Gitarren, Bass und Schlagzeug wurde erweitert, Bläser und Keyboarder hielten Einzug in die Rockszene. Der Übergang war nahtlos - aber ein zentrales Ereignis sollte den Wendepunkt deutlich dokumentieren: Pobluejam im Februar 1970 war das bis dahin größte Konzertereignis in Wanne-Eickel. Der Saalbau öffnete anlässlich des Festivals erstmals seine Pforten für Rockmusik.

Die Zeitungen berichteten zwar noch hartnäckig von einem „Beat-Konzert“, allen Beteiligten und Zuschauern war aber klar, dass diese Musik mittlerweile der Vergangenheit angehörte.

Zwar traten mit den Nightbirds, Our Obsession und Destination noch ehemalige Vertreter dieser Musik-Ära auf, doch auch ihr Stil hatte sich weitgehend dem Zeitgeschmack angepasst. Neben diesen Bands und der Big Band der Jungen Chorgemeinschaft tauchten auf diesem Festival neue Formationen auf, die als Lokalsensationen galten wie ZAK, oder sich anschickten, zum Maßstab für den jeweiligen Entwicklungsstand Wanner Rockmusik zu werden (Zero Zoom). Die bereits erwähnten Bernd Heßling und Uli Engels formierten mit Lerry Borsboom ein Trio, was angesichts der holländischen Staatsbürgerschaft des Bassisten und seiner ehemaligen Cuby & the Blizzards-Zugehörigkeit eine besonders interessante Note bekam. Das musikalisch Gebotene überzeugte, und es war schade, dass diese Formation nur eine sehr kurze Lebensdauer hatte.

Zero Zoom setzte da andere Maßstäbe: Zwar verzeichnete man auch hier einen spektakulären Einstand, konnte man doch mit Harald Dau und dem erst 14-jährigen Achim Krämer als erste Gruppe im Ruhrgebiet zwei Schlagzeuger aufbieten. Jedoch sollte diese Band deutlich länger Bestand haben als ZAK und für die nächsten 10 Jahre Durchgangsstation für etliche, heute renommierte Wanne-Eickeler Musiker werden. Zooms Stil war im experimentellen Rock angesiedelt, aber auch schon damals mit einer deutlich spürbaren Neigung zum Jazz, die im Laufe der Jahre ein immer stärkeres Gewicht bekam. Neben den beiden Trommlern spielten 1970 noch Bernd Heßling, Gisbert Holdkamp und Norbert Müller bei Zero Zoom. Ebenso wie die Schreibweise der Band sich änderte (Zoom mal mit 2, mal mit 3 oder 4 „o“), wechselten die Besetzungen. Neben Norbert Müller, der so ziemlich alle Stationen von Zero Zoom überdauerte, gaben sich unter anderem folgende Musiker dort ein Stelldichein: Georg Gräwe (Piano), der inzwischen vom Schlagzeug zu Saxophon und Klarinette gewechselte Harald Dau, Peter Habermehl zunächst am Bass, dann an der Gitarre oder Peter Grzan, der bei vereinzelten Gigs den Gesang übernahm. Die Gruppe wandte sich immer weiter dem Jazz zu, und nach dem Ausscheiden Norbert Müllers änderte die Gruppe 1974 ihren Namen in Georg Gräwe Quintett. In dieser Formation spielte neben Gräwe, Krämer und Dau auch noch Jochen Bröker (Bass) und der Trompeter Horst Grabosch. Georg Gräwe, Achim Krämer und Horst Grabosch haben sich in Jazz-Kreisen hervorragende Namen gemacht und sind auch heute noch präsent.


Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors [1]
Der Text wurde für das Wiki redaktionell bearbeitet. Er stammt aus dem Jahr 2002

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Quellen

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