Nachklänge zur Geschichte des Reichshofes Castrop

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Im Castroper Anzeiger erschien 1935 folgender Artikel Die Heimatseite. Beilage zum Castroper Anzeiger. Artikel Teil I. vom 1. Juni 1935 Die Heimatseite. Beilage zum Castroper Anzeiger. Artikel Teil II. vom 8. Juni 1935 zum Castroper Reichshofverbandes von Hermann Wiggermann.

Nachklänge zur Geschichte des Reichshofes Castrop

Von Hermann Wiggermann[1].

Der Reichshof Castrop mit seinem Hofesgericht war im Jahre 1810 während der Franzosenzeit (1806 bis 1813) durch Verordnung Napoleons aufgehoben worden. Es mag den Hofesleuten wohl schwer gefallen sein, von einer Einrichtung zu scheiden, die ihnen durch eine 1000 Jahre alte Übung liebgeworden war, und sie mögen wohl im Stillen gehofft haben, nach Abschüttelung des fremden Jahrs könnten die früheren Verhältnisse wieder hergestellt werden. Daher haben sie auch den Hofesschreiber und den Hobsfronen ruhig in ihren Ämtern und im Genusse der Ländereien belassen, die diese als Bezahlung für ihre Dienste erhalten hatten Zur Zeit der Aufhebung wirkte als Hofesschreiber und zugleich auch als Hofesrichter der Schullehrer Brabänder und als Hobsfrone ein gewisser Brune, welcher später nach Bochum verzog. Beide hatten hinfort nun zwar keine Funktionen mehr: nach dem Ausscheiden derselben aus ihren Ämtern wählten die Hofesleute trotzdem andere Hobsbeamten- und zwar als Nachfolger des Schullehrers Brabänder dessen Schwiegersohn, Emil Herdickerhoff und für den obengenannten Brune Caspar Frombach.(Ob die beiden letztgenannten miteinander verwandt waren, konnte ich nicht feststellen.) Dafür nun, dass die genannten Hobsbeamten einige Hobsgrundstücke unentgeltlich in Benutzung hatten, zeigten sie sich erkenntlich, indem sie den Hobsleuten jedes Jahr einen „Schmaus gaben, bestehend in einem Schinken mit den dazu gehörigen Getränken“. So wenigstens erfahren wir es aus einem Schriftwechsel zwischen dem damaligen Bürgermeister von Castrop, Biggeleben, und seiner Behörde. Um welche Grundstücke es sich handelt, mag der nachfolgende Auszug aus der Mutterrolle dartun:

Der Flur Grundstücks-Nr. Name der Flurabteilung usw. Kulturart Klasse Flächeninhalt Reinertrag
Nr. Morgen Ruthen Fuß Taler Silgergroschen Pfennige
11 58 Im Scheiten Ackerl. 3 1 14 2 17 8
15 128 Im Scheiten Ackerl. 3 1 59 3 5 10
15 145 Im Scheiten Ackerl. 3 143 1 27 5
14 37/72 Voede Hütung 1 1 128 2 6 9
SUMMA: 4 163 50 9 27 8
14 31 Am Grafweg Acker 2 1 91 1 21 10

Als die preußische Regierung die westfälischen Lande wieder übernahm, erschienen die Reichshöfe wegen der neuen Agrar=Gesetzgebung als überflüssig. Der Staat beabsichtigte zunächst, die Hofes Ländereien, die im Besitze der Hobsbeamten waren, an sich zu ziehen, weil er vorgab, der Reichshof „releviere“ von der Domäne, d. h. er sei ein abhängiges Lehen des Staates. Die obengenannten Hofesbeamten sollten nun zunächst nachweisen, wie sie in den Besitz der Ländereien gekommen wären. Brabänder hat daraufhin nachstehendes Protokoll abgegeben:

Von dem verstorbenen Herrn Amtsrath Homborg wurde ich Unterschriebener zu der vacanten Hofesrichterstelle des Hofes Castrop im Jahr 1812 bei den zwölf Hofesgeschworenen in Vorschlag gebracht und am 7. Novbr. 1803 von nachstehenden anwesenden Geschworenen einhellig gewählt:

  1. Neuhaus zu Westhofen,
  2. Köllmann daselbst,
  3. Rütershof in Oberkastrop.
  4. Sibbe daselbst.
  5. Schulte zu Altstäde.
  6. Klein Altstäde.
  7. Serres zu Beringhausen,
  8. Koppenberg zu Herne,
  9. Wever zu Vellwig.
  10. Hubbert zu Bövinghausen.
  11. Amand zu Roxel, abwesend.
  12. Bergelmann zu Herne, abwesend.

Bemerkung

Jedes Jahr wurde nach alter Observanz der Hofestag abgehalten und die im Jahr vorgekommen Bestättnisse und Sterbefälle von den Geschworenen angegeben. Im Jahr 1810 am 27. Novbr. sind die schriftlichen Verhandlungen zuletzt vorgenommen, weil andere Verhältnisse eintraten.[2]

Es gehören sehr viele in hiesiger Gegend, und besonders in der Bürgermeisterei Herne in den Hof Castrop, weil aber in früheren Zeiten viele Hofesnachrichten entkommen sind, daher lassen sich manche nicht ermitteln.

Brabänder."

Die Königliche Regierung empfand aber bald Zweifel wegen der Rechtsmäßigkeit ihres Vorgehens und erklärte ganz richtig, dass, wenn die Ländereien den Hofesleuten. gestiftet worden seien, diese auch das Recht besaßen, darüber zu verfügen. Der Bürgermeister Biggeleben machte nun den Vorschlag, die Grundstücke des Hobsdieners dem Armenfonds, diejenigen des Hobsfronen dem Schulfonds zuzuweisen. Die Regierung erklärte sich damit einverstanden wenn die Hobsleute auch ihre Zustimmung dazu geben würden. Der Landwirt H. W. Rütershof in Obercastrop gab daraufhin folgende Erklärung ab:

„Die in den ehemaligen Oberhof Castrop gehörig gewesenen Hofesleute haben seit unvordenklichen Zeiten über die zum Hofe Castrop gehörigen Ländereien disponiert und solche von dem Hofesgerichtsschreiber resp. Hofesfronen benutzen lassen: selbst nach Auflösung des Oberhofes sind von den Hofesgeschworenen unter vorstehender Benennung zwei gewählt, welche, obgleich sie keine amtlichen Funktionen zu verrichten hatten, die Hofesländereien benutzten und dafür den Hofesgeschworenen alljährlich einen Schmaus gaben. Möchte daher die Domäne die Hofesländereien als ihr Eigentum betrachten, so wollen wir, die Geschworenen, erwarten, daß sie ihre Ansprüche näher nachweise. Im Anfange dieses Jahres (1810) wurde von der Mehrzahl der Geschworenen auf den Fall des Ablebens des damaligen Hofesschreibers Brabänder und Hofesfronen Kaspar Frombach hier (letzterer kürzlich mit Tode abgegangen) für ersteren der Herr Kaufmann Emil Herdickerhoff, für letzteren dessen Sohn Wilhelm Frombach zu Nachfolgern gewählt und ihnen die Benutzung der Ländereien zugesichert.

Möchte diese Ueberweisung unstatthaft sein, den Geschworenen aber dennoch ein Dispositionsrecht über die Hofesländereien zustehen, dann stimme ich dafür, daß solche dem hiesigen Armenfonds zugewendet werden.“—

Dieser Erklärung stimmten die übrigen Hofesleute bei, indessen ist sie, wie wir später sehen werden, nicht in Kraft getreten. Vielmehr erbten sich die Hofesländereien fort. Diejenigen von Wilhelm Frombach gingen über auf Purcell, den Erbauer der Wirtschaft Monopol, von diesen durch Kauf an Amtmann Barfels, dann auf den Bauunternehmer Franke in Wanne, welche Häuser darauf setzen ließ. (Diese Häuser stehen an der Cottenburgstraße und zwar in dem Stück zwischen der Wittener Straße und der Emschertalbahn. Cottenburgstraße Nr. 83 und 85). Die Grundstücke des letzten Hofesschreibers Herdickhoff kammen an dessen Schwiegersohn, den Kaufmann Hintzen. Die Witwe Frau Hulda Hintzen verkaufte sie an den Bürovorsteher des Justizrats Dieriekr [sic! Vwrmtl. Diedrich], Wilhelm Kogelheide, und an die Witwe des Bergmanns Wilhelm Schulz, geb. Bern zu Obercastrop. Beide setzten ebenfalls Häuser auf die Parzellen; es handelt sich um die Häuser an der Wittener Straße Nr. 131 und Nr. 128.

Um die Jahrhundertwende wird die Sache noch einmal lebendig. Die Königliche Regierung zu Arnsberg erhebt Einspruch gegen die Rechtmäßigkeit des Verkaufes der letztgenannten Grundstücke. Sie schreibt an den Amtmann zu Castrop unterm 25. März 1901:

Auf Grund der in der Anlage beigefügten Vollmacht wollen Sie bei dem Amtsgericht dortselbst den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragen, welche anordnet, dass im Grundbuche der Parzellen Flur 15, Nr. 1166/128, 1167/128, 1168/128 eine Vormerkung dahin eingetragen werde: „Fiskus widerspricht der Eintragung der Wwe. Hintzen und nimmt seinerseits das Eigentum in Anspruch.“

Aus dem weiteren Verlauf des Schreibens entnehmen wir, dass der Beamte der Königlich. Regierung, der diese Angelegenheit behandelt, sich eingehend mit der Geschichte des Reichshofes Castrop befasst hat. Wir fügen hier einen Teil seiner Ausführungen bei:

„In den beigefügten Akten (A) „Oberhof der Castroper Hobsleute“ befindet sich Fol. 4 und 12 ff. eine Beschwerde an die Mairie zu Castrop vom 29. Januar 1812, welche über die Hofesverfassung Aufschluss gibt und bis 1595 zurückgreift. Hiernach wurde der Hofesrichter von der Genossenschaft der Hobsleute gewählt und hatte offenbar richterliche und administrative Befugnisse. Auch die Eidesformel der Hofesgeschworenen weist hieraus hin. Das Amt des Hofesrichters war nicht erblich, wie auch die verscheidenen Namen erkennen lassen.

Aus den weiteren beigefügten Akten (B) „betreffend die Castroper Hobsleute, auch Frohlinder und Leibgewinngüter pp.“ geht hervor, daß 1792 die Höfe teils in Pacht, teils in Erbpacht, teils als Erbzinsgüter von der Domänenverwaltung ausgetan waren. Fiskus also mindestens das Obereigentum hatte.

Anscheinend handelt es sich um „freie Höfe, das heißt um solche, welche lediglich dem Könige abgabepflichtig waren und das Recht hatten, die niedere Gerichtsbarkeit durch den selbstgewählten Hofesrichter auszuüben. Zwischen Erbpacht und Erbzinsgütern ist lediglich der Unterschied, dass bei ersteren die Abgabe dem Ertrage angepasst war, bei letzteren mehr den Charakter eines Rekognotionszinses hatte. Das Grundbuch dort wird bestätigen, dass die zum Hofesverbande gehörigen Höfe dem Domänenfiskus erdpachtpflichtig waren.“—

Der Gutachter ist hier wegen der Qualität der Hofesgüter im Irrtum und zwar aus dem Grunde, weil er alle Hofesgüter mit demselben Maße misst, sie also alle als Erbpachtgüter anspricht, während doch eine Anzahl wirklich freie Erbzinsgüter waren, d. h. solche, die an den Landesherrn ledig eine Anerkennungsgebühr leisteten. Es sind dies die Besitzer, die als echte Hofesleute gelten und die in einer Verständigung des Herzogs von Kleve vom Jahre 1520 als solche bezeichnet werden. Sie hatten meistens auch das alleinige Recht, die Hofesbeamten zu wählen. Ihre Namen finden wir z.B. in dem Bestallungsschreiben für die Hofesschreiber und Schullehrer Brabänder. (siehe oben!)

Dem Gutachten der Königlichen Regierung trat die damalige Gemeindevertretung von Castrop in einem Beschlusse entgegen, den der derzeitige Gemeindevorsteher und heutige Justizrat Becker ausgearbeitet hatte. B. war in der glücklichen Lage, in die von der Regierung beigebrachten, geschichtlich wichtigen alten Akten Einblick tun zu können. (Hoffentlich bringt sie eine sorgfältige Nachforschung auch heute noch einmal ans Licht des Tages.) Der erste Teil des Gemeindebeschlusses führt folgendes aus:

„In dem Berichte Bl. 105 (178) der Reg.=Akten betr. die Castroper Hofesleute Pars 1 1792—1807 ist der Hof Castrop als freier Reichshof und die Qualität der Hofsleute als freie Hofsleute „sammt ihren Gerechtigkeiten“ auf Grund des Privilegiums des Herzogs Johann von Cleve=Mark vom Jahre 1491[3] bezeichnet. Diese Freiheiten sind dann weiter bis Bl. 107 (180) belegt. Es ist demnach anzunehmen, daß die Höfe Eigentum der allerdings abgabepflichtigen Hofesleute waren. Jedenfalls sind aber die Höfe in Folge der Ablösungsgesetze freies Eigentum geworden.“— Das Gutachten folgert dann weiter, dass die Grundstücke, welche die letzten Hofesbeamten und deren Rechtsnachfolger in Besitz hatten, nicht ohne weiteres an den Staat zurückfielen, selbst wenn man ein Obereigentum des Fiskus an dem Reichshof annehme. Es ist wahrscheinlich“ schreibt der Gemeindevorsteher Becker weiter, dass das Eigentum des Hofeslandes und dessen Vergebung an den gewählten Hofesrichter eine Gesamtgerechtigkeit der Hofesleute war auf Grund des Privilegiums von 1491 und dass, als die Höfe freies Eigentum der einzelnen Hofesleute wurden, das Hofesland, über dessen Angabepflicht sich nichts in den Akten befindet, freies Miteigentum der Hofesleute wurde. Richtig ist, daß die Benutzung seitens des Hofesrichters in partem salarii (als Teil der Besoldung) erfolgte. Er wurde aber nicht von dem Staate, sondern den Hofesleuten bezahlt, deren Interessen gegenüber dem abgabeberechtigten Staat er vertrat ... In dem genannten Bericht Bl. 112 (185) der Akte kommt allerdinge die Frage vor, „wie das Hofesgericht halten und eingerichtet sey?“ Bezüglich dieser Frage wird auf die Böllingschen Akten auf das Protokoll vom 21. Juni 1794 verwiesen, das ich nicht finde.“ (Wir bedauern es mit dem Gutachter, Justizrat Becker, daß uns dieses Protokoll auch noch nicht vor die Augen gekommen ist.)

Becker widerlegt dann noch die Auffassung der Regierung, die strittigen Hofesländereien als herrenloses Gut anzusehen. Das Gutachten trägt das Datum: Castrop. 24. Juli 1901. Es hat in dem Streite den Sieg davongetragen: denn die Hofesländereien sind im Besitze der letzten Hofesbeamten. bzw. ihrer Rechtsnachfolger geblieben.

Anmerkungen

Verwandte Artikel