Knöll 1922 - Die Stadt Herne in städtebaulicher Hinsicht II

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Der Nachfolgende Artikel stammt von Stadtbaurat Heinrich Knöll und wurde in seinem Buch "Deutscher Städtebau - Herne i. Westfalen" auf den Seiten 8-26 abgedruckt.
Der Historische Verein dankt seinem Enkel Heinz-Dieter Knöll für die Abdruckgenehmigung herzlich. Der Artikel Knölls spiegelt die damalige Lage der Stadt dar und zeigt doch, dass sich die Themen grundsätzlich nicht geändert haben.

Aufgrund der Größe des Artikels ist dieser geteilt worden.

Die Stadt Herne in städtebaulicher Hinsicht.

Von Beigeordneter und Stadtbaurat KNÖLL.

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[...]

C) Der industrielle Einfluss auf den Städtebau.

Die Freiheitskriege hatten die langersehnte Befreiung von dem Joche des französischen Eroberers Napoleon gebracht und dem deutschen Volk die Wege für seine Wiedergesundung geebnet. Die Dampfmaschine war erfunden und hatte ihren Siegeslauf über den Erdball angetreten. Das alte ehrwürdige Handwerk wurde immer mehr von der Industrie verdrängt, die im wirtschaftlichen Leben als Neuling auftrat und allmählich den Weltmarkt eroberte, weil die mit Maschinen massenweise hergestellten Waren zu erheblich niedrigeren Preisen abgesetzt werden konnten, als die im Handbetrieb hergestellten Erzeugnisse. Die Industrie war aber gezwungen, möglichst wirtschaftlich zu arbeiten, um ihre Herrschaft, auf dem Markte zu behalten. Sie brauchte zur Herstellung Rohstoffe, Arbeitskräfte und eine günstige Verkehrslage. Unter vorteilhafter Ausnützung dieser Vorbedingungen hat sich die Industrie den Ort ihrer Ansiedlung ausgesucht. Für die Eisenindustrie sind die Rohstoffe, und zwar Kohle und Eisen, die wichtigsten Lebensbedingungen. Man hat aber die Frage, ob man die Eisenindustrie da ansiedeln soll, wo das Erz gefunden wird, oder dort, wo die Kohle aus der Erde kommt, dahin beantwortet, dass man in den meisten Fällen nicht die Kohle zum Eisen, sondern das Eisen zur Kohle zu bringen hat. Dieser Erkenntnis verdankt das rheinischwestfälische Steinkohlengebiet seine heutige Bedeutung als Herz des wirtschaftlichen Lebens Deutschlands. Der Kohlenbergbau allein steht im rheinischwestfälischen Industriegebiet an erster Stelle, weil er sowohl die ortsansässige Industrie, als auch heute, nach dem Verluste des größten Teiles von Oberschlesien den weitaus größten Teil Deutschlands für Hausbrand, Industrie, Landwirtschaft, Eisenbahn, Schifffahrt usw. mit Kohle zu versorgen und außerdem die von dem ehemaligen Feindbund als Teil der Reparationszahlung dem deutschen Volk auferlegten Kohlenlieferungen zu bewältigen hat. Innerhalb des Industriegebietes selbst befindet sich der Kohlenbergbau, ehemals an der Ruhr beginnend, von den wenig ergiebigen Zechen des südlichen Teiles in fortschreitender Bewegung nach den nördlichen reichen Flözen an der Emscher. Bemerkenswert ist auch, wie im wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Kohle und Eisen in dieser Bewegung die Eisenindustrie dem Kohlenbergbau auf dem Fuße gefolgt ist. Während auf dem Gebiete des heutigen Stadtkreises Herne die erste Zeche Shamrock I/II im Jahre 1856, der Schacht Providenze (jetzt Zeche von der Heydt) im Jahre 1864, der Schacht Barrilon (jetzt Zeche Julia) im Jahre 1867, die Zeche Friedrich der Große I/II im Jahre 1870, die Zeche Constantin der Große IV/V im Jahre 1894 abgeteuft wurden, haben sich von der Eisenindustrie die Firma Viktor Halstrick Ww. im Jahre 1869, die Berninghaussche Kesselfabrik anfangs der 70er Jahre, die Drahtseilfabrik Eduard Geßmann im Jahre 1871, die Maschinenfabrik Baum im Jahre 1883, die Maschinenfabrik und Eisengießerei A. Beien im Jahre 1888, die Firma W. Christian im Jahre 1896, die Herner Herdfabrik im Jahre 1897, die Gewerkschaft Dorn im Jahre 1900 und die Maschinenfabrik H. Flottmann & Co. im Jahre 1902 in Herne angesiedelt. Diese industrielle Entwicklung stellt eine Gemeindeverwaltung und insbesondere den Städtebau vor neue und große Aufgaben. Nicht allein, dass die Industrie auf ihrem eigenen Gelände die erforderlichen Gebäude, z. B. die Zechen Fördertürme, Sortier-, Wasch- und Verladeeinrichtungen für die Kohle, Maschinenhäuser, Kühltürme, Verwaltungsgebäude. Wohnhäuser für Beamte, Angestellte und Arbeiter, meist auch noch für die Gewinnung von Koks mit Nebenerzeugnissen eigene Kokereien, die Eisenindustrie die erforderlichen Werkstätten, Fabrik und Lagerräume und ebenfalls Verwaltungsgebäude und Wohnhäuser zu errichten hat, müssen auch noch die erforderlichen Verkehrseinrichtungen geschaffen werden. Vorhandene Eisenbahnen müssen erheblich erweitert werden. Wo sie nicht vorhanden sind, müssen neue Bahnlinien gebaut und Anschlussgleise nach den verschiedenen Werken gelegt werden. Wo kein schiffbarer Fluss in nächster Nähe vorbeifließt, sind Wasserstraßen (Schifffahrtskanäle) zu bauen, die an geeigneten Stellen mit Hafen und Verladeanlagen versehen werden müssen.

Die Industrie braucht zur Bewältigung ihrer Aufgaben Arbeitskräfte, Beamte, Angestellte und Arbeiter, für die sie nicht allein die notwendige Wohngelegenheit schaffen kann. Bis zum Ausbruch des Weltkrieges waren es die private Bautätigkeit und gemeinnützige Bauvereine, die durch Errichtung von Wohnhäusern diesem Bedürfnis abgeholfen haben. Der Zuzug von auswärts macht die Ansiedlung von Gewerbetreibenden, Bauhandwerkern, Kaufleuten, Wirten und anderen Berufsarten erforderlich. Für die schulpflichtigen Kinder müssen Schulen gebaut und die notwendigen Lehrkräfte eingestellt werden. Die Verkehrsanstalten, Post, Eisenbahn und Schifffahrt müssen ihre Anlagen erweitern und eine große Zahl von Beamten, Angestellten und Arbeitern heranziehen. Der Staat muss neue Verwaltungsstellen, z. B. Amtsgericht, Finanzamt, Zollamt, Katasteramt usw. einrichten und ebenfalls Beamte ansiedeln. In gleicher Weise ist die Gemeindeverwaltung gezwungen, ihr Beamtenpersonal zu vermehren und durch Bau von Straßen und Straßenbahnen, die Anlage von Wasserleitungs-, Gas und Elektrizitätsversorgungsnetzen, durch Bau von Entwässerungskanälen, Fortschaffung des Hausmülls, Reinigung der Straßen, Anlage und Erweiterung von Friedhöfen. Schaffung von Grünanlagen und Erholungsstätten den Kreis ihrer Aufgaben erweitern.

Der wichtigste Teil der Gemeindeaufgaben ist aber der des Städtebauers, der mit ordnender Hand und weitschauendem Blick die ganze Entwicklung in geordnete Bahnen zu leiten hat, dem aber auch, wenn er seine Aufgaben ganz erfüllen soll, eine gewisse Selbständigkeit eingeräumt und das notwendige Hilfspersonal zur Verfügung gestellt werden muss. Der Städtebau beginnt mit der Aufstellung der unbedingt notwendigen Bebauungs- und Fluchtlinienpläne, die möglichst der baulichen Entwicklung um einige Jahrzehnte vorauseilen und, was fast im gesamten rheinisch westfälischen Industriegebiet früher leider vielfach versäumt worden ist, auch unter Berücksichtigung des Verkehrs nach den benachbarten Städten und Gemeinden, bearbeitet und aufgestellt werden müssen. Bei der klassenmäßigen Einteilung des Bebauungsplanes in Zonen für Geschäfts, Wohn und Industrieviertel muss auf die örtliche Lage die gebührende Rücksicht genommen werden. Man hat zum Teil mit Recht, zum Teil mit Unrecht den Entwicklungsgang der Städte und Gemeinden im rheinischwestfälischen Industriegebiet mit dem anderer Städte in Amerika verglichen, wo insbesondere in Kalifornien sich kleine Siedlungen in kürzester Frist zu großen Gemeinwesen und großen Städten entwickelt haben. Der Vergleich trifft zu Ungunsten der amerikanischen Städte nicht zu, wenn man berücksichtigt, dass diese förmlich aus dem Boden gezauberten Städte vielfach nicht aus dauerhaften Bauten, sondern aus Bretterbuden bestehen, keinen geordneten Straßenbau besitzen und der bei uns selbstverständlichen gesundheitlichen und Wohlfahrtseinrichtungen entbehren, auch das Schulwesen nur in unbedeutendem Umfange vorhanden ist.

Während sich aus solchen amerikanischen Städten im Laufe der Zeit Städte nach deutschen Begriffen entwickeln können, haben sich in Deutschland, insbesondere im rheinisch - westfälischen Industriegebiet, zwar nicht in kurzer Frist, wohl aber in wenigen Jahrzehnten aus unbedeutenden, weiträumig besiedelten Bauernschaften große Industriegemeinden entwickelt, die von vornherein mit deutscher Gründlichkeit und unter Beachtung der Neuerung des Gesundheits- und Gemeindebauwesens angelegt worden sind. [...]

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