Fronleichnam zu Hause in Börnig (um 1932)

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
Anmerkung der Redaktion
Hobby-Historiker Gerd E. Schug aus Herne-Börnig hat eine eindrucksvolle historische Schilderung einer Fronleichnamsprozession "wiederentdeckt". Neben der schriftlichen Überlieferung konnte er außerdem die dazu gehörenden Original-Aquarelle bei der Künstlerin Cäcilie Gesing ausfindig machen, die diese wohlwollend zur Dokumentation zur Verfügung stellte. Die Aquarelle wurden durch Gerd E. Schug sinngemäß in den schriftlichen Bericht eingefügt.

Frau Cäcilie Gesing hatte den Bericht Anfang der 40er Jahre geschrieben und acht Aquarelle dazu gemalt. Es war für sie die Schilderung an eine Kindheitserinnerung, als die Nationalsozialisten noch nicht die Fronleichnamsprozessionen verboten hatten.

Auch der unter Punkt 8 beschriebene "Sportplatz" war ein Opfer des Nationalsozialismus geworden. Er wurde nach 1933 umgepflügt, da es ein Sportplatz der katholischen Jugendorganisation DJK (Deutsche Jugend Kraft) war.

Erst durch diesen Bericht und in Gesprächen mit Frau C. Gesing konnte nun in 2015 ermittelt werden, wo sich der Sportplatz damals befunden hat. Er war in Vergessenheit geraten. Inzwischen konnte Gerd E. Schug sogar Bilder vom Bau des Sportplatzes ausfindig machen.

Der Sportplatz befand sich an der Kirchstraße in Börnig, zwischen den heutigen Straßen Am Kornfeld und Auf dem Berge.

Fazit:

Der nachstehende bebilderte Bericht von Frau Cäcilie Gesing ist ein beachtenswertes, religiöses und politisches "Zeitzeugnis".

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Von unserem Wohnzimmerfenster aus konnten wir direkt über die Straße hinweg auf den Kirchplatz gucken, und wenn dann die beiden Kirchenportaltüren offen standen, schaute man geradewegs durch das lange Mittelschiff bis hinauf den Altar! Und so war es auch am Fronleichnamstag: Die Türen stehen weit offen, der Altar im Kerzenglanz, umhüllt von Weihrauch.

Und plötzlich läuten alle Glocken und langsam nimmt die Prozession ihren Anfang und sie nimmt Gestalt an. Vorn voran schreitet der Kirchenschweizer im rotem Ornat mit dem langen Stab in der Hand, dann ein großer Messdiener mit dem Vorratskrug und dann die vielen Messdiener in ihren weißen Kitteln und den leuchtend roten Kragen, mit Kerzen, Schellen und kleinen Fahnen.

Schellen und Glockengeläut vermischen sich zu einem jubelnden Choral. Sie kommen durch die großen Türen, hinunter die Steinstufen, auf den Kirchplatz. Dort stehen dann, umsäumt von vielen Sträuchern mit roten und rosaroten „Muttergottesglöckchen", die Schulkinder. In der Kirchstraße warten die Jungfrauen und Mütter, an der Widumer Straße die Jungmänner und Männer. Langsam setzt sich die Prozession in Bewegung. Man geht geradewegs über den Kirchplatz auf die Straße, auf unser Wohnzimmerfenster zu.

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Auf dem Bürgersteig hat Vater vier große Fronleichnamsfahnen aufgestellt. Sie stehen in großen, stabilen Holzständern, extra vom Schreiner gemacht; Mutter hat auf der Fensterbank einen kleinen Altar aufgebaut. In der Mitte ein silbernes Steh-Kreuz, daneben zwei silberne Leuchter mit brennenden Kerzen und links und rechts davon schöne große blühende Klivien und Hortensien. Mutter steht dann versteckt hinter der Gardine und passt auf, dass die Kerzen nicht ausgehen und die Gardinen kein Feuer fangen.

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Nun geht man nach wenigen Metern in die Widumerstraße links ab. Inzwischen gehen die Schulkinder hinter den Messdienern. Sie sind in langen Reihen, jeweils zu zweit, links und rechts am Straßenrand. In dem mittleren Freiraum dann die jeweiligen Lehrpersonen. Sie achten auf gesittetes und andachtsvolles Mitgehen. Sie pendeln mal nach vorne, mal nach hinten, mal zur Seite und ab und zu wird mit einem einfachen „Puff“ Ordnung gebracht.

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Dann kommen die Jungfrauen. Angeführt von einem älteren Herrn, der die Kongregationsfahne trägt. An der Fahnenstange, an einem Querbalken, ist das Fahnentuch befestigt, meistens ein kostbarer Stoff mit Applikationen aus Brokat und Seide, mit Motiven aus dem Marienleben. Dann kommen die Kommunionkinder in ihrem Festkleid und die Engelchen in ihren weißen Kleidern. Die Engelchen haben kleine Körbchen mit Blumenblättern von Rosen und Tulpen und Stiefmütterchen und allem, was schon im Garten wächst und blüht, Sie streuen die Blätter dem „Allerheiligsten" voran auf den Weg. - Nun kommt der Mittelpunkt und der Glanz der ganzen Prozession: Die Monstranz! Als erster trägt sie der Pastor. Er selbst ist in golddurchwirktem Chormantel, begleitet von zwei Priestern. Vier „erlesene" Männer vom Kirchenvorstand tragen den Baldachin, sie werden flankiert von sechs Bergleuten, die in Bergmannstracht und brennenden Grubenlampen das Allerheiligste begleiten. - Dann kommt der Kirchenvorstand würdigen Schrittes und dann die Damen und Herren vom Kirchenchor. Sie halten die Notenblätter eingerollt in der Hand oder unter dem Arm

Wie eine kleine weiße Flotte dahinter die "Vinzentinerinnen", ehrwürdige Ordensschwestern, mit ihren großen frisch gebügelten weißen Hauben. - Nun nochmals die Frauen! Andächtige Beter und gute Sängerinnen. - Und nun die Jungmänner. Die Fahnenträger und die Begleiter haben ihre traditionelle Manchesterhose und das grau-grüne Hemd an. Sie tragen mit beiden Händen die Fahne hoch über dem Kopf und lassen so die Fahne im Wind wehen. Das sieht immer gut aus. - Die Männer bilden den Schluss der Prozessionsfolge.

Nun bewegt sich der Zug durch die Widumerstraße. — Es ist eine ruhige und stille Straße. - An normalen Tagen spielen wir auf dem Asphalt mit den anderen Kindern. Man kann dann Ballspiele machen, Reifen jagen. Humpeln und im Winter gibt es endlose Schlinderbahnen. Heute ist es aber feierlich ruhig! Links ist am Anfang ein Teil der Kirche, ein wenig weiter der Friedhof, rechts sind dann zwei Pfarrhäuser und dann kommt das Krankenhaus.

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Hier ist die erste Station. Draußen, unter der Kapelle, die im ersten Stock ist, hat man den Altar aufgebaut Mit Stufen, die zum Altar führen. Alles mit Teppichen ausgelegt, die Rückwand mit Tüchern und Fahnen abgespannt, auf dem Altartisch viele Blumen und brennende Kerzen. Und kurz, bevor man ankommt, sieht man schemenhaft da und dort noch eine Nonne hin- und her huschen, die noch einmal nach dem Rechten sieht. Der Pastor trägt die Monstranz würdigen Schrittes die Stufen empor, zum Altartisch.

Alles ist ruhig und still und schaut nur dorthin. Messdiener schwenken die Weihrauchfässchen und dann singt der Chor. Mehrstimmig, Männer und Frauen. Man spürt und hört, dass es eine Ode an den „Verklärten Lab des Herrn" ist. Dann beten wir mit dem Priester und er segnet mit der goldenen Monstranz unter lautem Glockengeläut die Menschen, die Straßen, die Häuser! - Im Krankenhaus sind viele Fenster offen; aber kaum ein Kranker ist am Fenster. Sie hören und erleben im Stillen, was draußen geschieht, und erbitten für sich Gottes Segen und wohl auch seine Hilfe. - Auf einen Wink des Kirchen Schweizers - er hebt den Stab ganz hoch - setzt sich die Prozession wieder in Bewegung.

Vorbei am Jugendheim, vorbei bei Bäcker Heermann und dann ist die Widumerstraße zu Ende und wir biegen links in die Ringstraße ein. Sie ist nicht gepflastert, sondern es ist eine holperige, dürftig asphaltierte „Landstraße". An der Ecke ist ein alter, ebenerdiger Kolonialwaren-Laden.

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Und dann kommen vier bis fünf große Bergmannshäuser. Sie sind riesig, mit vielen gleichmäßigen Fenstern. Ganz sparsam hängt da und dort ein Fähnchen heraus, in weiß-blau, oder rot-weiß oder manchmal sogar mit einem gestickten Namen darauf. Der Bürgersteig ist ungepflastert, aber ganz frisch gelegt. Ab und zu lehnt an der Häuserwand ein Birkenbäumchen. Auf der anderen Straßenseite sind Gärten.

Und dann gehen wir durch die Felder. Der Feldweg ist uneben und staubig, am Wegsaum stehen Gräser und wilde Blumen und die Felder sind schön Das Grün der Kornfelder wogt hin und her und der Wind trägt das Singen der Gläubigen weit über die Felder hinaus! Fünf bis sechs Blas-Kapellen sind verteilt in der Prozession. Und alle Menschen singen! Und manchmal hört man vorne den Anfang der vierten Strophe eines Liedes und singt sie, während hinter einem das Ende der dritten Strophe noch gesungen wird oder die einen singen: „Deinem Heiland, deinem Lehrer" und die anderen sind bei „Lasst Christen hoch den Jubel schallen …“ Und trotzdem ist alles wie ein Gesang, wie ein feierliches Lied. - In der Pause holt man ab und zu ein Pfefferminz oder ein Drops aus der Tasche. Das hat die Mutter uns Kindern immer mitgegeben, denn oft ist es sehr heiß! — Über die Castroper Straße geht es in die Vellwigstraße, vorbei an unserer Bonifatius-Schule. Nun liegt sie so ganz ruhig und friedlich da.

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Dann kommt man ins Dorf Börnig! Viele alte Bauernhäuser, ein altes Fachwerk. Viel Grün steht vor den Häusern, in den alten Treppeneingängen sind Altäre eingebaut. Ab und zu sogar ein kleiner Triumphbogen über der Straße. Beim Bauern WERTH ist wieder eine Station! Und diesmal bittet man beim Segen um eine gute Ernte, ums tägliche Brot, ums Wohlergehen der Menschen und der Tiere.

Langsam geht es den Berg an der Dorfstraße hoch, rechts ist die alte Josef-Schule mit ihrem riesigen Birnbaum, links der „Katzenbuckel" mit Feldern, vorbei am Schmiedeweg mit der alten Schmiede, kommt die Prozession zum Pest-Kreuz an der Linde. Vor vielen, vielen Jahren hat man, aus Dank nach Beendigung der Pest, das Kreuz errichtet. - Das ist die dritte Station.

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Die vierte Station ist auf einem Sportplatz an der Kirchstraße. Mitten zwischen den Gärten hat dort die katholische Jugend den Platz gebaut - Hier hat man ein großes Podest errichtet Auf einer hohen Holztreppe geht der Priester mit der goldenen Monstranz hinauf zum Altar. Die Messdiener gruppieren sich um das „Allerheiligste", es singt der Chor - der Priester segnet, von weit oben, mit der Monstranz nach allen Seiten hin das Volk. Der große Platz ist schwarz von Menschen. Und dann singen alle: „Ein Haus voll Glorie schauet, weit über alle Land . ." Und in das Singen hinein kommt das feierliche Läuten von der nahegelegenen Kirche. Dort ist dann der Schluss-Segen mit 'TEDEUM' und „Großer Gott wir loben dich" mit Musik und Orgel und Schellengeläut und Singen. - Durch unser Wohnzimmerfenster sieht man, verschwommen durch den vielen Weihrauch, den großen Lichterbogen und die Pracht des Altarraumes. Alles ist irgendwie so Groß und unwirklich.


Die Prozession ist zu Ende. Zu Hause „duftet" es nach Gurkensalat und Schweinebraten. [1]

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Quellen