Dr. Stichel-Stacheldorn: Der spitze Federkünstler des Herner Anzeigers (1922–1939)
Dr. Stichel-Stacheldorn: Der spitze Federkünstler des Herner Anzeigers (1922–1939)
Zwischen 1922 und 1939 bereicherte ein bis zu seinem Tode ( Auflösung unten) geheimnisvoller Autor unter dem Pseudonym „Dr. Stichel-Stacheldorn“ den Herner Anzeiger mit pointierten Reimen und satirischen Kommentaren. Obwohl sein bürgerlicher Name lange unbekannt war, hinterließ er mit seinen scharfsinnigen Versen einen bleibenden Eindruck in der lokalen Presselandschaft Hernes.
Ein satirischer Chronist seiner Zeit
Dr. Stichel-Stacheldorn war bekannt für seine spöttischen Gedichte, die lokale Ereignisse, Persönlichkeiten und gesellschaftliche Entwicklungen humorvoll aufs Korn nahmen. Seine Beiträge erschienen regelmäßig im Herner Anzeiger, der von 1912 bis 1941 als bedeutendes Lokalblatt fungierte. Mit feiner Ironie und treffender Wortwahl kommentierte er das Zeitgeschehen und wurde so zu einem beliebten, wenn auch anonymen, Chronisten des städtischen Lebens.
Stil und Wirkung
Der Stil von Dr. Stichel-Stacheldorn zeichnete sich durch Wortwitz, Ironie und eine gewisse literarische Eleganz aus. Seine Reime waren nicht nur unterhaltsam, sondern regten auch zum Nachdenken an. In einer Zeit politischer Umbrüche und gesellschaftlicher Spannungen boten seine satirischen Texte den Lesern sowohl Erheiterung als auch kritische Reflexion.
Beispiel
Sitzungsgelder.[1]
Zwar ist's heute in der Welt
Mit dem Gelde schlecht bestellt.
Doch bekannt ist, daß die Stadt
Doch noch immer Gelder hat
Jede Sitzung, die man hält,
Kostet nämlich sehr viel Geld
Milliarden kriegt ein Vater
Für sein Amt als Stadtberater,
Muß er in der Sitzung sein,
Steckt er vier und vierzig ein
Soll dies noch so weiter gehn,
Kann die Stadt nicht mehr bestehn,
Und sie hat dann ohne Frage
Mit der Zahlung große Plage
Darum Väter, seid so gut.
Nehmt zusammen allen Mut:
Gebt umsonst nach alter Sitte
Euern Rat auf meine Bitte!
Schulze und Müller.
Schulze:
Erlaube, Müller, eine Frage:
Gelesen hab ich dieser Tage,
Die Sitzungsgelder sind erhöht.
Ist's wahr, was in der Zeitung steht?
Müller:
Gewiß, die Sache ist schon richtig,
Doch scheint sie mir doch nicht so wichtig,
Es ist doch wirklich wenig Geld,
Was ein Stadtrat jetzt erhält
Schulze:
Ja, um alles in der Welt.
Wofür gibt's das viele Geld?
Schwere Arbeit i's doch nicht.
Wenn man mal ein bisschen spricht!
Müller:
Schulze, du wirst unbequem
Und bist garnicht angenehm!
Weißt du nicht, das mancher Rat
Schwerer ist, als manche Tat?
Am 12. November 1923 machte dazu der sozialdemokratische Stadtverordnete Julius Benz eine interessante Anmerkung: "Stadtv. Benz wendet sich zunächst gegen die kritischen Bemerkungen, die in der Herner Ortspresse in letzter Zeit ständig gegen die angeblich so hohen Sitzungsgelder gemacht worden sind. Ganz besonders seien es die Verse des Dr. Stichel=Stacheldorn, der im Herner Anzeiger immer wieder hierüber seinem Herzen Luft mache, während es die Herner Zeitung nicht minder an Angriffen habe fehl enlassen. Namens der sozialdem. Fraktion erkläre er, daß die Mitglieder derselben im Interesse der Sparsamkeit bereit sind, auf jede Entschädigung zu verzichten, wenn die besoldeten Magistratsmitglieder sich ihrerseits mit einem Gehalt nach Gruppe 11 zufrieden geben. Redner betont noch, daß die besoldeten Magistratsmitglieder Waschkörbe voll Geld bekommen und nicht wissen, wohin damit."[2]
Vermächtnis und Rezeption
Obwohl konkrete Informationen über die Identität von Dr. Stichel-Stacheldorn erst nach seinem Ableben bekannt wurden, lebt sein Werk in den Archiven und Erinnerungen weiter. Seine Beiträge sind Teil des kulturellen Erbes Hernes und zeugen von der Bedeutung lokaler Presse als Plattform für Meinungsäußerung und künstlerischen Ausdruck.
Weiterführende Recherchen
Für Interessierte bietet die Plattform "Zeitpunkt.nrw" Zugang zu historischen Ausgaben des Herner Anzeigers, in denen Beiträge von Dr. Stichel-Stacheldorn enthalten sind. Auch der Historische Verein Herne / Wanne-Eickel stellt auf seinem Wiki-Portal Artikel aus dem Herner Anzeiger von 1934 zur Verfügung, die Einblicke in das damalige Stadtleben geben.
Ferdinand Stall bzw. Dr. Stichel-Stacheldorn bleibt ein faszinierendes Beispiel für die Kraft der Satire und die Rolle anonymer Stimmen in der lokalen Geschichte. Seine Reime spiegeln nicht nur den Zeitgeist wider, sondern zeigen auch, wie Humor und Kritik Hand in Hand gehen können, um gesellschaftliche Entwicklungen zu kommentieren.
Lesen Sie auch
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Einzelnachweise
- ↑ Herner Anzeiger 3. November 1923 Online auf Zeitpunkt
- ↑ Herner Anzeiger 13. November 1923 Online ebd.