Der letzte Gysenberger Ritter u. Prälat (Dorider 1935)

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Adolf Dorider widmete am 25. August 1935 im Castroper Anzeiger - Die Heimatseite 34 - Neue Folge der Heimatblätter für Castrop-Rauxel und Umgebung - einen besonderen Artikel über den letzten Gysenberger Freiherren Arnold Robert von und zu Gysenberg auf Henrichburg.

Wappen der Familie von Gysenberg zu Gysenberg und Horneburg, nach Max Spießen (1904).

Der letzte Gysenberger Ritter u. Prälat!

Von Adolf Dorider, Dülmen

Die Zeiten der Fehden und des Faustrechtes waren für den Adel vorüber, als der Letzte des Geschlechts von Gysenberg, Arnold Robert, auf dem ehemaligen Schlosse Henrichburg, das die Gysenberger seit 1480 im Besitze hatten, 1651 das Licht der Welt erblickte, der älteste Sohn unter neun Kindern. Doch war die Welt noch verwildert und nicht weniger roh und kriegerisch als ehedem der Dreißigjährige Krieg eben beendet, aber der Friede noch nicht eingekehrt. Die folgenden Jahrzehnte waren von Kriegslärm dauernd erfüllt, selbst geistliche Würdenträger - man denke an den streitbaren Bischof von Münster, Christoph Bernhard von Galen - verstanden ebenso gut mit dem Schwerte umzugehen, wie mit dem Kreuz zu segnen.

Was die vier Brüder von Gysenberg auf Henrichenburg bewog allesamt den geistlichen Stand zu wählen, ist nicht bekannt. Genug, der älteste wurde Domherr des Kapitels in Hildesheim, dessen Anforderungen nach Stand der Geburt er genügte. 1: Der zweite Bruder war Domherr zu Osnabrück, der dritte Scholastiker an der Kathedralkirche daselbst, der vierte Dechant an der Kathedrale zu Speyer.

Außer den sogenannten Graduierten, d.h. Leuten mit einem höheren akademischen Grad, konnten nämlich in das Domkapitel zu Hildesheim - wie auch anderwärts - nur Adelspersonen eintreten. Nach dem Statut für Hildesheim vom 29. November 1602 mussten sie mindestens 16 Ahnen, je 8 von Vaters= und Muttersseite, ausweisen können, dazu aus legitimer Ehe stammen und gesund an Geist, Körper und Gliedern sein. Dass diese Voraussetzungen für den Kandidaten zutrafen, war in der Regel durch vier adelige Zeugen von unantastbarer Glaubwürdigkeit eidlich zu bekräftigen. Diese Ahnenprobe nannte man Aufschwörung oder Einschwörung. Die Ausschwörung für Adolf Arnold Robert von Gysenberg. Dynast zu Henrichenburg, geschah zu Hildesheim am 10. Juni 1675. Als „Einschwörer“ traten für den Gysenberger auf: Heinrich Adolf von und zu Schwansbel bei Lünen und Wilhelm Christian von Dobbe, die mit dem Gysenberger zusammen die Reise nach Hildesheim angetreten hatten. Diese Reise wurde von Henrichenburg aus, wo man am 3. Juni 1675 aufbrach, zu Pferde zurückgelegt. Die Route ging über Schwansbel, Hamm, Heeren, Oelde, Bielefeld, Lemgo, Alverdissen, Groß=Berkel, Coppenbrügge, Hildesheim. Dort traf man am 8. Juni ein.

Dem Stande der Kleriker gehörte der von Gysenberg damals bereits an, da er im Januar des Jahres die Tonsur empfangen hatte. Die sogen vier niederen und die Subdiakonatsweihe erhielt er aber erst 8 Jahre später im Dezember 1683. Die Aufschwörung fand zwei Tage nach der Ankunft statt. Der Tag wurde festlich begangen von den versammelten adeligen Herren und deren Gefolge.

Am 12. Juni reiste der Gysenberger wieder ab und war nach vier Tagen wieder auf seiner Burg an der Emscher. Dieses Unternehmen verschlang an Reisekosten, Gebühren, Trinkgeldern und für Gastmähler die erkleckliche Summe von 499 Reichstalern.

Die Domherrstelle war für den Herrn von Gysenberg lediglich eine Sinekure, d. h. er verwaltete die Stelle nicht persönlich, sondern bezog nur die Einkünfte und lebte auf seinem Schlosse Henrichenburg weiter wie ehedem, ganz im Stile seiner Standesgenossen. Er verfocht eifrig vermeintliche Vorrechte seines Hauses in der großen Meckinghover Mark den bäuerlichen Interessenten gegenüber, nahm teil an den Sitzungen der Holzbank auf Bergers Hof in Meckinghoven, machte Reisen, selbst nach Frankreich hinein, pflegte aber vor allem das edle Weidwerk. Er war so ein eifriger Jäger vor dem Herrn, dass er sogar noch an seinem Todestage - er starb vierundsiebzigjährig am 2. Juni 1725 zwischen 9 und 10 Uhr abends - auf der Jagd gewesen war.

Seine Jagdpassion brachte ihn im Gegensatz zu der benachbarten Stadt Recklinghausen, denn die adligen Besitzer der Rittergüter wollten den Bürgern der Städte ihre Jagdgerechtigkeit beschränken. Lediglich innerhalb der städtischen Landwehr sollte die Bürgerschaft das Jagdrecht ausüben dürfen. Der von Gysenberg behauptete seinerseits dieses Recht nicht bloß für seinen Gutsbezirk und die Bauernschaft Beckum, sondern die „volle jagd öffentlich mit klingendem Spiel“ für das Suderwicher Feld, dass Esseler Loh, bis nach Groß Erkenschwick, über das Ortloh und Röllinghausen bis an die Landwehr der Stadt Recklinghausen. Selbst auf der Hillerheide hätte die Henrichenburger Herren „jederzeit mit klingendem Horn und gelöseten Jagd- und Windhunden gejagt“. Das bezeugten 1698 sieben Zeugen aus der Gemeinde Henrichenburg, die zum Teil über die achtzig Jahre alt waren.

Es kam zunächst zu Konflikten mit einzelnen Recklinghauser Bürgern. So traf eines Tages der Gysenberger den Recklinghäuser Vicarius Schauenburg beim Dorfe Oer jagend an, erschoss dessen Jagdhund und nahm seinem Konfrater die Flinte weg. Derselbe musste sich der Recklinghäuser Weinhändler Koehne im Ortloh gefallen lassen. Koehne rächte sich, indem er 1687 den Jäger, den der von Gysenberg zur Stadt geschickt hatte überfiel und diesem die Flinte abnahm, für welchen Untat der Gysenberger einige „Kuhbester“ des betreffenden Koehne, die auf Tappengrund in Pöppinghausen weideten, in pfandschaft nehmen lassen wollte.

Die Stadt Recklinghausen wandte sich um Schutz an ihren Landesherrn, den Kurfürsten von Köln. In dem nachfolgenden Prozess unterlag der Gysenberger, insofern den Bürgern die Jagdbefugnis außerhalb ihrer Landwehr zuerkannt wurde. Darauf suchte und fand der Herr von Gysenberg die Unterstützung der Vestischen Stände, seiner adligen Standesgenossen. Man musste sich aber schließlich einem abermaligen Urteilsspruch zugunsten der Städter fügen.

In der Anklageschrift der Stadt Recklinghausen vom Jahre 1689 erhalten wir folgende Charakteristik des letzten Gysenbergers:

„… daß der ged. Gysenberg Hildesheimbischer in ordinibus maioribus constituierter Thumbherr von Zeit an seiner widerkunft auß Frankreich Sich hochstraffbahrlich zum Schandall und despekt des Clerikalischen Standes unterstanden habe und annoch unterstehe mit seynen übrigen dreyen Brüdern, deren auch zwey den Titel eines Thumbherrnß führen, nicht als clerici, sondern als Soldaten contra iura canonica et Bullas pontificias zu pferde mit Pistolen ahm Sattel, den Degen auff der seithen und eine Flinte oder Visick vor sich auff dem Pferde, nebenß vielen auff selbige Manier gewaffneten Kerlß durch das ganze land zu vagiren zum höchsten despect und verschimpfungen der von Ew. Churf. Durchl. außgelassenen pp. Befehlen …

Hätte der Herr von Gysenberg einige Jahrhunderte früher gelebt, sicherlich würde er sich nicht auf das kriegerische Jagdwesen beschränkt, sondern im Krieg und Kampf seinen Mann gestellt haben. In ihm, dem letzten ungebärdigen Sproß eiens alten Geschlechts, scheint noch einmal der unruhige Geist der ritterlichen Vorfahren zum Durchbruch kommen zu sein - trotz seiner Prälaten Würde.

Und noch für andere zeitgemäße Erscheinung kam der Ausgang des Gysenberger Geschlechts als Musterbeispiel gelten. Das Geschlecht mit vier männlichen Sprossen war von Natur aus nicht dazu bestimmt, auszusterben. Aber kein Zweifel, dass die überstarke Teilnahme des deutschen Adels am Zölibate viel zum Aussterben so zahlreicher Uradligen Geschlechter beigetragen hat. Die Widmung der letztgeboren Söhne und Töchter für den geistlichen Beruf hat geradezu verderblich für die Erhaltung des Blutes und zwar in erster Linie des freiherrlichen, weniger noch der fürstlichen Familien, gewirkt. Der Vorteil der Gegenwart, die Proletarisierung des männlichen Adels und die Armut unversorgter Töchter hintanzuhalten, rächt sich nur zu oft durch den Untergang des Geschlechts.“ (Vgl.: Aloys Schulte: Der Adel und die deutsche Kirche im Mittelalter).


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Quellen