Der Meineidsprozeß gegen die deutschen Bergarbeiter (Baukau 1895)

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Nachfolgend befindet sich ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 1895, welcher einen Prozess über ein Meineid aufzeichnet, der infolge einer vorrangegangenen Gerichtssache erfolgte. Da es um einen Vorfall in Baukau geht, drucken wir diesen ab. Beachten sie bitte, diesen Artikel im Kontext und mit dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umschichtungen seiner Zeit zu betrachten. Die Rechtschreibung ist, mit einigen Veränderungen, Original.

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Der Meineidsprozess gegen die deutschen Bergarbeiter.

Die Meineidsaktion gegen die sieben deutschen Bergarbeiter hat mit einem vollen Erfolge der Staatsanwaltschaft geendet, und die Bergleute, von denen sich drei als Sozialdemokraten bekannten, werden wegen eines infamierenden Verbrechens ins Zuchthaus gesteckt werden. Die Aktion der Behörden und Unternehmer gegen die Bergarbeiterorganisation, begonnen mit der Maßregelung der Ausschussmitglieder und der Gründung eines „christlichen" Gegenvereines, hat glorreich damit geschlossen, die drei Führer der sozialdemokratischen Bergarbeiterorganisation unschädlich zu machen.

Da sie selbst mit ihnen nicht fertig werden konnten, haben sie sich den Arm der Gerechtigkeit ausgeborgt. Von Anfang an musste es jedem klar sein, dass die Staatsanwaltschaft zwei Fliegen mit einem Streich treffen wollte. Es galt, die Führer der Bergarbeiter zu treffen, andererseits aber noch ein Exempel zu statuieren und einen Präzedenzfall zu schaffen. So ließ der Staatsanwalt im Ehrenbeleidigungsprozeß des Gendarmen Münter gegen den Redakteur der „Berg- und Hüttenarbeiterzeitung" sämtliche sieben Entlastungszeugen verhaften, obwohl der Gerichtshof die gerichtliche Anordnung der Verhaftung zurückgewiesen hatte.

Ob der Staatsanwalt auch, wenn ein Freispruch des Redakteurs erfolgt wäre, die Belastungszeugen, die Gendarmen und Mitglieder des „christlichen" Bergarbeitervereines, hätte wegen Meineides verhaften lassen! Und doch waren ihre Aussagen mindestens ebenso ungenau und in Einzelheiten widersprechend wie die der damaligen Entlastungszeugen und jetzt wegen Meineides Verurteilten? Fast sämtliche Angeklagten erklärten, bei der Ehrenbeleidigungsverhandlung im Zeugenverhör vom Vorsitzenden ganz verwirrt und stutzig gemacht worden zu sein und so ihre ersten Aussagen teilweise abgeschwächt zu haben. Wer die Scheu und Befangenheit des Mannes aus dem Volke kennt, mit der er im Gerichtssaal angesichts der hohen Würdenträger des Staates und unter dem Eindruck des ganzen ihm unbekannten Zeremoniells sowie der Kreuz- und Querfragen durch Staatsanwalt, Vorsitzenden oder Verteidiger auszusagen Pflegt, wird der Verantwortung eines Angeklagten glauben, der sagt: „Ich bin durch die Einreden des Staatsanwalts und des Vorsitzenden so verwirrt worden, dass ich nicht wusste, ob ich A oder B sagen soll.

Ich bin elf Jahre nicht vor Gericht gewesen, und wenn man da immer von Meineid hört und Frau und Kinder hat, will man die Familie nicht ins Unglück stürzen. Trotzdem hat die Staatsanwaltschaft die Leute, die, in Verwirrung gebracht, Einzelheiten anders dar darlegten, wegen wissentlichen Meineids verfolgt. Es galt eben der Sozialdemokratie Eins anzuhängen und die sozialdemokratischen Bergarbeiter als Meineidige hinzustellen, um den künftigen Zeugenaussagen von Sozialdemokraten nach dem Vorbilde der Hamburger Staatsanwaltschaft die Glaubwürdigkeit absprechen zu können. Um den Zweck zu erreichen, verschmähte der Gerichtshof den Trick nicht, dem Verteidiger Schröder's, der als Zeuge vernommen werden wollte, die Niederlegung der Verteidigung aufzuzwingen, gegen die Vorschriften der Prozessordnung und gegen die' übliche Praxis. Ja, als der zweite Verteidiger seinen Antrag auf die Einvernahme dieses Zeugen zurückzog, um Schröder nicht seines Verteidigers zu berauben, griff der Oberstaatsanwalt schnell den Antrag auf, und der Gerichtshof beschloss, dass der Verteidiger Zeugenaussage leisten und die Verteidigung niederlegen müsse. Da die Angeklagten seit Monaten in Untersuchungshaft sitzen und bei einer Vertagung bis zur nächsten Schwurgerichtssession hätten sitzen müssen, ließen sie lieber dem Prozess seinen Fortgang, und Schröder hatte seinen Verteidiger, der den ganzen Hergang bei dem betreffenden Prozess genau kannte, verloren.

Die unglücklichen Bergarbeiter sind mit Hilfe des Gendarmen, der bei einer gerichtlichen Bestätigung seines von der „Bergarbeiterzeitung" gerügten Vorgehens einer großen Strafe gewärtig sein musste, aber trotzdem als Belastungszeuge vernommen wurde und Glauben fand, sowie mit Hilfe des Leiters der gegnerischen „christlichen" Organisation dem Ansturm der öffentlichen Gewalt erlegen. Das Urteil von Essen hat die lange Reihe der Klassenjustizmorde um einen ungeheuerlichen Fall vermehrt. Die Angeklagten, darunter der Führer der ehemaligen Deputation der Bergarbeiter an den Kaiser, sind zum Verlust der bürgerlichen Ehre verurteilt worden; in den Augen der Arbeiterschaft und jedes objektiv urteilenden Menschen haben sie eine schwere, aber ehrenvolle Wunde im Kampfe für die Arbeiterklasse erhalten.


Nachstehend der Bericht über die Ursache und der Verlauf des Prozesses


Am 3. Februar d. J. fand zu Baukau, Kreis Herne, eine Versammlung des „Gewerkvereines christlicher Bergleute" zwecks Bildung einer Zahlstelle zu Baukau statt. In der „Zeitung deutscher Berg- und Hüttenarbeiter" erschien über die Versammlung ein Bericht, in dem es hieß. „ein baumlanger Gendarm habe den Verbandsvorsitzenden L. Schröder zu Boden geworfen und, nachdem er sich halb erhoben, abermals niedergestoßen". Der baumlange Gendarm war der Gendarm Münter, der dieser Notiz wegen Strafantrag gegen den Redakteur Marggraf stellte. In dem ersten Termin, der am 11. Juni stattfand, traten Schröder, Meyer und Gräf als, Entlastungszeugen auf, während der Gendarm Münter und ein Polizeikommissar Brockmeyer die Behauptung der „Berg- und Hüttenarbeiterzeitung" bestritten.
Münter gab zu, Schröder könne einmal durch eine Körperbewegung seinerseits zu Fall gekommen sein, ein zweites Mal jedoch nicht; auch im ersten Falle habe er aber nicht die Faust gebraucht- Der Gerichtshof hielt die Sache für nicht genügend aufgeklärt und vertagte die Verhandlung zwecks umfangreicherer Beweisaufnahme.

Die zweite Verhandlung fand am 27. Juni statt. Schröder, Meyer und Gräf blieben bei ihren ersten Aussagen, ebenso die Beamten. Die Entlastungszeugen fanden Unterstützung bei den vier weiteren Angeklagten, die Beamten bei einer Anzahl von Angehörigen des Gewerkvereines christlicher Bergleute. Der unbefangene Zuhörer musste sich sagen, dass sowohl die Aussagen der Entlastungszeugen, wie die der Belastungszeugen — ihre Beobachtungen litten an großer Ungenauigkeit — viel zu wünschen übrig ließe. Marggraf wurde schließlich zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt. Der Staatsanwalt ließ, obwohl der Gerichtsvorsitzende ausgesprochen hatte, zu dem Verdachte wegen Meineids liege kein genügender Grund vor, den Schröder durch besagten Münter noch in der Verhandlung verhaften und erhob dann gegen die übrigen sechs Zeugen ebenfalls die Anklage. Die Anklage stellt den Sachverhalt folgendermaßen dar: Der Vorsitzende jener oben obenerwähnten Versammlung habe mit Rücksicht darauf, dass eine an demselben Tage Nachmittags in Herne abgehaltene Versammlung durch Bergleute sozialdemokratischer Richtung gestört worden war, die Polizeiverwaltung in Herne um Entsendung von Sicherheitsbeamten zu der Versammlung in Baukau gebeten.

Zur Beaufsichtigung der Versammlung waren deshalb außer dem Polizeikommissar Brockmeyer aus Herne die Gendarmen Münter und Müller III beauftragt. Als der Vorsitzende Brust die Versammlung eröffnen wollte, habe Schröder unter fortwährendem Lärmen und Toben seiner Gesinnungsgenossen Bürowahl und freie Diskussion gefordert. Brust habe die Versammlung auf kurze Zeit vertagt und die anwesenden Anhänger der Sozialdemokratie zum Verlassen des Lokals aufgefordert. Als diese zögerten, der Aufforderung nachzukommen, und namentlich Schröder allerlei Einwendungen gemacht, habe sich Brust an den Gendarm Münter mit der Bitte gewendet, ihm beizustehen. Münter habe nun Schröder zum Verlassen des Saales aufgefordert; Schröder habe sich auch erhoben und sei zu dem auf einem Podest neben der Eingangsthür stehenden Kaffetisch gegangen, um sein Eintrittsgeld zurückzuverlangen. Hier sei er aber mit den beiden Kassierern Kerkhoff und Keuerhoff, die ihm kein Geld heraus zahlen wollten, in Wortwechsel geraten. Inzwischen war Gendarm Münter dem Schröder gefolgt. Als dieser nun an Schröder herantrat und ihn in energischem Tone — selbst Belastungszeugen Schröder's bekundeten, dass Münter den Schröder angeschrien und geduzt habe — zum Verlassen des Lokals aufgefordert, sei Schröder dieser Aufforderung wohl nachgekommen, aber beim Verlassen des Zahltisches über den Podest, wahrscheinlich in Folge seiner Eile, zu Fall gekommen und habe strauchelnd den Saal durch die in unmittelbarer Nähe befindliche Thür verlassen.


Die Anklage stellt nun die in dem Beleidigungsprozess gegen Marggraf abgegebenen Zeugenaussagen einander gegenüber und findet dabei, dass sie namentlich in Bezug auf die Art und Weise, wie Schröder von Münter angefasst sein sollte, und in Bezug auf den Ort, wo Schröder zu Fall gekommen war, sehr in Widerspruch ständen. Die Anklage behauptet weiter, dass die in der zweiten Verhandlung vernommenen Entlastungszeugen des Marggraf, also die vier letzten Angeklagten, zum großen Teil ihre zuerst gemachten Angaben auf Vorhalten des Vorsitzenden widerrufen haben, und dass Marggraf selbst die Vernehmung weiterer Zeugen nicht gewünscht habe, „weil die Sache zu verwickelt würde". Eine Besichtigung des Lokals habe ergeben, dass der Kommissar Brockmeyer an der Tür des Saales zwei Schritte von Schröder entfernt gestanden hat: sein Blick auf Schröder und Münter sei unbehindert gewesen, und es sei nach seiner Angabe unwahr, dass Schröder von Münter gestoßen worden sei.

Die Verhandlung dauerte zwei Tage. Die Angeklagten beteuerten, nach bestem Wissen die Wahrheit gesagt zu haben, wenn sie auch, durch die vielen Fragen verwirrt, in Einzelheiten abwichen oder abschwächten. Angeklagter Schröder erklärte unter anderem: „An dem Tage waren drei Versammlungen, Vormittags die erste in Oberhausen. Ich verlangte dort das Wort und bekam es auch als zweiter Redner, die Versammlung verlief dort in Ruhe und Ordnung. In der zweiten Versammlung in Herne wurde mir das Wort nicht erteilt, ebenso in der dritten Versammlung in Baukau nicht. Der Vorsitzende Brust hat mich aufgefordert, das Lokal zu verlassen, ich habe mein noch halb volles Glas Bier ausgetrunken, bin nach dem Kassentisch gegangen und verlangte meine zehn Pfennig Entrée zurück. Ich erhielt eine verneinende Antwort, und fast in demselben Augenblick fühlte ich einen Ruck und fiel hin, es war der Gendarm Münter. Ich hatte mich noch nicht völlig erhoben, als ich einen zweiten Stoß erhielt und nochmals zur Erde stürzte. Das erste Mal fiel ich neben das Podium, das zweitemal näher an der Saal-Türe.

Vors: Konnte Sie das zweitemal nicht ein anderer gestoßen haben, Sie konnten doch Münter nicht sehen? —
Angekl.. Nein, es musste der Gendarm gewesen sein, es war kein anderer da.
Vors.: Hatte der Gendarm Münter was gegen Sie? –
Angekl.: Nein, im Gegenteil, er war sonst immer ganz freundlich. Deshalb wunderte ich mich auch so und habe mich sofort durch Herrn Rechtsanwalt Weiland=Bochum beschwert.-
Vors.: Die Sache ist mir unbegreiflich, der Gendarm hätte doch, wenn er Sie zu Boden gestoßen hätte, seine Amtspflicht überschritten und sich möglicherweise strafbar gemacht. Nun soll er vor versammelter Menge sich diesen Übergriff zu Schulden haben kommen lassen.-
Angeklagter Schröder: Ja, das wundert mich auch sehr. Ich sah mich um, und hinter mir kamen so viel Leute heraus. Ich sagte, seid ruhig, man will hier vielleicht Material für die Umsturzvorlage bekommen, wir wollen ihnen aber keines geben - Wir gingen dann nach Herne zu Bomm. —
Vors.: Wurde da der Vorfall nicht besprochen? —
Schröder: Jawohl, die Leute klopften mir den Schmutz ab. fragten auch, ob er mir wehgetan habe, und ob ich mir das gefallen lassen wolle. —
Vors.: Also es war allgemein die Rede, dass der Gendarm Münter Sie gestoßen habe? —
Schröder: Es war nicht nur allgemein die Rede, es war auch so, und wir beschlossen, in Herne sofort eine Beschwerde durch Rechtsanwalt Weiland in Bochum ins Werk zu setzen. Kollege Meyer schrieb auf, was ich ihm sagte, und hat das dem Rechtsanwalt Weiland übergeben. —
Rechtsanwalt Bell: War das, was Meyer aufschrieb, dasselbe, was Sie als Zeuge beschworen haben? —
Schröder: Ganz das Nämliche. Es meldeten sich noch vierzehn bis fünfzehn Zeugen, wir ließen aber nur acht Mann unter schreiben.


Als die Vernehmung der Angeklagten beendet war, wurden sie gefesselt abgeführt. Aus der Zeugenaussage des „„christlichen" Belastungszeugen, Bergmann Brust, ist folgende Stelle bezeichnend: Schröder kam dann auch in die Versammlung in Herne. Ich ließ keine freie Diskussion zu und forderte alle diejenigen, denen das nicht recht sei, auf, den Saal zu verlassen. Die Leute gingen, Schröder sprach noch mit mir und ging dann auch.

Die dritte Versammlung fand in Baukau statt. Schröder mit seinem Anhang war auch hier, wie ich es auf eine Bemerkung in der Versammlung in Herne erwartet hatte, anwesend. Ich hatte in Folge dessen auch schon in Herne den Polizeikommissar Brockmeyer gebeten, so viel Gendarmen wie nur möglich nach Baukau in die Versammlung zu schicken. Ich sagte, eure freie Diskussion würde nicht stattfinden, und auch das Eintrittsgeld würde nicht zurückerstattet werden; wem das nicht passe, der solle den Saal verlassen. Ich, forderte den Schröder speziell auf, den Saal zu verlassen. Er ging noch nicht gleich; erst als der Gendarm, der neben mir saß, sich erhob, stand auch Schröder vom Stuhl auf und ging. Münter folgte ihm. —

V o r s.: Haben Sie dann an der Thür einen Auflauf bemerkt? —
Zeuge: Nein, ich weiß von dem ganzen Vorfall nichts aus eigener Wahrnehmung. —
Verteidiger Dr. Bell: Haben Sie an Schröder Angetrunkenheit bemerkt? —
Zeuge: Ich nehme es an, weil Schröder kein Mittagbrot gegessen und geistige Getränke zu sich genommen hat. —
Verteidiger: Haben Sie aus Schröders Verhalten geschlossen, dass er betrunken war? —
Zeuge: Nein. —
Verteidiger: Hat er geschwankt oder unvernünftig geredet ?
Zeuge: Nein. —
Verteidiger Wallach: Waren die Versammlungen nicht öffentliche Versammlungen? —
Zeuge: Ich glaube, es waren allgemeine Versammlungen. , —
Vors.: Hielten Sie sich danach berechtigt, alle Sozialdemokraten heraus zuweisen, ohne ihnen das Entree zurückzugeben? —
Zeuge: Jawohl. Gäste haben sich doch ruhig, zu verhalten. —
Vors.: Haben Sie gehört, dass Schröder tätlich angegriffen worden ist? —
Zeuge: Jawohl. Es wurde gleich nach der Versammlung angedeutet, dass Schröder mit Gewalt aus dem Saal hinausgeworfen worden sei. —
Vors.: War von Gewalt die Rede? —
Zeuge: Jawohl, es wurde so gesprochen, etwas Bestimmtes hat aber niemand gesagt. —
Verteidiger Wallach: Es ging doch in der Versammlung verhältnismäßig friedlich zu, weshalb haben Sie denn so viel Polizei aufbieten lassen? —
Zeuge: Das ist immer meine Gewohnheit.


Der Gendarm Münter sagte aus: Ich hatte an dem 3. Februar schon vorher eine sozialdemokratische Versammlung Überwacht, in der ein gewisser Wesch aus Krefeld gesprochen und gegen den christlichen Bergarbeiterverband mit Worten, wie „totgeborenes Kind", aufgereizt hatte. In der Baukauer Versammlung bat mich Brust um Unterstützung; ich ging zu Schröder und habe ihn mit den Worten: „Nu aber raus!" an die Schulter gefasst. Schröder trank sein Bier aus, und ich folgte in gemessener Entfernung. Am Kaffetisch zankte sich Schröder mit den Kassierern wegen des Entrees, obwohl Brust vorher erklärt hatte, das Eintrittsgeld würde nicht zurückgezahlt werden. Ich trat fest an ihn heran und rief ihm mit lauter Stimme zu: „Nu aber raus!" Ich mag dabei Schröder mit meinem Körper berührt haben. Schröder fiel hin, krabbelte sich wieder aus, fiel nochmals hin und lief dann mit dem Rufe: „Die wollen mir was!" zur Tür hinaus. (Der Zeuge ist sehr aufgeregt, überstürzt sich, in seiner Rede und gestikuliert fortwährend heftig)

Vors.: Haben Sie Schröder gestoßen? —
Z e u g e: Nein, ich habe ihn nicht gestoßen. —
Vors.: Haben Sie nicht einen zweiten Stoß geführt? —
Zeuge: Nein, das ist nicht wahr. —
Vors.: Wissen Sie das ganz genau? —
Zeuge: Jawohl. Hätte ich ihn gefasst, so wäre das mein, gutes Recht gewesen. —
Vors.: Na, das wollen wir jetzt nicht untersuchen. —
Zeuge: Nach meiner Instruktion war es mein gutes Recht, ihn mit Gewalt zu entfernen, da ich vom Vorsitzenden um Beistand gebeten worden war. —
Verteidiger G r i e v i n g: Wie erklären Sie sich den zweiten Fall Schröders ? —
Zeuge: Den erkläre ich mir daraus, dass Schröder nach meiner Ansicht total betrunken war. —
Verteidiger: Er war total betrunken? —
Zeuge: Ja, er war angetrunken. —
Vors.: Sie haben aber eben einen stärkeren Ausdruck, gebraucht. —
Zeuge: Das liegt so in meiner Redeweise. — (Bewegung im Zuhörerraum.) —
Staatsanwalt Mantell: Ein Angeklagter sagte, Sie hätten den Schröder schon im Saale vor sich hergeschoben. —
Zeuge: Das ist entschieden unwahr. —
Verteidiger Wallach: Sie geben zu, dass Sie schon im Zuhörerraum den Schröder angefasst haben; warum bestreiten Sie es so apodiktisch, es am Kassentisch getan zu haben? —
Zeuge: Herr Rechtsanwalt, fragen Sie mich doch nicht solche Frage, ich habe doch erklärt, von Anfassen kann keine Rede sein
Vors.: Herr Münter. seien Sie nicht so aufgebracht und antworten Sie auf die Fragen .des Herrn Verteidigers. -
Zeuge: An der Tatsache, dass ich den Mann nicht angefasst habe, ist nicht zu rütteln. —
Verteidiger Wallach: Warum haben Sie den Schröder an seinem guten Recht, sich das Eintrittsgeld zurückzufordern, verhindert? —
Zeuge: Er konnte sich ja später beschweren. Ich musste ihn wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit daran verhindern.


Über die Aussageweise dieses Zeugen, der bei einem Freispruche des Redakteurs Marggraf zum Angeklagten, hatte werden müssen, erklärt Rechtsanwalt N i e m e y e r[1], der frühere Verteidiger Schröders, den der Gerichtshof zur Zeugenaussage zwang um ihn zur Niederlegung der Verteidigung zu zwingen, folgendes:

Über Münter´s Aussage habe ich mir genaue Notizen gemacht. Münter gab zunächst ein Bild von den Störungen der Versammlungen durch Sozialdemokraten und erzählte von den in der Baukauer Versammlung anwesenden Sozialdemokarten:
“Ich kannte sie alle, es waren keine Bergleute, sondern lauter bucklige Schneidergesellen.“

Dann sprach er, dass er, weil keine freie Diskussion und keine Bürowahl gestattet wurde, die Auffassung hatte, als beabsichtigten die Sozialdemokraten eine Revolte hervor zu rufen. Von Schröder sagte er, e r habe sich offenbar vor Schreck selbst hingelegt.

Mein energisches Auftreten muss ihm in die Adern gezuckt sein“

Nun wurde vom Vorsitzenden gefragt, ob er nicht die Möglichkeit zugeben wolle, Schröder angefasst zu haben: Münter antwortete:

Es wäre wohl möglich, dass ich den Schröder das erste mal angefasst habe, gestoßen habe ich ihn aber nicht. Dagegen habe ich ihn das zweitemal nicht berührt.“

Auf die Aussagen solcher Leute hin wurden die Angeklagten wie wir gemeldet haben, zu Zuchthausstrafen von zweieinhalb bis dreieinhalb Jahren verurteilt. [2]

Literatur

Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 179.[3]

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Quelle

  1. Dr. Victor Niemeyer (08.12.1863 - 14.02.1949) Würdigung des Essener Ehrenbürgers auf essen.de
  2. Arbeiter-Zeitung Wien Dienstag 20. August 1895, Nr. 227, Seite 5 f. http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=aze&datum=18950820&seite=5&zoom=33&query=%22Baukau%22&provider=P02&ref=anno-search
  3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, (Version vom 1.8.2018)