Das südliche Herne von einst (Reiners 1935) I

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Am 1. Juli 1935 wurde im Herner Anzeiger ein Artikel von Leo Reiners über das südliche Herne - Teil I - veröffentlicht. [1]

Das südliche Herne von einst

Die Höfe Düngelmann und Kuenkamp - Bau und Besiedelung der Bochumer Straße.

I.

Der südliche Teil Hernes nach der Katasterurkarte von 1823, ergänzt durch die bis 1886 hinzugekommenen Bauten. Diese sind zur Unterscheidung von den 1823 vorhanden gewesen nicht schwarz ausgefüllt.

Von Leo Reiners

Nachdem wir die im südlichen Teil der alten Gemeinde Herne gelegenen Siedlungsgruppen (Altenhöfen und die Bauernhöfe an der Wiescherstraße) sowie als Typ der Einzelhofsiedlung den Hof Weusthoff im einzelnen behandelt haben, bleiben noch die Einzelhöfe Düngelmann und Kuenkamp sowie die Ansiedlungen an der Bochumer, Vöde= und Bergstraße zu erörtern. Der Hof Düngelmann, auf dem sich heute der Städtische Fuhrpark befindet, liegt in der Flur "Auf dem Siepen" (ssiepen = feuchte Niederung) an der nach dem Hof benannten Düngelstraße, die, wie die Karte zeigt, früher an derselben Stelle wie heute von der Altenhöfener Straße abzweigte. (Die Verlängerung bis zur Wiescherstraße zwischen den Höfen Breilmann und Koppenberg ist jüngeren Datums.) Das Wohnhaus des Hofes ist heute noch dasselbe wie bei der Anlegung der Katasterurkarte im Jahre 1823. Über sein genaues Alter unterrichtet die Inschrift auf dem Balken über dem jetzt zugemauerten Deelentor. Sie lautet: „Got beware dieses Haus für Wasser und für Brand und auch das gante Vater Land. Anno 1804 den 12. July. Johann Heinrich Düngelmann und Anna Clara Cremer aus Herne Ehelet. MHAR (Meister Hangohr:)" Der Stallanbau nach Norden und der im Jahre 1934 abgebrochene Anbau an der südlichen Hausecke sind dagegen erst nach 1870 entstanden. Das besagt die Inschrift auf dem sichergestellten Balken des im Jahre 1934 abgebrochenen Anbaus: „Bauen und Pflanzen last euch nicht verdrießen, unser Nachkommen sollen es mit genißen. Heinrich Dungelmann und Henriette Lochthofe Ehelt Herne u. Baukau d. 19. Juni 1880. M. W. Funkenberg.“ Dieser Balken ist insofern noch besonders interessant, als auf seiner Rückseite nach dem Abbruch folgende Inschrift sichtbar geworden ist: „Dieses Stück stamt von Punge zu Horsthausen und thrug die Jahrzahl 1774“ Die Ziffern der Jahrzahl 1774 sind in älterer Schrift, so daß die Worte über dieser Zahl im Jahre 1880 eingeritzt worden sein müssen, als man den Anbau errichtete und dabei einen vorher schon am Hof Punge eingebaut gewesenen Eichenbalken verwandte. Zu dem Hofe gehörte auch nach Süden dicht an der Düngelstraße eine große Scheune, die 1870 noch dort stand, 1886 aber verschwunden war.
Die 'Familie Düngelmann' ist schon im Jahre 1486 durch das Märkische Schatzbuch nachgewiesen. Damals hatte ein Bernt Dungelmann 4 Goldgulden Steuer zu zahlen. Der Höchstsatz war 6 Goldgulden, so daß Düngelmann schon damals zu den wohlhabenderen Bauern gehört haben muß. In der Türkensteuerliste von 1542 steht ein Johann Dongelman aufgeführt, der 1 1/2 Goldgulden Steuer zu zahlen hatte, was ihn im Vergleich zu der Veranlagung der anderen Hofleute und Kötter an dieselbe Stelle einordnet, wie die 4 Gulden von 1485. Auch der Pächter Düngelmann, der in der Feuerstättenliste von 1664 verzeichnet ist, mußte nach der Matrikel von 1654 einen ansehnlichen Steuerbetrag aufbringen. Aus der Feuerstättenliste geht auch hervor, daß der Hof dem Herrn von Strünckede gehörte. Wir wir aus den alten Grundakten festgestellt haben, hat gegen Ende des 18.Jahrhunderts Carolina von Strünkede, die einen Frhr. v. Sudhausen geheiratete hatte, den Hof geerbt. Von dieser hat Joh. Heinrich Düngelmann im Jahre 1896 den Hof für 2000 Stück Französ. Cronentaler gekauft. Außer der Pacht= und Gewinnlast an die Strünkeder lagen auf dem Hofe folgende jährliche Lasten: 1 Scheffel Weizen, 1 1/2 Scheffel Roggen, 1 Scheffel Hafer alt Bochumer Maß, abwechselnd eine Gans und das andere Jahr ein Huhn sowie ein "Bothen" Flachs an die lutherische Pastorat zu Herne, 1 Brot an die lutherischen Armen zu Herne, 2 Brote und 2 Stiegen Roggengarben an den zeitlichen lutherischen Küster. Diese Abgaben sind erst 1873 mit 278 Thalern 8 Pfg., dem 25fachen Betrag des von der Generalkommission in Münster festgesetzten Normal=Ablösepreis, abgelöst worden.[2]

Der Joh. Heinrich Düngelmann, der den Hof von der Frau von Sudhausen kaufte, ist auch derjenige, der 1804 das Wohnhaus neu baute. Er war 1733 geboren und heiratetet 1767 in erster Ehe Anna Marg. Schulte am Esch (gest. bereits 1769), 1777 in zweiter Ehe Anna Clara Cremer, die auch auf dem Deelenbalken verewigt ist. Sein Sohn auf 2. Ehe Johann Georg, der 1809 eine Anna Clara Wiesmann geheiratet hatte, starb 1814, drei Monate nach dem Tode seines vaters, so daß die alte und die junge Frau Düngelmann als Witwen auf dem Hofe zurückblieben. Jeder Partie, der alten Frau und der jungen mit ihren 3 Kindern gehörte der Hof nun je zur Hälfte. Die junge Witwe heiratete einige Jahre später in 2. Ehe den Bruder ihres verstorbenen Mannes, Johann Heinrich Düngelmann. Zu jener Zeit wurde ein Vertrag geschlossen, wonach die alte Frau Düngelmann, die damals 70 Jahre zählte und 1830 gestorben ist, ihre Hälfte der jungen Frau gegen Leibzucht übertrug, ferner wurde zur Sicherung der Kinder aus erster Ehe im Jahre 1821 ein Auseinandersetzungs- und Einkindschaftsvertrag geschlossen, wonach die Eheleute Düngelmann, also Clara Wiesmann und ihr zweiter Mann, verpflichtet waren, den Düngelmannshof am 10.2.1845 einem der drei Kinder aus erster Ehe (Friedrich, Friederika und Dorothea) gegen eine alsdann zu bestimmende Leibzucht für das Quantum von 4000 Reichstaler zu übertragen. Im Jahre 1843 aber traf man eine andere Regelung. Der Sohn aus erster Ehe, Friedrich, der zuerst als Hoferbe ausersehen war, war längst gestorben. Die nächste Anwartschaft war nach dem Vertrage von 1821 auf seine ältere Schwester Friederike übergegangen, die einen Friedrich Asbeck geheiratete hatte. Aus der zweiten Ehe war aber ein Sohn vorhanden, Johann Heinrich Engelbert Düngelmann. Man kam daher zu folgender Regelung: Die Eheleute Düngelmann übertragen den Eheleuten Asbeck ihr gesamtes Vermögen, halten sich aber den Nießbrauch bis zum Tode eines von ihnen vor. Die Eheleute Asbeck acceptieren diese Vermögensübertragung und verpflichten sich zur Uebernahme sämtlicher Schulden und nach Erlöschen des Nießbrauchrechts zur Gewährung der (genau umschriebenen) Leibzucht an den Überlebenden. Die drei Kinder der übertragenden Eheleute (aus 2. Ehe) Christine, Lisette und Alwine erhalten eine Abfindung von je 200 Talern und im Fall der Heirat eine einfache Ausrüstung und eine milchgebende Kuh. Die Eheleute Asbeck übertragen ihrerseits das ihnen von den Eheleuten Düngelmann übertragende Vermögen dem Johann Heinrich (Engelbert) Düngelmann eigentümlich. Dieser acceptiert die Übertragung und übernimmt sämtliche Leistungen, welche den Eheleuten Asbeck in diesem Vertrage auferlegt sind. Außerdem tritt er den Eheleuten Asbeck mehrere Grundstücke ab, deren Wert von den Kontrahenten auf 1800 Taler veranschlagt wird. Zu diesen Grundstücken gehört auch der Teil des Besitztums, der "durch die Chaussee (also die gerade vorher fertiggestellte Bochumer Straße) von den übrigen Gründen abgeschnitten und von Herne aus zur Rechten von der Chaussee belegen ist". Er räumt ferner den Eheleuten Asbeck das Recht ein, "die Erde aus dem links von der Chaussee von Herne aus, längs seinen Grundstücken fließenden Bache auszuwerfen, und zwar für die Strecke von der Berger Hecke an bis zu dem Garten des Friedrich Rembert. Die Eheleute Asbeck dürfen die ausgeworfene Erde auf dem Düngelmannschen Grund und Boden so lange liegen lassen, bis sie gehörig ausgetrocknet ist. Um dieselbe wegzubringen, wird ihnen eine Fuhrwegegerechtigkeit durch Düngelmanns Busch und so lange der dort existierende Weg liegen bleibt, eingeräumt. Endlich zahlt der junge Düngelmann dem Friedrich Asbeck noch 200 Taler und verpflichtet sich, seiner anderen Halbschwester Dorothea, die mit Heinrich Schlenkhoff genannt Dux verheiratet war, als völlige Abfindung für den Nachlass ihres Vaters und des gesamten Düngelmannschen Vermögens 1000 Taler Berl[iner] Courant auszuzahlen.

So übernahm denn Joh. Hrch. Engelbert Düngelmann den Hof. Er war mit Engel Marg. Cath. Sengenhoff verheiratet. Als diese 1860 starb, waren sechs minderjährige Kinder vorhanden, für die Heinrich Sengenhoff die Vormundschaft übernahm. Er wurde, wie es damals üblich war, ein Erbauseinandersetzungsvertrag abgeschlossen. wonach das Vermögen an beweglichem und unbeweglichem Eigentum auf 10 508 Taler beziffert wurde. Davon fiel auf die Kinder die Hälfte, die auf den Vater übertragen wurde mit der Verpflichtung, jedem Kind bei der Entlassung aus der väterlichen Gewalt 875 Taler aus diesem mütterlichen Erbteil auszuzahlen. Als der Vater bereits 1863 starb, erhielt das zweite Kind, der 1845 geborene Heinrich Friedrich Düngelmann, den Hof und zahlte in den Jahren 1873 und 74 seinen Geschwistern, von denen ein Mädchen den Wilh. Masthoff, ein anderes einen Hufschmied Küppersbusch in Klein=Umstand bei Werden, ein drittes den Ackerwirt Kuhlendahl in Wamigrath bei Langenberg geheiratet hatte, die 875 Taler sowie eine weitere Abfindung vom väterlichen Vermögen aus. Von dem Sohne Heinrich Friedrich Düngelmanns erwarb die Stadt Herne den Hof im Jahre 1918.

Die Bochumer Straße.

Wir haben mit Absicht den scheinbar etwas zu sehr ins einzelne gehenden Abschnitt aus dem Übertragsvertrage von 1843 gebracht, in dem den Eheleuten Asbeck gewisse Rechte zum Ablagern und Abfahren von Bachschlamm eingeräumt werden. Dieser Abschnitt beweist nämlich, dass an der (vom Dorf aus gesehen) linken Seite der Chaussee ein Bach verfloss, der die Berechtigung der Flurbezeichnung „Auf dem Siepen" beweist. Außerdem ist von dem Düngelmanns Busch die Rede, der auch auf der Karte verzeichnet ist und sich einst— heute ist nichts mehr davon zu sehen— in schmalem Streifen im Zuge der jetzigen Jean=Vogel=(Bach=) und Schlageterstraße erstreckte. Auf den in dem Übertragsvertrage von 1843 den Eheleuten Asbeck überlassenen Grundstücken an der (von Herne aus gesehen) rechten Seite der Bochumer Straße haben diese sich angesiedelt. Das Asbecksche Haus steht heute noch mit einer herrlichen riesigen Kastanie davor gegenüber dem Eingang zum Fuhrpark an der Bochumer Straße. Daneben befindet sich jetzt eine große Tankstelle. Zu ihm gehörte auch noch ein kleines Häuschen, das später an den Wirt und Kaufmann Hirdes verkauft wurde. An seiner Stelle erhebt sich jetzt der große Geschäfts= und Wohnhausbau an der nördlichen Ecke der Bochumer und Schlageterstraße.

Die Bochumer Straße selbst ist in den Jahren 1839/40 als Chausseeverbindung zwischen Bochum und Herne gebaut worden. Wie die Karte zeigt, benutzte man von Riemke her bis zur heutigen Kreuzung mit der Flottmann= bzw. Hermann=Göring-Straße einen alten Feldweg, während die Chaussee von da an bis zur Bahnhofstraße bei Knapp ganz neu durch das Gelände geführt wurde. Die Düngelstraße, von der der genannte, zur Chausseeführung benutzte Feldweg in Richtung Bochum abzweigte, ging, wie aus der Karte hervorgeht, schräg über die Bochumer Straße hinüber in Richtung Feldkamp. Noch heute ist die spitzwinkelige Einmündung der düngelstraße in die Bochumer Straße vorhanden. Nur geht sie heute auf der anderen seite nicht mehrweiter. dieser spitze Winkel ist noch mit einer reihe alter Häuschen besetzt, die jedem Spaziergänger auffallen, zumal das gelände, durch das dieses (unausgebaute) Stück der Düngelsztaße zwischen Jean-Vogel-Stzraße und Bochumer Straße führt, auffallend tief liegt. Damit hat es seine besondere Bewandtnis. Aus der Karte kann man ersehen, dass sich hier vor dem Chausseebau ein großer Teich befand, an dessen Süd- und Ostseite der Westbach herfloss. Der eine Arm dieses Baches, der von der Gegend nördlich der Vödestraße herkommt und durch den Hügel („Auf dem Berge“), an dem heute das Lutherhaus steht, zu einem großen Bogen nach Westen gezwungen wird, vereinigt sich hier noch heute (allerdings durch unterirdische Kanalisierung nicht mehr sichtbar), nachdem er die heutige Flottmannstraße unterquert hat, mit dem aus dem Düngelbruch kommenden und durch das Sommerbad und Altenhöfen fließenden Arm. Als „Mühlenbach“ füllte er dann nördlich der heutigen Hermann-Göring=Straße einst den Overkampschen Mühlenteich und trieb die Overkampsche Mühle. Der Teich, den der Bach in der Niederung zu beiden Seiten der jetzigen Bochumer Straße bildete, dürfte beim Bau dieser Straße durch Verbesserung des Abflusses abgelassen worden sein. Die Chaussee wurde dann in einer Brücke über den Bach geführt. Im Bereich der bisherigen Niederung entstanden danach die Fachwerkhäuschen, die heute noch, von Grün eingehüllt, dort stehen.

Bevor wir auf diese eingehen, ist noch eines Häuschens Erwähnung zu tun, das am östlichen Westbacharm in der Nähe des Weges, den man die verlängerte Bach=(bzw. Jean=Vogel=) Straße nennt, steht. Heute ist darin eine Gärtnerei von Maylahn. Es gehörte zum Hof Bönnebruch gt. Althoff. Besitzer ist jetzt der Wirt Grisse in Günnigfeld, der eine Hulda Bönnebruch zur Frau hat. Was nun die Häuschen im Winkel der Düngel- und der Bochumer Straße betrifft, so ist das erste an der Ecke der Düngel= und Jean=Vogel-Straße das schon recht verwitterte Häuschen des Pflastermeisters Dabringhausen. Es gehörte zuerst dem Schreiner Heinrich Klüsener, dann dessen Witwe Maria Kath. geb. Spiekermann, 1899 erbte es der Bergmann Karl Steinhoff in Hofstede, der eine Friederike Klüsener geheiratet hatte. Von ihm ging es 1902 in den Besitz des Wirtes Hrch. Wilh Bergmann in Hofstede über, 1903 kam es an den Wirt Peter Böhmer in Gelsenkirchen und 1905 an Dabringhausen.

Das Nachbarhäuschen im Zuge der Düngelstraße gehörte dem Bergmann Friedrich Wille, heute ist Eigentümer der Maurerpolier Jos.= Wolski.— Zwischen diesem und dem nächsten Hause fließt der Westbach unterirdisch her. Dieses nächste Haus mit einem Anbau zur Bochumer Straße hin gehörte dem Postschaffner Ludwig Gatzmann, der das Grundstück 1870 von Düngelmann für 233 Taler kaufte (demnach dürften auch die anderen ihren Grund und Boden von Düngelmann erworben haben). Gatzmann war damals Briefträger in Herne, später wohnte er in Dortmund. 1897 wurde sein Sohn, der Berginvalide Friedrich Gatzmann, Eigentümer, heute gehört das Häuschen dem Kaufmann Johannes Schnurbusch. Das in der Winkelspitze gelegene Häuschen, das mit seiner, Front in den hier deshalb noch nicht ausgebauten Bürgersteig der Bochumer Straße hineinragt, gehörte und gehört Wilh. Externest. Das daneben an der Bochumer Straße gelegene Häuschen, das später auf die doppelte Länge vergrößert worden ist, gehört dem Bergmann Schott. Auch heute noch ist der Waschmeister Johann Schott Eigentümer.

Ging man vor 50 Jahren die Bochumer Straße weiter hinauf in Richtung Herne, so stand an der rechten Seite in der Nähe der jetzigen Ecke der Jean-Vogel=Straße (gegenüber dem ehemaligen und später von Hirdes erworbenen Asbeckschen Häuschen) im ehemaligen Buschbereich ein weiteres kleines Haus. Es gehörte dem Chausseeaufseher Johann Hein, der das Grundstück ebenfalls 1870 von Düngelmann erworben hatte. 1921 ging es in den Besitz des Schreinermeisters Lichtenberg über, der heute noch ein daneben angebautes Sarglager unterhält, 1932 wurden zwei Brüder Polomski in Gelsenkirchen und Bochum Eigentümer, 1933 erwarb es der Kaufmann Hirdes.

Man sieht also, dass die Bochumer Straße noch vor rd. 50 Jahren das Aussehen einer richtigen Landstraße hatte, nur hier und da von einem Häuschen flankiert. Man konnte das ganze Vorgelände des Dorfes frei und weithin Überschauen. Überall war noch der Friede unberührter Ländlichkeit, nur im Westen ragten seit 1856 die Zechenbauten von Shamrock empor. Auch in dem südlichen Teil der Bochumer Straße lagen nur wenige Häuschen, die zum Teil von den ersten Bergleuten bewohnt wurden. Das älteste davon (unsere Karte zeigt den 1926 von Riemke eingemeindeten Teil nicht mehr) war das heute noch an dem leichten Knick der Bochumer Straße gegenüber der Feldkampstraße gelegene schmucke alte Fachwerkhaus mit Stallgebäude und Backhaus von Spiekermann. Zum Ende des vorigen Jahrhunderts gehörte es dem Zechenarbeiter Georg Hrch. Wilh. Spiekermann, seit 1901 dem Maschinisten Aug. Spiekermann. Etwas weiter südlich entstand das Häuschen von Fischer, der Bergmann Heinrich Fischer vererbte es 1912 an den Bergmann Otto Fischer. Inzwischen entstand auch eine kleine Nebenstraße zur Bochumer Straße, die heute die große Siedlung der Selbsthilfe abgrenzt. Das erste der hier erbauten einstöckigen Häuschen hat noch heute seine alte Form. Es gehörte dem Bergmann Wilhelm Hestermann, seit 1904 ist es im Besitz der Bergwerksgesellschaft Hibernia. Das zweite, das ursprünglich genau so aussah, ist 1898 aufgestockt, durch Anbauten erweitert und 1915 durch Umbauten verändert worden. Es gehörte dem Bergmann Georg Hrch. Wilh. Bohnenkamp, von ihm ererbte es der Schwiegersohn, der Zuckerwarenfabrikant Albert Kretschmann, 1904 erwarb es die Bergwerksgesellschaft Hibernia. Auch auf der anderen Seite der Bochumer Straße waren vor 50 Jahren schon 4 kleine Häuschen entstanden. Das südlichste gehörte dem Sattler Wilh. Mumme, 1899 besaß es seine Witwe, Liselotte, geb. Eickmann, 1908 ging es in den Besitz des Bergmanns Heinrich Dröge über. Das nächste Häuschen gehörte dem Maurer Joh. Dietrich Köster, dann seiner Witwe Lisette geb. Hülsmann und heute dem Invaliden Dietrich Fricke. Das dritte Häuschen ist von Anbeginn bis heute im Besitz einer Familie Stemmermann, das vierte gehörte dem Schreiner Friedrich Hülsmann, heute ist der Schlosser Schulz Eigentümer.

Zu erwähnen ist weiterhin noch ein zur Bochumer Straße gerechnetes Häuschen, das nahe an der jetzigen Ewaldstraße, die von der parallel zur alten Gemeindegrenze verlaufenden Berninghausstraße abgeht, sich befindet. Es gehörte dem Bergmann Heinrich Spiekermann, von diesem ging es auf den Schwiegersohn Bergmann Wilhelm Dörner und dann 1929 auf dessen Schwiegersohn Adolf Tillmann über.

Der Hof Kuenkamp

Wenden wir uns nunmehr weiter nach Osten, so treffen wir auf die in Windungen von Herne über Altenhöfen nach Riemke führende „Altenhöfener Straße“(einst auch Höfestraße oder Verbindungsweg von Herne nach Riemke genannt), die heute von ihrem westlichen Knie ab nach Süden „Flottmannstraße" heißt. In ihrer Nähe lag und liegt noch heute der Hof Kuenkamp, der sich dicht am Bach angesiedelt hatte. (Genau genommen, gehört er zur Kategorie der Kotten.) Er ist zuerst für das Jahr 1654 nachweisbar. Das Wohnhaus, das jetzt noch da steht, stammt aus dem Jahre 1780. Das besagt die erst von dem jetzigen Pächter Schmidt wieder freigelegte Inschrift auf dem Deelenbalken, die lautet:

„Johan Henrich Kuenkamp Anna Elisabeth Backes zu Wattenscheiht Eheleute haben dieses Hausz gebaut. Der Her segene iren Aus und Eingang. Anno 1780 den 9. Mai MRWHK.“

Bis 1870 stand nur dieser Bau da, außerdem daneben (zur Straße „Im Winkel“ hin) ein kleines Backhaus. Bis 1886 entstanden die jetzt noch vorhandene Scheune, der Stallanbau am Wohnhaus und ein kleines neues Backhaus mit Back- und Trockenofen im Garten. Das alte Backhaus war schon 1844 zu einem Einliegerhaus erweitert worden. Dies ist 1931 wegen Baufälligkeit abgerissen worden. Von ihm stammen die etwa 1 Meter langen Hausbalken, die sich jetzt im Herner Heimatmuseum befinden. Auf dem einen steht:

„Henrich Kuenkamp junior Anna Maria Ahman senior 1844 de 21 Sep.“, auf dem anderen:

„Sei weise und vorsichtig, klug und behende und bedenke das Ende. 21. Sep. 1844".

Neben dieser Inschrift befindet sich auf der einen Seite ein eingeschnitzter Topf mit Blumen, auf der anderen Seite eine kleine eingeschnitzte viereckige Uhr. Diese weist auf den letzten Kuenkamp hin, den 1881 verstorbenen Heinrich Kuenkamp, der aus Liebhaberei sich mit Uhrmachen beschäftigte und in der ganzen hiesigen Gegend bei den Leuten die Uhren reparierte. Sein bedeutendstes Werk ist die mit Orgelmusik verbundene Schrankuhr, die sich jetzt im Besitz des Lehrers Masthoff befindet und im Jahre 1931 von Uhrmacher Schlenkhoff, Bahnhofstraße, nachdem er sie wieder in Gang gebracht hatte, im Schaufenster ausgestellt wurde. Schließlich hat auch die Scheune noch eine Inschrift über dem Eingang. Auf ihr steht:

„Der Herr segne uns und behüte uns. Wilhelm Masthoff gen. Kuenkamp und Lisette Schulte".

Da diese erst 1878 den Hof übernommen haben, kann man daraus das Alter der Scheune ermessen.

Doch nun zu der Geschichte der Familie. Ihr Name lautet in den ältesten Formen (Feuerstättenliste und Kirchenbucheintragungen) Kuttenkamp (daher ist er nach Ausstoßung des kt Ku=enkamp zu sprechen und das e kein Dehnungs=e). Kuttenkamp kommt wahrscheinlich von kotte, was nach Jellinghaus ein von einem Hof oder aus der Mark geschnittenes Landstück (s. engl. cut) bedeutet. Das stimmt damit überein, dass Kuttenkamp erst 1654 zuerst nachweisbar, also später ansässig geworden ist als manche anderen Eingesessenen, so dass zu ihrer Ansiedlung ein Stück Land genommen werden musste, das einem anderen oder der Gemeinheit gehörte. Zudem war nicht er selbst, sondern der „große“ Overkamp Grundherr. Schon die Feuerstättenliste von 1664 nennt als Grundherrn Jorgen to Overkamp, der Kötter und „Pfächtiger“ Kuttenkamp hat aber schon zwei Feuerstätten, „deren eine Heinrich von Nevel bewohnet“. Dieser Heinrich von Nevel war ein Beauftragter des Drosten zu Bochum, der Herr des Gerichts Strünkede. Gottfried von Strünkede, wollte ihn nicht in seinem Bezirk dulden. Wir werden uns später noch mit dieser Sache beschäftigen. Nach den Grundakten hat der 1782 geborene Johann Henrich Kuenkamp (er war der Sohn der Eheleute Joh. Died. Kuenkamp + 1790] und Anna Elis. Bax, die das Wohnhaus erbauten: die Witwe heiratete in zweiter Ehe Joh. Georg von Ickern) die Hälfte des Kottens erworben und für die andere Hälfte Pacht bezahlt. Ein bei den Grundakten vorhandener Pachtbrief vom 28. Juli 1810 besagt darüber Näheres. Danach bekunden die Eheleute Röttger Overkamp und Anna Marg. Heuthaus, dass sie den halben Anteil an dem zu ihrem Hof gehörenden Kuenkampschen Kotten dem Joh. Heinrich Kuenkamp und der Maria Cath. Berkhoff in lebenslänglicher Pacht verliehen haben. Außer einem einmaligen Gewinngeld von 30 Reichstalern, die bezahlt sind, sind jahrlich an Pacht auf Martini abzuliefern: 1 Scheffel Roggen, 2 Scheffel Gerste, 1/2 Scheffel Hafer, 2½ Pfund Flachs, 2 Hühner, 1 Gans, ferner ist auf vorheriges Aufgebot alle 14 Tage ein Dienst auf dem Overkampschen Besitztum zu verrichten. Die Unterschriften dieses privaten Pachtbriefes sind bestätigt durch Scheffen, Schullehrer.

Nachdem Maria Cath. Berkhoff 1818 gestorben war, heiratete Joh. Heinrich Kuenkamp 1820 eine Anna Maria Ahmann aus Hordel (siehe die Balkeninschrift im Museum). Aus diesem Anlass wurde vor der Heirat ein Auseinandersetzungs- und Einkindschaftsvertrag zugunsten des 1813 geborenen Sohnes aus erster Ehe. Joh. Henrich Kuenkamp jr. (des Uhrmachers). dessen Vormund Eberhard Nottebaum gt. Berkhoff aus Altenhöfen war, abgeschlossen und vom vormundschaftlichen Gericht in Bochum bestätigt. Danach sollte der junge Kuenkamp bei der Erreichung des 36. Lebensjahres den Kotten zum alleinigen Eigentum erhalten, aber auch berechtigt sein, schon mit 30 Jahren auf ihn zu heiraten. Außerdem verpflichtete sich der Vater, ihm vom 16. Lebensjahr ab einen angemessenen Lohn für die auf dem Hofe zu verrichtenden Arbeiten zu zahlen. Weiter wurde vereinbart, dass unter dem Sohne erster Ehe und den eventuellen Kindern zweiter Ehe eine völlige Einkindschaft (= persönliche und vermögensrechtliche Gleichstellung) stattfinden sollte. Zu diesem Ende setzte der Vater seinem Sohne ein Praccipuum (= ein Voraus) von 140 Rtlr. aus, das von der Großjährigkeit bis zur Auszahlung bei der Verheiratung mit 5 Prozent zu verzinsen war. Im Jahre 1824 kam es auch zur Loslösung von Overkamp. Schon 1822 hatte Joh. Diedr. Overkamp erklärt, dass das Eigentum an den auf dem Kotten befindlichen Gebäuden dem Kuenkamp zustehe. Kuenkamp aber war der Meinung, dass er an die Overkampsche Hälfte ein Erbgewinnrecht habe. Das bestritt Overkamp. Erst 1824 einigte man sich und schloss einen Ablösekontrakt. Danach verkaufte Joh. Diedr. Overkamp alle seine Rechte, die ihm als Eigentümer der einen Hälfte des Kuenkampschen Kottens zustanden, für 375 Rtlr. an Joh. Hrch. Kuenkamp. Das Geld blieb vorläufig auf dem Kotten stehen und wurde mit 4 Prozent verzinst. Die 375 Rtr. sollten die Ablösung für die jährlichen Pachtabgaben und das Gewinngeld (3 Gewinnfälle auf 100 Jahre gerechnet) sein. Der Wert der Abgaben wurde als Zins eines mit 4 Prozent verzinsten Kapitals angesehen. Nach einem Gutachten des Postmeisters Ecker in Bochum für das Vormundschaftsgericht (die Overkampskinder hatten mittlerweile die Mutter verloren) war der Wert nicht 375, sondern nur 258 Taler, so dass der Vertrag für Overkamp recht günstig war. Der junge Joh. Hrch. Kuenkamp übernahm bereits 1832 den Hof. Er vermählte sich mit Anna Maria Cath. Schulte, die 1847 beim ersten Kinde, das den Namen Maria Lisette erhielt, starb. In zweiter Ehe war er von 1856 ab mit Gertrud Schulte in Wanne verheiratet. Die Maria Lisette aus erster Ehe starb mit 17 Jahren. Dadurch war die Familie Kuenkamp ohne leibliche Erben. Daher wurde mit den Eheleuten Wilh. Masthoff gt. Fleige und Lisette geb. Schulte gt. Gosewinkel, die Pflegetochter bei Kuenkamps gewesen sein soll, im Jahre 1878 ein Übertragsvertrag abgeschlossen. Nach diesem übertrugen die Eheleute Kuenkamp den Eheleuten Masthoff ihr ganzes Vermögen, sie behielten sich bis zum Tode des Längstlebenden den Nießbrauch und die unbeschränkte Verwaltung vor. Während der Dauer dieses Nießbrauch- und Verwaltungsrechtes waren die Eheleute Masthoff gt. Fleige verpflichtet, bei den Eheleuten Kuenkamp zu wohnen und die Haus= und Ackerwirtschaft für sie zu besorgen. wogegen sie freien Unterhalt für sich und ihre Kinder haben sollten. Von dem Augenblick an. wo die alten Eheleute auf ihr Nießbrauchs= und Verwaltungsrecht verzichteten, war ihnen genau festgelegte Leibzucht (Wohnung. Heizung, Kleidung, Essen und Trinken, Pflege in kranken Tagen, freier Zutritt zu allen Räumen. Taschengeld (jährlich 300 Mark) und dergl. zu gewähren. Im Jahre 1881 ist Heinrich Kuenkamp. der „Uhrmacher“, im Alter von 67 Jahren gestorben, 1887 folgte ihm seine zweite Frau nach. Die Eheleute Masthof gt. Fleige hatten 4 Kinder., von denen der Sohn Karl den Kotten 1908 übernahm. Von ihm erwarb im Jahre 1918 die Stadt Herne den Besitz, auf dem jetzt der Pächter Schmidt wohnt, der den Kotten auf das freundlichste herzurichten verstanden hat.

Über die werteren Gebiete des südlichen Herne werden wir im nächsten Artikel sprechen.

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Quellen