Haranni im Werdener Heberegister (Reiners 1935) III

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Am 26. Januar 1935 startete Leo Reiners im Herner Anzeiger ein umfangreichen Artikelserie über „Haranni“. [1]

Haranni im Werdener Heberegister

Von Dr. Leo Reiners

Teil III. (9. Februar 1935)

Das Große Privilegienbuch.

In dem Urbar A haben wir das Herner Gebiet, soweit es im Werdener Schrifttum des ausgehenden 9. und beginnenden 10. Jahrhunderts behandelt ist, kennen gelernt. Jetzt machen wir einen Sprung in die Mitte des 12. Jahrhunderts, in dem das sog. Große Privilegienbuch als zweites Werdener Urbar entstand. Es enthält in seinem ersten Teil = ein sog. Traditionenverzeichnis, d. h. ein Verzeichnis von Schenkungen und Stiftungen für das Kloster Werden. Dieses Traditionenverzeichnis ist Teil bereits gegen Ende des 10. oder Anfang des 1. Jahrhunderts angelegt, zum andern Teil gehören die Traditionen der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts an. Aus diesen Traditionen erkennt man die in der Beschichte des Klosters Werden genannten Seelmeßstiftungen, denn die Schenkungen sind durchweg für das Seelenheil des verstorbenen Vaters, der Mutter, des Sohnes u. dergl. gemacht. So heiß Tradidit Rudger pro anima patris sui Richardi mansum in Bukhem solventem 3 s. Tradidit Werenburg et filii eius ad sanctum Liudgerum pro anima Hugerici patris corum in Rinbeki et in Harpunni heraditatum suam.

(Rudger übertrug für die Seele seines Vaters Richard eine Hufe in Bochum(?), die 3 Solidi einbringt. Werenburg mit seinen Söhnen übertrug dem hl. Ludgerus für die Seele ihres Vaters Hugeric in Riemke und Harpen ihr Erbe.)

Hier zeigt sich, dass Werenburg zur Schenkung seines väterlichen Erbes der Zustimmung seiner Söhne bedurfte. Das beweist, dass unsere Vorfahren das Erbe als Familienbesitz auffassten und daher auch die Nacherben mit darüber zu bestimmen hatten.

Über Traditionen aus Herne selbst findet sich im Traditionenverzeichnis nichts. Erst im dritten Hauptteil des Großen Privilegienbuches, der im Jahre 1160 angefertigt wurde und das Heberegister der Werdener Abteihöfe enthält, kommt unser Gebiet wieder eingehender zur Behandlung. Unter Fronhofsamt, Cramwinkel (v. Wiemelhausen) werden aufgeführt: ein Ebbeke, ein Wiebert und ein Gottschalk in Riemke, ein Markward in Wanne (? Wande), ein Hermann in Hamme (Hundhamme oder Holthamme b. Bochum), ein Thiederic und ein Wezzelin in Bochum (Bokheim), ein Ricwin in Stiepel. Auch Gerthe und Harpen finden Erwähnung.

Dann kommt das Fronhofsamt Marten (Merthene) an die Reihe. Hier werden genannt: ein Heinrich in Harpen, ein Hardwin in Bövinghausen, ein Haus und ein Bernhard in Merklinde (Mediclinne)), ein Liudbert in Frohlinde (Frolinde, ein Siegfrid, ein Riklind und ein Lindburg in Bochum (Bokheim), ein Ezzeke in Schethe (Schadeburg?), ein Geistlicher Hermann in Röhlinghausen (Rolinchuson) und ein Engilbert in Hegerinchuson (?). Unter Defekten (verloren gegangene Besitzstücke) des Hofes Marten werden aufgeführt: ein Hethanric in Bövinghausen, der eine Hufe festhält, und ein Brun de Swerte (Schwerte) in Holthuson (Holzen bei Schwerte oder Holthausen bei Dortmund?).

Nun kommen wir zum Fronhofsbezirk Waltrop. Der Text lautet (mit Uebersetzung):

De Deninchuson Albertus 16 d(enarios), 8 pro hersc(illing), 6 pro opere, pro pullo 1, 10 ova.
Deininghausen: Albert 16 Denare, 8 für den Heerschilling, 6 für den Frondienst, 1 für ein Huhn, 10 Eier.
De Hernen Gerbertus in festo sancti Remigii 5 d(enarios), 8 pro herscill(ing), 6 pro opere, pro vino 1, pro pullo 1.
Herne: Gerbert auf St. Remigius (d. i. 1. Oktober) 5 Denare, 8 für den Heerschilling, 6 für den Frondienst, 1 für den Wein, 1 für ein Huhn.
Ibidem Gevehardus br(acium) hordei br(acium) avene, 8 d(enaros) pro hersc(illing), 1 pro vino, 1 pro pullo.
Ebenda Gevehard ein Malzgebräu Gerste, ein Malzgebräu Hafer, 8 Denare für den Heerschilling, 1 für den Wein, 1 für ein Huhn.
De Eclo Wicbertus 10 mo(dios) avene, 8 d(enarios) pro hercilling, 6 pro opere, 1 pro vin, 1 pro pullo.
Eickel: Wicbert 10 Scheffel Hafer, 8 Denare für den Heerschilling, 6 für den Frondienst, 1 für den Wein, 1 für ein Huhn.
De Sothingke Hermannus 20 d(enarios), 8 pro herscill(ing), 6 pro opere-, 1 pro vino, 1 pro pullo.
Sodingen: Hermann 20 Denare, 8 für den Heerschilling, 6 für den Frondienst, 1 für den Wein, 1 für ein Huhn.
De Holthuon Obertus 45 s(olidos), 4 mo(dios), siliginis, 40 mo(dinos) hordei, 2 s(olidos) pro herscilling, 6 d(enarios) pro opere, 2 pro vino, 20 ove.
Holthausen: Obert (Hubert?) 45 Solidi, 4 Scheffel Roggen, 40 Scheffel Gerste, 2 Solidi für den Heerschilling, 6 Denare für den Frondienst, 2 für den Wein, 20 Eier.
Ibidem Hermannus 2 s(olidos), 2 mo(dios) siliginis, 30 mo(dios) hordei, 12 d(enarios) rp herscill(ing), 6 pro opere, 1 pro vino.
Ebenda Hermann 2 Solidi, 2 Scheffel Roggen, 30 Scheffel Gerste, 12 Denare für den Heerschilling, 6 für den Frondienst, 1 für Wein.
De superiori Castthorpe Gerwinus 6 mo(dios) siliginis, br(avium) hordei, 8 d(enarios) pro herscill(ing), 6 pro opere, 1 pro vino, 1 pro pullo.
Oberkastrop: Gerwin 6 Scheffel Weizen, ein Malzgebräu Gerste, 8 Denare für den Heerschilling, 6 für den Frondienst, 1 für den Wein, 1 für ein Huhn.

Aus diesem Text ergibt sich zunächst, dass Herne damals zum Fronhofsbezirk (territorium) Waltrop gehörte. Dieses bildete zusammen mit dem Fronhofsamt (villicatio) Marten, einen Fronhofsverband. In Marten war der Haupthof, Waltrop mit seinen Unterhöfen war diesem beigeordnet. Unter den Waltrop unterstehenden Höfen wird im Gegensatz zum ältesten Urbar weder Langwede, noch Düngelen noch Castrop genannt. Wohl erscheint Haranni hier in der der heutigen entsprechenden Namensform: Herne. Zwischen 890 und 1160 ist also der Name unserer Gemeinde (bis auf ein später noch abgefallenes n) entstanden.“) Es erscheint aber auch zum ersten Mal Sodingen (Sothingke). Desgleichen kehrt das schon kurz nach 900 erwähnte Holthausen wieder. Es hat indes noch seine alte Form Holthuson behalten.**) Neu ist die Erwähnung von Eickel, Obercastrop und Deininghausen; Bövinghausen und Riemke sind alte Bekannte. Linde hat sich in Merklinde und Frohlinde geteilt. Auffallend ist, dass Baukau nicht vorkommt. Das kann nicht allein damit erklärt werden, dass hier die Strünkeder bereits weitreichenden grundherrlichen Einfluss besaßen.

Verändert hat sich auch die Namensart der Abgabepflichtigen. Wenn auch noch germanische Namen gewählt sind, so sind es doch schon in erheblichem Maße solche, die wir heute noch verwenden wie: Adalbert, Hermann, Heinrich, Bernhard, Dietrich (Thiederic), Siegfried, Engelbert, Albert, (Hubert?) Markward (Marquard), Gerwin u. a.

Es darf angenommen werden, dass bei der Wahl dieser Namen schon das Vorbild heiligmäßiger Persönlichkeiten der kirchlichen „Frühgeschichte in Germanien mitbestimmend war. Wenn wir die Zahl der Abgabepflichtigen mit der in der Urbarhandschrift A angegebenen vergleichen, stellen wir fest, dass in Herne jetzt 2 Abgabepflichtige (Gerbert und Gevehard) aufgeführt werden, 270 Jahre vorher war es nur einer (Berahtwini), in Holthausen waren es damals 3 oder 4, jetzt sind es nur 2 (Obert und Hermann), dafür erscheint in Sodingen ein neuer Hermann. Es muss sich also in den Besitzverhältnissen des Klosters in der Zeit von 890 bis 1160 einiges gewandelt haben. Abhängige sind frei geworden, bis dahin Freie haben sich in Abhängigkeit begeben.

Weinbau in Herne.

Sehr stark geändert hat sich auch das Gefälle. Die Abgaben sind zu einem großen Teil in Geld umgewandelt worden. Dabei erhebt sich die interessante Frage, ob der Denar für Wein ein Ersatz für früher tatsächlich gelieferten Wein oder ein für Weinkauf des Klosters bestimmter Denar ist. Im ersten Falle müsste der Weinbau in unserer Gegend allgemein verbreitet gewesen sein. Im zweiten Falle wäre der Denar dazu bestimmt gewesen, dem Kloster den Weinkauf, der mit in Köln geschah, zu ermöglichen. Bei dem Denar für ein Huhn handelt es sich ganz sicher um den Ersatz für eine frühere Naturalabgabe. Man kann daher schlecht, dass „pro“ hier im Sinne von „anstatt“ und im Falle des hinweisenden „für" übersetzen. Daher muss angenommen werden, dass bei uns tatsächlich Wein angebaut wurde. Das klingt überraschend, doch nicht unmöglich. Es ist vielen nicht bekannt, dass der Weinbau früher nicht nur im Neckar­ und Main=, Mosel=, Ahr= und Rheingebiet betrieben wurde, sondern dass er im 10. Jahrhundert bereits in der Hildesheimer Gegend eingeführt wurde, dass er im 11. Jahrhundert in Thüringen und Sachsen, im 12. in Schlesien und Pommern und weiter bis Schleswig=Holstein und (durch den Deutschen Orden) bis Ostpreußen (Weichselwein!) Verbreitung fand. Erst der Dreißigjährige Krieg hat den Wein auf seine heutigen Anbaugebiete zurückgedrängt. Ist es also keineswegs unwahrscheinlich, dass im 10., 11. und 12. Jahrhundert auch bei uns Wein angebaut wurde, so können wir sogar sagen, wo in Herne Weinberge lagen. In den Katasterkarten von 1826 finden wir in Börnig an der Stelle, wo jetzt das kath. Krankenhaus steht, die Flurbezeichnung „im Weinberge“. Diese Stelle war der Südostabhang einer Erhebung, die „auf dem Berge“ hieß. (Noch heute klettert die Kirchstraße diesen Berg hinauf.) Ferner befand sich ein Berg (noch heute deutlich erkennbar) zwischen Castroper und Mont-Cenis-Straße gegenüber Teutoburgiahof, abfallend nach Börsinghausen. Auf der höchsten Stelle des Berges trägt die Katasterkarte die Flurbezeichnung „auf dem Weinberge“, am Fuße des Südostabhanges steht „vorm Weinberge". Da nun Flurbezeichnungen durchweg Jahrhunderte alt sind, müssen wir sie als Beweis für früher Gewesenes ansehen und daraus folgern, dass sie uns in unserem Falle tatsächlich noch Kunde geben von Abhängen und Erhöhungen, die einmal Weinberge waren. Dabei braucht man nicht einmal anzunehmen, dass diese die einzigen waren. Wenn uns zwei bis heute noch überliefert sind, hat es sicher noch mehrere gegeben, die uns nicht überliefert sind. Und so können wir wohl schlussfolgern, dass man im Kloster Werden einmal „Emscherwein“ Herner Wachstum getrunken hat.

Wenn so auch der Weinanbau bei uns so gut wie nachgewiesen ist, so hatte doch wohl die größere Bedeutung als Getränk das Bier, das in leichter, alkoholarmer Art in fast jedem Hause hergestellt wurde. Während schon im Urbar A mehrfach Braumalz (Malz = durch Feuchtigkeit zum Keimen gebrachte und dann durch Darren getrocknete Getreidekörner) als Abgabe gefordert wurde, erscheint jetzt „ein Malzgebräu Gerste, ein Malzgebräu Hafer“. (Malzgebräu, lat. bracium. Bracium ist nach Diefenbach, Glossa rium, „maltz, do man bier us macht“, nach Kötzschke S. 273 Anmerk. 10, zugleich eine Maßeinheit für Malz= 12 Scheffel). Man machte also Bier nicht nur aus Gerste, sondern auch aus Hafer. (Heute noch verwendet man Hafermalz. z. B. Herstellung von Malzkakao.)

Was im Urbar A nicht in die Erscheinung trat, hier aber fast durchweg erwähnt wird, ist der Frondienst (opus). Er ist bereits durch Geld abgelöst. Dass der Frondienst nicht im Kloster Werden geleistet wurde, ist wohl selbstverständlich, es kann sich nur um Dienste für oder auf dem Haupthof handeln. Aber auch dieser war oft so weit entfernt, dass die Arbeitsleistung kaum praktisch eingesetzt werden konnte. Daher ist ihre Ablösung durch Geld nur zu verständlich.

Erhalten geblieben ist dagegen auch noch im 12. Jahrhundert (und später) der Heerschilling als Wehrabgabe derjenigen, die nicht am Heeresdienst teilzunehmen brauchten.

Belehnung von Adelsgeschlechtern mit den größeren Klostergütern.

Wir haben oben gesehen, dass das Herner Gebiet zum Fronhofsgebiet Waltrop gehörte. Dieser ist im14. Jahrhundert selbständig geworden. Der Fronhof in Waltrop hieß, wie noch mehrere Abteihöfe Abdinckhoff (es gab noch einen Abdinckhoff Hillen im Vest Recklinghausen und einen Abdinckhoff bei Werne) und war 1397 an Ernst von Mengede, 1398/99 an Tonis (Antonius) van der Dunaw zu Lehen gegeben. Für ihn bezahlte 1408 Gerd von Bodelswengh einen Teil der rückständigen Abgaben. 1413, 1415 wie 1420 erhielt die Abtei aus den Händen derer von Dungelen (Dunaw dürfte wohl mit Dungelen identisch sein) die Abgaben. 1436 erscheint Evert Brndaaye van der Ebdinckhove bij Waeltorpe, 1474 Jaspar Brigdach toe Woltorpe. Von ihm heißt es in „Schades Register“ aus der Zeit der Klosterreform (1474—77): hevet eyne hant an den Ebdinckhove toe Woltorpe gelegen (er war zu einer Hand „behandelt“ mit dem Abdinghof in Waltrop).

Der Fronhof Marten war nach Schades Register den Bodelschwingh übertragen, der Fronhof Cramwinkel den von Eickel (später Rump zu Crange), der Abdinghof in Hillen den von Gaelen, der Fronhof Arenbögel (v. Osterfeld) den von Loe usw. Daraus ersieht man, wie aus den ursprünglichen Ministerial= oder Fronhöfen des Klosters Lehngüter adliger Familien geworden waren. Diese Entwicklung vollzog sich vor allem im 13. Jahrhundert, wo der Abt auf diese Weise Stützen der Macht und Dienstmannen zu gewinnen suchte. Allerdings entglitten ihm die Abteihöfe und Unterhöfe auf diese Weise so sehr, dass er nur noch einen Bruchteil der alten Einkünfte daraus erhielt.

Es war indes auch noch eine andere Scheidung eingetreten, deren Beginn bereits im 10. Jahrhundert zu verfolgen ist. Die Trennung in Abts- und Konventsgut. Ungefähr zwei Drittel des gesamten Klosterbesitzes standen schon früh zur alleinigen Verfügung des Abtes, während der Rest in die Gemeinschaft des Klosters oder des Propstes überging. So gab es neben den Abteihöfen auch einige Prosteihöfe. Ein Fron­ oder Sadelhof von großer Bedeutung, der zugleich Propsteihof war, war ==der Hof Heldringhausen==,

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Quellen