Ein Holsterhausener steht auf dem Brettl (Herner Zeitung 1935)

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Am 22. Mai 1935 wurde in der "Herner Zeitung" ein Artikel über Fred Endrikat veröffentlicht. [1]

Zeichnung aus dem Origianlartikel

Ein Holsterhausener steht auf dem Brettl

Einst Lehrling auf Shamrock — heute einer unserer besten Ansager
Fred Endrikats Humor

O. P. Holsterhausen, 22. Mai.
Bericht für die „Herner Zeitung“

Fred Endrikat, heute einer der hervorragendsten und geistig selbständigsten Ansager, stammt aus Holsterhausen. Aber auch er ist wie alle Wanne=Eickeler Berühmtheiten anderswo zur Welt gekommen. Mit dieser bedauerlichen Tatsache haben wir uns schon lange abgefunden. Deshalb werden auch die wenigen Wanne-Eickeler, die Endrikat „gut“ kennen, nicht überrascht sein, wenn sie erfahren, daß auch Fred einen ganzen Monat alt war, als er nach Wanne verpflanzt wurde. Seine Eltern verzogen damals von Nakel an der Netze nach dem aufgeblühten Westen des Reiches. Unser Pflaster muß es dem kleinen Fred angetan haben, daß er ebenso wie später Heinz Rühmann einen ausgeprägten Sinn für Humor entwickelte. Und einen Sinn für die schöne Dichtkunst. Schon in früher Jugend, als er noch die Friedrichschule in Holsterhausen besuchte, verfaßte er Gedichte, die er auf Schulfeiern gelegentlich des kaiserlichen Geburtstages und ähnlicher Anlässe vortrug.

Die Familie Endrikat ist am Orte gut bekannt. Sie ist seit etwa 45 Jahren in Holsterhausen, Dorstener Straße, ansässig. Die Kinder waren, wie der Vater darauf angewiesen, sich durch ihrer Hände Arbeit zu ernähren. Und so ging es auch Fred, der, nachdem er die Volksschule hinter sich hatte, auf der Kokerei der Zeche Shamrock 3=4 zu arbeiten begann. Dem Dichtergemüt des Jungen behagte dieser Zustand keineswegs, aber er hielt es zwei Jahre lang auf dem „Pütt“ aus...

Dann aber regte sich das gehemmte Talent des unterdessen 16 Jahre alt gewordenen Fred mit lautem Herzpochen und man erblickte ihn eines Tages als Ansager und „Vortragskünstler“ auf der Nehringschen Kleinkunstbühne. Wie sich seine Eltern zu diesem „Berufswechsel" stellten, ist uns nicht bekannt, immerhin besteht aber Grund zu der Annahme, daß sie ihn nicht billigten. Wie immer in solchen Fällen, brach sich das Genie aber Bahn. Der Anfänger bekam bald den nötigen Schliff, dazu fehlte es ihm nicht an Begeisterung, um durch dick und dünn seiner „Kunst" treu zu bleiben. Der Weg der ganz Kleinen ist rauh und dornig. Fred war jedoch zäh und allmählich begann sein Aufstieg. Er wanderte von Bühne zu Bühne, gastierte in Bochum, Dortmund und Essen. Nachdem er sich mit den Praktiken seines Metiers genug vertraut gemacht hatte, ließ er auch seinem Schöpfergeist freien Lauf. Sein literarisches Schaffen gewann an Reife und so erklomm er Stufe auf Stufe der Ruhmesleiter. Heute ist er, wie schon gesagt, in fast allen Großstädten des Reiches gut bekannt und sein Ruf ist ein in Künstlerkreisen gleich guter. Der Künstler ist 46 Jahre alt (so wird uns angegeben) und steht auf der Höhe seines Schaffens. Er ist mit der Tänzerin Edda Rymei aus Hamburg verheiratet und besitzt eine Landvilla am Starnberger See. „Fred Endrikat — ein Programm für sich!“, kannst du in den Kritiken lesen. „Wir sitzen im Kabarett, der Vorhang rollt auf. Fred erscheint. Mit seinem dicken Adreßbuch unterm Arm erscheint er, das ihn überall bei seinen Conferencen begleitet, sucht blätternd bei irgendwelchen Anfangsbuchstaben herum und schmettert dann seine tollen Verse ins Publikum, scheinbar zusammenhanglos — aber es scheint nur so. Auf seine Art, eine außerordentlich originelle und am deutschen Kabarett unbedingt einmalige Art, macht Endrikat Conference: er ist einer von den leider ganz wenigen, die wirklich literarisches Kabarett aufzuziehen verstehen, ob er nun ansagt oder aktuelle Songs zum Leierkasten singt(singt ist eigentlich etwas übertrieben).“ — So hat er seine eigene Art, und das, was er vorträgt, stammt durchweg aus der eigenen Kiste. Mit Derbheit spart er nicht, sie ist auf dem Brettl unvermeidlich. Aber in allen seinen Vorträgen liegt eine — und sei es auch nur kleine — Lebensweisheit.

Die Mucker und Miesmacher kann er nicht leiden, besonders nicht die „Dichter mit Weltschmerz". Sie sind mir ein widerwärtiges Pack, sagt er, ihnen fehlt etwas an der Verdauung:

„Ihr Dichter mit dem Weltenschmerz,
Welch trauriges Gemüse.
Ihr habt statt Menschenblut und Herz
Nichts als die Tränendrüse—“

Daraus ist natürlich nicht der Schluß zu zieben, daß Fred (der Tränendrüse bar) nicht aus dem Lachen herauskommt. O nein, auch für die ernsten Dinge des Lebens hat er ein Auge. Aber was ihn kennzeichnet: auch sie nimmt er von der menschlich=heiteren Seite. Er ist kein Witzbold, sondern er hat Humor. Bekanntlich kommt der Witz vom Geiste her und der Humor aus dem innersten Gemüt. Man befrage Wilhelm Busch! Ähnlich wie sein großer Vorläufer sieht Fred Endrikat die Dinge des Lebens, er erfasst sie mit einem unvergleichlichen Optimismus, nimmt sie aber ernst genug, um sie auch zu ergründen, zu suchen und aus ihnen zu lernen. So hat er auch feinsinnig pointierte Lyrik geschaffen. Ein Beispiel:

Man sitzt am Straßenrand auf einem Kilometerstein,
und läßt die And’ren stolz vorüberschreiten.
Man sieht sie latschen, hinken, stolpern oder gleiten,
und jeder möcht gern etwas mehr und schneller
als der And're sein.
Die Kleinen buffen sich nach vorwärts, grob und
ungezogen.
in ihrem Tun liegt— wenn auch— aber Ehrlichkeit,
Die Großen machen sich mit satter Würde breit,
und schieben sich nach vorn mit elegantem Ellenbogen.
Man sieht die Kleinen groß — die Großen wieder klein
und langsam hässlich werden.
Der ständige Wettkreislauf auf Erden
ist immer gleich — und immer wieder interessant.
Man sitzt am Straßenrand,
schaut ihnen nach — und lächelt hinterdrein.

Es ist immer wieder Endrikat. Immer derselbe, der mit lächer=, weiner= und träumerlichen Äugelein, der westfälische Holzhacker, der es mit der Interpunktion nicht so genau nimmt, auch nicht mit der Ausdrucksweise, immer etwas derb und so richtig den heimatlichen Bergmannston treffend. Wir aus dem Volk sprechen zum Volk — sprechen, wie uns der Schnabel gewachsen ist und mit Humor. Da purzeln die Worte durcheinander, da schütteln sich die Reime vor Lachen von unten nach oben, vom Frozzligen, Derbkernigen zum Weisen und Verständnisinnigen.

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Quellen