Politische Freiheit in der Herner Vergangenheit (26. Oktober 1928)

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
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Am 26. Oktober 1928 wurde im Herner Anzeiger einen zusammenfassender Artikel über einen Text von Fritz Hölkeskamp gebracht, der die geschichtliche Seite der Sozialdemokratie in Herne beleuchtet.[1]

Politische Freiheit in der Herner Vergangenheit

Recht interessante Einzelheiten weiß Fritz Hölkeskamp in der „Herner Volkszeitung“ über die Zeiten zu berichten, wo der Sozialdemokrat noch als Staatsverbrecher galt. Anlaß zu diesem geschichtlichen Rückblick bot die 50jährige Wiederkehr des Verkündigungstages des Sozialistengesetzes, des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie". Wir entnehmen dem Artikel einige allgemein=politisch, historisch und örtlich interessante Stellen.

Einer der tatkräftigsten und eifrigsten Verfechter der sozialdemokratischen Idee war in dem damals erst aus dem Ackerdorf herauswachsenden Herne der Bergmann Theo Menke, der heute noch als Parteiveteran sich großen Ansehens erfreut. 1889 war der erste große Bergarbeiterstreik. Damals ereignete sich folgende für die frühere Säbelpolizei charakteristische Begebenheit: Die streikenden Bergarbeiter machten einen Ausflug nach dem Grullbad in Recklinghausen-Süd. Kaum hatten sie sich im Grünen gelagert, da erschien der Polizeikommissar Brockmeyer, das Oberhaupt der Herner Polizei zu jener Zeit, hoch zu Ross mit einer Schar von Polizeibeamten. Sie stürzten mit gezogenem Säbel in die Masse der sich friedlich lagernden Arbeiter und trieben sie auseinander. Ein besonderes Vergnügen fand Brockmeyer darin, die flüchtenden Arbeiter in die Emscher hineinzujagen. Diese polizeilichen Drangsalierungen und Schikanen sind in der Folgezeit noch oft vorgekommen. Im Jahre 1890 fiel das Sozialistengesetz. Damit begann auch die Agitation und das parteiliche Leben in der Sozialdemokratie stärker zu werden.
So fand im Jahre 1890 bei der damaligen Reichstagswahl auch in Herne in der Lobeckschen Wirtschaft zum ersten Male eine sozialdemokratische Wahlversammlung statt. Dort sollte der damalige Kandidat Redakteur Lehmann sprechen. Bei dieser Reichstagswahl hatte die Sozialdemokratie im hiesigen Wahlkreis einen gewaltigen Stimmenzuwachs zu verzeichnen. Während bei der Reichstagswahl im Jahre 1887 im Wahlkreis Bochum=Herne für die Sozialdemokratie nur 1160 abgegeben wurden, stimmten bei der Reichstagswahl im Jahre 1890 8388 Wahler für diese Partei. Diese enorme Stimmenzunahme hatte zur Folge, dass eine ganze Anzahl von Bergarbeitern, die führende Mitglieder im „Alten Verbande“ der Bergarbeiter waren und in dem Verdacht standen, Sozialdemokrat zu sein, auf den Zechen gemaßregelt wurden und nirgends Arbeit bekamen. Dieses Los traf auch Theo Menke, dem am 1 Mai 1891 auf Zeche Julia gekündigt wurde. Er blieb aber weiter der Parteiarbeit treu. Ein Jahr lang eilte er täglich von Haus zu Haus und brachte in die Wohnungen der Arbeiter die damals in Gelsenkirchen erscheinende sozialdemokratische Zeitung „Die Volksstimme“. Aber das kärgliche Einkommen zwang ihn schließlich, den Herner Staub von seinen Schuhen zu schütteln und sein Heil, wie so viele andere Leidensgenossen, im Auslande zu suchen. Er ging nach Schottland, wo er mit August Siegel zusammen arbeitete, einem der letzten noch lebenden Alten, die die ganzen Verfolgungen der Sturm= und Drangzeit der deutschen Arbeiterbewegung mitgemacht haben.
Auch der damalige Wirt Adam Bomm war fortwährend den polizeilichen Verfolgungen und Schikanen des Polizeikommissars Brockmeyer ausgesetzt, weil er diese „gemeingefährlichen Leute“, in seinen Räumen tagen ließ. Kaum hatten sich die Arbeiter zu einer Versammlung oder Feier in seinen Räumen niedergelassen, da erschien Brockmeyer mit einem Polizeibeamten und verhängte über die Wirtschaft die Schanksperre. Adam Bomm ließ sich jedoch nicht einschüchtern und stellte den Vereinen und Verbänden seine Räume weiter zur Verfügung. Über das Vorgehen des Polizeikommissars Brockmeyer schreibt der Arbeiter=Gesangverein in seiner Festschrift zur Feier des 30jährigen Bestehens: „Im Jahre 1894 fand sich eine Anzahl freier Gewerkschaftler zur Gründung eines Arbeiter=Gesangvereins zusammen. Diese ging denn auch ohne Hindernisse vonstatten. Im Herbst des Jahres 1894 feierte der Verein sein Gründungsfest. Aber jetzt kam die Sache anders. Ein Arbeiter=Gesangverein in Herne, welcher sich das freie Lied zu eigen machte, war doch zu schrecklich, deshalb versuchte man, den Verein unschädlich zu machen und seine ersten Lebenskeime zu ersticken. Am Abend des Festtages erschienen Polizeibeamte und Gendarmen unter Führung des Polizeikommissars Brockmeyer, welcher als erster das Brunsche (jetzt Dietze) Lokal betrat, wo der Verein seine Feste feierte, und Feierabend bot. Die Anwesenden machten sich bereit, den Saal zu verlassen, da ertönte schon wieder die Stimme des Kommissars: „Feierabend zum ersten, zweiten und dritten Male!“ Jetzt begann die Attacke; wie auf ein Kommando hatten alle Gendarmen und Polizisten ihre Säbel gezogen auf Männer und Frauen. Ein jeder rettete sich, so gut es ging: man sah Frauen, die durchs Fenster sprangen. Draußen wurde die Attacke fortgesetzt. Revolverschüsse durchhallten die Nacht. Ein Festteilnehmer, namens Pähler, erhielt einen Schuss ins Bein und musste sich ins Krankenhaus begeben. Nach der Heilung wurde er noch mit 9 Monaten Gefängnis bestraft. Der Invalide Stein bekam 6 Monate, Schneidergeselle Kranich 3 Monate. Besonders hervorzuheben sind die Polizeibeamten Brockmeyer, Münter, Büschel und Viet, welche sich an jenem Abend hervorgetan haben.
Diese brutale Gewaltanwendung des damaligen Herner Polizeikommissars gegen die Anhänger der Sozialdemokratie hat dann im nächsten Jahre zu einem fürchterlichen Drama geführt, dem „Essener Meineids=Prozeß gegen Schröder und Genossen". Der Verlauf war nach den Ausführungen Fritz Hölkeskamps in der H. Volksztg. folgender: Am 2. Febr. fand im Saale des Wirts Sichtermann in Baukau eine von dem Führer des „Christlichen Gewerkvereins der Bergarbeiter", August Brust, einberufene Bergarbeiterversammlung statt. Da die Christen freie Diskussion zugesichert hatten, ging der damalige Führer des „Alten Verbandes“, der Bergarbeiter Schröder, mit einigen seiner Bekannten in die Versammlung. Auffallend war das große Polizeiaufgebot vor dem Versammlungslokal. Als Schröder das Wort zur Geschäftsordnung verlangte, wurde er von Brust aus dem Saal gewiesen und der Gendarm Münter von diesem mit der Ausführung seiner Anordnung beauftragt. Schröder ging hinaus, wurde aber an der Saaltür von Münter mehrmals zu Boden gestoßen. Dieses Gebaren des Gendarmen Münter wurde in dem Organ des Bergarbeiter=Verbandes gebührend kritisiert. Der verantwortliche Redakteur Margraf wurde darauf verklagt. In diesem Prozess. der vor der Essener Strafkammer sich abspielte, beschworen Schröder, Meyer, Gräff, Wilking, Beckmann, Imberg und Thiel, dass Münter den Schröder zu Boden gestoßen habe. Doch der gegenteilige Eid des Gendarmen Münter wurde vom Gericht anerkannt. Der Redakteur wurde bestraft und die anderen wegen Meineids verhaftet und verurteilt. Schröder erhielt 2 Jahre und die anderen sogar über 3 Jahre Zuchthaus. Als im Jahre 1911 das Wiederaufnahmeverfahren erfolgte, da wurden die so schwer Bestraften von dem Meineid freigesprochen.

Die Sozialdemokraten schlossen sich damals in Herne zu einer losen Parteiorganisation zusammen, denn das damalige Vereinsgesetz verbot jede politische Vereinsbildung. Erst, als im Jahre 1898 dieser§ 8 des Vereinsgesetzes fiel, da schritt man zu der Gründung des „Sozialdemokratischen Vereins von Herne und Umgegend“. Diese Gründung erfolgte im Mai des Jahres 1898. 18 Mitglieder traten dem neugegründeten Verein bei. Einer der Unerschrockenen, der damals diesen ersten Verein gründen half, war der jetzige unbesoldete Beigeordnete Julius Benz. Ihm war als Schriftführer des neugegründeten Vereins die Aufgabe zuteilgeworden, den Verein bei der zuständigen Polizei anzumelden. Das damalige Vereinsgesetz schrieb nun vor, dass bei der Anmeldung auch die Mitgliederliste einzureichen sei. Das war nicht geschehen, man hatte nur die Namen des Vorstandes übermittelt. Benz und die beiden übrigen Vorstandsmitglieder erhielten von dem Polizeikommissar Brockmeyer, der damals auch der Amtsanwalt von Herne war, eine Geldstrafe von 15 Mark, die sie dann bei Wasser und Brot en den dunstigen Gefängnismauern absitzen mussten. Die Polizei hatte nun nichts eiligeres zu tun, als der Zechenverwaltung Konstantin, wo Benz arbeitete, Mitteilung von diesem „gemeingefährlichen Sozialdemokraten“ zu machen. Das führte kurz nach seiner Haftentlassung zur Maßregelung.

Seitdem wurde ihm auf einer Zeche nach der anderen gekündigt, so dass er aus weit mehr als 30 Arbeitsstellen tätig gewesen ist. Die vielen Maßregelungen und polizeilichen Drangsalierungen eines Kommissars Brockmeyer ließ dieses zarte Vereinspflänzchen nicht recht zur Entwicklung kommen. Der „Sozialdemokratische Verein“ schlief wieder ein, bis man dann im Juni 1904 wieder zur Neugründung schritt.
Ein wichtiges Ereignis in dieser Zwischenzeit soll nicht unerwähnt bleiben, wenn wir auch dem Verfasser Fritz Hölkeskamp die Verantwortung für die Richtigkeit der Darstellung überlassen müssen. Im Jahre 1899 war wegen der gewaltigen Erhöhung der Knappschaftsbeiträge für die Schlepper aus den hiesigen Zechen ein sogenannter „Schlepperstreik“ ausgebrochen. Viele Bergleute hatten sich eines Nachmittags auf der Bahnhofstraße angesammelt, um demonstrativ ihren Unwillen darüber kundzutun. Brockmeyer hatte alle seine Polizeibeamten auf die Beine gebracht und zur Verstärkung Polizei und Gendarmerie aus dem Landkreise Dortmund und Bochum herangezogen. Die Polizei, aus dem Steinweg und der Marienstraße kommend, trieb die streikerden Arbeiter. aus diesem kurzen Stück der Bahnhofstraße so in die Enge, dass Mann an Mann stand und keiner sich zu rühren in der Lage war. Die Menge wurde nun von der Polizei aufgefordert, auseinanderzugehen, was natürlich vollständig unmöglich war. Darauf erteilte Polizeikommissar Brockmeyer der Schutzmannschaft den Befehl, zu schießen. 8 Tote gab es und 22 Verletzte. Die Herner Stadtbehörde, an der Spitze der frühere Oberbürgermeister Schaefer zollte dem tatkräftigen Vorgehen des Polizeikommissars Brockmeyer und seiner Schutzmannschaft besonderen Dank. Zur Belohnung dafür wurde Oberbürgermeister Schaefer, dem damals die Polizeigewalt von Herne oblag, von der Regierung mit dem Roten Adlerorden 3. Klasse, und Polizeikommissar Brockmeyer mit dem Roten Adlerorden 1. Klasse ausgezeichnet. Außerdem bekam Brockmeyer noch für sein Totschießen 100 Mark und jeder beteiligte Polizeibeamte 75 Mark als Belohnung ausgehändigt. Man sieht hieraus, wie ganz anders die staatliche, behördliche und gesellschaftliche Denkart gegenüber der Sozialdemokratie war, als heute.
Dieses vereinte Vorgehen von Behörde und Polizei brachte die Arbeiterschaft erst recht auf. Die Sozialdemokratische Partei nahm darum in den nächsten Jahren einen gewaltigen Aufschwung, so dass bei der Reichstagswahl im Juni 1903 der damalige Reichstagskandidat Otto Hue hier in Herne 2756 Stimmen erhielt, während der nationalliberale Kandidat nur 2156 Stimmen bekam. Das war ein gewaltiger Erfolg für die Sozialdemokratische Partei in Herne, wenn man bedenkt, dass damals Herne ungefähr 8459 Bergbaubeschäftigte und 800 Fabrikarbeiter hatte.


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Quellen