Vom alten Kirchplatz und vom Steinweg (1943)
Der Autor w-r widmete am 16. Oktober 1943 in der Herner Zeitung einen besonderen Artikel über eine Wanderung vom Kirchplatz Hernes zum Steinweg anhand eines Adressbuches von 1892.[1]
Vom alten Kirchplatz und vom Steinweg
Es ist eine schöne Sache, sich anhand von alten Zeichnungen, Stichen oder auch aus alten Büchern ein Bild von der Vergangenheit unserer Heimatstadt zu machen. Gewiss wird mancher unserer Leser sagen, was habe ich davon, was nützen mir die Kenntnisse vom alten Herne. Dagegen werden viele unserer älteren Leser sich beim Lesen dieser Zeilen mit Freuden ihrer Jugendzeit erinnern und mancher lose Streich, in ausgelassener Jugendfreude verübt, in die Erinnerung zurückkehren. So helfen wir mit, die Tage der Alten in ihrem Ruhesitz zu verschönen und auf den Gesichtern trotz der Schwere der Zeit ein vergnügliches Lächeln zu zaubern.
Wenn wir die Gegend um den Alten Markt in südöstlicher Richtung betreten, so findet ein aufmerksamer Beschauer sofort die Merkmale des Kernes der alten Siedlung Herne. Vieles hat sich schon gewandelt. Der alte Kirchplatz als solcher hat seine Bezeichnung verloren und musste sich auch eine Begradigung gefallen lassen. Auch der Steinweg ist nicht mehr der alte von Anno dazumal. Menschen und Straßen haben sich verändert. Aber doch haben sich Namen erhalten an dieser Stelle, wie Nordmann. Andere sind an anderer Stelle durch ihre Nachfahren ansässig geworden in Herne, wie der Kaufmann Niehage. Machen wir einmal einen kleinen Spaziergang anhand eines Adressbuches aus dem Jahre 1892.
Da finden wir auf dem Kirchplatz unter der Nummer 1 den Drogisten Ludwig Rautert aufgezählt, in der Nr. 2 hatte der Restaurateur Veuhoff seine Wirtschaft, das Haus gehörte dem Konditor Gustav Veuhoff. In dem Saal dieser Wirtschaft tagte lange Jahre die Amtsversammlung sowie der Gemeinderat von Herne unter dem Vorsitz des Amtmanns und späteren Oberbürgermeisters Schaefer. In den Sitzungen gingen die Beratungen vor sich unter starker Rauchentwicklung. Bevorzugt war die Lieblingszigarre des Amtmanns „La Rosita“.
In Nr. 3 wohnte der Kaufmann Otto Altfeld und in Nr. 4 hatte Funke selbst eine Wirtschaft. Man sieht, dass die Alten neben der Kirche gern den Kaufmann, die Wirtschaft und die Schule hatten. Nicht umsonst ging das Sprichwort um: wo ein Brauhaus steht, braucht kein Backhaus stehen.
Die Nr. 5 bewohnte der Eisenwarenhändler Heinrich Grunner. Daneben stand unter Nr. 6 das alte Herner Amtshaus, jetzt Bäckerei Althoff. In dem Hinterhaus des Amtshauses befand sich der „Pittermann" oder das Polizeigewahrsam. Aufseher und städtischer Polizeisergeant war Torlümke. Gelegenheit zum Wareneinkauf war hier überreichlich. Im Hause Nr. 8 befand sich ebenfalls ein Konditor namens Friedrich Claas. Und da mit unser vorhin erwähnter Spruch zu Recht bestehe, betrieb Erfmann im Hause Nr. 9 zur Abwechslung eine Wirtschaft.
Hatten die Frauen unserer Vorfahren genügend Gelegenheit, sich mit ihren Freundinnen bei einem Köppken echten mit den dazugehörigen Schnagelhäusern oder den so beliebten Cremeschnittchen zu treffen und der Unterhaltung zu pflegen. was Minchen und Trinchen, die Töchter, in der Pension gelernt hatten usw., so konnten die Männer nicht klagen, keinen Grund zu haben, wo sie zum Zehnührken oder nach Feierabend die „Hacke untersetzen“, sollten zum Dämmerschoppen oder zum Skat. Aber den kannte man damals noch nicht, wohl aber den Solo.
Um gleich fortzufahren in der Hausnummer, so finden wir in Nr. 10 wieder einen Wirt, nämlich die Wirtschaft von Heinrich Nordmann. Ein kleines Sälchen ging zum Steinweg hinaus. Den rechten Flügel, auf unserem Bilde etwas undeutlich, hatte der Kaufmann Niehage inne. In diesem Hause wurde die heute noch blühende Firma Niehage auf der Bahnhofstraße gegründet. Nordmann hatte einen schönen Ausspann für die Breaks der Bauern, die den Gottesdienst in Herne besuchten. Es handelte sich um die Einwohner von Hiltrup und Bergen, die damals zur Ev. Kirchengemeinde Herne gehörten. Damit der Geist nach dem Fahren auf den Feldwegen wieder zur Ruhe und ins Gleichgewicht kam, wurde beim Wirt vor der Kirche ein großer Schnaps bestellt und halb ausgetrunken. Der Rest wurde als Wegzehrung vor der Rückfahrt nach der Kirche einverleibt. In Nr. 18 hatte der Lederhändler Röhl seine Handlung, daneben übte der Raseur Heinrich Wittkämper seine verschönende Tätigkeit aus. Endlich im Hause Nr. 14 wohnte der Fuhrunternehmer G. Hirdes.
Wenden wir uns nun dem Steinweg zu, so wohnte in dem Haus Nr. 1 der Landwirt Fr. Rembert, bei ihm in Untermiete der Schuhmacher Heinrich Trösken, der im Nebenamt das Küsteramt an der Ev. Kirche versah. Nebenan in Nr. 2 betrieb der Pferdemetzger Johann Hövel sein Handwerk. Küster und Pferdemetzger gehörten in der Jugenderinnerung zusammen. Wenigstens konnten sich die Jungen den einen ohne den andern nicht zusammenreimen. An Sonnabenden wurde doch mit allen Glocken geläutet. Durch das viele Sitzen auf dem Schusterschemel waren dem Meister Pechdraht die alten Knochen etwas steif geworden, da mussten denn zum Läuten die Jungen her." Die unterzogen sich diesem kirchlichen Dienst gern. Einmal konnte man sich so schön mit den schwingenden Seilen in die Höhe ziehen lassen, zum andern lieferte der Küster als irdische Belohnung für jeden hilfsbereiten Jungen ein Würstchen aus der Metzgerei von Hövel. Aus diesem Grunde waren beide für die Jungen ein Begriff des Wohlbehagens. In dem vorgenannten Sälchen von Nordmann, das am Steinweg die Nummer 5 führte, wohnte noch als Mieter der Anstreicher Steinhoff.
So hätten wir im Geiste uns zurückversetzt in die Gegend um den Alten Markt. In vielen Städten, wie in Münster, gab es für solche zusammengefassten und ineinander hakenden Gebäude- und Straßenteile den Sammelnamen „Drubbel“. Ähnlich muss man sich die Gegend um den alten Herner Steinweg und den Kirchplatz vorstellen. w-r
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