Aus der Geschichte des Eickeler alten Armenhauses (Grasreiner 1925)

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
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Der Gelsenkirchener Rektor Reinold Grasreiner widmete anlässlich einer Werbewoche Wanne-Eickel-Röhlinghausen am 25. Juli 1925 in der Festausgabe der Wanne-Eickeler Zeitung Nr. 172 einen besonderen Artikel[1] über das Armenhaus Eickels.

„Aus der Geschichte des Eickeler alten Armenhauses

Es war ein kleiner, unansehnlicher Bau, das Eickeler alte Armenbaus. Nicht in den unregelmäßigen Häuserkranz um den Dorfplatz, aus dem sich das alte Kirchlein erhob, war es hineingeflochten, nein, wie ein Aschenputtelchen musste es sich abseits, scheu im Hintergrund versteckt halten, damit ja seine stolzeren Geschwister mit ihm nicht so leicht in Berührung kämen. Schon der Zugang zum Häuschen vom Dorfmittelpunkt aus war nicht so leicht zu finden. Nur auf schmalem, gewundenem Gäbelein kam man nach Holpern und Stolpern zum Armeleutehaus. Wann das Gebäudlein Geburtsjahr hatte, verraten nicht einmal die Geschriften in den Kirchenbüchern.

Jahrhunderte hindurch barg das Armenhaus drei bis fünf Arme. So oft ihrer begehrt wurde, mussten sie auf Arbeit geben. Der kleine Arbeitserlös fiel allen Armenhausinsassen gemeinsam zu. Manche Arbeiten aber mussten sie unentgeltlich verrichten. So hatten sie jeden Samstagabend den mit Steinplatten belegten Fußweg, der vom Pfarrhaus nach der Kirche und nach der kleinen Schule hin führte, zu reinigen, auch hatten sie das Innere des Kirchleins sauber zu halten.
Ihre Lebensbedürfnisse erhielten die Armen aus der Armenkasse von den „Provisoren“ oder Kirchenrentmeistern zugestellt, so Fleisch, Butter, Roggen zum Brotbacken, Salz, Oel, Seife, Garn zum Stricken, Kleidungsstücke, Betten, Arbeitsgeräte. An den hohen Feiertagen, insbesondere zu Weihnachten, wurden die Armen besonders bedacht. Die Klingelbeutelgelder der zweiten Feiertage wurden für gewöhnlich nicht in den Armenstock abgeführt, demnach auch nicht verrechnet, sondern unmittelbar an einzelne Arme abgegeben. Die Gelder zur Bestreitung der Kosten für das Armenhaus setzten sich auf die mannigfachste Weise zusammen, so z. B. aus „Renten", Erbpächten, Schenkungen. Ein Bauer des Kirchspiels musste jährlich ½ Scheffel Roggen geben, ein anderer desgleichen, ein dritter einen ganzen Scheffel Roggen, ein vierter und ein fünfter je ½ Scheffel Roggen, ein sechster 2 Brote, ein siebenter 2 Brote und 20 Stüber. Das adlige Haus Dorneburg lieferte alljährlich zu Weihnachten 4½ Scheffel Roggen, zu Ostern ein Brot und eine halbe Seite Speck. Manche Leute gedachten im Augenblick ihres Absterbens des Armenhauses durch Vermächtnisse, deren Zinsen den Armen nun zuflossen. Sogar ein in das Armenhaus aufgenommener Fremder vermachte auf dem Sterbebette sein Kapital von 2½ Reichstaler den Eickeler Armenhäuslern. Dass man auch beim Pferdehandel des Armenhauses gedachte, zeigt eine aus diesem Anlass gemachte Schenkung von 25 Talern. Diese unverhältnismäßig hohe Summe lässt allerlei Rückschlüsse auf den Geber zu.

Lage des Armenhauses (oben links) um 1902

Dem Grundstock für Armengelder flossen auch noch andere Gelder zu. Das Armenhaus hatte Schüsseln, Töpfe und dergleichen Sachen zum Verleihen, sogar — eine Totenbahre. Aus dem Jahre 1613 heißt es über die Verleihung: „Daß einer, der die Schüsseln und Bahre zum Leiben begehret, soll jährlich den Armen davor geben 2 Reichstaler. Dessen soll auch keiner im Kirchspiel Schüsseln und Bahre haben, denn allein der, dem die Armen sie verleiben, und derselbe soll dann auch dabei im Schutz des Besitzes sein.“ Später wurde der Leihpreis abgeändert. 1769 zahlte man für jedes Stück an Schüsseln, Töpfen usw. 1 Stüber (= 1 Pfennig). In demselben Jahre betrug der Erlös 11 Reichstaler 9 Stüber. Das entspricht fast dreitausend Einzelverleihungen,— für das damalige Kirchspiel Eickel gewiss eine recht große Anzahl, was darauf schließen lässt, das man damals nicht wenig „feierte“. Dock im Laufe der Zeit sank die aus der Verleihung erzielte Einnahme von Jahr zu Jahr. 1825 hörte sie gänzlich auf. So oft auf dem adligen Haus Dahlhausen ein Sterbensfall vorkam, wurde vor dem Altar in der Kirche zu Eickel sechs Wochen lang die Bahre aufgestellt. Das darüber hängende schwarze Tuch wurde nach Ablauf der sechs Wochen der Armenkasse überwiesen. Auch die „Gottesheller“, die bei Gelegenheit von Käufen vom Verkäufen gezahlt wurden, flossen in die Armenkasse, desgleichen die Gelder, die ein Wirt für „Musik“ zu zahlen hatte. Diese Musikgelder trugen oft jährlich 10 bis 15 Reichstaler ein. Auch daraus kann man wieder schließen, dass die Bauern in damaliger Zeit recht musik=, tanz= und festfreudig gestimmt waren— trotz des fast immer herrschenden Kriegselendes. Erst mit dem Jahre 1848 hörte die Einzahlung der Musikgelder in die Armenkasse auf.
In alten Zeiten belief sich das Armenkassenkapital auf ziemlich ansehnliche Summen, so 1612, wenige Jahre vor Ausbruch des dreißigjährigen Krieges, aus 500 bis 512 Taler: 1650, gleich nach Beendigung jenes Krieges auf 900 bis 1000 Taler: 1768, nicht lange nach Aufhöre: des Siebenjährigen Krieges, auf 750 bis 775 Taler.
Der „Armenstock“ in der Kirche hat wiederholt die ganz besondere Aufmerksamkeit der Spitzbuben erregt. Einmal wurde der die Armen treffende „Schaden von dem Grafen Werner von der Recke=Volmarstein auf Haus Overdyck (Hamme=Bochum) sofort wieder gut gemacht durch eine Schenkung von einem Friedrichsdor.
In den schriftlichen Nachweisen über das Armenhaus ist wiederholt die Rede von Gesindel. Und in der Tat gab es in dem Hause Leute, die vollständig verkommen waren. Eine besonders liederliche Armenhäuslerin mit Namen Sibylla suchte man dadurch zu bessern, dass man ihr die Gebühren und Zuwendungen entzog. Aber...:
Sibylla ist nicht zu verbessern,
denn ihr berühmter Lebenslauf
wußt' ihre Schönheit zu verbessern
und hob sie bis in Himmeln rauf.
Kein Bettelmann ist so voll Läuse
als sie voll guter Sitten ist,
und man auf ganz besondre Weise
etwas aus ihren Mienen liest.
Jungfer Sibylla verkam vollständig und starb.

Im Laufe der Zeit hatte sich eine bestimmte Ordnung herausgebildet, welche genau vorschrieb, wann, was und wieviel jede Person im Armenhaus bekommen sollte. So wurde 1755 folgende Verpflegungsordnung gegeben:

  1. An Brotkorn alle sechs Wochen 1 Scheffel Roggen auf 2 Personen; dazu kommen noch die Brote, welche von Hausarmen selber eingenommen werden.
  2. An Kochkorn von Mai bis Michaelis alle zwei Monate 1 Viertel, da sie (die Armen) bei andern Leuten vielfach essen oder sich Essen holen, von Michaelis bis Mai aber alle Monate 1 Viertel.
  3. An Butter auf 2 Personen in 6 Wochen 2 ...(?).
  4. An Fleisch jährlich auf 2 oder mehr Personen 50 bis 60 Pfund Rindfleisch und etwas Speck anzuliefern.
  5. An Oel nichts mehr, damit sie (die Armenhäusler) nicht lange sitzen und allerlei Gesindel bei sich nehmen, sie übrigens auch das wenige Oel, was sie gebrauchen müssen, selber beschaffen können.
  6. Für Wäsche jährlich nur 2 Pfund Seife, weil sie selber dafür sorgen können und sich dann nicht von fremdem Gesindel ausnutzen lassen.
  7. An Kohlen jährlich 2 Karren, es sei denn, dass die höchste Not mehr erfordere.
  8. Ohne Vorwissen des Predigers sollen die Hausarmen keine neue Kleidung empfangen.

Zu dem Armenhaus war stets großer Zudrang. So mussten denn viele oft lange Zeit warten, ehe sie aufgenommen werden konnten. Die Armen aus dem Kirchspiel hatten den Vorzug. Doch berücksichtigte man auch andere, sogar fremd hergekommene Arme.
1730 wurde das Armenhaus gründlich ausgebessert, 1800 mit einem neuen Strohdach versehen. 1805 wurde es für 3 Taler verpachtet und 1825 an den Pächter verkauft. 1816 und 1873 ging es durch Kauf wieder in andere Hände über. Von den Erben des letzten Besitzers kaufte es dann gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die Gemeinde Eickel. So kam das schicksalsreiche Häuslein wieder in die Hände seines ursprünglichen Besitzers zurück. Unbenutzt stand nun das Armenhaus da, dieser Zeuge aus einer längst vergangenen Zeit, halb verfallen, lebensmüde, dem Untergange geweiht, bis es endlich zu Anfang dieses Jahrhunderts niedergelegt wurde. Damit verschwand auch der Balken über der Haustür mit dem frommen Spruch:
Wer sich des Armen erbarmet, der leihet dem Herrn“.
R.G. (= Reinhold Grasreiner[2], Gelsenkirchen)


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Quellen

  1. Vgl.: Zeitpunkt.NRW
  2. Christian Reinold Grasreiner war Schulrektor und glühender Heimatforscher. Geboren am 31. Oktober 1863 in Auengrund-Crock in Thüringen, gestorben am 12. Februar 1935 in Dortmund. Herausgeber eiens Heimatbuches und Autor zahlreicher Schriften.