Bilder aus Ruhrkohlenbezirk - Herne - 1897

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
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Der General-Anzeiger für Dortmund etc. brachte in seinem 10. Jahrgang am 3. Dezember 1897 Nr. 332 folgenden Artikel über Herne, seine damalige Situation und Geschichte.

Bilder aus dem Ruhrkohlenbezirk.

XVIII. Herne. [ 1897 ]

Die jüngste Stadt im Königreich Preußen ist Herne im Landkreise Bochum, denn erst seit April 1897 ist es aus dem bisherigen Amtsverbande ausgeschieden, um eine selbständige städtische Verwaltung zu erhalten.

Vor 40 Jahren war Herne noch ein unbedeutendes Kirchdorf mit einigen hundert Seelen, heute ist es eine der auflebendsten Industriestädte des Ruhrbezirks mit einer Einwohnerzahl von etwa 20000. Der großartige Aufschwung, den Herne erfahren hat, begann mit der Eröffnung der Köln-Mindener Eisenbahn im Jahre 1847 und der damit verbundenen Anlage der Eisenbahnstation, die den Namen Herne=Bochum erhielt. Die benachbarte Kreisstadt Bochum entbehrte damals noch einer Eisenbahn und da die Station Herne ihr am nächsten lag, erhielt diese den erwähnten Doppelnamen.
Der von Norden und Süden ihr zuströmende Verkehr machte die Station Herne=Bochum bald zu einer der frequentesten der Strecke Dortmund-Oberhausen, was zur Folge hatte, daß der Ort sich immer mehr nach Norden bis in die Nähe des Bahnhofes und später sogar bis über diesen hinaus ausdehnte. An der heutigen langen Bahnhofstraße mit ihren großartigen Kaufhäusern, Hotels und Restaurants standen bis gegen Ende der sechziger Jahre erst wenige Häuser aus Fachwerk, ganz in dem früheren ländlichen Style gehalten Das Dorf mit seiner ganzen Umgebung hatte einen sehr monotonen Charakter, da der dortige Kohlenbergbau sich noch in der ersten Entwickelung befand.
Die erste Zeche, welche in der Nähe von Herne entstand, war Shamrock. Dieser Zeche, welche von einem englischen Konsortium, an dessen Spitze der bekannte verstorbene Großindustrielle Mulvany in Düsseldorf stand, zu Anfang der Sechziger Jahre angelegt wurde, verdankt Herne hauptsächlich seine heutige Größe und Bedeutung, denn die günstigen unterirdischen Aufschlüsse, welche auf dieser Zeche gemacht wurden, regten zur weiteren Anlegung von Kohlenschächten in der Nähe des Ortes an.
So entstanden alsbald die Zechen von der Heydt, Julia, Barillon zwischen Herne und Baukau, deren Besitzerin eine belgische Gesellschaft war, ferner die Gewerkschaften Friedrich der Große. Mont=Cenis u. a. Alle diese Zechen gehören noch heute zu den bedeutendsten des Ruhrbezirks, da sie im Laufe der Zeit ganz erheblich erweitert worden sind.
So ist die Stadt Herne heute gewissermaßen mit einem Ring von großen Steinkohlenzechen umgeben, auf denen viele Tausende von Arbeitern lohnende Beschäftigung finden und deren Zahl sich durch den Zuzug fremder Arbeiter aus Nah und Fern noch fortwährend vermehrt.
Den ersten großen Zuzug erhielt Herne durch Arbeiter aus dem Minden=Ravensbergischen, als an Stelle der dortigen Hausindustrie die großen Webereien traten und das Holzschuhmachergewerbe infolge einer neuen Mode dort zurückging. In großer Anzahl kamen die jungen, kräftigen Burschen aus dem Ravensbergischen in ihrer blauen Leinwandtracht herangezogen, um auf den Zechen bei Herne Arbeit zu suchen.
Infolge des damaligen fühlbaren Arbeitsmangels beim Kohlenbergbau wurden die fleißigen, nüchternen Leute von den Zechen gern eingestellt, und die „Pickerbühls“, wie sie von der einheimischen Bevölkerung scherzend genannt wurden, bildeten bald einen festen Stamm tüchtiger Bergleute im Herner Bezirk, die sich inzwischen mit der älteren Bevölkerung derart vermischt haben, daß nur noch ihre Namen, die zumeist auf „Meyer“(Brinkmeyer, Wehmeyer usw.) endigen, an ihre frühere Heimat erinnern.
Als zu Anfang der Siebziger Jahre der französische Milliardensegen einen unerwarteten großen Aufschwung der Montanindustrie zur Folge hatte und die Arbeitskräfte im Ruhrbezirk sehr gesucht waren, wurde auch Herne und dessen Umgebung von „Westfalengängern“ aller Nationen überschwemmt. Aus Oberschlesien, Posen, Ost= und Westpreußen strömten die Arbeiter in großen Schaaren herbei. Dazu kamen noch die von den Zechen als Gesteinshauer (Querschläger, wie diese Arbeiter auch genannt werden) sehr gesuchten Italiener und Oesterreicher.
Auf diese Weise entstand in Herne und den benachbarten Orten eine sehr bunt gemischte Bevölkerung, deren stetiges Anwachsen wieder eine sehr rege Bautätigkeit nach sich zog. Von dem großen wirtschaftlichen Krach, der bald darauf eintrat, blieb zwar auch Herne nicht ganz verschont, indes Dank der großen Solidität, deren sich der benachbarte Kohlenbergbau seit jeher erfreut, überwand es die Folgen leichter, als mancher anderer Industrieort, und so konnte der Ort sich nach einem kurzen Stilstande ruhig weiter entwickeln.
Seit etwa 10 Jahren ist Herne wieder in ein schnelleres Tempo der kommunalen Entwickelung getreten. Die Bautätigkeit hat sich ganz gewaltig gesteigert und das ehemalige Dorf hat dadurch ein vollständiges städtisches Gepräge erhalten. Die Einwohnerzahl ist in letzter Zeit in einem rapiden Steigen begriffen und überall, wohin man blickt, herrscht große Regsamkeit, Schaffensfreudigkeit und Unternehmungslust.
Unter diesen Verhältnissen war es nur zu natürlich, daß der regsame Ort in jüngster Zeit aus dem bisherigen Verhältnis als Landgemeinde ausschied und eine städtische Verfassung erhielt. Und wahrlich, Herne braucht sich als Stadt den benachbarten Städten Gelsenkirchen und Recklinghausen gegenüber nicht zu schämen, denn es steht in keiner Beziehung mehr hinter diesen zurück. Die elektrische Straßenbahn vermittelt einen regen Verkehr mit Bochum und den dazwischen liegenden industriereichen Ortschaften Riemke und Hofstede, und die Zeit ist nicht mehr fern, wo auch Recklinghausen, Bruch, Eickel und Castrop mit Herne durch eine Straßenbahn verbunden sein werden.
Die Geschichte von Herne bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts ist mit der des benachbarten Ritterguts Strünckede eng verwachsen. Die Herren von Strünckede, die ältesten Besitzer dieses Gutes, waren schon im 13. Jahrhundert nicht nur im Besitz der Gerichtsbarkeit von Herne, sondern auch der der benachbarten Herrschaft Castrop. Auf Strünckede befand sich eine Art Obergericht, welches eine Berufungsinstanz gegen die von den benachbarten Hofgerichten gefällten Urteile bildete. In Herne und Umgegend entstand bei Streitigkeiten daher die Redewendung: „Ik will dat vam Taurn to Strünckede hören.“ Im Jahre 1263 begab sich Ritter Gerhard von Strünckede weil er sich gegen seine zahlreichen benachbarten Feinde, zu welchen namentlich auch die Beste Recklinghausen gehörte, allein nicht halten konnte, unter den Schutz des Grafen Dietrich von Cleve und erklärte demselben gegenüber sein Schloß zum Offenhause. Die Nachfolger von Gerlach zeigten sich dagegen dem Grasen von Cleve gegenüber häufig sehr widerspenstig und unter den zahlreichen Fehden, welche hieraus entstanden, hatte das Dorf Herne oft schwer zu leiden. 1396 entzog Graf Adolf II. von Cleve den Herren von Strünckede die gesamte Gerichtsbarkeit, belehnte jedoch alsbald Bernd von Strünckede auf's neue damit.
Als einer der verwegensten Raubritter seiner Zeit galt der Reichsritter Godert von Strünckede.
Seine Gewalttätigkeiten und Räubereien, namentlich gegen das Stift Cappenberg, hatten zur Folge, daß er 1418 in die Reichsacht erklärt und der Herzog Adolf von Cleve=Mark mit der Exekutive gegen ihn beauftragt wurde. Das Gericht Strünckede wurde den Besitzern auf's neue entzogen und dem Amte Bochum einverleibt.
Nachdem Godert von Strünckede gestorben, söhnten sich seine sieben Söhne mit dem Herzog aus, worauf sie einen Teil ihrer früheren Rechte zurückerhielten.
Die Reichsritter von Strünckede scheinen indes auch später von ihren Räubereien nicht haben ablassen zu können, wenigstens mussten die Herzöge von Cleve wiederholt gegen sie zu Felde ziehen und sie zu Ruhe bringen. So wurde gegen 1510 ein Ritter Reinhard von Strünckede, der sich arger Räubereien in der Grafschaft Mark hatte zu Schulden kommen lassen, von dem Herzog Johann von Cleve, demselben, der die Veranlassung zu der berühmten Soester Fehde gab, gefangen genommen und nach der Burg zu Hörde gebracht, wo er bis zum Jahre 1514 festgesetzt wurde.
1645 erhielt Freiherr Konrad von Strünkede sämtliche seinen Vorfahren entzogenen Rechte und Besitzungen wieder zurück, doch scheinen die Strünkeder Gerichtseingesessenen mit der Handhabung der Rechtspflege nicht ganz zufrieden gewesen zu sein, denn schon 1648 bitten die Landstände den Großen Kurfürsten von Brandenburg (nach dem Jülich=Cleveschen Erbfolgestreit war die Grafschaft Mark, zu welcher auch Herne gehörte) um Aufhebung dieses Sondergerichts.
Der Kurfürst kam dieser Bitte zwar nach, allein auf eine Beschwerde Konrads entschied das Kaiserliche Reichs=Kammergericht zu Frankfurt, daß die Herren von Strünckede in ihrem Recht zu schützen seien (1681).
Johann Konrad zu Strünckede wurde 1714 wieder in den Besitz des Gerichtes eingesetzt, doch unterstand demselben der zu dem Bezirk gehörende Adelstand nicht. Vollständig aufgeräumt wurde mit diesem richterlichen Privileg erst zur Zeit der französischen Herrschaft zu Anfang dieses Jahrhunderts.
Bei der nach den Freiheitskriegen vorgenommenen Neueinteilung wurde Herne mit dem benachbarten Castrop dem Kreisgericht Bochum zugeteilt; erst in jüngster Zeit erhielt es ein eigenes Amtsgericht. Das Haus Strünckede aber ging inzwischen in den Besitz anderer über. Gegenwärtig ist die Familie von Forell Besitzerin.
Auch heute zeugt das sehr umfangreiche Gebände trotz seines ziemlich verwahrlosten Zustandes noch von der großen Widerstandsfähigkeit, die es Jahrhunderte hindurch in heißen Fehden bewiesen. Inmitten dem Lärm und Gewühl einer neueren Zeit steht das Gaus Strünkede da als ein stiller, klagender Zeuge aus einer längst vergangenen Zeit. Wenn die alten Steine reden könnten, sie würden uns gar seltsame Dinge erzählen aus jener Zeit, in der noch Macht vor Recht ging und wo die auf der Landstraße zwischen Recklinghausen und Bochum dahinziehenden friedlichen Kaufleute von den stahlbewaffneten Rittern von Strünkede überfallen, beraubt und bis zur Zahlung eines Lösegeldes gefangen gehalten wurden. Welch ein anderes Bild bietet sich uns heute am Ende des 19. Jahrhunderts dar! — Kein Klirren der Waffen, kein Stöhnen der Verwundeten tönt an unser Ohr, sondern das Brausen des auf blanken Schienenwegen dahineilenden Dampfwagens und das Schnauben der den schwarzen Diamanten aus der Erde Tiefe heraufholenden gigantischen Dampfmaschinen. An die Stelle der stark bewehrten Burgen, in denen ein übermütiges Geschlecht sich von dem Schweiße des Bauern und Bürgers nährte, sind Burgen mit eisernen Türmen und zum Himmel strebenden rauchenden Schloten getreten, erbaut von den Rittern des Geistes und der Energie. Nicht gilt es heute den Sieg über wehrlose, schwache Menschen, sondern die widerstrebenden Naturkräfte dem menschlichen Geiste dienstbar zu machen. Und wer sich von diesem Triumpf des menschlichen Geistes auf dem Gebiete der Bergtechnik eingehend überzeugen will, der gehe nach Herne, dem Hauptsitz des westfälischen Kohlenbergbaues - und er wird staunend zurückkehren.“

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z.B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i.d.R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bie diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Der Historische Verein Herne/Wanne-Eickel e. V. gibt die Texte (zu denen auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen vom Historischen Verein Herne/Wanne-Eickel e.V. inhaltlich geteilt werden.




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Quellen