Grubenunglück auf Mont-Cenis Juni 1921

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
Ausschnitt aus einer Ausgabe des Castroper Anzeigers vom 24. Juni 1921.
Ausschnitt aus einer Ausgabe des Castroper Anzeigers vom 24. Juni 1921.

"Nachklänge zum Grubenunglück auf Mont Cenis.
Das Beileid der Stadt Castrop.
Der Magistrat der Stadt Castrop hat an die Direktion der Steinkohlenzeche Mont=Cenis nachstehendes Beileidsschreiben gesandt:
Castrop, den 21. Juni 1921. Das furchtbare Unglück, das die dortige Zeche am gestrigen Nachmttage detroffen und so vielen braven Knappen Leben und Gesundheit gekostet hat, erfüllt uns mit inniger Teilnahme. Wir trauern mit Ihnen in dieser schmerzlichen Stunde an der Bahre der bei harter Berufsarbeit so jäh aus dem Leben Geschiedenen und bitten Sie, unser Mitgefühl auch den Hinterbliebenen der Verunglückten zu übermitteln. Die Verletzten möge baldige Genesung beschieden sein.
Unterschrift.
Ein ähnlich gehaltenes Beileidsschreiben ging auch an das Amt Sodingen ab.
Die Namen der Opfer.
Wir bringen nachstehend die Namen der Opfer, wie sie Mittwoch beim Appell der Angehörigen von der Zechenverwaltung festgestellt wurden:

Rennecke, [Wilhelm] Heinr., geb. 8. 9. 95 led., Castrop.[1]
Kaczmarek, Lorenz, geb. 3. 8. 74, verh., Sodingen. 
Wollheer, Franz, geb. 14. 3. 75, verh. Börnig. 
Lebjczinski, Friedr., geb. 6. 11. 83, verh., Holthausen. 
Lukowski, Const., geb. 21. 5. 89, verh., Sodingen.
Backes, Heinr., geb. 21. 3. 02 verh., Herne.
Duberny, Wenzl, geb. 8. 12. 02, led., Herne. 
Zdrojewski, Franz, geb. 17. 9. 03, led., Herne.
Budweg, Martin, geb. 9. 2. 95, verh., Sodingen, 
Hoffmann, Wilh., geb. 12. 10. 79, verh., Herne. 
Hartwig, Alfred, geb. 20. 5. 99, led., Herne.
Löns, Josef, geb. 23. 3. 04, led., Herne.
Kubiak, Stanisl., geb. 4. 5. 78, verh., Sodingen. 
Lubicz, Herm., geb. 19. 1. 04, led., Holthausen.
Möller, Gottfried, geb. 4. 8. 91, verh., Herne.
Wichert, Franz, geb. 18. 11. 95, verh., Sodingen. 
Zwara, Aug., geb. 3. 9. 86, verh., Börnig.
Hylak, Josef, geb. 15. 10. 88, verh. Holthausen. 
Cieslarczyk, Joh., geb. 17. 1. 76, berh., Holthausen. 
Ehm, Anton, geb. 6. 9. 78, verh., Börnig.
Gottje, Friedr., geb. 6. 7. 00, led., Herne.
Stak, Wilh., geb. 20. 11. 75, verh.,) Vater, Sobingen. 
Stak, Wilh., geb. 18. 12. 03, led.,) Sohn, Sodingen. 
Geitz, Joh., geb. 4. 4. 82, verh.,
Salewski, Adolf, geb. 9. 4. 72, verh., Sodingen.
Sojka, Thomas, geb. 12. 12. 74, verh., Holthausen. 
Marquard, Emil, geb. 25. 8. 99, led.,
Kujat, Alex, geb. 27. 1. 82, verh. Sodingen.
Trafnik, Karl, geb. 23. 6. 02, led., Sodingen.
Paulin, Johann, geb. 8. 9. 73, verh.,(Vater), Börnig. 
Paulin, Karl, geb. 17. 12. 02, led.,(Sohn), Börnig. 
Fleric, Blafius, geb. 16. 1. 98, verh.,
Schrader, Heinr., geb. 11. 10. 94, verh., Sodingen. 
Budde, Stefan, geb. 16. 10. 88, verh., Herne.
Meier, Heinr., geb. 20. 12. 85, verh., Herne. 
Kuscha, Josef, geb. 1. 1. 87, verh., Herne.
Backenecker, Bernh., geb. 31. 10. 97, led., Börnig. 
Höltmann, Ernst, geb. 17. L. 84, verh., Sodingen. 
Hölscher, Hermann, ged. 1. 2. 02, led., Sodingen. 
Michallak, Michael, geb. 19. 9. 96, verh. Herne. 
Buschmann, Joh., geb. 15. 6. 90, verh., Sodingen. 
Kmet, Melchior, geb. 31. 12. 77, verh., Sodingen. 
Wiehe, Heinr., geb. 11. 7. 86, verh., Börnig.
Schnorr, Karl, geb. 16. 10. 99, led., Sodingen.
Ecker, Aug., geb. 8. 9. 72, verh., Sodingen.
Menne, Josef, geb. 21. 11. 99, verh., Holthausen. 
Binger, Walter, geb. 31. 7. 98, verh., Börnig.
Dieteich, Wilhelm. geb. 15. 7. 93, verh., Sodingen. 
Nowak, Ludw., geb. 1. 9. 03, led., Sodingen. 
Grenzebach, Friedr., geb. 23. 2. 96. led., Wattenscheid, (erste Schicht).[2]
Schmivt, Max, geb. 19. 3. 94 verh., Sodingen. 
van Capelleven, Barend, geb. 17. 8. 74,., Sodingen. 
Adamski, Peter, geb. L. 6. 89, verh., Sodingen. 
Borgmann, Otto, geb. 12. 9. 01, led.,
Hermann, Gustav, geb. 28. 8. 92. verh., Börnig. 
Brodatzki, Paul, geb. 13. 12. 02, led., Herne.
Bayer, Paul, ged. 18. 7. 00, led., Sodingen. 
Schwittay, Gottfried, geb. 26. 11. 90, verh., Herne. 
Bojahr, Heinr., geb. 22. 4. 04, led., Herne.
Opitz, Alfred, geb. 1. 8. 87, led., Sodingen.
May, Jakob, geb. 22. 1. 01, led., Börnig. 
Krute, Gust, geh. 4. k. 83, berh., Sodingen.
Kiury, Pam, geb. 13. 1. 95, led., Börnig.
Klein, Konstantin, geb. 23. 3. 94, led., Sodingen. 
Fiedler, Reinh., geb. 21. 3. 02, led., Sodingen.
Bolow, Gustav, geb. 23. 9. 99, led., Sodingen.
Bartoschewski, Andr., geb. 28. 10. 96, verh., Börnig. 
Hanusek, Wladisl., geb. 22. 6. 01, led., Herne.
Zichosy, Franz. geb. 29. 1. 00, led., Börnig.
Kirchhoff, Friedr., geb. 15. 3. 01, led., Herne.
Kleine=Stolte, Karl, geb. 28. 6. 96 led., Sodingen.[3] 
Dominik, Josef, geb. 11. 12. 98, led.
Müller, Josef, geb. 6. 3. 95, led.
Holtmann, Johann, geb. 17. 2. 84, verh.
Olt, Karl, geb. 30. 5. 98, led., Börnig.
Weber, Ewald, geb. 18. 10. 99, led., Börnig.
Woyda, Friedr., geb. 1. 12. 93, led., Börnig.
Bohnenberg, Hugo, geb. 5. 3. 03, led., Herne. 
Vonzio, Gustav, geb. 17. 12. 87, verh., Holthausen. 
Perko, Johann, geb. 14. 3. 88, led., Holthausen.
Klusmann, Friedrich, geb. 1892, led., Sodingen.[4]

Wann die Beerdigung stattfindet, war bis zur Abendstunde noch nicht festgesetzt. Es ist möglich, daß sie erst am Sonntag vor sich geht. Seitens der Knappschaft werden für jeden Todesfall 900 Mark Sterbegeld zur Auszahlung gebracht. Die Beerdigungskosten werden, da die Zeche Mont=Cenis sie übernimmt, nicht hiervon abgehalten. Die Firma Gebrüder Röchling stiftete, wie mitgeteilt wurde, für die Hinterbliebenen einen ansehnlichen Betrag. Von den Leichen konnte bisher eine noch nicht mit Bestimmtheit namhaft gemacht werden. Die Leichen der nicht in den einzelnen Krankenhäusern nachträglich ihren Verletzungen erlegenen Bergknappen sind im kath. Krankenhause in Börnig aufgebahrt worden. Von dort aus wird auch die Beerdigung höchstwahrscheinlich ihren Ausgang nehmen. Zechenplatz und Zechenanlagen waren auch gestern noch so sehr dem Zuströmen neugieriger Menschen ausgesetzt, daß in den Nachmittagsstunden wiederum Absperrungsmaßregeln ergriffen werden mußten.

Der von uns gestern bereits gemeldete Brand über Tage konnte auf seinen Herd beschränkt werden. Zeitweilig war allerdings die Benzolfabrik stark gefährdet. Der Brand ist durch Unvorsichtigkeit eines Arbeiters, dem beim Durchbohren einer Eisenplatte Funken in ein Teerfaß fielen, entstanden.

Aus der Geschichte Mont Cenis.

Mont Cenis gehört in unserm Bezirk zu einer der ältesten Zechen, deren Abteufung in die Zeit der englisch/belgisch/französischen Kapitalinvasion in das damals noch unerschlossene Ruhrbecken fällt. Sie setzte im Jahre 1856 ein, in dem unter Führung von W. Th. Mulvany, der bekanntlich auch mit Castrops Kohlenindustrie und dem Anfang der Castroper Rennen eng verknüpft ist, eine Gewerkschaft, deren Mitglieder meist Engländer waren, beim Dorf Herne auf Sengenhofs Feld die erste Kohlenzeche angelegt, die den Namen Shamrock (d. h. Kleeblatt— das irische Nationalzeichen) erhielt. Zur damaligen Zeit war die deutsche Technik noch nicht befähigt, die schwierigen Arbeiten einer Schacht= und Grubenanlage so praktisch vorzunehmen, wie die in diesen Dingen seinerzeit bereits erfahrenen Engländer. So kam es, daß Shamrock I/II unter englischen Ingenieuren und brittschen Vorarbeitern mit englischen Maschinen hergestellt wurde. Die hierbei tätigen Briten waren meist Irländer. Sie sind zum Teil in Deutschland geblieben, meist aber wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Eine Rolle soll dabei die westfälische Kost gespielt haben, die den Engländern nur wenig behagte. An diese Engländerzeit erinnern übrigens auch die englischen Inschriften, die auf einer Reihe von Gräbern auf dem alten katholischen Friedhof in Herne zu lesen sind. Den Engländern folgten einige Jahre später die Belgier und Franzosen. Im Jahre 1864 begann die „Belgische Aktiengesellschaft der Steinkohlengruben von Herne-Bochum“[5] ebenfalls die Abteufung von Schächten bei Herne, zunächst den Schacht Providence (jetzt Zeche von der Heydt) und dann 1867 den Schacht Barillon (jetzt Zeche Julia) im damaligen Gemeindebezirk Baukau. Die Gruben kamen 1868 und 1869 in Betrieb. Der Schacht Clerget (im Volksmund „Klärchen" bezeichnet) derselben Gesellschaft, setzt Recklinghausen I genannt, gelegen in Recklinghausen=Süd, wurde 1869 in Angriff genommen. Die belgische Aktiengesellschaft mit dem Sitz in Brüssel war in Wirklichkeit ein französisches Unternehmen, an dessen Spitze der Pariser Industrielle Carabin stand. Monsieur Carabin hatte übrigens die Gewohnheit, deutsche Worte ins Französische umzumodeln, so pflegte er von der Rue de la Crangee zu sprechen, womit er die bekannte Crangerstraße meinte. —
Unter diesen Veteranen des Herner Bezirks hat Mont Cenis in der bergmännischen Bevölkerung nie gerade einen guten Ruf genossen. Die Zeche ist seit ihrem etwa 60 jährigen Bestehen als „Pechpütt" bekannt, weniger allerdings wegen der Unglügsfälle — denn ein so großes Unglück wie das jetzige hat sich dort noch nicht ereignet—, aber kleine Unglücksfälle kamen häufiger vor—, als vielmehr wegen der außerordentlich schwierigen Förderungsverhältnisse. Die Arbeits- und Förderungsverhältnisse unter Tage sind ganz besonders ungünstig, weit ungünstiger als auf den Nachbarzechen. Die Schächte—3 der Zeche „Mont Cenis“ liegen zwar unmittelbar neben sehr ertragreichen Zechen mit guter Fettkohle, haben aber selbst mit besonderen Förderschwierigkeiten zu kämpfen. Die von der Explosien zunächst heimgesuchte fünfte Sohle liegt in 500 Meter Tiefe, die vierte und die dritte Sohle sind se etwa 100 Meter höher. Die fünfte Sohle war bis vor nicht allzu langer Zeit die tiefste. Um aber auf die vermuteten besseren Fettkohlen zu kommen, wurde vor kurzem eine sechste Sohle in 800 Meter Tiefe in Angriff genommen.

Die Eisengewerkschaft Maximilianshütte in Rosenberg (Oberpfalz), von der die Gebrüder Röchling die Mehrheit besitzen, scheint in ihrem Kohlenbesitz von besonderem Unglück verfolgt zu sein. Zuerst ersoff die Zeche Maximilian bei Hamm, in die bereits 100 Millionen gesteckt sind. Da die Entsumpfungsarbeiten zuviel Geld erforderten und die wirtschaftlichkeit der Zeche in Frage stellten, hat man die Zeche ganz stillgelegt. Und jetzt trifft ein neues Unglück die Zeche Mont Cenis, wohin die bei der Zeche Maximilian arbeitslos gewordenen Bergleute verlegt werden sollten und teilweise schon verlegt sind. Eine Gewerkenversammlung von Mont Cenis, die zur Röchling=Gruppe gehört, soll am 30. Juni in Heidelberg über den Uebergang an die Maxhütte Beschluß fassen. Mont Cenis fördert hauptsächlich Gaskohlen. Sie galt bisher nicht als schlagwetterreich. Ihr Kohlenreichtum wird für 180 Jahre ausreichend geschätzt."[6]