Ripp (1980) 10

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
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QUELLENARBEIT

ehem.
Pädagogische Hochschule Berlin ‚ Historisches Seminar

H E R N E - DIE ENTSTEHUNG EINER RUHRGEBIETSSTADT
Der Einfluss von Bergbau und Industrie auf die Entwicklung der Stadt Herne - anhand einer Festschrift zur Einweihung des Rathauses 1912

von Winfried Ripp


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Die Presse

Ein nationalliberales und ein der Zentrumspartei nahestehendes Blatt waren die ersten Zeitungen, die in Herne mit einer Gesamtauflage von 10.000 erschienen. Sie hatten wahrscheinlich einen Leserstamm von alte1nget1 gern, Kaufleuten, Handwerker, Gewerbetreibenden und freiberuflich Tätigen. Bei der Durchsicht einiger Exemplare beider Zeitungen aus der eit vor dem ersten Weltkrieg (hauptsachlich Jahrgang 1905) im Herner Stadtarchiv habe ich festgestellt, dass die Themenschwerpunkte der Artikel auf einen solchen Leserkreis hindeuten. Es waren keine Artikel über Probleme der Arbeitswelt und. der Bergarbeitersiedlungen vorhanden. Allerdings habe ich nur eine zufällige Auswahl von Zeitungen vorgenommen.

Die Berichterstattung erfolgte überwiegend aus der Perspektive obengenannter Lesergruppen, z.B. bei Artikeln über Beschlüsse der Gemeindevertretung.

Die Mehrheit der Herner Bevölkerung, die Bergarbeiter, tauchten in erster Linie nur in Spalten der Kriminalberichterstattung auf. Tätliche Auseinandersetzungen und. Diebstahl waren die häufigsten Delikte von denen berichtet wurde.

Nur wenige Arbeiter werden wahrscheinlich diese Zeitungen gelesen haben. Der 'zentrumsorientierte 'Herner Anzeiger' hatte ein katholisches Leserpublikum, das eher Arbeiter umfasste als die nationalliberale 'Herner Zeitung'.

Eine sozialdemokratisch orientierte Zeitung wird in der Festschrift nicht genannt. Es gab offensichtlich kein solches Blatt, das seinen Erscheinungsort in Herne hatte. Sicher ist aber, dass 1898 in Bochum erstmalig das sozialdemokratische 'Volksblatt' erschien und auch in Herne verbreitet wurde. Eine Anzeige in der Selbstdarstellungsschrift 'Herne i.W.', von führenden Stadtverwaltungs- u. Magistratsmitgliedern verfasst, [1] mit einer knappen Darstellung der Entwicklung dieser Zeitung beweist dies.

Warum Schaefer dieses Blatt nicht erwähnt ist unklar. Er hat-'in seiner Aufstellung alle in Herne herausgegebenen Zeitungen mit Sitz der Redaktion in der Stadt aufgeführt. Dieses Kriterium trifft beim 'Volksblatt' nicht zu.

Nach dem ersten Weltkrieg erscheint auch ein 'Herner Volksblatt'.

Ein Beweis für den hohen Anteil polnisch sprechender Bevölkerung in Herne ist das Erscheinen einer polnischen Tageszeitung. Hier unterschlägt Schaefer die Auflagenzahl. Sie wäre sicherlich leicht zu erfahren gewesen. Dieses Blatt hatte Überörtliche Bedeutung und wurde im gesamten Ruhrgebiet vertrieben. Die Zeitung hat bis 1939 bestanden.

Abgeschlossen wird das Kapitel "Verkehrswesen" mit der Darstellung von Katasteramt, Zollamt, Bergrevier und. Verkehrsverein. Alle diese Einrichtungen sind Folge der wachsenden Bedeutung den damaligen städtischen Lebens und. von Bergbau und. Industrie. Schaefers Anmerkung über die Möglichkeit der Abschaffung von Geldzahlungen bei der Einrichtung königlicher Behörden bei Einigkeit aller betroffenen Städte zeigt das Selbstbewusstsein eines Stadtoberhauptes einer aufblühenden Industriestadt gegenüber obrigkeitsstaatlich feudal orientierten Resten übergeordneter Behörden.

Auch die Existenz eines Verkehrsvereins durch den führende Bürger der Stadt Einfluss auf die Entwicklung der Verkehrsverhältnisse nehmen, war ein Ausdruck der wachsenden Bedeutung Hernes.

Schlussbemerkungen

Die Ausgangsfrage dieser Arbeit, die mit Hilfe der Quelle beantwortet werden sollte, war, welchen Einfluß der Bergbau und die Industrie, auf die Entwicklung der Stadt Herne bis zum ersten Weltkrieg hatte.

Sie konnte mit Hilfe der mir vorliegenden Festschrift nur teilweise beantwortet werden. Der Autor hatte nur wenig zeitliche und persönliche Distanz zu den raschen tiefgreifenden Veränderungen, die er als erster Mann der Staat und des vorherigen Amtes Herne miterlebt und -gestaltet hat. Es ist daher verständlich, dass er in erster Linie eine Art Leistungsbilanz aufgestellt hat.

Die Industrieentwicklung, die Veränderung von Lebensraum und. Gesellschaftsstrukturen werden von ihm bedingungslos akzeptiert und nachhaltig gefordert. Alle Kritik an diesem umfassenden Eingriff in das Leben der ansässigen Bevölkerung ist für ihn fortschrittsfeindlich.

Die direkten Lebensverhältnisse der Bevölkerung, die Lage innerhalb der Betriebe und die Aktivitäten außerhalb des "Öffentlichen Lebens" waren für ihn nur von eingeschränktem Interesse. Er stellt auch den Bergbau- und Industrieeinfluss nur mittelbar dar, d.h. wie er beim Bau von Verkehrsmitteln etc, deutlich wird. Die Art der Einflussnahme, die Aktivitäten--von Verbänden von Einzelpersonen und Industrie und des Bergbaus werden nicht erwähnt. Dies ist allerdings bei Festschriften dieser Art insgesamt nicht üblich.

Die Fakten der Herner Entwicklung werden vorn Autor nur in wenigen Fällen in einen größeren Entwicklungszusammenhang gestellt oder mit den Daten und Fakten anderer Städte verglichen. Auch das ist vom Charakter. einer Festschrift her verständlich. Ein ausführliches Studium von Sekundärliteratur war daher nötig. Allerdings standen auch hier Probleme der unmittelbaren Lebensverhältnisse, der innerbetrieblichen Strukturen, der Arbeiterbewegung und der politischen Parteien im Hintergrund. Mir sind, nur wenige Veröffentlichungen dieser Art bekannt. Der größte Teil der mir zur Verfügung stehenden Arbeiten über die Entwicklung im Ruhrgebiet der damaligen Zeit sind geographisch -landeskundlicher Art. Daneben gibt es noch eine umfangreiche industriefreundliche Geschichtsschreibung und Problembetrachtung. Soziale Zustände werden kaum oder in einer Art, die einer modernen kritischen Sozialforschung nicht genügt, erfasst. [2] Erst in den letzten Jahren wurden die Lebensumstände der Menschen im Revier insbesondere durch die Abteilung für Geschichtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum näher erforscht und in der Ruhrgebietsgeschichtsschreibung berücksichtigt.

Es kam mir darauf an, die vom Autor genannten Bereiche in einen Entwicklungszusammenhang zu stellen und mit der Gesamtsituation im Ruhrgebiet an einigen Punkten vergleichbar zu machen.

In groben Zügen ist die Herner Entwicklung für den Emscherraum in den meisten in dieser Arbeit aufgeworfenen Problembereichen typisch. Das gilt auf jeden Fall für die Bereiche Wirtschaft, Bevölkerung, Eingemeindungen und Verkehr. Hier liegt auch eine zeitliche Parallelität der Entwicklung vor. Im südlichen Revier geschahen die wirtschaftlichen Veränderungen Jahrzehnte früher als in Herne und liefen auf einer anderen qualitativen Ebene ab. Der. Emscherraum ist ein typischer Bereich der Großindustrie; Dieses Charakteristikum hat er mit dem Vest, wie auch den hohen Anteil von Zugezogenen aus den preußischen Ostprovinzen, gemeinsam. Unterschiede mit der Hellwegzone bestehen weniger in der industriellen Struktur, obwohl dort dort eine differenziertere nicht-bergbaubezogene Industrie zusätzlich entstand, als in dem urbanen Charakter dieser Zone, der dem Emscherraum und dem Vest zur damaligen Zeit fast völlig fehlte.

Die Ursache dafür liegt in der älteren mehr gewachsenen Struktur der Hellwegstädte.

Herne fehlt ebenfalls eine Hütten- und Walzwerksindustrie, die vielen anderen Städten des Reviers (Duisburg, Oberhausen, Essen, Gelsenkirchen, Bochum ‚Dortmund) neben dem Bergbau das industrielle Gepräge gaben. Hier ist Herne eher mit den Städten des Vest oder den kleineren Städten der Hellweg- und Emscherzone vergleichbar.

Insgesamt gesehen kristallisieren sich auch in Herne alle wichtigen Probleme, des entstehenden Ruhrreviers. Ein kleines Bauerndorf in einer ehemaligen Agrarlandschaft wurde durch die sich fast sprunghaft entwickelnde Industrie in weniger als fünfzig Jahren zu einer Schwerindustriellen Stadt umgeformt. Das ehemalige Landschaftsbild lässt sich kaum noch erahnen. Die Lebensverhältnisse der Menschen und die Zahl und Zusammensetzung der Bevölkerung haben sich grundlegend verändert. Viele Aspekte der Herner Entwicklung sind ausgeprägte Beispiele der Veränderungsprozesse Deutschlands vom Agrarland zum Industriestaat, die nach 1870 mit besonderer Heftigkeit einsetzten. Hier sind im Vergleich zum größten Teil Deutschlands die Veränderungen der Wirtschaftsstruktur, des Sozialgefüges und der Lebensumwelt der, Menschen schon sehr früh sichtbar.




Ende ...

Dieser Text wurde von Winfried Ripp für das Wiki der Herner Stadtgeschichte zur Verfügung gestellt und unterliegt dem Urheberrecht. Bei einer Verwendung dieses Textes - auch als Zitat - außerhalb des Wikis der Herner Stadtgeschichte ist die Genehmigung des Autors einzuholen.
  1. Knoll, 1928, a.a.O. ‚ S. 173
  2. Ein Beispiel ist Wilhelm Brepohl in den 40er und 50er Jahren.