Ripp (1980) 9

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

QUELLENARBEIT

ehem.
Pädagogische Hochschule Berlin ‚ Historisches Seminar

H E R N E - DIE ENTSTEHUNG EINER RUHRGEBIETSSTADT
Der Einfluss von Bergbau und Industrie auf die Entwicklung der Stadt Herne - anhand einer Festschrift zur Einweihung des Rathauses 1912

von Winfried Ripp


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3.3.4. Das Verkehrswesen

Hier steht die Eisenbahn an erster Stelle. Ihr hat Herne seine sehr früh einsetzende Bergbauentwicklung zu verdanken. 13 Jahre früher als die wirtschaftlich und städtebaulich weiterentwickelte Kreisstadt Bochum wurde in Herne 1847 ein Bahnhof der Köln-Mindener Eisenbahn, die zu diesem Zeitpunkt von Hamm bis Duisburg fertiggestellt war, eröffnet. [1] Diese Bahn wurde als Fernverbindung konzipiert. Durch den raschen Weiterbau nach Minden, Hannover, Hamburg, Bremen, Berlin, Stettin, Frankfurt/0. Leipzig und Dresden erschloss sie dem rasch entwickelten Bergbau große Absatzmärkte. Erstaunlich aber war, dass die Bahn durch den industriell zur Zeit ihrer Eröffnung kaum erschlossenen Raum des nördlichen Reviers führte und die bereits industrialisierte Hellwegzone - mit Ausnahme von Dortmund - nicht berührte. [2] Der Herner Bahnhof erhielt deshalb auch den Namen „Herne-Bochum“. Der Lastentransport von Bochum zum Herner Bahnhof gab dem Straßenverkehr großen Auftrieb. Diese günstige Verkehrslage förderte jegliche Industrieansiedlung.

Das Eisenbahnnetz wurde in den Jahren 1873 bis 1878 durch den Bau der Emschertalbahn Dortmund-Castrop-Herne-Schalke -Sterkrade-Ruhrort (Rheinhafen) erweitert. Nach und nach entstand ein engmaschiges Netz. Alle Orte des Ruhrgebiets sind weniger als 5 km von der nächsten Bahnstrecke entfernt [3]. Diese Strecken sind aber einzig und allein für einen Güterverkehr im Interesse der Großindustrie, die über umfangreiche Anschlussgleise und Privatbahnverbindungen zwischen einzelnen Werken verfügt, bemessen. Günstige Sondertarife für die Montanindustrie unterstreicht diese Tatsache. Der Personenverkehr spielt eine eindeutig untergeordnete Rolle. Die Fahrzeiten, Zugabstände und Wartezeiten beim Umsteigen waren so enorm groß, de 1875 eine Fahrt von 25 Kilometern über vier Stunden dauern konnte.[4] Auch in den folgenden Jahren hinkte der Personenverkehr trotz seines weiteren Ausbaus weit hinter der Entwicklung des Güterverkehrs-hinterher. Vergleichbare, Personenverkehrsverbindungen wie zu gleicher Zeit in Berlin wurden nicht geschaffen.


Schaefer fordert in seiner Schrift für Herne einen Anschluss an eine Städteschnellbahn, die es bis heute im Emscherraum noch nicht gibt. Nur im Bereich Bochum -Essen-Duisburg-Düsseldorf wurden erst Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts S-Bahnstrecken gebaut. Die Pläne einer Strecke Dortmund - Herne sind, bisher noch nicht ausgeführt worden.

Die Mobilität der Ruhrgebietsbevölkerung war also von Entstehen des Großraumes an durch diese fehlenden Personeneisenbahnverbindungen stark eingeschränkt. Dieser Mangel hatte sehr engbegrenzte Bewegungsmöglichkeiten der Bevölkerung zur Folge. Überörtliche Kommunikation und die Entwicklung kultureller Einrichtungen wurden u.a. dadurch gehemmt. Die relative Isoliertheit der einzelnen Orte des Reviers untereinander und ein Hang zur 'Kirchturmspolitik' sind trotz neuer Verkehrsmöglichkeiten und überörtlicher Planung durch den ´Siedlungsverband Ruhr' immer noch zu spüren.

Die Industrie profitierte von dieser Entwicklung. Sie konnte auf diese Weise eine geringere Fluktuation in Folge fehlender zeitsparender Verkehrsmittel erwarten. Dies wirkt sich erfahrungsgemäß in Zeiten von Arbeitskräfteknappheit, die sich im Ruhrgebiet außer, in Zeiten starker konjunktureller Einbrüche vom Zeitpunkt seines Bestehens bis in die Mitte der 60er Jahre dieses Jahrhunderts immer geherrscht hat, günstig für die Betriebe aus. Eine Abwanderung von Arbeitskräften zu entfernteren Werken mit höheren Löhnen ist so unwahrscheinlich. Die Bindung durch Werkswohnungen und die Grundstückspolitik des Bergbaus, der die Ansiedlung anderer Industrien systematisch verhinderte, taten das übrige zu dieser mangelnden Mobilität der Bevölkerung.

Straßenbahnen

Pur den lokalen Nahverkehr zwischen den Nachbarstädten und den Herner Stadtteilen hatte die Straßenbahneine herausragende Bedeutung. Schaefer räumt allen mit dem Straßenbahnbau und -betrieb zusammenhängenden Problemen einen breiten Raum ein. Kein anderer Bereich, der in dieser Quelle behandelt ist, wird so ausführlich dargestellt.

Am Anfang des Straßenbahnbaus stand 1881 das Zögern der Herner Gemeindevertretung, damals noch überwiegend aus Landwirten, Kaufleuten und. Handwerkern bestehend, die der neuen industriellen Entwicklung skeptisch oder sogar feindlich gegenüberstanden. Die örtlichen Kaufleute fürchteten die Konkurrenz der größeren weiter entwickelten Stadt Bochum und die dörflichen Honoratioren waren zumeist gegen jegliche Neuerung, besonders wenn sie mit Ausgaben für die Gemeinde verbunden war, wie schon oben mehrmals beschrieben Auf diese Weise bestimmten Vertreter der Nachbargemeinden über einen Teil des Herner Nahverkehrssystems. Erst beim Bau späterer Bahnstrecken sicherte sich die Herner Gemeindevertretung auf Betreiben des Autors einen angemessenen Anteil. Auffällig sind die verschiedenen Betriebsgesellschaften (sechs!) für das damalige Stadtgebiet. Dies zeigt deutlich, wie weit der Nahverkehr zum damaligen Zeitpunkt von einem einheitlichen Verkehrsnetz entfernt war. Der Verkehr wurde so stark behindert. Durch die Gründung der 'Westfälischen Straßenbahngesellschaft m.b.H.' durch die Stadt Herne und ihre Nachbarstädte wurde 1912 eine Gesellschaft geschaffen, die von diesem Zeitpunkt an den weiteren Nahverkehrsausbau planmäßig betrieb.

Im Vergleich zu anderen Städten bezeichnet Sieburg aber das Herner Straßenbahnnetz als vorbildlich für die damalige Zeit im Revier [5].

Das Grundproblem des Herner Nahverkehrs, die große Zahl verschiedener Betriebsgesellschaften und uneinheitlicher. Tarif- und Liniengestaltung aber wurde zu dieser Zeit geschaffen. Schaefer hat dieses Problem klar erkannt, wurde aber von den kurzsichtigen Gemeindevertretern in den entscheidenden ersten Jahren überstimmt. Die Uneinheitlichkeit des Nahverkehrs hat bis in die 60er Jahres unseres Jahrhunderts hinein bestanden. Noch bis Ende der 70er Jahre wurde der Herner Nahverkehr von drei verschiedenen Betriebsgesellschaften organisiert. Im Ruhrgebiet waren 1913 schon ca. 1.000 km Straßenbahnlinien vorhanden. Die für Herne geschilderten Schwierigkeiten ergaben sich auch in anderen Orten. [6]

Eine Herner Autobusgesellschaft war nur eine kurze Episode, die von der Unerfahrenheit der damaligen Verwaltung zeugt. Interessant ist aber, dass der Autor genau aufzählt, welche Interessenverbände an der Schaffung einer Verkehrsverbindung zu den Zechenkolonien interessiert und finanziell beteiligt waren: Haus- und Grundbesitzer, Wirte und Kaufleute. Für sie bedeutete das Vorhandensein von Nahverkehr die Möglichkeit, Kundschaft in den Ortsmittelpunkt zu locken. Ein Eintreten der Industrie für dieses Projekt erwähnt der Autor nicht.

Das deutet darauf hin, dass auch für den kommunalen Nahverkehr gleiches gilt wie bereits im Abschnitt über die Eisenbahn erwähnt, größere Mobilität war nicht im Interesse der Industrie. Sie versuchte, die Bergarbeiter und ihre Familien an die Zechenkolonien zu binden. Hier bestand eine zusätzliche Abhängigkeit von den oft werkseigenen Läden.

Postamt

Die Bilanz der Entwicklung des Herner Postwesens spiegelt die wachsende Bevölkerungszahl und die enorme Ausdehnung von Bergbau und Industrie in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg wieder. Aufschlussreich sind die Bemerkungen des Autors über die hohe Differenz zwischen eingehenden und abgesandten Postanweisungen. Hier wird eine Tatsache deutlich, die statistisch kaum erfasst wurde: viele Arbeiter im :Ruhrgebiet (und somit auch in Herne) haben ihre Familien im östlichen Teil des Reiches zurückgelassen und überweisen ihnen das Geld für den Lebensunterhalt. Auch an diesem Beispiel zeigen sich Parallelen zu der Situation der ersten ausländischen Arbeiter der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Die Kanäle

Neben dem Eisenbahnverkehr gewann in Herne die Schifffahrt auf den 1896 'und 1914 eröffneten Kanälen eine wichtige Bedeutung. Für den Bergbau und die örtlichen Industrie- und Handelsfirmen. Der Kanalbau war Sache des preußischen Staates. Die. Gemeinde Herne hatte nur geringe finanzielle Beiträge zu leisten.


Im preußischen Landtag gab es jahrelange Auseinandersetzungen über den Kanalbau. Der Rhein-Herne-Kanal wurde von den ostelbischen Großagrariern, vertreten durch die Konservative Partei jahrelang verschleppt und bekämpft. Sie fürchteten die billige Einfuhr ausländischen Getreides über die Wasserstraße. Erst als der als Anschluss nach Osten gedachte Mittellandkanal in der Planung auf ein Rumpfstück reduziert wurde, gelang es der Regierung die Kanalvorlage im Landtag durchzubringen. [7]

Für den Bergbau und die Eisenindustrie wurden erhebliche Transportverbesserungen geschaffen. Herne erhielt drei Häfen, davon zwei zecheneigene.

Die Banken

Die Bergbau und Industrieentwicklung erforderte einen schnellen Ausbau des Bankwesens. Herne benötigte alle für eine Industriestadt notwendigen Einrichtungen. Schon 1898 wurde eine Filiale der 'Essener Creditanstalt', einer der wichtigsten Banken des Ruhrgebietes, eröffnet. Das unterschreicht die 'Bedeutung der Stadt als Verwaltungssitz großer Bergbauunternehmen.

Die stadteigene Sparkasse wird interessanter Weise nicht zu den Banken gerechnet, da ihr Reingewinn nur zu gemeinnützigen Zwecken verwandt werden durfte [8] und nur kleinere Kredite für ortsansässige Geschäftsleute und Grundeigentümer vergeben wurden. Sparkassen gab es in allen größeren Gemeinde-- des Reviers der damaligen Zeit.



Fortsetzung ...

Dieser Text wurde von Winfried Ripp für das Wiki der Herner Stadtgeschichte zur Verfügung gestellt und unterliegt dem Urheberrecht. Bei einer Verwendung dieses Textes - auch als Zitat - außerhalb des Wikis der Herner Stadtgeschichte ist die Genehmigung des Autors einzuholen.
  1. Brandt,K. u. Reiners,L. ‚ a.a.O. ‚ S.62/63
  2. Steinberg, H.G., a.a.O. ‚ S.30
  3. Spethmann,H., 1933, a.a.O. ‚ S. 425
  4. Spethmann, Hans: Wie unser Ruhrgebiet wurde, Berlin 1936, S. 36
  5. Sieburg, H.O. ‚ a.a.0. ‚ 3. 152
  6. Spethmann ‚ 1933, a.a.0. ‚ S. 1429/430
  7. Spethmann,H. ‚ 1933, a.a.0. ‚ S. 430-444
  8. Schaefer, H. ‚ a.a.0. ‚ S. 94