Anna Hirdes

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Anna Hirdes (geboren 1885 Giesenberg; gestorben nach 1965 in Herne) war eine Herner Wirtin.

Plauderstündchen mit Hernes ältester Wirtin

Frau Anna Hirdes, die Voß-Tochter vom einstigen Steinweg, ist 85 Jahre alt geworden

ml, Herne. Es fehlen vielleicht nur noch wenige Wochen, daß es 100 Jahre her sind, als der von einem Bauernhof am Giesenberg stammende Wilhelm Voß „auswanderte" und sich am Steinweg, der heutigen Wiescherstraße, ankaufte. Der Tag der Übersiedelung war gleichzeitig der Gründungstag der Gaststätte Voß, die heute im „Ostentor" auf dem Nachbargrundstück fortlebt. Von den vier Geschwistern, die als Kinder von Wilhelm und Minna Voß im vergangenen Jahrhundert in der alten Gaststätte Voß groß geworden sind, lebt nur noch Anna, Wilhelm und Minna Voß einzige Tochter. Anna Voß, die 1906 Georg Hirdes, Inhaber eines Herner Fuhrgeschäftes, heiratete, ist vor wenigen Wochen 85 Jahre alt geworden. Ein ausreichender Grund, einmal wieder für einen Nachmittag in Herne Station zu machen und mit einer der reizendsten und noch immer charmantesten Wirtinnen, die es im Revier und gewiss darüber hinaus gibt, ein Plauderstündchen zu verbringen.

Vielleicht nicht mehr ganz so flink „wie einst im Mai", bestimmt aber noch genauso Gastfreundlich und besorgt um das Wohlergehen ihrer Gäste, sitzt uns auf dem Sofa Hernes älteste aktive Wirtin gegenüber. Ihr Sohn Wilhelm, der heutige Hausherr im „Ostentor", wird nur gelegentlich und auch dann meist nur zur Bekräftigung als Gedächtnisstütze zu Hilfe genommen, wenn seine Mutter auf unsere Fragen Auskunft oder Antwort gibt. Sie hat ein fabelhaftes Gedächtnis, das sie nur dann und wann einmal bei dieser oder jener Jahreszahl im Stich lassen will. Ja, sie sei im fast wörtlichen Sinne des Wortes hinter dem Tresen in der Gaststätte Voß bei ihren Eltern groß geworden. Das auf dem Nachbargrundstück liegende, etwas bescheiden in den Hintergrund gerückte und noch heute erhaltene alte Fachwerkhaus, das jetzt als Wohnhaus diene, aber noch immer Eigentum sei, hätte vor 100 Jahren ihre Eltern aufgenommen. Das Haus, so wie es die Herner heute noch tagtäglich sähen, hatte schon damals ein gutes Jahrhundert auf dem Buckel gehabt, vielleicht sogar noch mehr. Vater Wilhelm stammte vom Giesenberg, wo noch heute der inzwischen hier an der Wiescherstraße ausgestorbene Name Voß zu Haus sei. Auch eine Gaststätte Voß gebe es dort noch, mit deren Eigentümer die Familie Voß/Hirdes „selbstverständlich", wenn auch um etliche Ecken herum, verwandt und verschwägert sei. Als Wilhelm Voß und seine Minna im alten Fachwerkhaus am Steinweg, in dem einst eine Bäckerei ansässig gewesen war, nach vielerlei Mühen und Aufregungen endlich die Konzession für einen Bierausschank erhalten hatten, stand Mutter Minna mehr als Vater Wil[helm am Tresen. Dieser verkaufte „XX]]gier“, die er an die damals noch in großer Zahl vorhandenen Brauereien verkaufte. Aus seinem Stall stammten auch die Pferde aus der Bochumer Viktoria-Brauerei, die ihm zweimal in der Woche die Bierfässer anlieferten. Viktoria-Bier wurde bei Voß schon vor 95 Jahren ausgeschänkt, und die Biere der Bochumer Schlegel-Brauerei, in deren Verband schon seit vielen Jahren die Viktoria-Brauerei übergegangen ist, fehlen auch heute nicht im „Ostentor".

Als Vater Voß 1928 im Alter von 80 Jahren starb, hatte er noch 18 Jahre auf dem wohlverdienten Altenteil verbringen können. Tochter Anna, die sich 1906 verheiratete, hatte inzwischen auf dem Nachbargrundstück das „Ostentor" erbaut und 1908 zusammen mit ihrem Mann eröffnet. Am Eröffnungstage war der Gaststättenbetrieb im Fachwerkhaus eingestellt worden. Vater Voß konnte sich nach einem ebenso arbeits- wie erfolgreichen Leben zur Ruhe setzen. Es begann die Ära Hirdes/Voß, die nicht weniger erfolgreich verlaufen sollte. Georg Hirdes erlebte diese Blütezeit zusammen mit seiner Frau, der Voß-Tochter, über zwei Weltkriege hinweg, ist aber bald nach Beendigung des zweiten Weltkrieges gestorben, nachdem das „Ostentor" in den letzten Kriegsjahren noch schwer heimgesucht worden war.

Nach 1946 war Anna Hirdes zunächst ganz allein auf sich angewiesen. Obgleich den siebziger Jahren näher als den sechziger Jahren, stand sie voll und ganz ihren Mann. Sie hatte, wie schon ihre Mutter, ebenfalls vier Kinder großgezogen. Von den Zwillingen Grete und Hans hatte sie im letzten Weltkrieg Hans hingeben müssen, der nicht mehr in die Heimat zurückkehrte. Ihm schien eine erfolgreiche Karriere bevorzustehen, nachdem er im Berliner „Adlon" die Kochlehre absolviert und bereits in renommierten Betrieben, u. a. im „Chemnitzer Hof" in Chemnitz und im Weinrestaurant der Hauptbahnhofs-Gaststätten in Leipzig sowie auf Schiffen der Hamburg-Südamerika-Linie als Koch gearbeitet hatte. Ihr ältester Sohn, der Medizin studiert hat, ist heute Chirurg in Gronau, und Wilhelm als Zweitältester, der zunächst nach dem Besuch der höheren Landwirtschaftsschule Gutsverwalter auf einem Rittergut gewesen war, hat sich dann ebenfalls, noch in den zwanziger Jahren, auf Wunsch der Eltern der Gastronomie zugewandt. Nach seiner Volontärzeit in der Küche des Düsseldorfer „Löwenbräu" und im Service des eben eröffneten Hauses Rechen in Bochum (unter Direktor Teichhecker) hatte sich Wilhelm im In- und Ausland „umgesehen", in St. Moritz, im Eisenacher „Rautenkranz", im Kurhaus von Travemünde, im Kurhaus von Heiligendamm in Mecklenburg usw. Nach dem Besuch der Hotelfachschule München-Pasing jetzt als Oberkellner, für ihn das ostpreußische Ostseebad Cranz und das Hotel Loheyde in Wilhelmshaven, bis schließlich der Ausbruch des zweiten Weltkrieges auch diese Laufbahn stoppte.

Nach dem Kriege nach, Herne zurückgekehrt, stand Wilhelm zunächst seiner Mutter in der Führung des angesehenen Elterlichen Betriebes zur Seite, den er dann 1964 der Mutter überschrieben erhielt. Von seinen drei Söhnen hat wiederum der älteste, wie schon sein eigener ältester Bruder, die medizinische „Ader" geerbt: Er studiert auch Medizin. Der zweite Sohn hat im Goslarer „Achtermann" Koch gelernt und ist zuletzt im ,“Torfhaus" im Harz im Service tätig. Der dritte Sohn, der seine Lehrausbildung hinter sich hat, will Fleischermeister werden und sich in Herne selbständig machen.

Noch gilt sowohl in der Sippe Voß, wie in der Gaststätte die Kollegin Anna Hirdes, die „Voß-Tochter", als Seniorchefin Haus und Familie. Wer von den Gästen des „Ostentor" sie in plumper Vertrautheit etwa „Oma Hirdes" zu nennen wagt, der hat mit ihr für immer verdorben und tut gut daran, fürderhin eine andere Wirtschaft zu besuchen. „Frau Hirdes ist noch immer mein Name“, pflegt sie zu kontern. Nur ganz besondere, bevorzugte Stammgäste, mit denen sie Jahrzehnten bekannt sein muss, dürfen sich erlauben, sie mit höflicher Vertrautheit „Tante Anna" zu nennen. Sie legt Wert darauf, als Wirtin eines guten Hauses tituliert zu werden. Das ist keine Arroganz sondern ein Standesbewusstsein, wie es die Kollegin Hirdes als Kind schon von ihren Eltern kennengelernt und an ihre eigenen Kindern weitergegeben hat. Und gerade das suchen die Gäste im „Ostentor" an dieser [...]lichen und gescheiten Wirtin, dieser [...]genden und fleißigen Mutter und Frau auch im hohen Alter nach einem Leben voll Arbeit und Mühen noch immer nicht ihre Hände in den Schoß legen will und schon auch jetzt nicht mehr wie vor wenig Jahren noch am Tresen, sondern „hinter beflissen", vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf den Beinen ist, um vor der Küche nach dem Rechten zu sehen und an einem der letzten Samstage anlässlich eines Festabends in den Gesellschaftsräumen für Wilhelm in vorgerückter Stunde – es ist inzwischen 3 Uhr in der Frühe geworden - in der Küche nachschaute, war Mutter immernoch immer auf dem Posten. Am [...] beim Stiftungsfest der Kreisversammlung Herne, wird Mutter Hirdes Ehrengast sein. Sie wird es sich an diesem Abend nicht nehmen lassen müssen, als älteste Herner Wirtin im vollen Rampenlicht zu stehen.

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Einzelnachweise

  1. Abdruck des Textes und des Bildes mit freundlicher Genehmigung der AHGZ - Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung in der dfv-Verlagsgruppe [1] vom 16. Februar 2016