Von der Gerichtsbarkeit vergangener Zeiten (Brandt 1965)
Von Karl Brandt
"Der Richter soll auf seinem Richterstuhle sitzen wie ein griesgrimmiger Löwe"
Von der Gerichtsbarkeit vergangener Zeiten
Im alten Herne war es wie anderswo auch - hart!
So heißt es in einer jahrhundertealten Gerichtsordnung der Stadt Soest. Es steht dort auf platt: "Dey richter sal sitten op syneme richterstele als eyn grysgrymmich lowe (Löwe) un slan den rechteren voit (Fuß) over den luchteren (linken) und denken an dat strenge ordel und an dat gerichte, ... ", So war es in Soest, aber vom Gericht in einer Nachbarschaft von Herne, wahrscheinlich Witten, berichtet der Westfälische Anzeiger Nr. 13 von 1799: "Wann de Richter op den Richtstaul sitt, dann sall hey sick een Anseyhn (Ansehen) given un gyken (gucken, schauen) ut de Ogen as enen gleinigen (muß wohl grimmig heißen) Kater."
Wenn dem so tatsächlich in alter Zeit gewesen ist, gewinnen wir daraus eine Anschauung, wie damals die Gerichtsbarkeit geübt wurde. Schon dieses äußerliche Verhalten der Richter sollte die Beklagten einschüchtern und verängstigen, damit sie die Wahrheit sagten. Die vorher geschilderte Positur des Richters ließ auch ahnen, wie im erwiesenen Schuldfalle die Strafe sein würde:- hart, wenn nicht grausam. Hier einige Beispiele aus der Grafschaft Mark, wozu ja auch Herne gehörte. Aber auch die Richter der freien Reichsstadt Dortmund waren nicht gerade zimperlich.
In der alten Schrae (das gewählte und geprüfte Recht, das bürgerliche Rechtsbuch der Soester aus dem 14. Jahrhundert) heißt es im Paragraph 27 (übersetzt): "Wer faulen Wein in guten Wein tut und wird überführt, der hat sein Leben verwirkt." So schlimm erging es den Weinpantschern vor Jahrhunderten!
In der "ehrenwerten Stadt" Soest bestrafte man z. B. Gartendiebe und auch Lästermäuler wie folgt. Am "großen Teich" mitten in der Stadt hatte man zwischen zwei Pfählen "die Wippe" angebracht, eine Treppe, die genau in der Mitte eine eiserne Achse hatte. Der Verurteilte musste die Treppe hinaufsteigen und wenn er die nächste Stufe über der Mitte betrat, kippte die Treppe nach unten um. Der Büttel half mit einem Ruck nach und der Delinquent wurde im Bogen ins Wasser geschleudert. Dort ließ man ihn eine Weile zappeln und um sein Leben kämpfen. Schließlich wurde er unter dem Gejohle der Menge mit Haken aus dem Wasser gezogen. Man nannte diesen Strafvollzug das Wippen. Im Wiederaufgebauten Soest kann man heute die Wippe am großen Teich wieder sehen.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein setzte man in anderen Städten den Verurteilten in einen großen Korb, und wenn dieser hoch über dem Wasser schwebte, öffnete man den Fallboden des Korbes. - Eigentlich ein probates Mittel, kleinere Sünder zu bestrafen und vor allen Dingen billig. Sollten Rowdieunwesen und andere gesetzwidrige und ordnungswidrige Erscheinungen unserer Tage in Herne weiter zunehmen, könnte man eigentlich auf dem Rathausplatz oder anderswo einen Teich mit einer solchen Soester Wippe daran ausheben! Am Bahnhofsplatz ist ja schon ein Becken! Das übrige können sich die Leser selbst lachend ausdenken; derlei würde der Stadt und dem Staate allerhand Summen sparen und wohl besser sein als Jugendarrest, ganz abgesehen von der allgemeinen Volksbelustigung! Dieser Vorschlag mag zwar ein etwas makabrer Witz sein, aber . . . was einen nicht selbst betrifft, ist bekanntlich allemal leicht zu ertragen!
Die oben gegebenen Beispiele alten Strafvollzuges sind eigentlich harmloser Natur. Aber wie ist es mit den folgenden? - Zunächst ein Kuriosum: "Eine Person mit unsittlichem Lebenswandel wurde in Dortmund mit Gefängnis bestraft und musste nach Abbüßung ihrer Haft, angetan mit dem weißen Schandmantel (Laken), auf dem Chore der Kirche, öffentliche Kirchenbuße tun (nach Karl Prümer, 1908). Das ging zwar nicht ans Leben, war aber eine beschämende Angelegenheit. Es war aber noch eine Kleinigkeit gegen den Strafvollzug an Ehebrechern in Soest. Im 17. Jahrhundert ließ der Rat dieser Stadt einen Ehebrecher verhaften und eine Weile einsperren. Danach musste er dem Pfarrherrn beichten und ihn bitten, "das gemeine Gebet über ihn ergehen zu lassen". Zur weiteren Sühne musste der Sünder, mit einem weißen Laken umgetan, an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen je dreimal um den Kirchhof schreiten. Danach musste er sich bis zum Ende des Gottesdienstes unter die Kanzel stellen. Später musste er dem Rat gegenüber erklären, dass er eigentlich sein Leben verwirkt hätte und es nur der Gnade des Rates verdanke. Damit er sich aber "nicht solcher Dinge mehr gelusten ließe", musste er dem Rate schwören, es nie wieder zu tun.
Nun einige Notizen aus Münster. - Im Jahre 1562 wurde dort die Barbara Faggel vom Werle am Pfingstabend wegen Falschheit und Betrügereien gefänglich eingezogen. Am Samstag nach Pfingsten, dem 20. Juni, wurde ihr auf dem Kake (Pranger) ein Ohr abgeschnitten.
Weiter: Anna Schule wurde wegen ihrer Diebereien am Pranger ein Ohr abgeschnitten und sie aus der Stadt gewiesen.
Hermann Grote Sudendrop aus Greven wurde wegen Honigverfälschung am Pranger ausgepeitscht und aus der Stadt gewiesen.
Katharina Havixbeck hatte ihr uneheliches Kind selbst getauft und dann umgebracht. Sie wurde am Galgen lebendig begraben.
Nun wollen wir einmal sehen, was die Dortmunder an Gerichtsbarkeit in alter Zeit noch "angestellt" haben. Führte dort jemand, z. B. eine Butterhändlerin, falsches Gewicht, dann ergriff sie der Büttel und brachte sie zum TrisseI (Drehkäfig) an der Westseite des Dortmunder Marktes. Dort steckte er die Sünderin hinein und drehte den Käfig solange um seine Achse, bis bei der Frau Erbrechen eintrat. Wahrscheinlich verwendete sie dann niemals wieder falsche Gewichte! Es blieb also wohl dem "Polizisten" überlassen, in den Käfig zu stecken wen er wollte oder wenn er glaubte, es sei notwendig! - Das war mehr als schlecht!
Etwas härter war folgende Strafe für zänkische Frauen, die öffentlich ein Ärgernis erregt hatten. Beide Frauen mussten sich bis aufs Hemd ausziehen. Dann wurden der einen Frau an einer Kette zwei je 50 Pfund schwere Steine um den Hals gehängt, während die andere mit einer eisernen Pike in der Hand hinter ihr herging und sie zum Gehen antreiben musste. Auf dem Wege durch die Hauptstraße, also vom Westen- zum Ostentor, wurden die beiden Frauen von Bütteln und einer Menschenmenge unter großem Hallodria begleitet. - Damals tat halt der Rat der Stadt noch etwas zur Belustigung der Bürger und zwar nach dem Motto "Es wird gemacht, damit der Pöbel lacht"! - Waren nun die Frauen am Ostentor angelangt, dann wurde mit den Steinen und der Pike gewechselt. Nun trieb die Frau, die vorher die Schandsteine getragen hatte, die vorher piketragende Frau an und - war letztere zu grob zu ihr gewesen, dann vergalt sie es nun doppelt - und so ging dann der Zug wieder zum Westentor zurück.
Da ich nicht beabsichtige, der sowieso "verdorbenen Phantasie" gewisser Zeitgenossen neue Nahrung zu geben, habe ich hier die besonders grausamen Urteile aus alter Zeit nicht dargestellt. Zum Schluss aber wollen wir uns einmal, und nur einmal, im alten Herne umsehen, wo bekanntlich viele Jahrhunderte die Strünkeder Ritter die Gerichtsbarkeit ausübten.
Da erwischte man vor einigen hundert Jahren einen Mann, der tatsächlich etwas Abscheuliches begangen hatte. - Was geschah mit dem Sünder? Diesem Verurteilten, der der Sodomie angeklagt war, ließ Gottfried v. Strünkede (der Erbauer des letzten westlichen Teiles des Schlosses) am 27. Februar 1658 „durch einen frembden Scharfrichter von Essen ... nahe vor der pforten des Hauses Strünkede erst den Kopf herunter schlagen, folgendts den Körper von dannen in das Gericht Castrop hinschleifen unt alda verbrennen lassen."
Auf diese Weise hatten die Castroper auch etwas davon, obwohl das Ganze in der Hauptsache als Abschreckung gedacht war. Der Körper des Enthaupteten wurde sicherlich von einem Pferd gezogen und da kann man sich in etwa vorstellen, was davon in Castrop noch übrig war. - Man sieht, das Gericht Strünkede war auch nicht zimperlich, und ferner ist zu ersehen, dass es auch das sogenannte Halsgericht innehatte, also über Leben und Tod der Beklagten zu entscheiden hatte. Nun ist es ganz sicher, dass auch die Strünkeder alle ihnen geringer erscheinenden Vergehen mit Vorliebe durch "Brüchten" ahndeten, also lieber Geldstrafen einzogen, denn davon füllte sich ihre Kasse.
Viel wissen wir nicht über die Gerichtsbarkeit im alten Herne, aber so viel doch, dass man auch hier nicht zimperlich war und auch durchweg die gleichen Strafen verhängte, wie sie zu Anfang dieses Aufsatzes mitgeteilt wurden. Nun ja, es hat sich was mit der "guten alten Zeit"! Da haben wir es in unserer Zeit besser. Aber täuschen wir uns nicht, irgendein Kern der Neigung zu jenen Grausamkeiten alter Zeit ist latent immer vorhanden, nicht nur beim Einzelmenschen, nicht nur bei Gruppen, sondern wohl auch bei denen, die Macht ausüben, so dass immer wieder Gefahr besteht, dass solche Neigungen unter gegebenen Verhältnissen jederzeit sogar im Großen zum Durchbruch kommen. [1]
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Quellen
- ↑ Karl Brandt, Herne - unsere Stadt - Juni/Juli 1965 S. 17-18